Über Bilder (1)

Schaut, wie süß wir sind: Selenskyj, Madonna und die Fotos des Monats

Fotos schreiben Zeitgeschichte, wir schreiben über Fotos. Welche Nachrichtenbilder hinterlassen Eindruck? Wie wirken sie und warum? Wie viel ist inszeniert und von wem? Hendrik Wieduwilt analysiert für uns regelmäßig seine Auswahl des Monats.


Tarnfarben? Bitte nur für Selenskyj

Im Februar jährte sich der russische Überfall auf die Ukraine. Deren Präsident Wolodymyr Selenskyj besuchte andere Staatschefs und produzierte dort Bilder – ein wichtiger Faktor in diesem Krieg. Selenskyj in Grün, umringt von Anzugträgern, demonstriert auf den ersten Blick, in was für einem Ausnahmezustand er sich befindet. Mit niemandem wirkt der Ukrainer aber so eng und vertraut wie mit dem britischen Premier Rishi Sunak.

Die Bilder unterstreichen die Nähe: Sunak schreitet Seite an Seite mit Selenskyj in das Transportflugzeug, beide behelmt, aber nur Slenskyj in Grün. Es sieht aus wie eine Szene aus „Top Gun“.

Im Chinook-Hubschrauber schauen sie zusammen auf ein Smartphone wie befreundete Schuljungen im Bus – unklar bleibt, was die beiden sich ansehen. Die Symbolik ist schwer zu übertreffen: Die Gesichter halbverdeckt durch den Helm, dennoch sieht man beide lachen.

Foto: Ukrainisches Präsidialamt

Auf manchen Bildern ist Selenskyjs Ehering gut zu sehen, immer aber im Hintergrund der raue, funktionale Innenraum des Transporthubschraubers. Die roten Gurte sorgen für ein bisschen Michael-Bay-Dramatik.

Der britische Premierminister bekam schon vorher eine „kräftige Umarmung“, ebenso wie die Journalistin von BBC Ukraine.

Nichts davon ist Zufall, und die Bilder wirken. „Die Optik dieses Besuchs ist unglaublich gut für Sunak und für das Vereinigte Königreich“, kommentiert John Kampfner, Direktor der Denkfabrik UK in the World Initiative, in der „Financial Times“.

Die übrigen Europäer bekamen auch schöne Bilder, aber keines reichte an die Vertraulichkeit mit Sunak heran. Der französische Präsident Emmanuel Macron bekam einen Handschlag mit Schulterklopfen, Bundeskanzler Olaf Scholz hingegen hielt auf einem Bild Abstand, als begrüße der Bundeskanzler einen Corona-Leugner im Dezember 2020.

Und EU-Kommissionspräsidentin Ursula von der Leyen konnte sich hie und da über Garderobenlob freuen, weil sie Selenskyj in den Farben der ukrainischen Flagge begrüßte.

Weder Kleidung noch Gesten sind bei solchen formalen Besuchen reine Zufälle für glückliche Fotografen. Wer erinnert sich nicht im Privatleben an eine missglückte Begrüßung, eine ausgestreckte, aber versehentlich verhungernde Hand oder eine irgendwie übertriebene Umarmung. Damit die Weltgeschichte nicht durch solche Missgeschicke entgleitet, gibt es Protokollabteilungen. „Das Protokoll schafft Atmosphäre und Rahmen für die Politik“ drückt es die zuständige Abteilung im Auswärtigen Amt vornehm aus – doch Referate für das Drumherum haben auch andere Bundesministerien.

Krawatte oder nicht, knielange Kleider beim Tee mit Queen oder King – solche Kleidungsfragen würden ebenso wie Gesten oder Handschläge durch die Protokollabteilungen beteiligter Staaten verabredet, erklärt die frühere Diplomatin Gudrun Steinacker auf unsere Anfrage. „Bei spontanen Begegnungen kann es zu Überraschungen kommen, etwa durch Signalkleidung oder Provokationen.“ Manche mögen sich hier an Putins Hund erinnern, der Angela Merkel, nun, „begrüßte“. Doch selbst die Frage, ob man sich umarmt oder nicht, werde vorher verabredet, sagt Steinacker.

Dass das Protokoll mit der Bildsprache doch mehr lenkt als „Atmosphäre und Rahmen für die Politik“, zeigt ein Papier, dass vor dem Selenskyj-Besuch in EU-Kreisen zirkulierte und von dem„Politico“ berichtet. Es stammt vom für Protokollfragen zuständigen Generalsekretariat. Vermeiden möge man, heißt es darin, „green, khaki or too bright colours“. Das mag mit Stilfragen zusammenhängen: Es kann anbiedernd und befremdlich wirken, wenn ein EU-Kommissar im T-Shirt durch Kyiv spaziert. Vielleicht bereitet die modische Zurückhaltung aber auch auf Zeiten vor, in denen der Beitritt der Ukraine zur EU nicht so schnell läuft, wie Selenskyj es sich wünscht.

Von der Leyen hat sich insoweit von ihrer Protokollabteilung emanzipiert – in Gelb und Blau.

Corona ist vorbei

Eine Oper ist erst vorbei, wenn die dicke Frau singt – und eine Pandemie erst dann, wenn Karl Lauterbach und Christian Drosten mit ernsten Minen vor der Kamera die Maske abnehmen.

Während schon vorher viele Kommentatoren – insbesondere aus dem „Team Freiheit“ – die Pandemie für beendet erklärt hatten, wirkt es völlig anders, wenn derlei der salzscheue Minister und der bedächtig auftretende Arzt verkünden.

Das Bild ist inszeniert, na klar – aber durch wen eigentlich? Hat sich das Bundesgesundheitsministerium die Sache ausgedacht? Oder der „Spiegel“?

Wir haben bei Urban Zintel nachgefragt, der das Foto für das Doppelinterview geschossen hat. Eine feste Regel dafür, wie solche Fotos entstehen, gibt es nicht, sagt er. Fragen der Örtlichkeit hängen manchmal von Terminkalendern ab. Diesmal entstanden die Bilder im Bundesgesundheitsministerium – in einem Büro, denn auf dem Flur herrschte zum Zeitpunkt der Aufnahmen noch Maskenpflicht.

Oft machten die Redaktionen Vorschläge, sagt Zintel. Die vom „Spiegel“ hätte sich hier etwa den „Fistbump“ gewünscht, der später im Magazin abgedruckt wurde. Zintel mache sich aber auch selbst immer ein paar Gedanken und habe dann die Idee mit den Masken vorgeschlagen.

„Die beiden sind die Personen, die am meisten im Fokus standen“, sagt Zintel. Er habe sie bewusst eng nebeneinander gestellt, wogegen keiner von beiden protestiert habe. Drosten habe der Fotograf eine frische FFP2-Maske reichen müssen, der Virologe hätte nur eine OP-Maske dabei gehabt. Dass eine Maske schwarz und die andere weiß war, sei wiederum Zufall, sagt Zintel. Schafft aber schöne Kontraste im Bild.

Sechs Finger für eine Spende

Auch die Erdbebenkatastrophe in Syrien und der Türkei produzierte ikonografische Bilder, etwa von dem Vater, der die Hand seiner eingeklemmten, toten Tochter hielt.

Manche nutzten die Emotionalität aus, unter anderem mit Hilfe eines KI-generierten Bildes, das die Zusammenarbeit zwischen Griechenland und der Türkei symbolisieren sollte. Einigen fiel die Künstlichkeit vor lauter Rührung nicht auf – obwohl der Feuerwehrmann auf dem Bild über sechs Finger verfügte.

Produziert hatte es nach Recherchen der BBC der Feuerwehrmann Panagiotis Kotridis, um die „Kollegen zu ehren, die ihr Bestes tun, um die Opfer der Erdbeben in der Türkei zu retten“. Danach nutzten es Betrüger, um Spender anzulocken.

Madonna, die Windräder, die Brennweite

Dass Schönheit eine Frage der Perspektive ist, unterstrich im vergangenen Monat Sängerin Madonna. Nach allerlei Häme bei einem Auftritt mit geschwollenem Gesicht beschwerte sie sich darüber, dass ihr Antlitz durch das Teleobjektiv des Fotografen verzerrt worden sei, nicht etwa durch Schönheitschirurgie.

Nun ist es nicht an uns, die Wangenknochen von Frauen zu vermessen oder über Eingriffe zu spekulieren – aber den Fotografen würden wir doch gern freisprechen: Verzerrungen hängen zwar mittelbar von der Brennweite ab, der Effekt ist aber umgekehrt. Tele macht schön und Weitwinkel eine Knollennase! Im Netz kursieren allerlei Gifs dazu:

Damit wäre auch die Frage beantwortet, warum Selfies aussehen, wie sie nun einmal aussehen: nicht sehr gut.

Klassische Portraits fotografiert man daher mit leichtem Tele, oft bei 85 Millimeter (Kleinbildformat). Übrigens: Auch das Antlitz einer Nachbarschaft hängt von der Brennweite ab. Nimmt man eine lange, staucht sich das Bild und die Windräder stehen quasi im Vorgarten.

Madonna jedenfalls sollte froh sein, dass sie niemand weitwinklig aus der Nähe geknipst hat. Inzwischen ist das allerdings auch egal. Die Ikone findet sich nämlich nach eigenem Bekunden wieder „süß“:

Immerhin: Das ist kein Selfie.

1 Kommentare

  1. Da hier noch niemand etwas angemerkt hat: Schöne Analyse, und ich hoffe, es wird eine Serie draus. Wobei mich eher die politisch-manipulativen Aspekte von Fotos interessieren als die boulervardesken.

    Das KI-Bild mit dem Feuerwehrmann finde ich aus anderen Gründen gruselig als wegen des sechsten Fingers: Der kitschige Weichzeichner, die Nationalflaggen, der Blutfleck an der Wand (der Kriegsgebiet suggeriert), und vor allem die Interaktion der beiden – das ist ein Papa, der sein Töchterchen tröstet; auf keinen Fall ist das ein professioneller Retter, der ein Erdbebenopfer aus Trümmern barg und es nun schleunigst zur medizinischen Versorgung bringt. Ganz übles Seelen-Baiting.

    Zu „Tele macht schön“ sei ergänzt: aber nur im mittleren Bereich. Die oben gezeigten 300 mm würden auch ein Gesicht stauchen wie die Entfernung zwischen Struts und Windpark. Ergebnis: Pfannkuchen-Face (bei Madonna lag das Problem allerdings woanders).

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