Fußnoten (27)

Bitte Haltung einnehmen

Eine der Plagen des Online-Journalismus ist das so genannte Symbolbild, also ein Bild, das zur Illustration einer Geschichte herhalten muss, obwohl es nichts mit ihr zu tun hat. Aber wir wissen1)Das ist kursiv geschrieben, weil eine der Plagen des Journalismus als Handwerk ist, dass wir in Wahrheit sehr vieles nicht wissen., dass Leser gerne auf Fotos klicken und deshalb Artikel in Redaktionssystemen so angelegt sind, dass jeder ein Bild haben muss – im Zweifel halt eins, das mit der Geschichte nichts zu tun hat.2)Das ist eine der Stellen, an denen Übermedien auch nicht besser ist als der Rest. Man würde zum Beispiel über eine Geschichte mit der Headline „Ich bleibe skeptisch, das ist mein Job“ einfach ein Bild irgendeines Menschen setzen, der skeptisch guckt – wenn man nicht ein Foto des Autors hätte, wie er skeptisch guckt.

Immer röhn skeptisch bleiben. Screenshot: Welt.de

Was uns zu einer Geschichte aus der „Welt“ bringt.3)Das steht hier in Anführungszeichen, weil es nicht die Welt ist, sondern die „Welt“. Sie heißt „Ich bleibe skeptisch, das ist mein Job“ und ist bebildert mit einem Foto des Autoren Tim Röhn, auf dem er so skeptisch guckt, dass ich für einen Moment dachte, es wäre ein Symbolbild.

Ist es aber nicht.

Es ist tatsächlich das offizielle Autorenfoto, wie es über jeder seiner Geschichten steht. Er guckt immer skeptisch, aber das ist schließlich auch sein Job. „Welt“-Chefredakteur Ulf Poschardt guckt auf seinem Autorenfoto schließlich auch so, als würde er sich darauf freuen, wie man sich über seine Meinung aufregt, und ich würde behaupten, genau das versteht er als seinen Job.4)Ich meine das durchaus ernst und liebevoll, ich glaube das wirklich. Man könnte das für Zufall halten, aber ich bleibe skeptisch.

Die Autorenfotos der „Welt“ sind schon insofern besonders, als es offensichtlich ein Konzept gibt für „Autorenfotos in der ‚Welt‘“. Sie sind, soweit ich das erkennen kann5)Ausgerechnet auf der Seite, auf der alle Autoren mit ihren Fotos aufgeführt sind, fehlen die Fotografen-Credits., zumeist gemacht von dem Fotografen Martin Lengemann.6)Lengemann ist gleichzeitig lustigerweise auch „Welt“-Autor und taucht deshalb selbst mit einem Bild auf der Autorenseite auf.

Es sind deutlich über 200 Köpfe, die regelmäßig auf der rechten Seite eines horizontalen blaugrauen Rechtecks als „Bruststück“ auftauchen (das ist ein Porträt inklusive Oberkörper und einem Teil der Arme), in Ausnahmefällen auch als „Halb-Porträt“ (der gesamte Oberkörper inklusive der angewinkelten Arme).

In ganz wenigen Ausnahmefällen auch nur als „Kopfbild“ oder „Büste“, ausnahmsweise auch mittig im Bild und in zwei Fällen als offensichtliche Collage aus einem freigestellten Schwarzweiß-Porträt vor dem offiziellen „Welt“-Autoren-Hintergrund. Aber die Ausnahmen bestätigen hier wirklich nur die Regel.

Wir dürfen lebensnah davon ausgehen, dass die Platzierung rechts im Bild den Grund hat, links im Bild Platz zu haben, in den gegebenenfalls Text layoutet werden kann, also zum Beispiel die Headline der Geschichte.

Es ist ungeheuer praktisch, so etwas in einer Redaktion vorliegen zu haben.7)Der gemeinsame Hintergrund – oder eigentlich: das überall gleiche Licht – hat auch den enormen Vorteil, dass die Köpfe problemlos gemeinsam auf einen Hintergrund montiert werden können und so aussehen wie ein Poster für eine Vorabend-Serie, für die Boris Rosenkranz den Piloten geschrieben hat. Gleichzeitig eröffnet die gemeinsame Ästhetik natürlich die Möglichkeit, das Team als Teil einer Marke darzustellen. Während zum Beispiel „Übermedien“ in der Regel einfach irgendwelche Fotos ihrer Autoren zeigen, ist der Auftritt der „Welt“-Autoren der einer Mannschaft im Dienst einer gemeinsamen Unternehmung.

Wie bei der Nationalmannschaft

Das kennt man von den Apple-Produktvideos. Oder von der Fußball-Nationalmannschaft. Möglicherweise kommt von den Kurzvideos, die seit ein paar Jahren mit den Mannschafts-Aufstellungen im Fernsehen eingeblendet werden, auch der Trend, die Arme zu verschränken. Die Fußballer machen das sehr offensichtlich auf Anweisung, um Entschlossenheit und Stärke auszustrahlen. Mehr als 50 der „Welt“-Autoren verschränken auf ihren Porträts die Arme und die meisten von ihnen strahlen dabei aus, dass sie sonst nicht wüssten, wohin mit ihren Händen.8)Ausnahmen sind natürlich Ulf Poschardt, der tatsächlich mit offensichtlicher Freude seine Arme verschränkt, und Hendrik M. Broder, dessen Arme man in seinem Bild gar nicht sieht. Man weiß einfach, dass sie verschränkt sind.

Autoren-Fotos der Welt
Die „Welt“-Mannschaft zeigt Haltung. Collage: Übermedien, Fotos: Welt.de

Kunsthistorisch war das immer schon ein Problem. Hände sind blöd. Sie sind für Porträts das, was Knie für Ganzkörper-Aufnahmen sind9)Kein Witz, sondern ein Tipp, den Fotografen vor allem Frauen geben: Im Stehen die Beine nie ganz durchdrücken und Hände nur im Profil zeigen. Ehrlich wahr! Das ist der Grund für die Denkerpose mit einem Arm quer über der Gürtellinie und der anderen flach ans Gesicht angelegt. Hände sind doof. oder Karate für das Remake von „Karate-Kid“ mit Jackie Chan, in dem es um Kung Fu geht: Sie müssen vorkommen, weil sonst das Gesamtbild unvollständig wäre, aber sie tragen nicht zur Verbesserung bei. Ich schweife ab, aber das ist mein Job.

Die große Frage bleibt natürlich: Da die „Welt“ offensichtlich die Notwendigkeit von Autorenfotos (s.a. „Symbolbild“) genutzt hat, sich ein Konzept auszudenken – was ist das Konzept?

Auf einer oberflächlichen Ebene erinnern die Autorenfotos an eine der berühmtesten Serien der Porträt-Fotografie jüngerer Vergangenheit, nämlich an „Power“ des Fotografen Antoniou, der unter seinem Vornamen Platon bekannt und berühmt ist. Für „Power“ hat Platon mehr als 100 Staats- und Regierungschefs porträtiert, die meisten von ihnen in einem ähnlichen Licht wie Martin Lengemann und andere die Kollegen der „Welt“.10)Der Hintergrund hat nicht diesen Farbverlauf in unterschiedlichen Grau- oder Graublau-Tönen, er entsteht durch den kunstvollen Einsatz von zwei oder mehr Blitzlichtern. Deshalb ist er auch nicht bei allen identisch. Ich würde tippen, die Autoren stehen einfach vor einer weißen Wand. Der verkneift sich dabei allerdings die drei prägenden Charakteristika der „Power“-Serie11)Und wahrscheinlich kann man sagen: Charakteristika von Platons Arbeiten ganz allgemein.: Platon benutzt den Blitz zum Aufhellen des Hintergrundes, um eine Art Heiligenschein um die Köpfe der Mächtigen zu projizieren.12)Für Fotografie-Interessierte: Platon macht dafür die Prägung seiner Kindheit auf griechischen Inseln verantwortlich, bei denen er in jeder Kirche Ikonen gesehen hat. Bei Lengemann und seinen Kollegen ist dieser Effekt nur sehr vorsichtig eingesetzt, seine rückwärtigen Lichtquellen stellen vor allem die Köpfe vor dem Hintergrund frei, aber der Eindruck einer Aura entsteht auch so (besonders schön zu sehen lustigerweise bei der Lichtgestalt Matthias Döpfner).

Schon aus den angesprochenen Layout-Gründen verzichten die „Welt“-Fotografen auf die extreme Nähe, die Platon zu seinen Objekten sucht, er braucht schließlich den Raum um sie herum. Vor allem aber wählt er, drittens, eine andere Perspektive: Platon nähert sich seinen Mächtigen vor allem von unten, das heißt, von unterhalb ihrer Augenhöhe. Lengemann und seine Kollegen fotografieren aus Augenhöhe, in einigen wenigen Fällen sogar einen Hauch darüber.13)Ich möchte nicht ausschließen, dass das gar keine Absicht war, sondern das beste Foto einer Serie möglicherweise genau eins, wo der Fotografierte sich gerade ein bisschen kleiner macht. Wenn man einmal ein Stativ auf die Augenhöhe von Matthias Döpfner eingestellt hat, muss man sich wahrscheinlich mühsam wieder runterpegeln, der Mann ist ja drei Meter groß. Die Porträtierten wirken so weniger arrogant und mächtig, gleichzeitig natürlich auch weniger besonders. In Kombination damit, dass sich einige offensichtlich nicht wohlfühlen mit ihrer Rolle vor der Kamera, hat das eine wunderbar menschliche Wirkung.

Es sind echte Charaktere zu erkennen hinter den Bildern der „Welt“-Crew, und man wünschte sich fast eine Sitcom mit zumindest einigen von ihnen. Man spürt die Rollen: Der extrem selbstbewusste Chefredakteur mit seinem überlegenen Grinsen; die hochbegabte, aber vom Leben immer mal leicht verwirrte Leiterin des Ressorts Titelthema der „Welt am Sonntag“14)Aus Gründen, die ich nicht auflösen kann, handeln fünf ihrer letzten zehn Artikel von Brot, zwei von Gebäck und einer von Gänsebraten. Das Motto ist offenbar: Ofen für alles.; der muskulöse Sportredakteur; die Videoredakteurin, die praktisch als einzige lebensbejahend gekleidet zum Fotoshooting kommt und natürlich der ehrgeizige Volontär, der mit 26 schon seriöser gekleidet ist als der berufsjugendliche CEO des Imperiums.15)Bei Herausgeber Stefan Aust habe ich den Verdacht, dass er nicht zum Shooting gekommen ist und sein Bild zusammengeschnitten, ansonsten hätte einmal der Fotograf die Blitzgeräte falsch aufgebaut, was ihm nach meiner Einschätzung nicht passiert. Bei Aust ist nämlich der Hintergrund flach und ein spiegelndes Highlight auf der Glatze.

„Gute Welt, schlechte Welt“, die Sitcom Fotos: Welt.de, Montage: Ü

Es ist ehrlich geil. Und dabei habe ich den Skeptischen noch gar nicht erwähnt, der natürlich der Held sein könnte.

Man kommt nicht drum herum, festzustellen: Eine Mannschaft, die in großen Teilen mit verschränkten Armen vor einem steht, lädt nicht auf den ersten Blick zu einer offenen Kommunikation ein. Aber wenn man das irgendwann mal wollte, fände man sicher ein Symbolbild.

Fußnoten

Fußnoten
1 Das ist kursiv geschrieben, weil eine der Plagen des Journalismus als Handwerk ist, dass wir in Wahrheit sehr vieles nicht wissen.
2 Das ist eine der Stellen, an denen Übermedien auch nicht besser ist als der Rest.
3 Das steht hier in Anführungszeichen, weil es nicht die Welt ist, sondern die „Welt“.
4 Ich meine das durchaus ernst und liebevoll, ich glaube das wirklich.
5 Ausgerechnet auf der Seite, auf der alle Autoren mit ihren Fotos aufgeführt sind, fehlen die Fotografen-Credits.
6 Lengemann ist gleichzeitig lustigerweise auch „Welt“-Autor und taucht deshalb selbst mit einem Bild auf der Autorenseite auf.
7 Der gemeinsame Hintergrund – oder eigentlich: das überall gleiche Licht – hat auch den enormen Vorteil, dass die Köpfe problemlos gemeinsam auf einen Hintergrund montiert werden können und so aussehen wie ein Poster für eine Vorabend-Serie, für die Boris Rosenkranz den Piloten geschrieben hat.
8 Ausnahmen sind natürlich Ulf Poschardt, der tatsächlich mit offensichtlicher Freude seine Arme verschränkt, und Hendrik M. Broder, dessen Arme man in seinem Bild gar nicht sieht. Man weiß einfach, dass sie verschränkt sind.
9 Kein Witz, sondern ein Tipp, den Fotografen vor allem Frauen geben: Im Stehen die Beine nie ganz durchdrücken und Hände nur im Profil zeigen. Ehrlich wahr! Das ist der Grund für die Denkerpose mit einem Arm quer über der Gürtellinie und der anderen flach ans Gesicht angelegt. Hände sind doof.
10 Der Hintergrund hat nicht diesen Farbverlauf in unterschiedlichen Grau- oder Graublau-Tönen, er entsteht durch den kunstvollen Einsatz von zwei oder mehr Blitzlichtern. Deshalb ist er auch nicht bei allen identisch. Ich würde tippen, die Autoren stehen einfach vor einer weißen Wand.
11 Und wahrscheinlich kann man sagen: Charakteristika von Platons Arbeiten ganz allgemein.
12 Für Fotografie-Interessierte: Platon macht dafür die Prägung seiner Kindheit auf griechischen Inseln verantwortlich, bei denen er in jeder Kirche Ikonen gesehen hat.
13 Ich möchte nicht ausschließen, dass das gar keine Absicht war, sondern das beste Foto einer Serie möglicherweise genau eins, wo der Fotografierte sich gerade ein bisschen kleiner macht. Wenn man einmal ein Stativ auf die Augenhöhe von Matthias Döpfner eingestellt hat, muss man sich wahrscheinlich mühsam wieder runterpegeln, der Mann ist ja drei Meter groß.
14 Aus Gründen, die ich nicht auflösen kann, handeln fünf ihrer letzten zehn Artikel von Brot, zwei von Gebäck und einer von Gänsebraten. Das Motto ist offenbar: Ofen für alles.
15 Bei Herausgeber Stefan Aust habe ich den Verdacht, dass er nicht zum Shooting gekommen ist und sein Bild zusammengeschnitten, ansonsten hätte einmal der Fotograf die Blitzgeräte falsch aufgebaut, was ihm nach meiner Einschätzung nicht passiert. Bei Aust ist nämlich der Hintergrund flach und ein spiegelndes Highlight auf der Glatze.

6 Kommentare

  1. Sehr schöner Artikel, ich habe mehrfach herzlich gelacht. Danke für die pointierte Betrachtung (und man hat sogar noch was gelernt über die Fotografie). Chapeau!

  2. Ach ja, diese animierten Spielerfiguren, die möglichst grimmig in die Aufstellung hineinmontiert werden können, die sind mir vor einigen Jahren schon im US-TV aufgefallen und ich dachte „zumindest wir in Europa machen diesen Quatsch nicht mit“, und dann wieder daheim – zack.

    Zurück zur WELT: unter rein ästhetischen Aspekten ein kohärentes Konzept, dass auch zur Publikation passt, die ja weniger für Offenheit gegenüber Meinungen und Fakten steht, die dem eigenen bequemen Standpunkt entgegensteht, als für das Beharren auf den eigenen Interessen und Ideologien. Und eine Abwechslung zu dieser anderen Mode, die – ich meine, vom Wall Street Journal ausgehend – eine Zeitlang durch Autorenleisten vielen Zeitungen vieler Länder ging, dem halb karikaturenhaften, halb monochrom fotographierhaftem Kopfbild.

  3. Danke, ich hatte die Geste immer so gelesen, wie es im letzten Absatz steht: Als Signal des Verkündens und Nichtzuhörens.

  4. Danke, hat sehr amüsiert.
    Lästern über die „Welt“ ist immer gut. Und wenn das auch noch so gut geschrieben ist, umso mehr!
    :-)

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