Bürgerschaftswahl Bremen

„Bild“-Reporter in Wut

Wenn am 14. Mai in Bremen eine neue Bürgerschaft gewählt wird, tritt dort auch ein Mann an, den man aus der Zeitung kennt – jedenfalls in Bremen und wenn man „Bild“ liest: Holger Fricke, besser bekannt als Holger Bloethe. Unter diesem Namen, seinem Geburtsnamen, berichtet er seit Jahren für die Bremer „Bild“-Ausgabe, wo sie ihn zuweilen Holger „Bloehte“ schreiben.

Logos der Tageszeitung "Bild" und der Wählervereinigung "Bürger in Wut"
Logos: Bild, Bürger in Wut

Als Holger Fricke steht Bloethe jetzt auf Platz 5 der rechtspopulistischen Wählervereinigung „Bürger in Wut“ (BiW). In der war vor ein paar Jahren auch der ehemalige „Stern TV“- und Radio Bremen-Reporter Hinrich Lührssen vorübergehend aktiv, nachdem er die Bremer AfD im Streit verlassen hatte. Bei der Wahl im Jahr 2019 war Lührssen BiW-Spitzenkandidat, der Einzug in die Bürgerschaft gelang ihm allerdings nicht. 2020 stieg er dann auch bei den BiW wieder aus und schrieb ein Buch über seine angeblich „geheime Mission“.

Mit Holger Bloethe, Jahrgang 1959, folgt nun der nächste offenbar wütende Medienmann, allerdings: Ein Journalist, der für eine große Zeitung aus Bremen berichtet, bewirbt sich für ein politisches Amt in der Stadt – wie lässt sich das überhaupt vereinbaren? Radio Bremen hatte Lührssen damals für die Zeit des Wahlkampfs vom Sender genommen. Bloethe hingegen berichtet erst mal weiter für „Bild“.

Auf Anfrage antwortet ein „Bild“-Sprecher, Bloethes Beschäftigungsverhältnis ende zum 30. April, also zwei Wochen vor der Wahl. Außerdem sei mit Bloethe vereinbart, dass er „ab sofort über keine kommunalpolitischen Themen (mehr) schreibt oder insgesamt keine Themen bearbeitet, die einen Interessenkonflikt hervorrufen könnten“.

Das schrieb uns der Sprecher am 22. Februar. Zwei Tage zuvor hatte Bloethe noch über ein kommunalpolitisches Thema berichtet: „Kommunen blitzen sich die Taschen voll“, steht über dem kurzen Text. Die Geldquelle sprudle kräftig, schreibt Bloethe:

„Auch das Land Bremen kassierte kräftig ab, zog Autofahrern bereits bis Juni 2022 zwei Mio. mehr aus der Tasche, als 2021.“

Der „größte Batzen“ komme durch „zu schnelles Fahren“.

Seither schrieb Bloethe über dies und das, über einen Vergewaltiger vor Gericht, über eine Luxus-Yacht, die in Bremen vom Stapel lief, oder über das alte Haus, in dem lange die Pathologie untergebracht war, und das nun veräußert werden soll. Bange „Bild“-Frage: „Wer will das Haus der Toten kaufen?“.

Natürlich hätten wir gerne mit Bloethe über sein Engagement gesprochen. Über seinen Antrieb, sich als Kommunalpolitiker zu versuchen, nach so langer Zeit als Reporter bei „Bild“, und über den Grund, weshalb er als politische Heimat die „Bürger in Wut“ gewählt hat. Aber Bloethe mag nicht.

Kein Anschluss unter dieser „Bild“-Nummer

Es ist es ohnehin schwer, die „Bild“-Redaktion in Bremen zu erreichen. Im Internet steht eine Rufnummer, die aber nicht mehr vergeben ist; diese Nummer nennt überraschenderweise auch die Telefonzentrale von „Bild“. Auf eine Mail an die Redaktion kommt keine Antwort. Und der „Bild“-Sprecher reagiert nicht auf unsere Frage, wie man denn die Redaktion in Bremen erreichen kann.

Immerhin war dann eine Mitarbeiterin der „Bürger in Wut“ so nett, unseren Kontakt an ihren Kandidaten weiterzugeben. Doch Bloethe meldet sich auch daraufhin nicht zurück. Auf abermalige Nachfrage bei der BiW-Mitarbeiterin sagt sie, ihres Wissens habe Bloethe „kein Interesse“, mit uns zu reden.

Wir überbrücken deshalb die Zeit bis zu Bloethes ersten Wahlkampfauftritten damit, alte Geschichten über ihn im „Bildblog“ zu lesen. Zum Beispiel von 2006 unter der Überschrift: „Rufmord an einem schwulen Politiker“ – da geht es um einen Bloethe-Bericht, für den „Bild“ anschließend „in aller Form“ um Entschuldigung bat.

Außerdem, man lernt nie aus, gilt Bloethe offenbar als „Entdecker“ von Annina Ucatis, über die „Bild“ schon häufig berichtet hat. Neulich erst wieder, anlässlich ihrer Beziehung zu einem FDP-Politiker. „Bild“ interessiert das sehr, weil der Politiker verheiratet ist und Ucatis früher mal in Pornos mitgewirkt hat. Und Bloethe, zitiert „Bildblog“ die „taz“, soll Ucatis bereits 1998 zu einem Job als, ähm, „Super-Ische“ in der „Harald Schmidt Show“ verholfen haben.

Aber das ist lange her. Nun macht der Mann, der bei „Bild“ Holger Bloethe ist, als Holger Fricke seriöse Wut-Politik an der Weser. Oder steigt er, wie Hinrich Lührssen, nach der Wahl wieder aus und schreibt ein Enthüllungs-Buch?

Nachtrag, 30.5.2023. Die BiW haben bei der Bürgerschaftswahl in Bremen 9,1 Prozent der Stimmen bekommen. Holger Fricke wird damit für die kommenden vier Jahre in die Bremische Bürgerschaft einziehen. Bei „Abgeordnetenwatch“ stellt er sich und seine Motivation kurz vor.


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2 Kommentare

  1. Nicht ganz das Thema, aber:
    Mir ist schleierhaft, wie man „Wut“ als Selbstbezeichnung wählen kann. „wüten“ bedeutet laut Duden „ im Zustand der Wut toben, rasen, zerstören“. Wenn ich als Wähler etwas nicht will, dann ja wohl einen wütenden Repräsentanten. Das Wort alleine legt ja nahe, dass das die Leute nicht konstruktiv arbeiten und daher auch kein Anliegen – welches auch immer – umgesetzt bekommen. „Bürger in Wut“ – der dümmste Parteinahme, den ich je gehört habe.

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