Fußnoten (33)

Was „Bild“ und „Welt“ fehlen würde, wenn man ihre Redaktionen fusioniert: Liebe

erfundenes "wild"-Logo aus "welt" und "Bild"-Logos
Fotomontage: Ü

Vielleicht wäre es gar nicht so lustig, wie man sich vorstellt, wenn die Redaktionen von Springers „Welt“ und „Bild“ zu einer verschmolzen würden. Gregory Lipinski hat für den Braanchendienst „Meedia“ herausgefunden, dass eine zuständige Vorständin das in einer Fragerunde mit Mitarbeitern zumindest nicht ausschließen wollte. Klar sei, dass doppelte Strukturen abgebaut werden müssten, um Geld zu sparen. Nur für den Zweck dieses Textes werde ich die mögliche Kombination aus „Bild“ und „Welt“ einfach „Wild“ nennen.1)Es gibt bereits zwei Magazine, die „Wild“ heißen, eines über Wildfleisch und eins online über Popkultur, aber das muss ja niemanden abhalten: Die Fernseh-Fußballsendung „ran“ hat ihren Namen unter der Initiative von Reinhold Beckmann damals einem kommunistischen Studentenmagazin abgekauft.

Um Doppelstrukturen einzusparen, müsste man zunächst mal ausknobeln, wer denn bei „Wild“ die Chefredaktion übernimmt, Ulf Poschardt oder Johannes Boie. Letztlich würde der Job wahrscheinlich an denjenigen der beiden gehen, der es schafft, Franz-Josef Wagner das neue Konstrukt zu erklären.2) Bei der „Welt“ hatte man früher ein System, nach dem jeder Posten, über den mehr als sechs Minuten Unklarheit herrschte, automatisch mit Jan-Eric Peters besetzt wurde. Aber der ist jetzt bei der NZZ. Als Team-Building-Maßnahme würde der neue Chefredakteur die nun gemischte Mannschaft zu einem Projekttag einladen. Irgendwas Handfestes. Weil das Kliemannsland für so etwas nicht mehr infrage kommt, streicht man vielleicht in gemischten Gruppen zimmerweise eine Villa von Jens Spahn in einer Mischung aus Rot und Blau, also Lila. Die Vorstellung ist betörend schön.

Aber damit wäre es natürlich nicht getan. Um wirklich zu sparen, müsste man einen Teil der Leute rausschmeißen, und die Zurückgebliebenen müssten doppelte Arbeit machen – für beide Marken.

Die Idee, durch Synergien zu sparen, ist nicht neu. Es gibt das Konstrukt der „Mantelredaktion“ für Titel, bei denen sich nur der Lokalteil unterscheidet. Bei RTL Deutschland3) Die Älteren unter uns kennen es noch als Gruner + Jahr. kommen die Wohntitel aus einer Redaktion, also zum Beispiel „Schöner Wohnen“ und „Couch“. Und natürlich machen zum Beispiel Auslandskorrespondenten der öffentlich-rechtlichen Sender Beiträge für ganz unterschiedliche Sendungen ihrer Häuser. Und das funktioniert.

Es gibt Stellen, bei denen Journalisten für verschiedene Medien arbeiten – und für freie Autoren ist das ohnehin die tägliche Praxis. Aber es gibt eine – zugegeben schwer genau zu definierende – Grenze, ab der Synergien mehr schaden als nützen, und sie wäre sicher überschritten, wenn man zwei so unterschiedliche Redaktionen wie die von „Welt“ und „Bild“ zusammenlegen würde. Sie haben zu tun mit der Natur von kreativer Arbeit ganz allgemein und der von Journalismus im Besonderen. Und es ist gleichzeitig erstaunlich und dann wieder wenig überraschend, dass man das offenbar selbst in den Vorständen von Verlagshäusern nicht verstehen will.

Es gibt in allen großen Medienhäusern immer die Frage, welche Abteilungen man zusammenlegen kann. Bei RTL Deutschland4)Siehe oben überlegt man zum Beispiel seit Jahren, ob es nicht sinnvoll sein könnte, die Grafik-Abteilung der verschiedenen Titel zu einer zu verschmelzen. Eine Grafikerin würde dann morgens am „Stern“ layouten, nachmittags an der „Gala“ und am nächsten Morgen vielleicht an „Geo Epoche“. Fachlich ist das kein Problem, alle dort können das alles, wenn man Grafik als das reine Ausführen von grafischen Vorgaben betrachtet. Genauso wie ein professioneller Schreiber sowohl innerhalb der Regeln der „Welt“ als auch der „Bild“ schreiben könnte.

Aber das erste Problem – das kreative – ist: Wie lange braucht man, um innerlich von der einen (Design-)Sprache auf die andere umzustellen? Man muss sich das ein bisschen vorstellen, wie wenn ein Großmeister simultan Schach gegen zehn Gegner spielt. Er muss sich ständig wieder in eine Problemstellung eindenken. Das ist schon schwierig, aber mit Übung machbar5)Alle Großmeister können das, weil sie sich gar nicht mehr in jedes Spiel eindenken müssen. Sie kennen die meisten Stellungen so gut, dass sie schon mit einem Blick ein Gefühl dafür haben, wo die Gefahren und Chancen liegen. Ähnlich wie jede erfahrene Grafikerin ohne bewusstes Nachdenken innerhalb der Designsprache ihrer/seiner Marke eine Seite „aufreißen“ kann.. Aber was passiert, wenn er gegen jeden Zweiten von ihnen Dame spielen muss?

Kreatives Arbeiten heißt, Probleme zu lösen. Kreativ für eine Marke zu arbeiten heißt, die Probleme innerhalb eines bestimmten Regelwerks mit bestimmten Werkzeugen zu lösen – der Sprache der Marke. Wer schonmal einen Brief geschrieben hat, während dauernd Kinder reinkommen und fragen, ob sie an das Süßigkeitenfach dürfen, der hat erstens gut erzogene Kinder und weiß zweitens, dass es Minuten dauert, bis man nach der Störung gedanklich wieder in den Ton zurückgefunden hat, in dem man gerade schreibt. Das sind enorme Reibungsverluste, und die kämen bei „Wild“ zu der logistisch aufwendigen Aufgabe hinzu, die Arbeit jeden Tag sinnvoll zu verteilen. Ich wäre überrascht, wenn da wirklich nennenswerte Einsparpotenziale liegen würden, die nicht durch den entstehenden Stress wieder aufgefressen würden. Aber das ist noch nichtmal mein größtes Problem mit den ganzen Gedankenspielen.

Ein Wert an sich

Es ist nicht überraschend, dass die Manager in Medienhäusern die Besonderheiten kreativer Arbeit nicht verstehen. So sind Manager. Der Output der Inhalteproduzenten, aka Journalisten, lässt sich zumindest nachträglich quantifizieren – und was sich quantifizieren lässt, lässt sich im Manager-Mindset auch optimieren. So ist die Welt, und so ist auch die „Welt“.

Was mich wundert und ärgert, ist die offene Missachtung des Wertes, den die eigene Marke für die Journalisten hat. Schon wenn ich das Gedankenspiel öffentlich mache6)Hier mehr im Sinne von: nicht verstecke., dass man die zwei doch sehr unterschiedlichen Redaktionen zusammenlegen könnte, mache ich ja klar, dass den Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern egal sein muss, für wen sie arbeiten. Dabei ist es ein Wert an sich, wenn sie die Marke lieben, für die sie arbeiten.

Ich muss die „Bild“ nicht mögen7)Es ist kein Geheimnis, dass ich es nicht tue., aber Paul Ronzheimer muss es schon, wenn er an einer Kriegsfront ja tatsächlich sein Leben riskiert. Und es müssen auch diejenigen die „Bild“ lieben, die dann seine Texte und Bilder zu einem Layout machen. In jeder anderen Branche ist selbstverständlich, dass die Identifikation mit der Marke ein Asset ist, und zwar das wahrscheinlich wichtigste, wenn es darum geht, Marken in die Zukunft zu führen. Denn ohne diese Identifikation wird das Produkt schlechter, und zwar jeden Tag ein bisschen mehr. Ohne eine innere Heimat, ohne ein Biotop, in dem ich umoptimiert etwas ausprobieren kann, werde ich nichts Neues entwickeln.

Die „Wild“ ist eine lustige Vorstellung, wegen der Köpfe, die da aufeinanderprallen. Aber schon das Gedankenspiel ist Ausweis dafür, wie wenig Journalistinnen und Journalisten und ihre Art zu denken noch eine Rolle spielen auf dem Weg in die Zukunft der Medien. Lasst uns das aber bitte Franz-Josef Wagner einfach nicht erzählen.

Fußnoten

Fußnoten
1 Es gibt bereits zwei Magazine, die „Wild“ heißen, eines über Wildfleisch und eins online über Popkultur, aber das muss ja niemanden abhalten: Die Fernseh-Fußballsendung „ran“ hat ihren Namen unter der Initiative von Reinhold Beckmann damals einem kommunistischen Studentenmagazin abgekauft.
2 Bei der „Welt“ hatte man früher ein System, nach dem jeder Posten, über den mehr als sechs Minuten Unklarheit herrschte, automatisch mit Jan-Eric Peters besetzt wurde. Aber der ist jetzt bei der NZZ.
3 Die Älteren unter uns kennen es noch als Gruner + Jahr.
4 Siehe oben
5 Alle Großmeister können das, weil sie sich gar nicht mehr in jedes Spiel eindenken müssen. Sie kennen die meisten Stellungen so gut, dass sie schon mit einem Blick ein Gefühl dafür haben, wo die Gefahren und Chancen liegen. Ähnlich wie jede erfahrene Grafikerin ohne bewusstes Nachdenken innerhalb der Designsprache ihrer/seiner Marke eine Seite „aufreißen“ kann.
6 Hier mehr im Sinne von: nicht verstecke.
7 Es ist kein Geheimnis, dass ich es nicht tue.

3 Kommentare

  1. Aus „Bild“ und „Welt“ hätte man auch „Belt“ machen können. Quasi den Gürtel enger schnallen für Döpfners Profit …

  2. Ein Shipping-Name, wie cool!
    So richtig sympathisch sind mir beide nicht, aber die Denke dahinter kann auch sympathischere Firmen treffen, von daher muss man dagegen sein.

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