Der Autor
René Martens ist Medienjournalist und einer der Autoren der MDR-Medienkolumne „Altpapier“. Er gehört regelmäßig der Grimme-Preis-Nominierungskommission Information & Kultur an. Zudem ist er Autor diverser Bücher über den FC St. Pauli.
Wir haben für diesen Artikel mit mehreren Journalist*innen gesprochen, die die schleswig-holsteinische Medienszene gut kennen. Niemand wollte mit echtem Namen in diesem Text erscheinen.
Dass Journalist*innen und Redaktionen oft einseitige oder falsche Polizeimeldungen ungeprüft übernehmen, haben wir bei Übermedien immer wieder thematisiert, etwa hier oder hier. Dass die unkritische Haltung von Journalist*innen gegenüber der Polizei aber sogar in Überidentifikation umschlagen kann, zeigt eine Anekdote aus Schleswig-Holstein:
2019 gab es in der Polizeidirektion Kiel einen Pressetermin zur sogenannten „Rocker-Affäre“, dem Polizei- und Justizskandal, der das Land seit 2017 beschäftigt. Bei diesem Pressetermin ging es auch um Mobbing beim LKA und in dem Zusammenhang an Journalist*innen durchgestochene Informationen. Ein Kollege, der dabei war und den wir hier Marcel P. nennen, erzählte im Gespräch mit Übermedien, dass der Polizei- und Justizreporter einer Zeitungsgruppe bei dem Termin etwas Bemerkenswertes gesagt habe, nämlich: das „Schlimme“ sei doch, dass solche Informationen überhaupt an die Öffentlichkeit gelangt seien.
Stärker als mit seinem eigenen Beruf scheint sich dieser Reporter also mit denen zu identifizieren, über die er kritisch berichten soll. Und offenbar scheint er in Kiel mit dieser Haltung nicht der einzige zu sein.
„Diese Mentalität ist im schleswig-holsteinischen Politikjournalismus verbreitet“, sagt uns ein anderer Kollege, den wir Vincent U. nennen. Man dürfe dabei nicht nur auf die Führungskräfte des NDR-Landesfunkhauses in Kiel schauen, die in den vergangenen Wochen in Kritik geraten sind. Ihnen wird vorgeworfen, im Kontext des Rücktritts des CDU-Innenministers Hans-Joachim Grote regierungskritische Berichterstattung verhindert zu haben. Grote war auf Drängen des CDU-Ministerpräsidenten Daniel Günther zurückgetreten.
Der Fall Grote habe unter den landespolitischen Journalist*innen in Kiel für einen „Riss“ gesorgt, sagt Marcel P. Ein kleiner Teil habe bei Pressterminen ständig nachgehakt – was „die aus der Pro-Günther-Ecke“ mit genervten Blicken quittiert hätten. „Die Zeiten, in denen man nach einem Pressetermin noch ein Schwätzchen gehalten und sich manchmal auch privat unterhalten hat, waren damit vorbei“, sagt Marcel P.
Die regierungs-unkritische Berichterstattung, die mit dem Fall Grote in den Blickpunkt rückte, ist zum Teil damit zu erklären, dass auch Journalist*innen, die privat nicht der CDU zugeneigt sind, Ministerpräsident Daniel Günther sehr sympathisch finden. Er sei intelligent und gebe einem das Gefühl, dass er sich für sein Gegenüber interessiere, sagt Vincent U. Der Vorgänger des CDU-Politikers, SPD-Mann Torsten Albig, sei im Umgang mit Journalist*innen eher nicht bemüht gewesen, solche Eigenschaften hervorzukehren. „Es kann aber doch nicht sein, dass wir gut über die berichten, die uns umgarnen“, sagt Marcel P.
Wilhelm Knelangen, Professor für Politikwissenschaft an der Christian-Albrecht-Universität Kiel, beobachtet den Politik- und Medienbetrieb im nördlichsten Bundesland seit vielen Jahren. Er sagt:
„In der Berichterstattung vor der Landtagswahl 2022 standen Günther und seine persönlichen Eigenschaften im Vordergrund. Es gab überhaupt keine inhaltliche Auseinandersetzung mehr. Über Thomas Losse-Müller, den Herausforderer von der SPD, hieß es im Wesentlichen, er sei unbekannt – während Günther als Politiker beschrieben wurde, der nicht nur bekannt, sondern auch beliebt sei. Was sich mit Umfragen natürlich bestätigen ließ.“
Dass trug dazu bei, dass die überregionale Erzählung von Daniel Günther als „Hoffnungsträger“ für die Bundespartei entstand. Ein Bild, das aber schon etwas Staub angesetzt hat, seitdem Friedrich Merz den Ton in der CDU angibt.
Marcel P. kritisiert, dass andere Journalist*innen vor der diesjährigen Landtagswahl Themen „weggedrückt“ hätten, die unangenehm für Günther waren. Das gelte nicht nur für den NDR und nicht nur für den „Fall Grote“. Der „Stern“ hat den NDR gerade dafür kritisiert, er habe nicht in angemessenem Umfang „über „die Mauscheleien von Ex-CDU-Landtagspräsident Klaus Schlie“ berichtet, „die Parteifreunde als ‚Amigo-Politik‘ wie in den schlimmsten Zeiten von Helmut Kohl und Uwe Barschel beschrieben hatten“.
Wenn der NDR Themen klein hält, habe das auch Auswirkung auf die Entscheidungen in anderen Medienhäusern, glaubt Marcel P.. Kollegen anderer Redaktionen, die an den Geschichten dranbleiben wollen, müssten sich plötzlich im eigenen Haus rechtfertigen. Wieso sollen wir das machen, wenn der NDR nichts dazu macht, heiße es dann. Da stehe man dann schnell mal als „Geisterfahrer“ da, sagt Marcel P.
Hinzu kommt: Wichtige Themen bekommen nicht die angemessene Reichweite, wenn zwar Verlagshäuser ausführlich berichteten, aber nicht das „Schleswig-Holstein Magazin“ des NDR. Darauf weist Politikwissenschaftler Wilhelm Knelangen hin. Der Politikwissenschaftler spielt hier auf die stattliche Reichweite der Sendung an: 2021 hatte das tagesaktuelle Magazin im Sendegebiet eine Quote von 35,8 Prozent.
Dass bestimmte Themen in Kiel vernachlässigt werden, habe noch einen weiteren Grund, sagt Marcel P.: „Wenn anderswo eine Redaktion zuerst ein brisantes Thema recherchiert, ärgern sich die Redakteure der anderen Medienhäuser vor Ort zwar darüber, dass sie nicht die Ersten waren, springen aber auf den Zug auf und müssen Gas geben, weil sie sonst Ärger mit ihren Vorgesetzten bekämen“, sagt er. Wenn in Schleswig-Holstein jemand mit einer Recherche vorprescht, passiere oft eher das Gegenteil, so seine Beobachtung. Der Tenor bei manchen Journalist*innen anderer Medien sei dann: Och nö, das ist doch keine Geschichte.
Ein Mann, der die Nähe zwischen Journalismus und Macht in Schleswig-Holstein besonders anschaulich verkörpert, ist Andreas Otto. Er ist Leiter des Nachrichtencenters beim Privatsender Radio Schleswig-Holstein (RSH) und Sprecher des Vorstands der Landespressekonferenz. Aber nicht nur das. Otto moderiert auch immer wieder Veranstaltungen der CDU- und FDP-Landtagsfraktionen; in diesem Frühjahr zum Beispiel das „Fördeforum“ der CDU unter dem Titel „Next Generation Unternehmertum“. Gleich zu Beginn betonte Otto da, wie sehr er sich freue „dass wir nach längerer Zeit (…) wieder zu einem CDU-Fördeforum einladen konnten (…).“
Otto spricht von wir und begreift sich offenbar als Teil der Veranstalter. Auch an anderen Stellen seiner Moderation ist nicht zwingend spürbar, dass er Journalist ist – zum Beispiel, wenn er das sogenannte „Landeskonzept Entrepreneurship Education“ als „wichtigen Baustein“ bezeichnet. Das Konzept hat sich das CDU-geführte Bildungsministerium überlegt, damit man junge Leute fürs Unternehmertum begeistert. Man könnte als kritischer Journalist natürlich auch fragen, ob das nicht eher ein Projekt zur Nachzucht der eigenen Wählerschaft ist. Aber, wir sind ja hier bei einer CDU-Veranstaltung.
Andreas Otto hat eine breite Expertise. Und das schätzt nicht nur die CDU-Landtagsfraktion, die ihn auch bei ihrem „Parlamentarischen Frühlingsempfang“ 2018 zu „Chancen und Risiken des Kreuzfahrttourismus in Schleswig-Holstein“ moderieren ließ. Auch die FDP buchte, als sie noch Teil der Landesregierung war, den Moderations-Routinier gerne. Unter anderem zu Themen wie Inklusion in der Schule, eSports oder der Rückkehr des Wolfs.
Tobias Blasius ist Vorsitzender der Landespressekonferenz in Düsseldorf und Landeskorrespondent der nordrhein-westfälischen Tageszeitungen der Funke-Mediengruppe; er ist also sowas wie Ottos nordrhein-westfälischer Amtsbruder. Blasius sagt auf Übermedien-Anfrage:
„Moderationstätigkeiten sind für den Vorsitzenden einer Landespressekonferenz nicht verboten, aber immer sensibel. Um keinen falschen Anschein zu erwecken, sollte der überparteiliche Charakter von Podien und Veranstaltungen erkennbar sein.“
Wir haben auch bei Ottos Arbeitgeber Radio Schleswig-Holstein nachgefragt, unter welchen Bedingungen festangestellte Mitarbeiter*innen Veranstaltungen von Parteien in Schleswig-Holstein moderieren dürfen und inwieweit solche Tätigkeiten vereinbar sind mit ihrer journalistischen Rolle. Der Sender hat darauf nicht geantwortet.
Otto selbst reagierte. Auf die Anfrage, inwiefern er seine Tätigkeit als landespolitischer Berichterstatter und die als Vorsitzender der Landespressekonferenz für vereinbar mit seiner Tätigkeit für Parteien halte, antwortete er prosaisch: „Ich halte meine Tätigkeit als Moderator mit meinen anderen Aufgaben für vereinbar.“
Ein paar mehr Worte zu seinen Rollen verlor Otto 2018 zu Beginn des oben erwähnten „Parlamentarischen Frühlingsempfangs“ der CDU-Fraktion. Da stellte er fürs Publikum klar: „Natürlich haben Sie nicht den Vorsitzenden der Landespressekonferenz hier stehen, sondern den Nachrichtenredakteur von RSH.“ Ah so. Macht es das besser?
Bei derselben Veranstaltung sprach Otto dann auch noch von den „Rekorden“ des Seehafens Kiel „in Sachen Kreuzfahrt“ und holte sich von seinem Duz-Freund und Seehafen-Geschäftsführer Dirk Claus das Lob ab, dass er, also Otto, die Zahlen ja eh viel besser kenne. Was zeigt, dass Otto nicht nur kein Problem mit der Nähe zur Politik hat, sondern offenbar auch nicht mit der Nähe zur Wirtschaft.
Wer Otto engagiert, der kauft nicht nur die Handwerksleistung eines im Politikbetrieb bekannten Journalisten ein, sondern will natürlich auch von der Popularität seines Senders profitieren. Der Marktanteil von RSH liegt laut der aktuellen Hörerbefragung bei 25,6 Prozent, das erfolgreichste NDR-Programm (NDR 1 Welle Nord) folgt erst mit 17,1 Prozent. RSH-Hörer*innen, die sich solche Veranstaltungen im Netz anschauen, lassen sich von CDU- und FDP-Politik dank Ottos Mitwirken möglicherweise besser überzeugen.
Es gebe in Schleswig-Holstein zu viele Journalist*innen, die „nach anderen Regeln spielen, als denen, die wir zu Beginn unseres Berufslebens gelernt haben“, sagt Marcel P. Aber warum tun sie das? Das kann er auch nicht konkret beantworten. „Letztlich sind wir nur kleine Scheißer, die es zu ein bisschen was gebracht haben, weil wir gut mit Worten können.“ Einige bildeten sich aber ein, deshalb „mit am großen Rad drehen“ zu können. Sie hätten offenbar einen „Machtflash“ bekommen und fühlten sich „den Politikern näher als ihren Lesern und Hörern“. Mit „parteipolitischen Präferenzen“ habe deren Handeln gar nicht unbedingt etwas zu tun, glaubt Marcel P.
Pessimistisch ist der Kollege aber nicht. Er hoffe, dass die Diskussion über die Verhältnisse beim NDR positive Auswirkungen auf das Selbstverständnis aller Politikjournalist*innen in Kiel hat: „Ich wünsche mir, dass wir eines Tages wieder einen Reigen von landespolitischen Berichterstattern haben, die ihre Aufgabe darin sehen, die Regierung vernünftig zu kontrollieren.“
Es sind gerade viele Augen auf das Verhältnis Kieler Journalist*innen zur Politik gerichtet. Dennoch hat die Landespressekonferenz in der vergangenen Woche entschieden, dass das traditionelle gemeinsame „Entenessen“ mit Politiker*innen auch in diesem Jahr stattfindet. Ente gut, alles gut?
René Martens ist Medienjournalist und einer der Autoren der MDR-Medienkolumne „Altpapier“. Er gehört regelmäßig der Grimme-Preis-Nominierungskommission Information & Kultur an. Zudem ist er Autor diverser Bücher über den FC St. Pauli.
danke für den artikel.
dazu zwei anmerkungen:
1.
schleswig-holstein ist ja seit einigen jahren auf einem aufsteigenden ast. da wiederholen die natürlich auch die bayerischen verhältnisse in der medienlandschaft.
2.
zur zeit der barschel affäre hat die bekannte sabine christiansen noch die tagestehmen moderiert. als cdu mitglied. der herr pfeiffer war dann irgendwann auf „urlaub“ auf einer spanischen insel. mit wissen der staatsanwaltschaft. was erzählte sabine christiansen bei der anmoderation? herr pfeiffer habe sich (mittlerweile? weiß ich nicht mehr so genau) nach spanien/mallorca abgesetzt.
ich war jung. impulsiv. idealistisch. folge: ich sprang wie ein beserker vor wut vor dem fernseher rum und wollte in die … hauen.
manche dinge vergisst man nicht.
übrigens: in meiner neuen wahlheimat ist es aber kaum anders: hofberichterstattung, kein kritischer journalismus. liegt auch am sterben der zeitungen, aber nicht nur.
Bemerkenswert ist die Funkstille der (vermutlich) journalistisch begünstigten CDU – stattdessen Schweigen allenthalben. Was wäre wohl zu vernehmen, wenn in ähnlicher Weise Sozialdemokraten gepampert worden wären? Da würde an sicher die linke Unterwanderung des ÖRR anprangern.
Dröhnendes Schweigen und destruktive Feigheit – So wird das nix mehr
Man beherzige den wahren Spruch:
Wer in der Demokratie schläft, wacht in einer Diktatur auf
Danke für den Beitrag. Bleibt dran!
Wir haben den Filter hautnah in SH erlebt: Unser lokales Bürgerbegehren wurde von der Politik ausgebremst und behindert. 23 halbe Seiten hat über knapp ein Jahr lang immerhin noch die Lokalpresse berichtet (Boyens) – dem NDR-SH war es kein Wort wert.
Aber am Tag nach dem wir das Begehren zurückziehen mussten, kam die Meldung sofort in den Lokalmeldungen im NDR-Radio, letzter Satz: „…. damit ist das Thema vom Tisch.“
An dem „Tisch“ sitzen: Stadt (CDU-geführt) / Kreis (CDU-geführt – mit ehemaligem Bürgermeister der Stadt als Landrat) und Land (CDU-geführt) und CDU-geneigte NDR-Leitung. Da brauchte es doch keine internen „Dienstanweisungen“, schriftliche schon überhaupt nicht. Deshalb findet sie jetzt auch Niemand. :-)
Nun hat das NDR-Team in Kiel die Vorgesetzten (in der zweiten Ebene) weggemobbt. Wohl mit guten Gründen. Nachfolger*innen können aber dafür sorgen, dass die Rädelsfüher*innen dafür „belohnt“ werden. Da bin ich ganz sicher. Meuternde Mannschaften werden nirgends befördert.
Ich kenne R.SH und den NDR auch bei ähnlichen Konflikten von innen, daher glaubt mir bitte, es ändert sich nix, weil es keine echte Kontrollen gibt. Schon gar nicht bei R.SH.
Die verdudeln weiterhin besonders fröhlich die Leute und genau deshalb gibt es diese Dudelradiowellen doch. Es sind doch mindestens schon drei in SH, die den Verlegern gehören. Verleger sind sich offensichtlich mit den Verantwortlichen von Politik und NDR am Ende völlig einig , dass seichte Tourismus – Berichterstattung dem Land nur gut tut.
Sieben Bürgerentscheide gab es in SH zur letzten Bundestagswahl. Wie häufig hat der NDR VOR der Abstimmung fair, kontrovers darüber berichtet? Ja, die Frage stelle ich jetzt dem Intendanten. Die lässt sich mit einigen Klicks im Archiv innerhalb von 2 Stunden beantworten. Bin gespannt!
Ich bin trotzdem optimistisch, dass die jährlich 8 Milliarden Rundfunkgebühren es auch in Zukunft ermöglichen, kritische, unbequeme Inhalte zu senden. Ich sehe, höre sie immer noch und zahle deshalb gern meine Rundfunkgebühren.
Allerdings sollten wir uns konstruktiv und laut für die Kontrollinstanzen „unserer Sender“ einsetzen, damit es so bleibt.
Nicht jammen, macht es!