Im Dezember 2011 hinterlässt der damalige Bundespräsident Christian Wulff die mittlerweile berühmt-berüchtigte Mailbox-Nachricht beim damaligen „Bild“-Chef Kai Diekmann. „Da ist jetzt der Rubikon überschritten“, spricht Wulff damals aufs Band. Auch diese Nachricht trug dazu bei, dass er später von seinem Amt zurücktreten und seine Politik-Karriere beenden musste. Zehn Jahre später blickt SWR3 mit dem Podcast „Christian Wulff – Der Fall des Bundespräsidenten“ auf den Auf- und Abstieg Wulffs zurück.
Für den Podcast haben die beiden SWR-Politikreporter Christopher Jähnert und Kilian Pfeffer mit Wulff selbst, mit Zeitzeugen, Bekannten, Beobachter*innen aus Politik und Medien gesprochen (der Transparenz halber: Auch mit Übermedien-Gründer Stefan Niggemeier). Das Anliegen, mit zehn Jahren Abstand auf den Skandal zu schauen, ist richtig – bleibt die Affäre Wulff doch bis heute ein Aufreger wie Gesprächsthema, ein Politik- und Medienskandal. Nur ist die Umsetzung des Podcasts größtenteils misslungen.
Jähnert und Pfeffer haben laut SWR-Webseite „15 Monate lang recherchiert, interviewt und produziert“ und „50 Stunden Interview-Material“ gesammelt. Das ist eine Marotte, die sich in der Inszenierung von Podcast-Starts etabliert hat: zu betonen, wie viel und wie lange daran gearbeitet wurde. Aber mit welchen Mehrwert? 50 Stunden Material für acht Episoden ist nicht wenig – für solche Projekte aber nicht unüblich. Und auch wenn es sich zunächst anders liest: Hier hat, wie sonst überall auch, garantiert niemand 15 Monate lang durchgängig 24/7 an einem Podcast gearbeitet.
Die Kolumne
Podcasts haben es verdient, so ernsthaft wie andere Medien besprochen, gelobt und kritisiert zu werden. Alle zwei Wochen machen das Annik Rubens und Sandro Schroeder für uns hier: in der Podcast-Kritik.
Sandro Schroeder ist durch Podcasts überhaupt erst schleichend zum Fan des Mediums Audio geworden. Er berichtet seit 2016 regelmäßig über Podcasts und schreibt den Podcast-Newsletter Hören/Sagen. Nach seinem Journalistik-Studium arbeitete er als freier Journalist in Leipzig, unter anderem für das Onlineradio detektor.fm*. Er absolvierte sein Volontariat beim Deutschlandradio, wo er anschließend drei Jahre lang in der Abteilung Multimedia arbeitete, zuständig für Podcasts und Audio-Drittplattformen. Heute arbeitet er in Berlin als freier Journalist.
Entstanden sind sieben Folgen der Wulff-Serie, mit der für Radiosender mittlerweile etablierten Länge von 20 bis 30 Minuten – verhältnismäßig lang fürs Radio, eher kurz für die Gewohnheiten vieler Podcast-Hörer*innen. Durch die Erzählung und Rahmenhandlung führen dabei nicht die beiden Autoren selbst, sondern eine Sprecherin im Stile des berüchtigten „German Narrators“, wie in vielen öffentlich-rechtlichen Radio-Features. Eine hyperneutrale Erzählhaltung, distanziert und förmlich, frei von jeglicher Wertung, die vertonte Objektivität sozusagen.
Mehr Radio-Reihe als Podcast
So wechseln im Podcast eine eher förmliche, meist chronologische Erzählung, Ausschnitte aus der damaligen Berichterstattung und die im Vergleich etwas lockereren Kollegengespräche zwischen Jähnert und Pfeffer. Das ist für den erzählerischen Rahmen nützlich, wirkt aber oft unbeholfen. Und gipfelt darin, dass die Podcast-Macher in ihren eigenen Episoden immer wieder sagen müssen: „Hallo, hier sind Christoph Jähnert und Kilian Pfeffer nochmal.“
Leider gelingt es dem Duo durch diese kurzen Wortmeldungen zwischendurch nicht, einen glaubwürdigen und dynamischen Dialog miteinander zu entwickeln. Besonders deutlich zu hören ist das im großen Fazit-Gespräch der letzten Folge, das sehr steif und orchestriert daherkommt. An vielen Stellen wirkt die Serie auf mich deswegen weniger wie ein Podcast und eher wie eine solide Radio-Reihe.
(Nur am Rande bemerkt: Es scheint, als sei eine Aufbereitung als Podcast für einzelne Recherchen bei vielen Medien und Redaktionen mittlerweile eine Art Qualitätssiegel. Unabhängig davon, wie sinnvoll es ist, beispielsweise eine Fernsehreportage nochmal als Audiospur im Podcast zu veröffentlichen.)
„Der Fall des Bundespräsidenten“ wirkt auf mich sehr durchgetaktet, effizient und straff, durchformatiert und überraschungslos. Die Interviewpartner tauchen mit den Radio-üblichen Zitatschnipseln auf; längere Passagen aus den Gesprächen sind selten am Stück zu hören. Die beiden Reporter selbst sind auch nicht „on tape“ mit ihren Fragen oder im Hin und Her mit ihren Gesprächspartnern zu hören. Besonders bei Wulff hätte es mich aber sehr interessiert, einen besseren Eindruck von den exklusiven Interviews, den Bedingungen, der Atmosphäre zu bekommen, statt einzelne Ausschnitte mit wenig Kontext zu hören.
Viel Raum, wenig Widerspruch für Wulff
„Wir haben Christian Wulff selbst interviewt, obwohl er da eigentlich nicht mehr so gerne darüber spricht. Da mussten wir ihn ganz schön lang überzeugen, dass er nochmal dazu was sagt“, heißt es in der ersten Folge. Wie und womit die SWR-Journalisten dann Wulff nach einem Kennenlerntreffen zu zwei längeren Interviews überzeugen konnten, was seine möglichen Motive für die Teilnahme sind – das thematisiert der Podcast nicht.
Dabei wäre das interessant gewesen: Wie hat sich Wulff in den vergangenen zehn Jahren verändert? Die Leiden des „jungen“ Bundespräsidenten W., die Wulff’sche Opfer-Inszenierung von damals kennen wir ja bereits. Der Podcast hätte auch offenlegen können, wie so ein Kennenlern-Treffen vorab zwischen Journalist*innen und Politiker*innen abläuft. Ich bin kein Fan davon, jede journalistische Selbstverständlichkeit in Podcasts als erzählerisches Happening zu inszenieren. Aber hier hätte es durchaus Sinn gehabt. Denn genau solchen, oft wenig transparenten Vorgängen widmet sich der Podcast selbst durchaus kritisch, wenn es in der vierten Folge um die Wechselbeziehungen zwischen den Medien und Wulff während seiner aktiven politischen Karriere geht.
Wulff kann sich im Podcast, auch stimmlich zehn Jahre älter, sehr präsidial geben; er bekommt viel Raum und wenig Widerspruch für seine Sicht auf die Dinge. Ich hätte mir gewünscht, dass ein dedizierter Wulff-Podcast beispielsweise analysiert, wie und mit welchen Worten er damals wie heute über die Affäre spricht.
Welche Wirkung es hat, wenn er „man“ sagt, wenn er eigentlich „ich“ meint. Wenn er Situationen nicht aus eigener Perspektive erzählt, sondern das Gegenüber in diese Lage projiziert: „Ja, Sie bekommen bei einer Golf-Reise, zwischen verschiedenen Golfstaaten, einem Staatsbesuch in verschiedenen Golfstaaten mit einer Riesendelegation – bekommen Sie um halb Sieben gesagt, morgen wird die ‚Bild‘ mit Der-und-der Nachricht aufmachen.“ Nein, ist mir noch nicht passiert, Herr Bundespräsident – aber Ihnen sehr wohl. Kurzum: Mir ist der Podcast an vielen Stellen zu versöhnlich gegenüber seinem Subjekt und zu wenig konfrontativ.
Die Mailbox-Nachricht nicht im Original
Was mich zur berühmten Mailbox-Nachricht auf dem Anrufbeantworter des damaligen „Bild“-Chefs Kai Diekmann bringt. Und zu einer Enttäuschung des Podcasts: Die Anrufbeantworter-Nachricht gibt’s für die breite Öffentlichkeit auch zehn Jahre später nicht zu hören. Stattdessen wieder nur die Akteure Wulff und Diekmann, die um die Deutungshoheit kämpfen.
Wulff sagt, er sei damals sehr ruhig und sachlich gewesen. Diekmann sagt, es sei eine Drohung gewesen, schon weil zwei Mal die Rede von „Krieg“ gewesen ist. Dabei geht es eigentlich längst weniger um die Wortwahl (die Abschrift wurde später von der „Bild“ veröffentlicht) als um den Tonfall.
Die beiden SWR-Journalisten konnten die Nachricht im Original hören. Sie schließen sich eher Wulffs Argumentation an. Doch das Publikum kann sich kein eigenes Urteil bilden. Das ist ärgerlich.
Stattdessen gibt es für die Hörer*innen in der ersten Folge nur eine nachgesprochene und gekürzte Variante zu hören. „Denn die Aufzeichnung ist nach wie vor unter Verschluss. Christian Wulff möchte sie nicht freigeben. Fernmeldegeheimnis“, merkt die Sprecherin lapidar an. Ende der Diskussion. Es ist fragwürdig, ob das Fernmeldegeheimnis in diesem Fall durch die Zurückhaltung des SWR noch zu retten ist, wenn der Wortlaut eh bekannt ist. Da haben ja auch nicht gerade zwei enge Freunde miteinander telefoniert, sondern ein Bundespräsident hat bei einem Chefredakteur angerufen – in einem Vorgang, der mittlerweile zur Geschichte der Bundesrepublik gehört.
Leider thematisieren Jähnert und Pfeffer nicht tiefergehend, aus welchen Gründen sich Wulff auch zehn Jahre später so vehement gegen eine Veröffentlichung sperrt. Sie erklären zu wenig, warum sie sich nach dem Hören der Nachricht eher Wulffs Deutung anschließen, und gar nicht, warum Diekmann die Originalaufnahme bis heute nicht veröffentlicht. Hier hätte der Podcast die Chance gehabt, (medien-)ethische, presserechtliche, juristische Debatten anzustoßen und selbst zu führen. Zusätzlich gibt es immer wieder eine eher allgemein gehaltene Medienkritik, anstatt konkrete Anlässe, Berichterstattung oder Akteure konkret zu benennen.
„Da wird die Geschichte gebracht, die sich am besten verkauft. So funktionieren private Medien nun mal.“
Bitte was? Ihr verwechselt da wohl private Medien mit Boulevardmedien, Kollegen.
Es hätte sicherlich auch nicht geschadet, das ARD-ZDF-Interview mit Wulff, das Bettina Schausten und Ulrich Deppendorf damals führten, selbstkritisch ausführlicher zu beleuchten. Auch das hätte der oft medienkritischen Mission des Podcasts gut getan.
Schlagzeilen mit Hall-Effekten
Bei der akustischen Inszenierung greift der SWR-Podcast oft daneben – und untergräbt damit das eigene Anliegen. Beispielsweise beim Versuch in der ersten Folge, Boulevard-Überschriften mit Stimme und Sound als solche erkennbar zu machen.
Ich möchte an dieser Stelle keinesfalls Boulevard-Journalismus verteidigen. Aber es hat eine Schieflage, wenn die Wulff-Mailbox-Nachricht redaktionell gekürzt nachgesprochen und damit ent-emotionalisiert wird. Und andererseits die „Bild“-Überschriften mit Hall-Effekten, Marktschreier-Habitus und Musikbett nachgesprochen werden. Mit dieser Form der Bearbeitung hätte auch die Mailbox-Nachricht natürlich ganz anders gewirkt.
Der Podcast vermittelt an solchen Stellen eine klare Haltung der beiden Autoren. Das finde ich sogar gut. Nur müssten sie die dann konsequent transparent machen und zum Beispiel auch die eigene Haltung zu Wulff thematisieren, statt sich selber als neutrale Beobachter darzustellen.
Es ist – nicht nur für Journalist*innen – schwer, über den Fall Wulff zu sprechen, ohne die eigene Position zu benennen. Wulff ist ja nicht an unverhandelbaren Fakten gescheitert, sondern vor allem an der Frage, ob er der Würde des Amtes noch gerecht werden konnte. Das war vor zehn Jahren so, das ist heute noch so. Das macht den Podcast so relevant und gesprächswertig. Es wäre spannend gewesen, die damalige und die rückblickende Beurteilung aller Beteiligten stärker übereinander zu legen. Und damit auch die Hörer*innen herauszufordern, ob sie die Wulff-Affäre heute noch genauso sehen wie damals. Ich hatte den Eindruck, dem Podcast war durchaus daran gelegen, die Stimmung von damals zu hinterfragen.
Pompöse Musik
Die wabernden Bässe, die dramatischen Streicher, die pompöse Musik wecken wohl nicht ganz unabsichtlich Erinnerungen an den Sound fiktiver Polit-Krimis wie „House of Cards“. Verbunden mit der eingangs angeführten, aber nie beantworteten Frage „Wie schmutzig ist Politik?“ wirkt das oft dick aufgetragen und führt beim Hören auf falsche Fährten.
Besonders hörenswert ist der Podcast immer dann, wenn er die Perspektive vom Einzelfall Wulff ausgehend weitet. Beispielsweise, wenn es in Folge 3 um den „Schattenmann“ geht: den damaligen engen Wulff-Vertrauten Olaf Glaeseker. Dann zeigt sich, dass die Prozesse zwischen Politik, Berater*innen und Medien weitaus komplexer und weniger personenzentrierter ist, als es auf den ersten Blick von außen oft scheint.
Der Podcast ist eher „Haus in Großburgwedel“ als „House of Cards“. Das liegt vor allem an seiner Positionierung: Es soll die „‚kriminalistische‘ Geschichte des Christian Wulff im investigativen SWR3-Podcast“ sein. Allerdings wird hier weder ein Verbrechen ermittelt oder bekämpft, noch werden in den sieben Folgen bahnbrechend neue Erkenntnisse zu Tage gefördert. Das braucht es auch gar nicht. Die reißerische Krimi-Inszenierung hätte sich der Podcast sparen können – um sich stattdessen mehr Zeit für die vielen Grautöne in der komplexen Causa Wulff zu nehmen, auch für die Debatten über den Einzelfall hinaus.
Wer über die misslungene Umsetzung hinweghört, kann mit dem SWR3-Podcast „Christian Wulff – der Fall des Bundespräsidenten“ auf eine der größten Politik- und Medien-Affären Deutschlands zurückblicken. Mit zehn Jahren Abstand auf diesen Skandal zu schauen, macht überraschend nachdenklich. Das Anliegen des Podcasts ist deswegen richtig, die Umsetzung leider nicht.
Episodenlänge: sieben Episoden, jeweils 20 bis 30 Minuten
Offizieller Claim: „598 Tage. So lange war Christian Wulff Bundespräsident. Der bisher jüngste und der mit der kürzesten Amtszeit. Noch nie ist ein Politiker so schnell so hoch aufgestiegen und dann so tief gefallen. Was ist passiert? Warum musste der höchste Politiker Deutschlands zurücktreten?“
Inoffizieller Claim: Die Leiden des „jungen“ Bundespräsidenten W.
Radio-Feature statt Podcast trifft es ganz gut. Mich haben die kurzen Folgen schon sehr irritiert: Gut und gerne 20% der Hörzeit gehen für Intro, Rückblick, Outro und dramatische Musik drauf.
Hätte man auch in zwei 1h-Folgen bündeln können.
Beim Podcast hört ja sowieso jeder in der eigenen Geschwindigkeit und nicht wie im linearen Programm in vorgegebenen Abschnitten.
Und die Interviews inkl. Fragen und als vollständige Gespräche wäre auch cool. Das Medium bietet ja die Zeit dafür…
Radio-Feature statt Podcast trifft es ganz gut. Mich haben die kurzen Folgen schon sehr irritiert: Gut und gerne 20% der Hörzeit gehen für Intro, Rückblick, Outro und dramatische Musik drauf.
Hätte man auch in zwei 1h-Folgen bündeln können.
Beim Podcast hört ja sowieso jeder in der eigenen Geschwindigkeit und nicht wie im linearen Programm in vorgegebenen Abschnitten.
Und die Interviews inkl. Fragen und als vollständige Gespräche wäre auch cool. Das Medium bietet ja die Zeit dafür…
Aber sonst interessant.