„Bild“-Unterlassungserklärung

Für Tanja May ist Löschen jetzt das neue Schwarz

Bei ihrem alten Arbeitgeber, der Zeitschrift „Bunte“, hatten sie sich mit der nachträglichen Bearbeitung der Artikel von Tanja May noch richtig Mühe gegeben: Zeile für Zeile, Absatz für Absatz, wurden einzeln geschwärzt, wenn Anwälte das forderten oder Gerichte das erzwangen, weil irgendwelche Details aus dem Privatleben von Prominenten, die darin geschildert wurden, entweder falsch waren oder die Öffentlichkeit einfach nichts angingen.

„Bunte“ 39/2020 und 27/2021

Seit fünf Wochen nun ist Tanja May nicht mehr bei „Bunte“, sondern bei „Bild“, und vielleicht liegt es daran, dass die Zeitung von gestern weniger Leute interessiert als die Zeitschrift von vergangener Woche, vielleicht fehlt der Redaktion auch einfach noch die Routine im nachträglichen Umgang mit übergriffigen Tanja-May-Artikeln: Jedenfalls scheinen die Zeiten des liebevoll-akribischen Schwärzens bei ihr vorbei. Nun wird einfach die ganze Seite, auf der der inkriminierte Artikel stand, nachträglich entfernt.

Das ging in dieser Woche ganz schnell. Wer am Dienstagabend durch das E-Paper der „Bild“ vom Montag blätterte oder das Blatt im Digital-Kiosk des Verlages kaufte, musste feststellen, dass auf Seite 3 unmittelbar Seite 5 folgte. Es fehlte die Seite 4 mit dem Horoskop, einem Stück über Alec Baldwin, der „Mini-Klatsch“-Rubrik – und einer Geschichte von „Bild“-Unterhaltungschefin Tanja May, die sie angeblich „exklusiv aus dem allerengsten Familienkreis“ der Sängerin Helene Fischer erfahren hatte.

Es geht darin um die Schwangerschaft einer Person, die Fischer nahe steht, aber selbst in keiner Weise prominent ist oder in der Öffentlichkeit steht.

Tanja May Foto [M]: Axel Springer

Nach Informationen von Übermedien hat „Bild“ sofort eine Unterlassungserklärung abgegeben und sich verpflichtet, diese Berichterstattung nicht mehr zu verbreiten. Auf Anfrage bestätigt ein Sprecher des Blattes, man habe „trotz belegbarer Faktenlage im Erledigungsinteresse einem Unterlassungsbegehren entsprochen“. „Bild“ hält offenbar daran fest, dass die Berichterstattung über private Dinge einer unbekannten Person zulässig war: Sie habe „durchaus einen Informationswert für die Öffentlichkeit“ gehabt. „In diesem Einzelfall über reine Wertungsfragen eine rechtliche Auseinandersetzung zu führen, ist für uns aber nicht von Interesse“, so der Sprecher.

Man könnte auch sagen: Die „Bild“-Zeitung hat veröffentlicht, was sie veröffentlichten wollte. Wenn sie sich nachträglich verpflichtet, das nicht mehr zu tun („ohne Präjudiz für die Sach- und Rechtslage“), und eine Seite aus digitalen Ausgaben löscht, tut ihr das nicht weh.

Das schien jedenfalls auch bei „Bunte“ über Jahre die Strategie zu sein: Auch Artikel, bei denen relativ offenkundig war, dass sie gegen Persönlichkeitsrechte verstießen, wurden veröffentlicht – und dann kurz darauf, wenn sich die Betroffenen erfolgreich gewehrt hatten, in den elektronischen Ausgaben geschwärzt.

Das betraf und betrifft nicht nur Berichte von Tanja May, kam aber gerade bei ihren vermeintlichen oder tatsächlichen Enthüllungen aus der Privatsphäre von Menschen häufig vor. Man könnte es Tanja-May-Journalismus nennen: Artikel, von denen nach wenigen Tagen in den Online-Archiven fast nichts mehr übrig ist. Seit dieser Woche ist sie mit dieser Kernkompetenz endgültig in „Bild“ angekommen.

Aus der Welt sind die privaten Dinge, die sie öffentlich gemacht hat, nach dem Löschen natürlich nicht. Auch die Informationen aus dem aktuellen Stück finden sich nun zwar nicht mehr bei „Bild“, aber in diversen anderen Medien.

3 Kommentare

  1. @1: Nächstes mal alles inkl. dem „?“ nach „.html“ abschneiden, das sind nur Tracking-Informationen.

  2. Es bleibt dabei: Man benötigt ein schärferes Schwert für solche Vorgehensweisen. Jedenfalls bei eindeutigen und ggf. krassen Verstößen gegen das allgemeine Persönlichkeitsrecht sollte ein Strafgeld verhängt werden können, das sich an der Auflage/Reichweite und/oder dem Umsatz orientiert, ähnlich wie dies bei Kartellverstößen gehandhabt wird.

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