Holger ruft an (43)

Antisemitismus-Vorwürfe gegen öffentlich-rechtliche Sender: Wie damit umgehen?

Der öffentlich-rechtliche Rundfunk hat schon wieder ein Antisemitismus-Problem. Nach den Vorwürfen gegen Nemi El-Hassan geht es nun um die Comedy-Autorin und Poetry-Slammerin Feyza-Yasmin Ayhan. Sie arbeitet als Autorin an einem neuen Sitcom-Format mit, das das ZDF bei einer Produktionsfirma in Auftrag gegeben hat. Die Aufregung groß: Der jungen Berlinerin mit dem Künstlernamen Yasmin Poesie wird vorgeworfen, auf ihren Social-Media-Kanälen antisemitische Positionen zu propagieren.

Sind die Fälle El-Hassan und Ayhan vergleichbar? Und haben Sender wie das ZDF das strukturelle Problem, dass sie um jeden Preis diverser werden wollen, aber dabei keinen Blick für Antisemitismus haben, wie Kritiker anprangern? Oder sind solche Fälle nur ein gefundenes Fressen vor allem für Rechte und für konservative Journalisten, um eine Kampagne gegen die Öffentlich-Rechtlichen zu fahren?

Holger Klein blickt nicht mehr durch und ruft deshalb bei Übermedien-Autor Andrej Reisin an. Der findet, dass die Polarisierung falsch ist. Ayhans Äußerungen seien durchaus problematisch. Aber Reisin glaubt auch: Statt mit Etiketten zu werfen, sollten wir eine inhaltliche Debatte darüber führen, was im öffentlichen Raum vertretbar ist und was jenseits unserer politischen Kultur steht. Und er findet: Wir sollten mit den Betroffenen reden.

Hören Sie hier den ganzen Podcast „Holger ruft an“ mit Holger Klein und Andrej Reisin:

(Sie können den Podcast auch über die Plattform oder App Ihrer Wahl hören. Hier ist der Feed.)

Links

3 Kommentare

  1. Wie kann man Antisemitismus mit jemanden „aushandeln“?

    Wenn die Person nicht antisemitistisch ist, wird sie sagen, dass sie nicht antisemitistisch ist. Wenn die Person doch antisemitistisch ist, wird sie ebenfalls sagen, dass sie nicht antisemitistisch ist.

    Oder allgemeiner: wenn jemand eine derartig extreme Meinung zu einem Thema hat, dass soe eigentlich nicht örr-kompatibel ist, wird soe das nicht zugeben.

  2. Schöne Sendunf. Nur schade, dass Holger Mal wieder so schnell vom Thema abdriftet versucht und keine Chance auslässt, gegen Springer zu wettern. Herr Reisin hat dabei völlig Recht – es ist ja nicht die Schuld von Springer, dass andere Medien zu spät oder gar nicht das Eisen anfassen möchten. Liegt vielleicht auch daran, dass bei Twitter dieses Thema entgegen des Vorfalls in Leipzig kaum in den Trends eine Rolle spielte und die sonst verlässlich aufschreienden Accounts verdächtig still blieben. Schade, denn die Zusammenfassung von beiden ist völlig korrekt – das Thema muss ausgehandelt werden und löst sich nicht von alleine.

  3. (Sorry für den Umfang – Thema beschäftigt mich seit 20 Jahren)

    Sich mit Etiketten zurückzuhalten, ist sinnvoll. Weniger Empörung auch. Nur sollte man sich nicht blind und taub stellen: Wer im Hamas-Umfeld die Auslöschung Israels fordert, von »zionistisch finanzierten« Medien raunt und Karikaturen von hakennasigen Schurken verschickt, braucht sich über einen Antisemitismus-Verdacht nicht zu wundern – Frau Ayhan ist keine »Betroffene«, sondern Akteurin (mit dem Recht auf eine differenzierte Betrachtung).

    Wer von Antisemitismus nichts hören will, neigt zur Beschwichtigung – wie Herr Klein im Podcast: Die Vorwürfe sieht er als Kampagne von »Rechtsaußen« und Ayhans Forderungen will er im Namen der Diversität in den Medien „vertreten“ oder „zumindest abgebildet« sehen.

    Antisemitismus bei und von Migranten scheint in linksliberalen Kreisen ein Tabu zu sein. Wer so etwas behaupte, müsse von ganz rechts kommen! Dabei handelt es sich um ein verbreitetes Phänomen, eine Art Re-Import aus Ländern, in denen ein antisemitisch konnotierter Israelhass zur Staatsraison gehört. Die Hamas etwa hat große Teile ihres Geschichtsbildes aus den »Protokollen der Weisen von Zion« abgekupfert und mit Religionssoße übergossen.

    Der Unterschied zum Kartoffel-Antisemitismus liegt weniger im Inhalt (auch wenn der arabische Blick natürlich andere Akzente setzt), als in der Erfahrung von Akzeptanz: In Deutschland ist Antisemitismus seit 1945 geächtet – das öffentliche Bekenntnis wurde und wird staatlich verfolgt. Das hat das Ressentiment nicht zum Verschwinden gebracht, aber in die Löcher getrieben. Bislang zumindest hat offener Antisemitismus fatale Folgen für die bürgerliche Existenz.

    In den arabischen Staaten gehört Antisemitismus seit 70 Jahren zum guten Ton: Dass »die zionistische Entität« Verkörperung jüdischer Allmachtspläne sei und letztlich die Unterdrückung aller Völker zum Ziel habe – dass gilt mindestens als akzeptable Interpretation der Wirklichkeit, teilweise steht es in den Schulbüchern.

    Dieser Umstand gerät leider in Konflikt mit dem Dogma der Identitätspolitik, wonach Migranten aus dem globalen Süden als Opfer westlicher Unterdrückung eine ganz eigene Einsicht in die Welt besäßen, die wir als Kartoffeln weder begreifen könnten noch kritisieren dürften.

    Wenn eine Migrantin Gelegenheit hat, öffentlich über Gott und die Welt zu sprechen, erfährt sie deshalb aus identitätspolitischer Sicht eine fast magische Transformation: Aus einer Person mit einer Meinung wird eine »Stimme der Marginalisierten« – in ihr soll sich jene Perspektive verkörpern, die uns in unserer westlichen Hybris verschlossen bleibe.

    Für Migranten, die als Personen mit eigenen Gedanken Gehör finden wollen, ist das ein Ärgernis (und, bei Lichte betrachtet, eine Diskriminierung). Sie werden als Lautsprecher einer Kollektiverfahrung vereinnahmt und veropfert. Für manchen antisemitisch geneigten Aktivisten ist es aber eine Chance: So steil die These und so krass die Forderung auch ist: Als »marginalisierte Stimme« ist sie nahezu unangreifbar. Israel vernichten? Klar, gehört zu jedem diversen Meinungsbild dazu. Geradezu rassistisch, das auszugrenzen!

    In ihrer Charta behauptet die Hamas übrigens, Gott verlange von den Gläubigen, Juden zu töten. Sie beruft sich dafür auf eine Hadith-Sammlung, die zu den kanonischen Texten der Sunniten gehört:*

    »Die Stunde des Gerichtes wird nicht kommen, bevor Muslime nicht die Juden bekämpfen und töten, so dass sich die Juden hinter Bäumen und Steinen verstecken, und jeder Baum und Stein wird sagen: ‚Oh Muslim, oh Diener Allahs, ein Jude ist hinter mir, komm und töte ihn!’““

    So steht das im Grundsatz-Programm einer Organisation, mit der Frau Ayhan wohl zumindest kooperiert. Erschreckt uns das? Ach wo! Rechtsaußen ist, wer hier Antisemitismus vermutet! Islamophob, wer das nicht als Metapher für die Befreiung von kolonialer Unterdrückung erkennt! Oder?

    Im Ernst: Ich bin sicher, es fänden sich genug Leute, die auch das noch rechtfertigen könnten. Und ich mache mir Sorgen, dass der lange gehegte Bann gegen den Antisemitismus fällt, wenn er über den Umweg einer »Stimme der Marginalisierten« einen neuen Dreh bekommt – denn als Opfer der Juden fühlen sich deutsche Antisemiten bekanntlich auch.

    *Damit sei nicht der Islam „an sich“ als antisemitisch gebrandmarkt (Religion ist nicht ewig und unveränderlich, sondern ein Spiegel der Zeit) – sehr wohl aber die Hamas, die 1988 einen 1000 Jahre alten Text hervorkramte, um ihre Vernichtungsphantasien theologisch zu legitimieren.

Einen Kommentar schreiben

Mit dem Absenden stimmen Sie zu, dass Ihre Angaben gemäß unseren Datenschutzhinweisen gespeichert werden. Ihre E-Mail-Adresse wird nicht veröffentlicht.