Reichweite mit allen Mitteln

„Wir staunen bis heute“: Das Portal „Mannheim24“ und die Klicks mit Jan Hahns Tod

Das Portal „Mannheim24“ hat neulich einen Skandal aufgedeckt. Es hat berichtet, dass es auf Instagram Menschen gibt, die einfach nur „Fame“ abgreifen wollen. Und dafür ist ihnen offenbar jedes Mittel recht.

Weil das allein noch keine Geschichte ist, sondern normal auf Insta, hat es „Mannheim24“ auf Accounts abgesehen, die den Tod des Moderators Jan Hahn „schamlos ausnutzen“, und zwar – „für Reichweite“!

Exakt drei Beispiele für die miese Masche listet „Mannheim24“ auf. Eins von einem Meme-Kanal, der den Hashtag #janhahn verwendet, obwohl der Post gar nichts mit dem Moderator zu tun hat. Bei den anderen beiden Accounts das gleiche. „Ekelhaft“ findet das „Mannheim24“. Und in seiner Bio dankt der Meme-Kanal für „100 Abo’s“, Reichweite aktuell: 106 Abonnenten.

Berichterstattung bei „Mannheim24“ Screenshot: Mannheim24 / Montage: Ü

Was für eine blöde miese Masche, Reichweite abzusahnen, wenn sie offenbar kaum etwas bringt. Und wie mies, eine miese Masche (von gerade mal drei Accounts) zu beklagen, während man selbst auf Klicks aus ist, mit einer noch ausgefeilteren Masche, die noch viel erfolgreicher ist.

Durch und durch optimiert

Bei „Mannheim24“ kennen sie sich bestens aus mit Reichweite, deshalb heißt „Mannheim24“ auch nicht Qualitäts­portal oder Journalismusportal, sondern „Reichweitenportal“. Dort wird mit Reichweite und Werbung Geld gemacht, und dafür ist „Mannheim24“ offenbar jedes Mittel recht.

Der Artikel über die Insta-Masche ist, wie „Mannheim24“ insgesamt, durch und durch für Suchmaschinen optimiert. Zum Beispiel taucht der Vor- und Nachname des Moderators in dem Artikel 13-mal auf, in der Überschrift, im Fließtext, in Zwischenüberschriften, auch in der URL, in Dateinamen von Fotos, überall. Google mag das. Ein „Video“ (das aus Agentur- und Stockfotos und Schrift besteht) ist ebenfalls eingebunden. Außerdem werden Artikel umdatiert, Überschriften modifiziert, Texte neu veröffentlicht.

Oben um jeden Preis: „Mannheim24“ Screenshot: Google

Bei Google steht „Mannheim24“ deshalb seit Tagen ganz weit oben in den News. Dabei gibt es hier nicht mal einen Bezug zur Stadt.

Insgesamt 13 Artikel, die irgendwas mit dem Moderator und seinem Tod zu tun haben, hat „Mannheim24“ bisher veröffentlicht, auch mal zwei oder drei am Tag. Die ersten drei Beiträge, die kurz nach dem Tod erschienen, könnte man noch als normale Berichterstattung abhaken, aber seit dem Insta-Text folgt fast ausnahmslos Clickbaiting:

„Trauer um RTL-Moderator Jan Hahn“

„RTL-Star wurde nur 47 Jahre alt – lange verschiweg er seine Krankheit“

„Bittere Tränen-Moderation bei RTL – ‚Werden dich nie vergessen‘“

„So eiskalt nutzen Instagram-User seinen Tod“

„Fatale Prognose – Ärzte gaben ihm noch mehrere Jahre“

„Foto auf Instagram verrät traurig-schönes Detail“

„Abschied vom RTL-Moderator – Sein größter Wunsch blieb leider unerfüllt“

„Darum hat er seine tödliche Krankheit verschwiegen“

„Trauerfeier in Berlin – So wurde der Moderator beerdigt“

„So verbrachte der Moderator seine letzten Stunden“

„Freund verrät: Er hatte noch Pläne für 2021“

„Dieses Foto rührt Fans zu Tränen – ‚Wie furchtbar‘“

„Letzter Wunsch im Sommer erfüllt? Foto zeigt traurig-schönes Detail“

Im Artikel darüber, wie er seine letzten Stunden verbrachte, schreibt „Mannheim24“ viele Absätze über den „witzig-charmanten Strahlemann“ und wer alles um ihn trauert, um dann ganz am Ende kurz „Bunte“ zu zitieren, der Moderator sei zuhause gestorben. Es ist nicht mal eine eigene Story, die da auf der mit Anzeigen zugepflasterten Seite verkauft wird. Bei anderen Artikeln ist es ähnlich: Mal hat irgendein „Insider“ der „Bild“ etwas „verraten“, mal werden fünf Jahre alte Interviewzitate des Moderator aus Klatschblättern rausgekramt, mal Insta-Kommentare von Fans in einen Text gegossen.

Dr. Haas und Ippen Digital

Hinter „Mannheim24“ stehen zwei Verlage. Der eine trägt einen seriös klingenden Namen: Mediengruppe Dr. Haas. Sie gibt unter anderem die Tageszeitung „Mannheimer Morgen“ heraus. Der andere Verlag ist: Ippen Digital, wo man behauptet, „den Online-Journalismus revolutioniert“ zu haben. Die Zentralredaktion versorge mehr als fünfzig regionale Portale „beinahe rund um die Uhr mit News“, darunter merkur.de, tz.de, fr.de, buzzfeed.de, echo24.de, 24hamburg.de, extratipp.com und viele andere.

Dr. Haas hat, mit Ippen als Dienstleister, „Mannheim24“ vor gut sieben Jahren hochgezogen, in nur zwei Monaten. Analog entstanden „Heidelberg24“ und „Ludwigshafen24“, zusammen werden sie von der „Headline24“-Redaktion erstellt. Und Ippen war nicht nur mitverantwortlich für das Konzept, die Zentralredaktion liefert ebenfalls Inhalte für die Portale.

Die Artikel über den verstorbenen Moderator finden sich auf allen „Headline24“-Seiten. Neun davon sind nach eigenen Angaben selbst produziert worden, vier von Ippen in Münchnen.

Auf der Seite von Ippen-Verlagsseite heißt es:

„Wir haben uns eine enorme Reichweite im Internet aufgebaut und uns als eine der größten Nachrichtenplattformen mit landesweiter Berichterstattung etabliert. Von Politik über Wirtschaft, Kultur oder Stars: Google listet die Nachrichten unserer Portale ganz oben. Die Leser schätzen die aktuellen, seriös recherchierten und unterhaltsamen Informationen von Deutschlands erster digitalen Zentralredaktion. Diese berichtet von fünf Standorten in Deutschland fast rund um die Uhr.“

Seriös recherchiert. Und vor allem: rentabel optimiert. Das Branchenblatt „Kress“ berichtete 2019, dass „Headline24“ nach fünf Jahren Betrieb „die Gewinnzone erreichen“ werde.

„Widerwärtig“, „schamlos“, „eiskalt“

Dass irgendwelche Instagramer angeblich Reichweite machen wollen, indem sie auf einer Trauerwelle surfen, findet „Mannheim24“ „widerwärtig“, „schamlos“, „eiskalt“. Aber was ist dann das, was „Mannheim24“ macht?

Ließen sich nicht im Grunde ein paar Sätze aus dem Insta-Artikel auch auf „Mannheim24“ selbst anwenden, wenn man das umdreht?

„Ekelhaft! Sein Tod wird auf [‚Mannheim24‘] zum Klickbringer.“

„Am Ende will jeder eine Scheibe vom ‚Fame‘ abbekommen. [‚Mannheim24‘] geht es letztlich um eine große Reichweite – oft egal, zu welchem Preis. Statt mit gutem Inhalt eine loyale Community aufzubauen, nutzt [das Reichweitenportal] ekelhafte Tricks.“

„Es ist leider keine Seltenheit, dass [bei ‚Mannheim24‘] Moral und Mitgefühl über Bord geworfen werden.“

„Wie hätten Sie reagiert?“

Volker Pfau, der Geschäftsführer von „Headline24“, antwortet auf unsere Anfrage schnell und ausführlich. Zusammengefasst: Er sieht nicht so ein Problem in der Berichterstattung und stellt eine „freche Gegenfrage“.

Als Reichweitenportal sei es ihr „Bestreben, über alle Ereignisse zu berichten, die die Menschen in Mannheim (und Heidelberg und Ludwigshafen) bewegen“. Pfau nennt lokale Themen wie „Corona in Mannheim: Inzidenz-Absturz! So nah ist die Stadt an der 50“, Sportthemen und Artikel „zum Beispiel über die Verschwurbelungen von Xavier Naidoo“.

Da das Interesse an lokalen Prominenten groß sei, habe man kürzlich ein eigenes Ressort gestartet: „Promi & Show“. „In diesem Ressort sollen im Kern die Prominenten der Metropolregion im Fokus stehen.“ Aber ein Teil der Redaktion, das „Reach Team“, schaue „selbstverständlich in seiner täglichen Arbeit, was sich sonst noch in der Promi-Welt tut, wenn gerade mal kein Prominenter aus der Region Anlass für eine Berichterstattung liefert“. So sei es auch bei dem Moderator gewesen: Es gebe keinen Bezug zu Mannheim, die Leser interessierten sich aber sehr wohl für das Schicksal des Moderators.

Man sei selbst von der „Leserresonanz“ überrascht gewesen und habe das Thema „immer weiter gedreht“: „Sobald ein neuer Aspekt aufgetaucht ist, haben wir dies zum Anlass genommen darüber zu berichten.“

Und dann kommt die „freche Gegenfrage“:

„Wie hätten Sie als Journalist reagiert, wenn Sie sehen, dass der (erste) Artikel auf ein unglaubliches Leserinteresse stößt? Haken dran und nächstes Thema? Oder doch schauen, wie weit man das Leserinteresse bedienen kann? Wir staunen bis heute, dass das Leserinteresse immer noch so hoch ist (just heute Mittag in der Redaktionskonferenz wieder Thema).“

Dass es sich bei vielen Artikeln um Clickbaiting handelt, sieht Pfau nicht so und behauptet: „Clickbait wäre es, wenn wir eine (Falsch)Behauptung in den Raum stellen und sie dann nicht auflösen.“

Wikipedia definiert Clickbaiting so:

„Ein Clickbait besteht in der Regel aus einer reißerischen Überschrift, die eine sogenannte Neugierlücke (englisch curiosity gap) entstehen lässt. Sie teilt dem Leser gerade genügend Informationen mit, um ihn neugierig zu machen, aber nicht ausreichend, um diese Neugier auch zu befriedigen, ähnlich einem Cliffhanger.“

Genau das passiert auf den Seiten von „Headline24“.

„Sie haben in der Grundrichtung ihrer Vorhaltung recht“

Auch „Republishing“ von Artikeln findet Pfau legitim. Es sei „ein Verfahren, um ‚aktuelle‘ Artikel (d.h. das Thema ist (immer noch) stark nachgefragt) auch für Suchmaschinen (und die suchenden Leser) relevant zu halten“. Überschriften würden „mehrfach optimiert“, man habe „in der Spitze“ mal „13 Überschriften-Varianten gezählt“, außerdem „Fotos ausgetauscht, die Leadsätze optimiert und damit einhergehend auch das Publishing-Datum aktualisiert“. Ein bisschen stolz ist Pfau darauf, dass das nicht automatisiert passiert wie bei anderen: „Bei uns machen das die Redakteure des Reach Teams, die die Performance ihrer Artikel ständig beobachten.“

Auf unsere Frage, ob „Mannheim24“ nicht dasselbe macht, was es wiederum bei Instagram-Kanälen beklage, nämlich den Tod „eiskalt“ auszunutzen, schreibt Pfau:

„Sie haben in der Grundrichtung ihrer Vorhaltung recht: In der Gesamtbetrachtung mutet es in der Tat seltsam an, dass wir den Vorwurf erheben, dass Instagramer:innen den Tod von Jan Hahn für Reichweite ausnutzen, und wir ebenfalls mit der Berichterstattung Reichweite erzielen.“

Allerdings findet er: „Wir haben nicht das ‚beklagt‘, sondern über ‚ekelhafte Tricks‘ berichtet. Unser Vorwurf begründet sich auf dem Detail, dass der Hashtag […] missbräuchlich genutzt wird. Das halten wir für unseriös bzw. für eine Art clickbaiting.“ Im Gegensatz also zur Arbeitsweise des eigenen Portals, das ja „Leserinteresse bedient“. Mit Reach Team und Perfomance.

Auf der Facebook-Seite von „Mannheim24“ finden sich nicht viele Kommentare unter den Artikeln zum Thema, aber die, die es gibt, sind deutlich. Unter dem Post zur Insta-Masche etwa steht: „Und es gibt Medien die seinen Tod auch noch ausschlachten“. Oder: „Hauptsache ihr bekommt die Werbeeinnahmen.“ Einen Tag später schreibt eine Userin unter den nächsten Post: „Schämt euch. Gestern erst habt ihr noch auf andere social Networks gezeigt und deren pietätlosem Umgang mit dem Thema angeprangert…“.

Offenlegung: Wir haben kürzlich mit „Buzzfeed News“ bei einer Recherche kooperiert.

6 Kommentare

  1. Vor allem: „Warum hat er seine tödliche Krankheit verschwiegen?“ ist ja wohl eine superleichte Frage – „Warum sollte er der Öffentlichkeit das sagen?“ wäre ja schon viel schwieriger zu beantworten.

  2. Anfangs war Mannheim24 noch eine kostenlose Alternative zur Webseite des Mannheimer Morgen, auf der man zumindest erste Infos zu lokalen Ereignissen sehr schnell bekam. Die anständig recherchierten Beiträge gab es dann beim MM.
    Leider hat sich die Seite aber nach einiger Zeit in die hier beschriebene Richtung entwickelt. Selbst die dort verarbeiteten Polizeimeldungen sind so auf Skandal getrimmt, dass sich das kein vernünftig denkender Menschn antun will.

  3. Um ehrlich zu sein: Mir gefallen die zitierten Antworten. Sie wirken erfrischend ungekünstelt. Wie ein Gespräch unter Polizeireportern, während das Autowrack geborgen wird. Mir war die überlegen anmutende Haltung des Autors eher unangenehm. Musste der Name des Moderators in den Titel? Ging es in dem Artikel nicht vielmehr darum, Clickbaiting und das damit verschwägerte, übrigens viel ältere, Namedropping anzuprangern? Offenbar kann Übermedien auf ein „Reach-Team“ verzichten, falls aber doch mal eine Stelle frei werden sollte, bewerbe ich mich sofort.

  4. Eins noch. Nennt mich „Gen X“, aber bevor ich mal wieder die Wikipedia für Definitionen heranziehe, bewerbe ich mich lieber beim Reach-Team von Bild Online.

  5. Die einzige seriöse Seite mit „24“ im Namen die ich kenne ist bike24.de, diese wiederum hat aber mit einem Nachrichtenportal mal so gar nichts gemeinsam. ;-)
    Einen schönen Sonntag.

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