Podcast-Kritik (43)

Der Podcast „Affäre Deutschland“ ist politische Bildung, die sich wie gute Unterhaltung anhört

Es mag komisch klingen, aber: Einer der größten politischen Skandale der Bundesrepublik hat eine der stabilsten politischen Phasen des Landes hervorgebracht: Erst die CDU-Spendenaffäre machte eine Kanzlerin Merkel möglich.

Wer weiß, wie sonst alles gekommen wäre, hätte ein dickköpfiger, starrsinniger Ex-Kanzler Helmut Kohl nicht Millionen geheimer Spenden angenommen, sich dann geweigert, die Spender zu nennen, und hätten Ermittler in der Folge nicht schwarze Konten bei der wichtigsten Partei Deutschlands gefunden.

Aber genau so war es, vor 20 Jahren. Der Podcast „Affäre Deutschland“ von FYEO zeichnet die Geschichte der CDU-Spendenaffäre nach – und tut das, obwohl es kein sehr aktuelles, kein sehr attraktives, ja noch nicht einmal ein einfaches Thema ist, überraschend unterhaltsam.

Wenn heute wieder viel über Parteienfinanzierung diskutiert wird, über Spenden an Parteien – konkret: Wenn die AfD das dreifache an Strafe zahlen muss für Spenden, die sie zu Unrecht angenommen hat – dann passiert das auch, weil es den CDU-Spendenskandal gab.

Die AfD-Spenden sind das aktuellste (und naheliegendste) Beispiel für die Aktualität dieses Podcasts, aber bei weitem nicht das einzige. In acht Folgen erzählt Cornelia Neumeyer dieses wichtige Stück deutscher Parteiengeschichte – und zwar auf leichtfüßige, unaufgeregte und angenehm lockere Weise. Ja, das ist auch Storytelling, aber eigentlich ist es eher eine Dokumentation. Oder eine Rekonstruktion.

Auf das derzeit so beliebte inszenierte Miterleben des Hörers mit dem Reporter wurde hier verzichtet: Niemand nimmt uns erzählerisch-ausschmückend irgendwo mit hin. Stattdessen: eine Erzählinstanz und viele Interviewpartner, Archiv-Schnipsel, alte Tonaufnahmen, Protokolle und Bundestagsdebatten. Diese dramaturgische Entscheidung war genau richtig. Man muss eben gar nicht immer jeden Trend mitmachen. Hier steht die Geschichte (im wahrsten Sinne) für sich selbst.

Und weil das so ist, lernt man viel in „Affäre Deutschland“, oder wird an manches noch mal erinnert. Wie schwer es Frauen in der Politik noch in den Neunzigern hatten. Dass Untersuchungsausschüsse zahnlose Tiger sein mögen, aber über kurz oder lang eben doch etwas bewirken können. Wie es kam, dass die CDU in der alten Bundesrepublik so viel „Aufmerksamkeit“ der Großindustrie erhielt. Und natürlich: Wie Kohl regierte und wie er gearbeitet hat.

„Affäre Deutschland“ ist politische Bildung, die sich wie gute Unterhaltung anfühlt. Denn hier wird auch ein Bild der alten Bundesrepublik gezeichnet – und des Stils, mit dem damals Politik gemacht wurde.

Wir hören Mitschnitte aus Bundestagsdebatten und merken: dieses gockelhaft-aufplusternde Getöse ist gar nicht so neu. Protokolle, aus denen sich nachzeichnen lässt, wie pampig Helmut Kohl sein konnte – aber auch wie humorvoll. Das frotzelnde Ping-Pong zwischen der (grünen) Opposition im Bundestag und der großen, mächtigen CDU.

Und wir hören Menschen, die die politische Kultur in diesem Land geprägt haben. Rita Süssmuth (CDU), vor mehr als 20 Jahren Bundestagspräsidentin und eine der Vorkämpferinnen, die die Männer-Klüngelei in der Politik aufbrachen. Ruprecht Polenz, Ex-CDU-Generalsekretär, der heute eine zweite und unterhaltsame Karriere als politischer Kommentator auf Twitter macht. Grünen-Promi Hans-Christian Ströbele, der erzählt, wie viel Spaß ihm das Bohren und Sticheln im Untersuchungsausschuss gemacht hat.

Es war eine langsamere Welt

Überhaupt, die Grünen, die damals für viele noch ein Störfaktor waren im parteipolitischen Farbenspektrum der BRD und die geradezu an die Grundfesten des alten Bonn und der Republik rüttelten. Und manches, auch das lernen wir hier, hat sich überhaupt nicht geändert: Die Milde zum Beispiel, mit der unsere Gesellschaft bis heute bei Finanzdelikten reagiert.

In „Affäre Deutschland“ werden die Hörer auch daran erinnert, wie anders mal alles zuging. „Wir hatten kein Handy. Wir hatten kein Google. Wir hatten kein Internet”, erzählt Conny Neumann, damals freie Journalistin, die den CDU-Spendenskandal ins Rollen brachte. Und wenn man als Staatsanwaltschaft jemanden mit Haftbefehl suchte und der war nicht zuhause, tja, dann war das so. Dann erreichte man den eben nicht, auch nicht per Handy.

Es war eine langsamere Welt. Ein gemächlicheres Deutschland. Und Deutschland, das war die CDU. Die CDU, das war Kohl. Und Kohl, der war Kanzler.

Genau wie heute machten damals Menschen Abitur, die nur ein Gesicht im Kanzleramt kannten. Kohl war der, der mit dem Telefon regierte, alle dutzte, sich nicht darum scherte, dass die Journalisten sich über ihn lustig machen, und der seine engsten Mitarbeiter jeden Morgen um halb acht zum Arbeitsfrühstück antreten ließ. Kohl galt als Mann des Volkes, nicht des Establishments – deshalb ging es dieser Republik auch so durch Mark und Bein, dass gerade der sich so über das Recht hinwegsetzte.

Die alte Bundesrepublik war auch ein Land, in dem mit Geld und einem gut gefüllten Telefonbuch fast alles zu regeln war. In dem man sich als Lokalpolitiker keine Sorgen machen musste, dass das Bauamt einem die neue Einfahrt vermasselt. In dem man Bestechung von der Steuer absetzen konnte. Und sie war ein Land, in dem die Industrie wie selbstverständlich Zugriff auf die Politik hatte. Man traf sich in elitären Grüppchen, ging vielleicht gemeinsam wandern, überlegte, welcher Politiker demnächst wichtig werden würde, und der bekam fortan immer mal wieder Umschläge mit Cash.

Und so hören wir in „Affäre Deutschland“ auch einen Lobbyisten, der all das damals für den Flick-Konzern regelte. Wir hören ihn sagen, das Wort „Parteispendenaffäre“ sei ja ganz falsch und „es müsse Schutzgeldaffäre heißen“, weil die Wirtschaft den Parteien ja Geld zahlen müssten, um sich vor „wirtschaftsfeindlicher Politik“ zu schützen – und Kohl habe bei der Aufklärung der Spendenaffäre ja doch sehr „gepatzt“. Wie enttäuschend, nachdem man so lange so viel Geld in diesen Mann gesteckt hat.

Die wertvollen Handwerksregeln des Rundfunks

Hinter „Affäre Deutschland“ steht ein Team von 14 Leuten. Das ist viel, aber es hat sich gelohnt. „Affäre Deutschland“ ist leichtfüßig produziert und klug strukturiert. Denn, das darf man nicht vergessen: Wir hören hier hinein in eine sehr komplexe, lange und vielschichtige Materie: die Ermittler, Kohl, „der Koffer“, Rüstungsdeals, Seilschaften, das alte Deutschland – es ist gar nicht so leicht, all das immer auseinanderzuhalten.

Hier aber kommt nichts durcheinander. Hier wurde eine der ganz alten und ganz wertvollen Handwerksregeln guter (Rundfunk-)Journalisten beachtet. Sie heißt: Kill your Darlings. Man kann eben nicht immer alles verwenden, man muss sich auch mal von Lieblings-O-Tönen trennen. Und mit Sicherheit hatten alle der Interviewten zu jedem der Themen in diesem Podcast etwas zu sagen. Doch pro Episode kommt nur ein begrenztes Personal zu Wort. Rückblicke gibt es nur da, wo nötig. Jede Episode hat ihren Schwerpunkt, und trotzdem spinnen sie alle gemeinsam einen roten Faden.

Dass das gelingt, daran trägt auch ein großartiges Sounddesign mit. Eines, das sich nicht in den Vordergrund spielt, aber trotzdem hilft, Pausen zu machen, wo wir sie als Hörer brauchen, und uns in die nächste Szene zieht, wo wir abzuschweifen drohen. Es ist schwere Materie als leichte Kost.

Wer in den kommenden kalten, grauen, Corona-beschränkten Tagen Zeit totschlagen muss, wer Stunden auf der Autobahn oder in Zügen verbringt, wer krank im Bett liegt, der ist nicht schlecht beraten, sich die FYEO-App zu installieren. Man muss sie ja nicht behalten, ich bin selbst kein Freund davon, ein halbes Dutzend Audio-Apps auf meinem Handy zu haben.

Aber: „Affäre Deutschland“ sind drei Stunden gut investierte Zeit.


Podcast: „Affäre Deutschland“ von FYEO (14 Tage kostenlos, danach 4,99€ im Monat)
Episodenlänge: 20-25 Minuten
Offizieller Claim: Der Podcast zur CDU-Spendenaffäre
Inoffizieller Claim: Wohl dem, der weiß, wann man sich leise zurückzieht.

Wer diesen Podcast hört, hört auch:

„Made in Germany“ von Audible, um mehr über deutsche Bürokratie zu lernen. „Deutschland3000“, um festzustellen, wie anders politische Kultur in Deutschland mittlerweile auch sein kann. Oder „Das Denkangebot“, weil es zeigt, was im politischen Diskurs noch immer fehlt.

6 Kommentare

  1. Rita Süssmuth war von 1988 bis 1998 Bundestagspräsidentin. Dass sie dieses Amt vor 20 Jahren innegehabt hätte, ist daher nicht korrekt.

    Außerdem sollte man noch erwähnen, dass man für diesen Podcast einen Premium-Account bei FYEO benötigt. Frei verfügbar sind leider nur der Trailer und die erste Folge.

  2. Da ist mir ein „mehr als“ bei Frau Süssmuth durchgerutscht. Danke für die Aufmerksamkeit, ist ergänzt! Ein Hinweis zum FYEO-Account ebenfalls. Beste Grüße!

  3. Wenn ich für einen Audiobeitrag einen spezielle App installieren muss, ist es kein Podcast. Wo ist der Feed? Ansonsten könnte man bei YouTube-Videos auch von Videopodcast sprechen.

  4. Ich glaube, auch die Aussage, dass die CDU die größte Partei Deutschlands ist, stimmt nicht.
    Habe nicht gegoogelt, aber ich meine, die SPD war immer größer von den Mitgliedern her und auch vom Parteivermögen.
    Kann mich da aber auch irren.

    Ansonsten, die Empfehlungen von Marcus Engert finde ich meist gut, würde da gerne rein hören.
    Wie ist das jetzt, reicht die App oder muss es dazu ein Prämium Account sein?

  5. Danke, Micha! Ich hatte dabei die Regierungsverantwortung im Sinn, nicht die Mitgliederzahl, aber du hast ganz recht: „groß“ ist dafür nicht das richtige Wort. Ich hab das im Text geändert.
    Zum Hören aller Folgen muss es das Abo sein (oder: die 14-tägige kostenlose Probephase…).

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