Geht doch! (4)

Das Geheimnis der Döner-Tüte

In Podcast-Serien geht es oft um True Crime oder große Skandale. Die neue BR-Produktion „Döner Papers“ wählt einen anderen Ansatz – und erzählt die Geschichte eines vermeintlich banalen Alltagsgegenstands auf kluge, ernsthafte und zugleich humorvolle Weise.

Thumbnail der BR-Podcasts "Döner Papers"
Screenshot: ARD Audiothek

Storytelling-Podcasts klingen nicht nur oft erstaunlich gleich, sie heißen auch ähnlich: Auf gängigen Plattformen findet man „Panama-Papers“, „Paradise-Papers“ und „Pandora-Papers“ über Steuerbetrug und -„oasen“, oder auch die „Gurlitt-Papers“ über den spektakulären Kunstfund in der Wohnung eines alten Mannes in München. Auch „Affären“ und „-gates“ beschäftigen Podcast-Folgen und ganze Staffeln. Dazu kommen noch Gold-, Lederhosen- und andere „Kartelle“, allerlei „Secrets“ und „Systeme“, in denen es meistens um Betrug im großen Stil geht.

Der neue Podcast „OBSESSED – Döner Papers“, eine Ko-Produktion des Bayerischen Rundfunks und des Podcast-Studios „Kugel und Niere“, reiht sich auf den ersten Blick ein in die üblichen Muster, schon durch das Buzzword „Papers“. In diesem Podcast geht es aber nicht um Papers im bekannten Sinn, um Unmengen Unterlagen, durch die sich Reporter:innen gekämpft haben, sondern um Papier im Wortsinn: die Papiertüten, in denen der Döner-Kebab serviert wird.

Host Aylin Doğan und ihr Team recherchieren den Ursprung des Logos, das auf Dönertüten in Deutschland und darüber hinaus prangt – und das jeder kennt: den freundlich lächelnden Mann mit Kochmütze und Messer neben dem Döner-Spieß unter dem Schriftzug „Döner Kebab“.

Das berühmte Logo ist längst in der Alltags- und Popkultur angekommen, es ziert T-Shirts, Caps und Sticker, doch seine Entstehungsgeschichte wurde bisher nicht aufgedeckt. Unter anderem die „Frankfurter Allgemeine Zeitung“ ist vor ein paar Jahren daran gescheitert. Doğan ist also ein Coup gelungen – verraten wird das an dieser Stelle, weil bereits am Tag der Veröffentlichung unter anderem von der „Tagesschau“ gespoilert wurde, wie die Sache ausgeht.

Was den Podcast so gut macht, ist aber nicht nur der Rechercheerfolg. „Döner Papers“ spielt mit den üblichen Mechanismen und Erzählmustern von Storytelling-Podcasts. Welche das sind, hat Sandro Schroeder kürzlich bei Übermedien auseinandergenommen: Zum Beispiel die vielen Wendungen und Cliffhanger, die oft ziemlich konstruiert wirken, dramatische Autofahrten und vermeintlich authentische Sprachnachrichten zwischen den Reportern, die nur dazu dienen, die Erzählung aufzufangen, wenn andere Interviewpartner wegbrechen. Für Variation sollen diese Kniffe sorgen, doch am Ende wirken die Podcasts dadurch eben nicht abwechslungsreich, sondern gleichförmig.

Die reißerischen Titel vieler Storytelling-Podcasts, zum Beispiel, nimmt „Döner Papers“ mit ironischen Episodentiteln wie „Follow the Fladenbrot“ und „Kartell des Schweigens“ aufs Korn. Statt krasser Wendungen à la „Leute, ihr könnt euch nicht vorstellen, was dann passiert ist!“ lässt sich Doğan treiben und nähert sich Stück für Stück der Lösung der Geschichte an. Autofahrten gibt es zwar auch, aber Doğans Fahrt ist kein Platzhalter, kein unnötiges Stilmittel, sondern bedeutend: denn sie wird vom „Dönerkönig“, wie der Unternehmer Remzi Kaplan in der Presse genannt wird, zu ihrer nächsten Quelle chauffiert. Er hat das Treffen obendrein für sie klargemacht.

Alltagskultur ist selten im Podcast

In Storytelling-Podcasts geht es oft im engeren oder weiteren Sinn um True Crime, um bekannte Skandale, zumindest bekommen die am meisten Aufmerksamkeit. Vermeintliche Banalitäten des Alltags sind in den Medien selten Thema, und wenn, dann nur als Randnotiz, nicht in der Hauptrolle. Eine Ausnahme ist zum Beispiel der NDR-Podcast über die Monobloc-Plastikstühle.

Der Döner ist durchaus präsent in den Medien. Wegen der gestiegenen Preise, zu der auch Ex-Bundeskanzler Olaf Scholz befragt wurde. In Form des 60-Kilo-Fleischspießes, den Bundespräsident Frank-Walter Steinmeier bei einer Türkeireise als Gastgeschenk mitbrachte. Wegen Lukas Podolskis Döner-Imbiss und einer kurzfristig geforderten „Obergrenze“ für Döner-Imbisse. Oder wegen Markus Söder, es ist schließlich Fleisch im Spiel.

Aber die Mühe, genauer hinzusehen und zu hören, hat sich bisher kaum jemand gemacht. Vielleicht liegt das daran, dass hinter der Döner-Grafik nicht der große Skandal steck – dafür aber viele Ungerechtigkeiten. Zum Beispiel, dass sich ein Immobilienhändler irgendwann das Logo gesichert hat – einfach weil er es sich leisten konnte.

Das Politikum Döner

Was bei Berichten über den Döner kaum erwähnt wird, ist, was er mit Diskriminierung und rassistischer Politik zu tun hat. „Döner Papers“ bereitet das Politikum Döner auf, und zwar mit großer Ernsthaftigkeit und Sorgfalt. Aylin Doğan stellt Vertrauen zu ihren Gesprächspartnern her, auch indem sie in manchen Interviews ins Türkische wechselt.

Sie erklärt auch, was der Döner für sogenannten Gastarbeiter:innen und ihre Familien bedeutet hat und bis heute bedeutet: Nach der Ölkrise 1973 und dem Anwerbestopp für ausländische Arbeitskräfte hätte Deutschland diese am liebsten zurück in die Türkei geschickt. Damals eröffneten viele stattdessen – mit allerlei Hindernissen – Döner-Imbisse, Feinkostläden und Bäckereien. Später bezeichneten Medien die Morde, die der rechtsextreme NSU verübt hat, als „Döner-Morde“.

Der Podcast übt Sozial- und Medienkritik – und das anhand eines Alltagsgegenstands, einer Verpackung für einen Snack, der jeden Tag millionenfach verkauft und verspeist wird, ohne dass die meisten darüber nachdenken, welche Geschichte und Geschichten sich dahinter verbergen.

4 Kommentare

  1. Schöner Teaser für die Produktion, ohne viel zu verraten macht er es schmackhaft, danke! Finde die Kolumne obendrein sehr gut, kleine und große Erfolgsgeschichten haben ihren schönen Platz innerhalb der Kritik.

  2. Hab den Podcast gehört und kann nur voll und ganz zustimmen – hebt sich wohltuend ab vom üblichen Einheitsbrei. Auch wenn die Geschichte banal klingt – und es letztlich auch ist – erfährt man sehr viel Interessantes rund um die Entstehung des Döners und die „Gastarbeiter“-Geschichte im Wirtschaftswunder-Deutschland.

  3. Da nach dem FAZ-Artikel jahrelang nichts passiert ist, ist es ein komischer Zufall, dass kurz vor Erscheinen des Podcasts parallel auf Youtube ein Video auftaucht, welches sich mit dem gleichen Thema beschäftigt und auf die gleiche Spur kommt: https://www.youtube.com/watch?v=uuM9wr6kRXs (Achtung Spoilerwarnung, wer den Podcast noch nicht gehört hat)

    Nach dem ausführlichen Interview-Video des gleichen Kanals (https://www.youtube.com/watch?v=q6cKnYsNMBY) fände ich es daher schön, wenn die Podcastmacher noch eine Folge nachschieben würden, in der die beiden Stränge zusammengeführt werden, da man ja anscheinend von unterschiedlichen Seiten auf die gleiche Genese gekommen ist.

  4. Immerhin bringt der Podcast zu Tage, welche sprachlichen Welten zwischen Erstellerin und Rezipientem liegen. :-)

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