Die Podcast-Kritik (23)

Eva Schulz sprengt das klassische Podcast-Laber-Format

Wenn über Podcasts gesprochen wird, dann gibt es oft eine falsche Dichotomie in der Diskussion. Es wird getan, als gebe es nur zwei Sorten: endlos-schnöde Gesprächs-Podcasts einerseits, aufwendig-kreative Storytelling-Podcasts andererseits. Nichts dazwischen.

Natürlich ist das Quatsch. „Deutschland3000 – ’ne gute Stunde mit Eva Schulz“ vom ARD-ZDF-Jugendkanal funk ist ein hörenswertes Beispiel dafür, wie auch das Format Gesprächspodcast kreativ mit Audio umgehen kann.

Obwohl sich in den letzten paar Jahren in der Podcast-Welt sehr viel schnell geändert hat, hält sich das Schwarz-Weiß-Reden über Podcasts hartnäckig, haben sich die Klischees sogar verhärtet: Die „Laberpodcasts“ kommen halt aus Deutschland, sind mindestens vier Stunden lang, haben keine Struktur und keinerlei Bearbeitung. Aber deswegen ist alles echt, dynamisch, herrlich authentisch und deswegen ja auch so toll. Storytelling-Podcasts hingegen kommen immer aus den USA, und wenn nicht, klingen sie wenigstens totaaaaal amerikanisch. In diesen Podcasts bleibt vor lauter Erzählung und wegen der übertriebenen Host-Persönlichkeit gar kein Platz mehr für echte Menschen, Dialoge und lautes Denken. Alles ist übererklärt, überproduziert, ganz furchtbar künstlich, aber wahnsinnig spannend.

Jenseits der üblichen Lagergrenzen

Natürlich hat dieses Lagerdenken mit den Vorlieben und Gewohnheiten beim Podcasthören zu tun, auch bei mir, es hängt von der eigenen Sozialisation im Medium Audio ab: Ob man mit Talkradio oder mit Features aufwuchs, mit Tim Pritlove oder mit Radiolab. Nur besteht das Medium und Ökosystem Podcast jetzt, erst recht künftig, aus mehr Vielfalt als es sich mit den Kategorien Gespräch/lang und Storytelling/aufwendig beschrieben ließe. „Deutschland3000“ ist damit beispielsweise nicht zu beschreiben – und das macht den Reiz dieses Podcasts aus.

Der Deutsche Podcastpreis hat auf dem Weg zu den Nominierungen bisher viel falsch gemacht (das schreibe ich als ein sogenanntes Crowd-Jury-Mitglied) – aber die Nominierung von Eva Schulz in der Kategorie „Beste*r Interviewer*In“ ist genau richtig.

Das Unspektakuläre zuerst: Eva Schulz lädt prominente Gäste ein, aus unterschiedlichen Bereichen irgendwo „zwischen Pop und Politik“, wie es in der Kurzbeschreibung heißt. In ersten Episode erklärt Eva Schulz, sie spreche mit „Menschen, die mich mit ihren Ideen, Projekten und Geschichten beeindrucken oder bewegen, manchmal auch irritieren. Mein Ziel ist, diesen Leuten so zu begegnen, wie ihr sie noch nie gehört habt. Deutschland3000 soll euch, mich und meine Gäste auf neue Gedanken bringen.“

Gespräche ohne Warmreden

Das Format ist ein Hybrid zwischen biografischem Interview und nettem Gespräch. Lang genug, um sich ein eigenes Bild machen zu können – kurzweilig genug, um sich auf alle Gäste einlassen zu können. Jede Episode greift mit einem kurzen Zitatschnippsel auf das Gespräch vor, gefolgt von einer Gast-Kurzvorstellung durch Eva Schulz und einer groben Inhaltsangabe des Gesprächs. Bis hierhin: ziemlich Standard. Das alles läuft auf einem Musikbett, dass sehr nach Jugendwelle klingt. Nungut.

Was dann aber dankenswerterweise fast oder ganz fehlt: das übliche Geplänkel und Warmreden. Schon die erste Standard-Frage von Eva Schulz: „Wo kommst du gerade her?“ schafft eine angenehme Plauderatmosphäre, auf die sich die Gäste meistens direkt einlassen. Der „Deutschland3000“-Podcast beginnt selten beim Gewohnten und stattdessen oft dort, wo es möglicherweise wenig Wissen über das Leben der Gäste gibt. Lena Meyer-Landrut erzählt beispielsweise nicht vom ESC-Sieg und „Satellite“, sondern von ihrer musikalischen und persönlichen Krise im Jahr 2017. Der Juso-Vorsitzende Kevin Kühnert erzählt von seinem unspektakulären Coming-Out. Nur der CDU-Abgeordnete Philipp Amthor schafft es, gewohnt teflonartig alle neugierig-menschlichen Fragen von Eva Schulz komplett abperlen zu lassen und im Politikersprech zu bleiben, ohne eine wirklich menschelnde Anekdote aus seinem Leben preiszugeben.

Die Gedankenstimme aus dem Off

Solche Momente thematisiert der „Deutschland3000“-Podcast explizit, mit einer „Gedankenstimme“ von Eva Schulz, die sich selbst, ihre Gäste und das Gespräch aus dem Off kommentiert. Das klingt ein bisschen klischeehaft, mit Hall in der Stimme auf einem wabernden Musikbett. Das ist kein neues Stilmittel – fast jede Sitcom nutzt es, um dem Publikum deutlich zu signalisieren, dass es jetzt um Gedanken geht.

Trotzdem mag ich diese zusätzliche Reflektionsebene bei Eva Schulz sehr. In einem nicht-fiktionalen, journalistischem Format fühlt sie sich die Gedankenstimme immer noch kreativ und nicht abgegriffen an. Ich fühle mich dann als Eingeweihter. Eva Schulz sagt, was sie in der Gesprächssituation vor Ort wahrscheinlich nicht laut aussprechen würde, die ihr Gesprächspartner in dem Moment auch nicht kennt. Eva Schulz will ihre Gäste gar nicht knacken, sie respektiert die Grenzen und Entscheidungen der Gäste im Gespräch – und nimmt sich trotzdem die Freiheit, transparent damit umzugehen.

Als sich Lena Meyer-Landrut im Gespräch um ein klares Statement drückt, formuliert Eva Schulz im Off:

„Es ist schon echt schade, wenn jemand mit einer Bekanntheit und Reichweite wie Lena so vorsichtig wird oder vorsichtig werden muss, wenn es um politische Statements geht. Sie könnte über ihre Musik oder allein über Social Media ganz andere Leute mit diesen Themen erreichen – und vor allem richtig viele. Ich frage mich, liegt das an uns als Gesellschaft – also sind wir zu hart, zu kritisch mit Künstlerinnen und Künstlern – oder sind die nicht mutig genug?“

Diese Momente funktionieren ähnlich wie das Durchbrechen der „vierten Wand“ bei Videoformaten wie „House of Cards“. Mit diesen Momenten bricht der Podcast außerdem mit der Illusion, dass ich als Hörer gerade ungefiltert einem Gespräch in Echtzeit beiwohnen kann, dass ich mit am Tisch sitze. Diesen Bruch finde ich beim „Deutschland3000“-Podcast so sympathisch, weil Produktionen wie „Paardiologie“ oder „Alles gesagt“ gerade danach streben, diese Illusion perfekt zu machen: die Zuhörenden als stille Beiwohner eines vermeintlich natürlichen Gesprächs.

Kondensat mit Reflexionsebene

Bei Eva Schulz bekomme ich eine erarbeitete Version eines Gesprächs, ein Kondensat mitsamt Reflexionsebene. Das kann für manchen Geschmack zu pädogisch klingen und wirken, als würde man der Medienkompetenz des Publikums nicht trauen. Andererseits lässt es sich auch als ein Transparenz-Angebot der Interviewerin sehen.

Obwohl „Deutschland3000“ oberflächlich ein funk-typisch personenzentriertes Format ist, klingt der Podcast nach der Teamleistung einer Redaktion, weniger nach einer Personality-Show. Eva Schulz ist eine gute Gastgeberin, sie ist empathisch, hört zu, fragt neugierig und ehrlich nach, bringt sich selbst in die Gespräche ein. Mit ihrer Redaktion ist sie gut vorbereitet und zückt beispielsweise ein passendes Erich-Kästner-Gedicht für den Kästner-Dauerzitator Amthor. Hier und da zischt eine O-Ton-Collage zu vergangenen Äußerungen der Gäste in die Gespräche hinein, werden lustige Entweder-Oder-Fragen durchgearbeitet und dann wieder gezielte Fragen zur Biografie des Gasts gestellt. Der Podcast wird deswegen nie langatmig, mutet aber manchmal etwas hektisch an.

„Deutschland3000“ ist ein schön verspielter Hybrid aus Gespräch und Interview, aus authentischer Gesprächsatmosphäre und gekonnter, unterhaltsamer Nachbearbeitung. Mit einer Podcasterin, die klar im Mittelpunkt steht, aber niemanden die Show stiehlt: Eva Schulz nimmt ihre Gäste und ihr Publikum ernst und hat bei alledem auch noch Spaß.


Podcast: „Deutschland3000 – ‘ne gute Stunde mit Eva Schulz“, funk
Episodenlänge: ’ne gute Stunde, wöchentlich

Offizieller Claim: Wenn man jemanden anderen kennenlernt, erfährt man auch was Neues über sich selbst.
Inoffizieller Claim: Ernstgemeinte Interviews dürfen auch Spaß machen

Wer diesen Podcast mochte, mag auch: „Hörbar Rust“ von radioeins; „Fresh Air“ von NPR; „Elementarfragen“ von Viertausendhertz

4 Kommentare

  1. Besonders erwähnenswert ist die Folge mit Justin Sonder, einem Holocaust-Überlebenden. Das wird das Zeitzeugeninterview für meine Schüler*innen, wenn es keine Zeitzeugen mehr gibt.

  2. Moin Sandro,
    ich wollte einfach mal danke sagen für Deine tollen Podcast-Kritiken.
    Ich folge zwar nicht jeder Deiner Empfehlungen, aber gerade das macht Deine Texte so wertvoll.
    Herzliche Grüße
    Daniel

  3. Eva Schulz und ihre Truppe sind kompetente und unterbewertete Medienschaffende. Ich wünsche ihnen, dass sie mehr Bekanntheit erlangen.

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