Tadaaa! Bei Übermedien gibt es nun diese nigelnagelneue Kolumne „Die Podcast-Kritik“, die alle zwei Wochen erscheinen wird – im Wechsel geschrieben von Marcus Engert und mir, Sandro Schroeder. Wie es sich für einen ordentlichen Kolumnisten gehört, hole ich jetzt mal schamlos weit aus, bevor ich zum eigentlichen Thema komme – nein, ernsthaft: Weil ich den Erstling dieser Kolumne schreiben darf, möchte ich auch erklären, warum diese Kolumne gefehlt hat.
Prolog: Warum es mehr Podcast-Kritik braucht
Die Kolumne
Podcasts haben es längst verdient, genauso ernsthaft wie andere Medien besprochen, gelobt und kritisiert zu werden. Alle zwei Wochen machen Marcus Engert und Sandro Schroeder das abwechselnd für uns.
Sandro Schroeder ist durch Podcasts überhaupt erst schleichend zum Fan des Mediums Audio geworden. Er berichtet seit 2016 regelmäßig über Podcasts und schreibt seit Mitte 2017 den Podcast-Newsletter Hören/Sagen. Nach seinem Journalistik-Studium in Bremen arbeitete er als freier Journalist in Leipzig, unter anderem für das Onlineradio detektor.fm. Seit September 2018 ist er bei Deutschlandradio in der Abteilung Multimedia schwerpunktmäßig für Podcasts und Audio-Drittplattformen zuständig.
Erst waren es die Songs auf der eigenen Playlist, dann die Serien auf der eigenen Watchlist, jetzt ist es immer häufiger die Frage:
„Was hörst du so für Podcasts?“
Podcasts können mittlerweile halbwegs plausibel als Starterset für Smalltalk herhalten, fast gleichberechtigt mit dem Plaudern über das eigene aktuelle Bingewatching-Projekt. Das sagt viel darüber aus, wie sich das Medium Podcast und seine Wahrnehmung in den letzten Jahren entwickelt hat, wie breit das Angebot, wie groß das Publikum mittlerweile geworden ist.
Und hier kommt mein persönliches Problem: Da wächst seit Jahren ein neues Medium heran, in dem viel Spannendes passiert. Aber im Vergleich mit anderen, länger etablierten Medien kommt mir die Kritik beim Podcast noch immer zu kurz. Ernsthafte Besprechungen, die einzelne Podcasts, einzelne Episoden oder auch das Medium als Ganzes ernst nehmen – die sind leider bis auf wenige Ausnahmen noch Mangelware.
Viel zu oft ist gleich alles, wenn es um Podcasts geht, einfach nur ein „Hörtipp“, „hörenswert“ oder „empfehlenswert“. Dazu kommen noch im besten Fall drei Zeilen, was das Konzept oder Inhalt des Podcasts ist. Im schlimmsten Fall ist es einfach nur eine Liste „XY Podcasts, die…“ Uff.
Literatur, Filme oder Musik werden qualitativ ganz anders kritisiert, werden für ein breites Publikum ganz selbstverständlich besprochen – sind ja schließlich Massenmedien, die eine ernsthafte und ordentliche Kritik brauchen. Und was ist mit dem wachsenden Medium Podcast? Die Podcast-Kritik steckt im Vergleich noch in den Kinderschuhen, hierzulande noch mehr als in den USA.
„Was besprichst du denn?“ spielt also eine Rolle wie „Was hörst du denn?“, erst recht bei dieser ersten Kolumne. Weswegen ich mir auch den Kopf zerbrochen habe, was ich zuerst besprechen soll: Einen Podcast-Klassiker, zum Anknüpfen? Was Exotisches, zum Herausfordern? Einen Neustart, zum Reinhören?
Ich habe mich für einen Podcast entschieden, der meiner Meinung nach maßgeblich verantwortlich dafür ist, dass viele auch bisher audioferne Medienhäuser mittlerweile (Nachrichten-)Podcasts produzieren. Und dessen Wahrnehmung vielleicht auch etwas über das Medium Podcast erzählt.
Podcast-Kritik: „The Daily“, zwei Jahre lang
Anfang 2017. Ein lauter Knall in der Medien- genauso wie in der Audiowelt: Die „New York Times“ startet einen werktäglichen Nachrichtenpodcast: „The Daily“. Eine Zeitung dringt in eine der klassischen Bastionen des Radios ein, produziert Nachrichten zum Hören, „sendet“ beziehungsweise veröffentlicht ein kompaktes Audio für den Weg zur Arbeit. Damals noch ziemlich bemerkenswert, heute ist das fast schon Normalität.
Rückblickend halte ich den Start von „The Daily“ für einen Schlüsselmoment für das Medium Podcast und seinen heutigen Stand – so relevant wie der Erfolg des Podcasts „Serial“ 2014. Was „Serial“ für die bis heute anhaltende Einheitsbrei-Sturmflut von True-Crime-Podcasts und „Wir rollen den Fall XYZ ganz bahnbrechend neu auf“-Formaten war, das ist „The Daily“ für die Nachrichtenpodcasts unter den Medienhäusern.
Der Podcast rund um den Host Michael Barbaro hat in den ersten Monaten nach dem Start viel Resonanz und Aufmerksamkeit bekommen, viel öffentliches Lob, Staunen, viel öffentliche Bewunderung ausgelöst – auch bei anderen Medien, beispielsweise im „New Yorker“. Auch „The Daily“ ist es wie „Serial“ gelungen, als Podcast zu einem popkulturellen Phänomen und Meme zu werden, wenn auch in kleinerem Maßstab.
Gefühlt sind der Start und die Anfangseuphorie um „The Daily“ ein halbes Jahrhundert her. Die Podcast-Welt dreht sich gerade schwindelerregend schnell. Eine neue Ära wird gerade beinahe quartalsweise ausgerufen.
Für viele Podcast-affine Menschen in meinem Umfeld hat „The Daily“ deswegen auch schnell denselben Nerv-Status wie „Serial“ erreicht. Erfolgreich aufgenommen in die Riege derjenigen Podcasts, die nicht mehr genannt werden dürfen, weil sie eine zeitlang immer und überall genannt werden mussten.
Ich gebe zu, ich bin auch schuld daran: Ich habe „The Daily“ bereits mehr als einmal ausführlich besprochen, schwärme ungefragt über die letztgehörte Episode und würde und werde all das wieder tun. Denn viel bemerkenswerter ist eigentlich, was bei „The Daily“ seit dem Start kontinuierlich über zwei Jahre verteilt passiert.
„The Daily“ erfindet sich kontinuierlich neu
Der Nachrichtenpodcast der „New York Times“ ist einer der wenigen Podcast-Starts aus dem Neustart-Flut-Jahr 2017, der seitdem den kontinuierlichen Podcast-Überlebenskampf auf meiner Hörliste überstanden hat. Offensichtlich bei 1,7 Millionen anderen Menschen auch, die den Podcast mittlerweile täglich hören.
Das liegt natürlich an der Qualität und Exklusivität der Inhalte der „New York Times“. Aber gehalten hat mich über die letzten zwei Jahre eigentlich viel mehr die konstante Kreativleistung, die handwerkliche Qualität und die Liebe zum Detail, die das Team von „The Daily“ jeden Werktag abliefert. Seit dem Start ist dieses Team gewachsen, mittlerweile arbeiten sage und schreibe 13 Menschen bei der „New York Times“ am Nachrichtenpodcast.
Das fängt beim typisch opulenten Intro des Podcasts an, das mittlerweile Hymnen-Charakter entwickelt und das völlig zurecht im Musikpodcast „Songexploder“ ausführlich besprochen wurde.
Zu diesem Standard-Intro hat sich eine zweite, reduzierte Variante gesellt. Die hebt Sonderausgaben von „The Daily“ auch akustisch hervor, wie beispielsweise die Episode zur Fertigstellung des Mueller-Reports. Warum ist mir das einen Absatz wert? Weil es zeigt, wie kleinteilig dieser Podcast durchdacht ist. Und weil es keine Selbstverständlichkeit ist, das ästhetische Erlebnis und die Ebene Sound so ernst zu nehmen. Erst recht nicht in diesem Genre. Es gibt andere Nachrichtenpodcasts, die leiern seit zwei Jahren das immergleiche Intro an der immerselben Stelle runter, um ja nicht bewährte Muster zu verlassen. Schlimmste Formatradio-Klischees lachen über die Freiheiten des Podcasts!
Der Medienbuzz rund um „The Daily“ hat deutlich nachgelassen, sein Reportoire der Darstellungsformen aber ist enorm gewachsen. War der Podcast anfangs sehr von einfach produzierten Einzelinterviews und der Interviewtechnik seines Hosts geprägt, haben mit der Zeit mehr musikalische Elemente und auch Pausen Einzug erhalten. Die kunst- und effektvolle Collage von Fernsehnachrichten an der exakt richtigen Stelle ist mittlerweile fast ein Markenzeichen von „The Daily“. Es sind auch immer mehr Original-Aufnahmen der NYT-ReporterInnen zu hören, atmosphärische Töne und Reportage-Elemente aus Alltag und Ausnahmesituationen tauchen häufiger auf. Der Nachrichtenpodcast verlässt häufiger die geschützte Basis des schallgedämmten Podcast-Studios.
Ein Gourmet-Podcast, der Audio-Snobs weiter verkorkst
Es gibt deswegen mittlerweile kaum ein Thema, das nicht im Verlauf der 25-minütigen Daily-Barbaro-Behandlung noch mehr aufblüht als ohnehin erwartet. Selbst Kulturthemen wie der Umgang mit den Missbrauchsvorwürfen gegen Michael Jackson sind vor dem Politikreporter und seinem Podcast nicht mehr sicher. Und selbst die Episoden gegen Jahresende und zu den Feiertagen klingen nicht nach hastig vor dem Urlaub produzierten Episoden. Im Gegenteil, sie fühlen sich fast schon wie aufmerksame Geschenke für ein weiteres Jahr treues Podcast-Hören an.
Das Konzept dieser „The Daily“-Jahresend-Episoden – „A year in sound“ – ist so genial wie aufwendig: Den Sound eines Jahres einzufangen, in einer unkommentierten dreißigminütigen Collage aus allen relevanten Momenten und Zitaten des Nachrichtengeschäfts der vorangegangen zwölf Monate. Anderswo läuft zu Weihnachten ein Best-Of oder einfach gar nix in den Podcast-Feed ein.
Ich finde sehr wenig, was ich „The Daily“ wirklich übel nehmen kann. Selbst nach zwei Jahren kann ich das Dauerfeuer aus zustimmendem „Mhhmm“, nachdenklichem „Hmm….“ und überraschtem „Mhhm?!“ in den Interviews von Michael Barbaro nicht als nervende Marotte, sondern nur als sympathische, unverkrampfte, authentische Stimmhandschrift hören. Nicht mal die Dauerpräsenz von Reporter Michael S. Schmidt als Interviewpartner sowie zeitweisem Ersatz-Host für Michael Barbaro nervt mich wirklich. Und dass, obwohl Schmidt in seiner Podcast-Anmutung so ziemlich das Gegenteil von Barbaro ist. Nichts bringt die gut geölte Podcast-Maschine der „New York Times“ aus dem Takt.
Doch, eine Sache fällt mir dann noch ein, die ich wohl „The Daily“ übel nehmen muss. So ein Gourmet-Podcast hat mich als Hörer nach zwei Jahren noch weiter zum Audio-Snob verkorkst. Und weckt Hör-Ansprüche an den Rest der Podcast-Welt, die eigentlich nur enttäuscht werden können.
Podcast: New York Times – „The Daily“ Erscheinungsrhythmus: werktäglich, dazu immer wieder besonders aktuelle oder zeitlose Sonderausgaben Episodenlänge: circa 25 Minuten
Offizieller Claim: How the news should sound Inoffizieller Claim: Noch immer eines der besten Stückchen nachrichtengetriebenem Audiojournalismus, die es zu hören gibt
Geeignet für: Nachrichtennerds mit Schwäche für US-Themen, denen die „New York Times“ beim Lesen zu trocken und steif ist oder denen die Ambitionen für ein eigenes Podcast-Projekt bisher noch nicht anspruchsvoll genug waren
Nicht geeignet für: Alle, die eine Abneigung gegen absolute Hochglanz-Produktionen haben (oder gegen alle dem Menschen möglichen „Hm!“-Variationen)
9 Kommentare
Danke für die Kolumne! Bis jetzt wusste ich noch gar nicht, dass mir sowas gefehlt hat, doch jetzt warte ich gespannt auf die nächsten Ausgaben.
Was Boostkopf sagt!
Großartig! Vielen Dank! Freue mich auch schon auf die nächste Kolumne.
Als den Podcasts seit 10+ Jahren verbundener bin ich jetzt schon großer Fan dieser Kolumne. Danke!
Leider zeichnen sich viele Podcasts dadurch aus, dass sie nicht durch Barrierefreiheit glänzen (was naturgemäß an der akustische Seite des Ganzen liegt und wohl nicht reparabel ist) – als Hörbehinderter kann ich nur selten etwas verstehen, denn entweder sind die gesamten Sendungen zu leise, oder der Texte wird durch zusätzliche Sound-Effekte unkenntlich.
Es gibt wohl keine Lösung, man schriebe sie denn…
Ich werde doch schon in deutschen Medien tagtäglich mit News aus den USA bombadiert und jetzt soll ich mir auch noch einen Podcast der NYT anhören. Das muss einen doch kirre machen. Und ja, was in den USA abläuft ist spannend und durchaus relevant fürs Weltgeschehen, aber ich habe absolut null Einfluss darauf.
Ich freue mich auf weitere Beiträge dieses Formats aber ich kann beim besten Willen nicht noch mehr News aus den USA ertragen.
Das schreibt sich so leicht, Sandro – doch scheint es mit dem Transkribieren nicht wirklich zu funktionieren; mehr als eine Beispielssache finde ich nicht.
Daran aberzieht sich schon das Grundproblem: man muß jede Menge Floskeln aufnehmen, wenn man Hörtext liest … man erhält wenig Inhalte in viel Zeit. Schlechte Bilanz – mir ist das Leben zu kurz, um Nachrichten zu hören, die ich in kürzerer Zeit (und gezielter) lesen könnte.
@Jens
Ein Podcast, der mir gefällt, sind die „Sternengeschichten“ von Florian Freistetter.
Da geht es um Astronomie und zumindest in den letzten Jahren gibt es dazu auch immer ein Transkript.
Bei den ersten Folgen hatte er das noch nicht angeboten, ab Folge 130 ist aber eines dabei.
@Artikel
Einen englischen Podcast als Einstieg finde ich jetzt nicht so gelungen.
Ich spreche und verstehe Englisch, muss mich dabei aber konzentrieren. Und Podcasts höre ich eigentlich gerne mehr oder weniger nebenher.
Daher hoffe ich, dass die folgenden Podcasts sich dann doch eher auch auf Deutsch hören lassen.
Danke für die Kolumne! Bis jetzt wusste ich noch gar nicht, dass mir sowas gefehlt hat, doch jetzt warte ich gespannt auf die nächsten Ausgaben.
Was Boostkopf sagt!
Großartig! Vielen Dank! Freue mich auch schon auf die nächste Kolumne.
Als den Podcasts seit 10+ Jahren verbundener bin ich jetzt schon großer Fan dieser Kolumne. Danke!
Leider zeichnen sich viele Podcasts dadurch aus, dass sie nicht durch Barrierefreiheit glänzen (was naturgemäß an der akustische Seite des Ganzen liegt und wohl nicht reparabel ist) – als Hörbehinderter kann ich nur selten etwas verstehen, denn entweder sind die gesamten Sendungen zu leise, oder der Texte wird durch zusätzliche Sound-Effekte unkenntlich.
Es gibt wohl keine Lösung, man schriebe sie denn…
Ich werde doch schon in deutschen Medien tagtäglich mit News aus den USA bombadiert und jetzt soll ich mir auch noch einen Podcast der NYT anhören. Das muss einen doch kirre machen. Und ja, was in den USA abläuft ist spannend und durchaus relevant fürs Weltgeschehen, aber ich habe absolut null Einfluss darauf.
Ich freue mich auf weitere Beiträge dieses Formats aber ich kann beim besten Willen nicht noch mehr News aus den USA ertragen.
Das schreibt sich so leicht, Sandro – doch scheint es mit dem Transkribieren nicht wirklich zu funktionieren; mehr als eine Beispielssache finde ich nicht.
Daran aberzieht sich schon das Grundproblem: man muß jede Menge Floskeln aufnehmen, wenn man Hörtext liest … man erhält wenig Inhalte in viel Zeit. Schlechte Bilanz – mir ist das Leben zu kurz, um Nachrichten zu hören, die ich in kürzerer Zeit (und gezielter) lesen könnte.
@Jens
Ein Podcast, der mir gefällt, sind die „Sternengeschichten“ von Florian Freistetter.
Da geht es um Astronomie und zumindest in den letzten Jahren gibt es dazu auch immer ein Transkript.
Bei den ersten Folgen hatte er das noch nicht angeboten, ab Folge 130 ist aber eines dabei.
@Artikel
Einen englischen Podcast als Einstieg finde ich jetzt nicht so gelungen.
Ich spreche und verstehe Englisch, muss mich dabei aber konzentrieren. Und Podcasts höre ich eigentlich gerne mehr oder weniger nebenher.
Daher hoffe ich, dass die folgenden Podcasts sich dann doch eher auch auf Deutsch hören lassen.
@Micha: Danke für den Tipp, werde hinein“hören“!