Mehr über Weihnachten
Auf dem Titel der Fernsehzeitschrift „Gong“ steht die kleine Kapelle natürlich wieder da wie jedes Jahr: warm leuchtend und dick von Schnee umhüllt. Als wäre nichts gewesen. Als hätte es kein Unwetter gegeben, keinen Hagel, keine Lawine, die den Berg hinunter donnerte, zentnerweise Schlamm in die Kapelle spülte und ringsum alles unter schwerem Gestein begrub.
Nichts ist mehr wie es war, aber auf dem „Gong“ ist alles wie immer. Seit 2015 schon druckt die TV-Zeitschrift jedes Jahr dasselbe Motiv auf ihr Weihnachtsheft: die Josefskapelle im Mühlendorf Gschnitz im Gschnitztal in Tirol. Da kann kommen, was will.

Auch 2009, 2011 und 2013 zierte die Kapelle schon das Cover; wir haben erstmals 2017 über diese und andere sich fortwährend wiederholende Weihnachtsausgaben berichtet.
Aufgenommen hat das Bild der Fotograf Reinhard Schmid im Jahr 2009, da stand die Kapelle erst seit zwei Jahren. Gebaut wurde sie mit Hilfe von Spenden und viel tatkräftiger Unterstützung aus der Gemeinde: Maurer, Elektriker, Zimmerer, alle packten damals mit an. Ein Augsburger Kunstmaler mit dem kunstvollen Namen Hermenegild Peiker spendete sogar Gemälde und ein Deckenfresko. Und um die Kapelle herum wuchs das Mühlendorf, ein Freilichtmuseum mit Getreidemühle und Schmiede, das zum beliebten Ausflugsziel wurde. Für die Leute in der Gemeinde Gschnitz war es ein Herzensprojekt.
Bis zu diesem Sommer.

Am 30. Juni dröhnte das Unwetter zwischen den Bergen, wenig später war fast alles weg: die saftigen Wiesen, die Mühlen, die Hütten aus Holz. Nur eine Hütte blieb stehen – und auch die ehrwürdige Josefskapelle. Kitschig könnte man sagen: Es war ein Weihnachtswunder mitten im Sommer. Stoisch trotzte die Kapelle dem Unheil, das um sie herum wütete. Doch als es wieder ruhiger wurde, als das Unwetter weiterzog, zeigte sich auch hier das ganze Ausmaß: Mehr als einen Meter hoch klebte der Schlamm in der Kapelle, Gemälde standen im Wasser, Bänke, Wände, alles beschädigt.
Und nicht nur die Kapelle und das Mühlendorf nahmen Schaden. „Es war, als hätte ich einen Teil meiner Identität verloren“, sagt Roswitha Felder, die das Mühlendorf mit aufgebaut und seit vielen Jahren am Klappern gehalten hat. 18 Jahre hätten sie dort investiert, sagt Felder am Telefon. Es gab Führungen, einen Adventsmarkt, manchmal auch Hochzeiten oder Taufen. Und immer, auch in der Weihnachtszeit, kamen Menschen vorbei, um in der Josefskapelle ein paar stille Minuten zu verbringen.
Nach und nach habe sich das Freilichtmuseum zu einem gut laufenden Betrieb entwickelt, sagt Felder. Die Kapelle wurde auch deshalb bekannt, weil sie auf die Programmzeitschriften gedruckt wurde, neben dem „Gong“ zum Beispiel auf die „tv hören und sehen“. Ein befreundeter Arzt, erzählte Felder mal der „Süddeutschen Zeitung“, schicke ihr immer ein Foto, wenn er die Kapelle wieder auf einer Zeitschrift sehe, also mindestens einmal im Jahr. Und wenn noch ein bisschen was drin stand in den Magazinen über das Mühlendorf und die Kapelle, dann freute sich Felder.
Im „Gong“ allerdings steht gar nichts drin über die Kapelle auf dem Titel. Auch nichts über ihr Schicksal. Es gibt nur einen winzig gedruckten Credit am Rand von Seite 3 – für Reinhard Schmids Foto, das es zum ewigen „Gong“-Symbolbild für besinnliche Weihnachten geschafft hat, weil es gute „Gong“-Tradition ist oder die Redaktion einfach zu faul, sich mal etwas anderes auszudenken. Und den Lesern ist es vermutlich herzlich egal, Hauptsache im Innenteil stehen die „TV-Höhepunkte für alle Feiertage“.
Dass das Mühlendorf nun weg ist und die Kapelle schwer beschädigt wurde, ist für Roswitha Felder eine Folge des Klimawandels. Unwetter gebe es inzwischen viel häufiger als früher, sagt sie. Früher sei es einfach warm gewesen, wochenlang. Heute sei es heiß im Sommer und abends kämen oft schwere Gewitter, die mitunter eine Gewalt entfalten, dass es zu Murenabgängen kommt; vor fünf Jahren bereits hatte ein Unwetter die Stromversorgung beschädigt.
Deshalb wird es nun auch keine Genehmigung geben für ein neues Mühlendorf. „Das ist jetzt dunkelrote Zone“, sagt Felder. Zu groß die Gefahr, dass der Wasserfall hinter der Kapelle wieder zum Einfallstor für eine Lawine wird.
Die gute Nachricht aber ist: Bei einer Spendenaktion sind bereits rund 10.000 Euro zusammengekommen. Im Frühjahr wollen sie beginnen, die Josefskapelle zu restaurieren und den Platz davor wieder herzurichten. Sie wollen Tafeln aufstellen, die an das Mühlendorf erinnern. Ein Ort soll es werden, an dem man verweilen kann, sich erinnern.
Dieses Jahr allerdings ist es dort erst mal trist: „Da ist alles dunkel“, sagt Felder. „Kein Licht, kein Strom, gar nichts.“ Auch kein glitzernder Weihnachtsbaum. Nur funkelnde Sterne am Himmel. Wie auf dem „Gong“, auf dem die Kapelle warm leuchten wird bis in alle Ewigkeit. Oder zumindest so lange es TV-Zeitschriften noch gibt.
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