Das Portal „t-online“ will kostenpflichtige Texte anderer Medien von KI zusammenfassen lassen und gratis veröffentlichen. Die Verleger protestieren – aber wie problematisch ist dieser Plan wirklich?
Florian Harms, Chefredakteur von „t-online“, hat die Verleger gegen sich aufgebracht. Foto: Imago, Berlinfoto / Montage: ÜM
Florian Harms ist Chefredakteur des Portals, das sich das „reichweitenstärkste Leitmedium Deutschlands“ nennt: „t-online“. Früher vor allem bekannt als Mailprogramm der Deutschen Telekom, gehört „t-online“ mittlerweile zum Werbekonzern Ströer und veröffentlicht neben allerhand Agenturmeldungen auch eigene journalistische Recherchen.
In den Fokus geriet Harms zuletzt allerdings, als er sich über eine neuartige Textgattung auf „t-online“ äußerte. Vergangene Woche erklärte er auf der Konferenz „The Future of German Media“, dass er auch Menschen mit qualitativem Journalismus versorgen wolle, die sich keine Abos leisten könnten. Aber was erstmal ganz toll und löblich klingt, hat leider einen Haken.
Harms’ Plan sieht nämlich vor, dass sein Portal Beiträge anderer Medien, die dort hinter eine Bezahlschranke stehen, zusammenfasst und veröffentlicht – auch mithilfe Künstlicher Intelligenz. Dabei würde sich „t-online“ laut Harms auf den Kern der Nachricht konzentrieren und fair zitieren.
Die Verleger protestieren
Prompt folgte der Aufschrei der Verleger: Der Vorsitzende des Bundesverbands Digitalpublisher und Zeitungsverleger (BDZV), Matthias Dietzen-Blanke, meldete sich auf LinkedIn zu Wort und schrieb:
„Dieses Vorgehen entzieht Verlagen die finanzielle Grundlage. Es ist nichts anderes als geistiger Diebstahl im digitalen Gewand – flankiert von Narrativen über gesellschaftlichen Nutzen.“
Für Nutzer hingegen ist das natürlich bequem: Wer sich für das „Zeit“-Interview mit dem neuen Chefberater von Finanzminister Lars Klingbeil interessiert, muss nicht extra ein „Zeit“-Abo abschließen, sondern kann sich die Kernbotschaft des Interviews einfach bei „t-online“ durchlesen.
Für die Verlage wiederum, die sich aufwändige Recherchen leisten und Redakteure bezahlen, die jene Interviews führen, die „t-online“ dann bloß zusammenfasst, kann das durchaus existenzgefährdend sein.
Trifft die Kritik die Richtigen?
Es ist dennoch bemerkenswert, dass die Kritik erst jetzt kommt und sich auch nur auf „t-online“ bezieht. Ist es doch längst ein gängiges Mittel von Reichweitenportalen, Recherchen anderer Medienhäuser auf ihren eigenen Seiten zusammenzufassen und weiterzuverbreiten.
Hält man sich beispielsweise nur kurz auf der Startseite des rechten Portals „Nius“ auf, fallen direkt mehrereArtikel ins Auge, die Recherchen von anderen Medien übernehmen und dabei sogar Formulierungen wortgleich aus dem Originaltext verwenden.
Auch das Funke-Portal „Der Westen“ besorgt sich Klicks mit den Recherchen anderer, wie zum Beispiel hier. Selbst renommierte Medien wie der „Spiegel“, die von den Methoden der Reichweitenportale selbst betroffen sind, veröffentlichen gelegentlich frei zugängliche Beiträge, die auf den kostenpflichtigen Texten anderer Medienhäuser beruhen.
Anerkannte Praxis ist das wiederum bei Nachrichtenagenturen wie der dpa. Sie fassen Interviews einzelner Medien mit Promis oder Politikern zusammen, wodurch die Kernaussagen als kleinere Meldungen in zahlreichen Zeitungen erscheinen.
Ist das alles also vielleicht doch kein so großes Problem?
Die Automatisierung ist das Problem
Der Unterschied liegt im Detail: Es ist durchaus legitim, auf Recherchen anderer Medienhäuser zu verweisen oder sie sogar zusammenzufassen – zum Beispiel, wenn darauf eine eigene Recherche folgt oder sie eine so hohe Relevanz haben, dass sie nicht nur für die Abonnenten eines Mediums zu lesen sein sollten.
Es geht daher in der Diskussion weniger um ein qualitatives als um ein quantitatives Problem. Das Stichwort lautet: Automatisierung. Denn bisher haben Redakteure entschieden, was relevant ist und was nicht. Und sie mussten die Zusammenfassungen auch selbst schreiben. Das ist jetzt nicht mehr nötig. Mithilfe von KI könnte „t-online“ unzählige solcher Texte in kürzester Zeit verbreiten und Lesern so lange zusammengefasste Artikel um die Ohren hauen, bis keine Original-Inhalte mehr übrig sind.
Auch die anderen Reichweitenportale arbeiten bereits mit KI: „Der Westen“ gibt wie „t-online“ einen Hinweis am Ende des Textes – bei „Nius“ und seinem österreichischen Partnermedium „Exxpress“ lässt sich der ziemlich schamlose und teilweise irreführende Einsatz Künstlicher Intelligenz bislang nur vermuten.
Medienhäuser vs. Tech-Konzerne
Spätestens hier wird klar, dass die Diskussion größer ist als „t-online“. Denn solange es für KI-Firmen keine klaren Vorschriften gibt, inwiefern sie die Urheberrechte journalistischer Medien schützen (und sich auch daran halten) müssen, ist es das viel kleinere Problem, ob auch „t-online“ Artikel hinter fremden Paywalls für alle kostenlos zusammenfasst. Besonders eindrücklich zeigt sich dieses größere Problem bei der KI-Suchmaschine „Perplexity“.
Als „Perplexity“ im vergangenen Jahr auf den Markt kam, verunsicherte das Tool viele in der journalistischen Branche. Denn Recherchen des Magazins „Wired“ legten nahe, dass „Perplexity“ die Bezahlschranke journalistischer Medien umging, um die Texte im eigenen Chatfenster zusammenzufassen.
Obwohl die Originalquelle – in manchen Fällen nur dürftig – angegeben ist, kann man davon ausgehen, dass sich die meisten Nutzer mit der KI-Zusammenfassung begnügen und den zitierten Artikel nicht mehr aufrufen. Womit Verlagen nicht nur potenzielle Abonnenten verloren gehen, sondern auch Reichweite und damit Werbeeinnahmen. Zumal viele Medien darin einen Verstoß gegen ihr Urheberrecht sehen.
Genau deshalb erhielt „Perplexity“ im vergangenen Jahr einige Unterlassungsaufforderungen: Die „New York Times“, „Forbes“ „Vogue“, „Wired“ und „The New Yorker“ forderten das Unternehmen dazu auf, ihre Texte nicht mehr zu verwenden. Einen Schritt weiter ging News Corp, die Muttergesellschaft des „Wall Street Journal“ und der „New York Post“: Sie reichte Klage gegen „Perplexity“ ein, weil sie ihre Urheberrechte verletzt sah. Bislang allerdings ohne Ergebnis.
Ein vermeintlicher Lösungsweg sind Lizenzvereinbarungen, die Medien direkt mit den Konzernen schließen. Zudem hat Perplexity im Juli 2024 ein „Publishers Program“ eingeführt, bei dem Medienhäuser an den Werbeeinnahmen beteiligt werden sollen. Auch Google will Medien eine Vergütung dafür zahlen, dass es nun ebenfalls journalistische Inhalte in den Ergebnissen seiner Suchmaschine zusammenfasst. Mehr als eine Entschädigung können solche Beträge aber kaum sein.
Keine Transparenz bei „t-online“
Die Diskussion, die von „t-online“-Chef Harms mal wieder angestoßen wurde, ist daher nicht weniger als die Diskussion um die Zukunft des Journalismus. Jedes Mal, wenn der Begriff „Künstliche Intelligenz“ fällt, wächst insgeheim die Sorge in vielen Medienhäusern, irgendwann komplett obsolet zu werden.
Besucht man aber die Seite von „t-online“, kann man das Schreckgespenst der Verleger selbst nach einiger Recherche (noch) gar nicht finden: Offenbar lässt das Portal fremde Paywall-Texte bislang noch gar nicht von KI zusammenfassen. Oder gibt es einfach noch nicht an. In einigenFällen kam KI zwar laut Angabe von „t-online“ zum Einsatz – allerdings handelt es sich dabei um Texte, die gar nicht hinter Bezahlschranken stehen.
Wie genau Künstliche Intelligenz bei „t-online“ denn jetzt kostenpflichtige Texte anderer Medien zusammenfasst und in welchem Umfang das bereits geschieht, wollte Chefredakteur Florian Harms auf Übermedien-Anfrage leider nicht beantworten. Dabei gehört doch genau das zu einem transparenten Umgang mit KI dazu – den sich „t-online“ im Übrigen auch selbst auf die Fahne schreibt.
Die Autorin
Johanna Bernklau studiert Journalismus in Leipzig und war Autorin für die Medienkolumne „Das Altpapier“ beim MDR. In den Journalismus hat sie durch ein Volontariat bei der „Passauer Neuen Presse“ gefunden. 2022 und 2023 war sie Mitglied in der Jury des Grimme Online Awards.
2 Kommentare
Und dann endet es so, dass Nutzer die t-online-Beiträge von eben jenen Paywall-Texten (wenn es sie denn dann gibt) direkt bei Google zusammengefasst bekommen. Wieso dann überhaupt noch einen Artikel lesen, egal ob KI-generiert oder hinter der Paywall? Da hat dann wirklich gar kein Publisher mehr etwas von, es sei denn, man hat Deals ausgehandelt dafür.
Das Problem sind ja weniger die leicht zu umgehenden Paywalls. Wenn jemand Zeit sparen kann, dann tut er es auch. Dass Leute die Quellen nicht anklicken liegt ja auch daran, dass sie wissen, dass diese lang sind und man sich die gesuchte Information raussuchen muss, schlimmstenfalls aus verschiedenen Stellen. Wenn die Leute lieber alles relevante per KI zusammenfassen lassen, statt lange zu lesen, sind die Produkte der Verlage wohl nicht ganz zeitgemäß. Um konkurrenzfähig zu bleiben, müssten sie keine starren Texte mehr liefern, sondern eben das, was man sucht. Viele Texte schütten einen mit historischen Einstiegen oder Kontext zu, den nicht jeder benötigt. Eigentlich haben Verlage ja sogar einen Vorsprung, wenn Leser einen Account haben. Sie wissen ungefähr, was jemand gelesen hat. Auf der Basis ließen sich Artikel kürzer anbieten. Alles, was man schon weiß, wird dann ausgeblendet.
Und dann endet es so, dass Nutzer die t-online-Beiträge von eben jenen Paywall-Texten (wenn es sie denn dann gibt) direkt bei Google zusammengefasst bekommen. Wieso dann überhaupt noch einen Artikel lesen, egal ob KI-generiert oder hinter der Paywall? Da hat dann wirklich gar kein Publisher mehr etwas von, es sei denn, man hat Deals ausgehandelt dafür.
Das Problem sind ja weniger die leicht zu umgehenden Paywalls. Wenn jemand Zeit sparen kann, dann tut er es auch. Dass Leute die Quellen nicht anklicken liegt ja auch daran, dass sie wissen, dass diese lang sind und man sich die gesuchte Information raussuchen muss, schlimmstenfalls aus verschiedenen Stellen. Wenn die Leute lieber alles relevante per KI zusammenfassen lassen, statt lange zu lesen, sind die Produkte der Verlage wohl nicht ganz zeitgemäß. Um konkurrenzfähig zu bleiben, müssten sie keine starren Texte mehr liefern, sondern eben das, was man sucht. Viele Texte schütten einen mit historischen Einstiegen oder Kontext zu, den nicht jeder benötigt. Eigentlich haben Verlage ja sogar einen Vorsprung, wenn Leser einen Account haben. Sie wissen ungefähr, was jemand gelesen hat. Auf der Basis ließen sich Artikel kürzer anbieten. Alles, was man schon weiß, wird dann ausgeblendet.