Jörg Kachelmann

Ach, die paar schweren Verletzungen von Privat-, Geheim- und Intimsphäre!

Bülend Ürük ist Chefredakteur beim Branchendienst kress.de. Das ist eine zwiespältige Position. Einerseits gibt sie ihm Gelegenheit, sich in Kommentaren und Artikeln immer wieder für eine leitende Stelle beim Axel-Springer-Verlag zu bewerben. Andererseits hat er immer noch keine leitende Stelle beim Axel-Springer-Verlag, sondern ist Chefredakteur beim Branchendienst kress.de.

Heute hat Ürük das Urteil des Oberlandesgerichtes Köln kommentiert, das die Axel Springer SE und die Bild GmbH & Co KG dazu verurteilte, Jörg Kachelmann 395.000 Euro Geldentschädigung zuzüglich Zinsen zu zahlen. In 26 Fällen haben „Bild“ oder Bild.de nach dem Urteil des Gerichtes die Persönlichkeitsrechte Kachelmanns schwerwiegend verletzt.

In der ersten Instanz hatte das Landgericht Köln noch 38 schwerwiegende Persönlichkeitsrechtsverstöße festgestellt und Kachelmann 635.000 Euro Schmerzensgeld zugesprochen. Dagegen hatten Kachelmann und Springer Berufung eingelegt.

Das Wort „Persönlichkeitsrechtsverletzung“ kommt im Kommentar von Bülend Ürük nicht vor. Es findet sich darin kein Hinweis darauf, dass das Gericht feststellte, dass „Bild“ die Geheimsphäre Kachelmanns in sechs Fällen verletzte und seine Intimsphäre in drei Fällen. In vier Fällen habe das Blatt ihn unzulässig vorverurteilt.

Stattdessen schreibt Ürük darüber, wie böse Prominente versuchen, die Pressefreheit einzuschränken:

Wie schaffen es Promis, Berichterstattung am besten zu verhindern? Mit Anrufen. Mit Einschüchterungsversuchen. Mit Beschwerden beim Verleger. Mit Drohungen. Und am Ende mit Klagen. Und auch mit teils absurden Entschädigungssummen, bei denen sich Beobachter fragen müssen, wer diese Menschen, die im Scheinwerfer der Öffentlichkeit zu Ruhm gekommen sind, tatsächlich berät? Oder sie auf einen Pfad setzt, der ihnen den Rest Würde nimmt?

Den Rest Würde, könnte man ergänzen, den „Bild“ ihnen noch gelassen hat, aber das würde Bülend Ürük natürlich nie so formulieren oder auch nur meinen.

Für den Chefredakteur von kress.de ist das Urteil, das feststellte, dass „Bild“ und Bild.de die Persönlichkeitsrechte Kachelmanns in 26 Fällen verletzt hat, eine Art Sieg für Springer – und für die Pressefreiheit:

Während andere Großverlage sich gerne außergerichtlich mit klagefreudigen Stars einigen, ist Axel Springer den harten Weg marschiert.

Richtig müsste der Satz ungefähr lauten: „Während andere Großverlage erst gar nicht in die Gelegenheit kommen, sich mit klagefreudigen Stars vor Gericht zu treffen, weil sie in weiser Absicht darauf verzichten, in mehreren Dutzend Fällen schwere Persönlichkeitsrechtsverletzungen zu begehen, zahlt Springer seinen Anwälten gerne viel Geld, um sich als Verteidiger der Pressefreiheit zu stilisieren.“

Aber weiter im Original:

Denn viel einfacher wäre es gewesen, wenn sie sich auch hinter verschlossenen Türen geeinigt hätten. Doch die Entscheidung Springers, vor das Oberlandesgericht zu ziehen, ist ein wichtiges Zeichen für die gesamte Branche. Gerade in einer Zeit, in der Prominente und weniger Prominente am liebsten jedes Komma in einem Bericht bestimmen möchten.

Nun kann man schon über die interessante Formulierung stolpern, dass es die „Entscheidung“ Springers war, vor das Oberlandesgericht „zu ziehen“, wenn es Kachelmann war, der es dorthin durch seine Klage und die Berufung gezerrt hat. Vollends abwegig wird es aber, wenn Ürük angesichts eines Urteils, das, um es noch einmal zu wiederholen, schwerwiegende Persönlichkeitsrechtsverletzungen in 26 Fällen festgestellt hat, von Prominenten spricht, die „am liebsten jedes Komma in einem Bericht bestimmen möchten“.

Das eine in den Kontext mit dem anderen zu bringen, ist nicht nur infam – es ist irre.

Mit einer gewissen Putzigkeit räumt Ürük ein:

Natürlich gab es unter den über 800 Berichten in den Jahren 2010 und 2011, die in „Bild“ über den Prozess gegen Jörg Kachelmann erschienen, Artikel, die falsch, die fehlerhaft waren. Die müssen in der Redaktion auf jeden Fall aufgearbeitet werden.

Blöde Pannen sicher, kaum vermeidbar bei so vielen Artikeln, natürlich wird die bekannt selbstkritische „Bild“-Redaktion das aufarbeiten, auf jeden Fall.

Vielleicht hat er einfach nur überlesen, dass das Gericht in seiner Pressemitteilung davon spricht, dass es auch Fälle „vorsätzlicher Persönlichkeitsrechtsverletzung“ gegeben hat. Dass Kachelmann von „Bild“ insbesondere in einem Fall „unter Missachtung seiner Würde zur bloßen Belustigung bzw. Befriedigung der Neugier des Publikums vorgeführt worden“ sei.

In der Urteilsbegründung der ersten Instanz hatte schon das Landgericht – unter vielem anderem – darauf hingewiesen, dass „Bild“ auch dann noch heimlich aufgenommene Fotos von Kachelmann im Gefängnishof zeige („Hier sonnt sich Kachelmann im Knast“), als es bereits einen Gerichtsbeschluss gab, der ihr genau das untersagte. Aber vielleicht war dieser „Fehler“ zu diesem Zeitpunkt leider in der „Bild“-Redaktion noch nicht „aufgearbeitet“ worden.

„Es ist ein guter Tag für die Pressefreiheit“, schreibt Ürük, und er suggeriert allen ernstes, dass Springer da vor Gericht „um die Pressefreiheit“ gekämpft habe. Und nicht darum, möglichst billig damit davonzukommen, die Persönlichkeitsrechte eines Mannes in einer Vielzahl von Fällen verletzt und ihn vorverurteilt zu haben.

Ürük hatte bereits das Urteil der ersten Instanz ähnlich kommentiert und von „unverschämten Entschädigungssummen“ gesprochen: Die Boulevard-Journalisten von „Bild“ seien doch bloß:

ihrem Auftrag nachgekommen, ihre Leser hautnah zu informieren. Fehler passieren, und dafür muss ein Verlag auch geradestehen. Wie aber Medienhäuser, die dann halt nicht Axel Springer heißen, solche absurden Beträge stemmen sollen, auch wenn die dann vielleicht in Relation zur Größe gesetzt werden, bleibt vorerst nur ein Geheimnis der Juristen.

(Der leitende Redakteur der „Süddeutschen Zeitung“, Heribert Prantl, schätzt, dass Springer an Kachelmann „ein x-Faches dessen verdient“ hat, „was er nun bezahlen muss“.)

Ürük damals weiter:

Wenn Springer jetzt in Berufung geht, dann geht es für die Freiheit in Berufung, auch weiterhin direkt berichten zu können, ohne Schere im Kopf, dass morgen der eigene Verlag eine horrende Strafe bezahlen muss, weil eventuell ein Komma nicht sitzt oder ein Vorgang fehlerhaft dargestellt wird.

Weil eventuell ein Komma nicht sitzt.

Vielleicht hilft an dieser Stelle der Hinweis, dass es überhaupt eine Geldentschädigung für ein Opfer nur gibt, wenn die Persönlichkeitsrechtsverletzung „schwerwiegend“ ist.

Wahrscheinlicher ist, dass gar nichts mehr hilft.

Offenlegung: Jörg Kachelmann hat zwei Gastbeiträge für Übermedien geschrieben.

16 Kommentare

  1. Darauf ein Amen, Herr N.

    Aber Herr Ürük wird sich schon zu helfen wissen.
    Widerspruch in den Kommentaren ist dann halt ein „Shitstorm“ der „Kachelmann-Jünger“, „getroffene Hunde bellen“,
    oder irgendwas mit Putin oder Pegida, und schon stimmt das Weltbild wieder

    Aber was meinen sie: Glaubt der Bülend den Quatsch selber oder will er sich nach oben schla-ähh schreiben?
    :-)

  2. Nicht schlecht der inhaltliche Erfolg Kachelmanns gegen Springer: Glückwunsch!
    Aber das Muster ist das Entscheidende: die Staatsanwaltschaft klagt an bei extremer Auslegung der Sachlage und Vernachlässigung entlastender Fakten und scheitert knapp vor Gericht. Ein großer Teil der Presse liefert die moralische Verdammung dazu und stellt den Angeklagten vor dem Urteil an den Pranger. Nach dem Urteil schreibt dieselbe Presse von einem „Freispruch zweiter Klasse“, wenn das hohe Prinzip „Im Zweifel für den Angeklagten“ den Ausschlag gibt. So handeln die Unbelangbaren und etablieren ein Recht neben dem Recht.
    Dabei war das der Gutfall, wo es noch erhebliche Berichterstattung über die echten Fakten und auch Dissens und Meinungsvielfalt in den Medien gegeben hat. In anderen Fällen gibt es beides nicht und die Opfer verschwinden bei ähnlicher Faktenlage auch deshalb für viele Jahre im Knast oder in der Psychiatrie.
    „Jörg Kachelmann 395.000 Euro Geldentschädigung zuzüglich Zinsen zu zahlen.“
    Die Summe von ca. einer halben Million dürfte keinesfalls zu üppig bemessen sein für den tatsächlichen wirtschaftlichen Schaden, der Kachelmann entstanden ist. Sie zeigt aber auch das Ausmaß der Klassengesellschaft, in der wir leben. Es gibt zahllose Familien im Land, die ein solches Einkommen in 10 Jahren nicht einmal brutto verdienen. Nicht wenigen reichen dafür gerade so 20 Jahre. Das ist keine Kritik am Urteil, sondern eine Nachricht in sich selbst.

  3. Der Beitrag von Ürük ist eine Frechheit.
    Die Höhe des Kachelmann zugesprochenen Betrags für immaterielle Schäden ist allerdings tatsächlich immer noch ziemlich hoch, wenn man es z. B. mal damit vergleicht, was deutsche Gerichte sonst so an Schmerzensgeld zusprechen:
    http://app.olg-ce.niedersachsen.de/cms/page/schmerzensgeld.php?sort=betrag
    http://www.rechtsanwalt-lattorf.de/Schmerzensgeldtabelle-Kopf.html

    Da liegt der Kachelmann-Betrag schon im Bereich „Schädelhirntrauma 3. Grades, Intensivpflegefall, Apallisches Syndrom, Tetraparese“. Der Verlust von Gliedmaßen ist dagegen regelrecht „billig“.
    Was allerdings wieder eher dafür spricht, dass die Schmerzensgeldbeträge sonst in Deutschland viel zu niedrig angesetzt werden.

  4. Das RTL Event im August:
    Wird der junge Redakteur Bülend Ürük (Matthias Schweighöfer) die Liebe seines Lehrmeisters Kai Diekmann (Nina Hoss) erwidert bekommen.
    Dieser stellt ihn vor fast unlösbare Aufgaben. Dutzende Prüfungen und Liebesbeweise erbittet er vom jungen Recken, der über Jahre hinweg Lobpreisungen und Huldigungen an die Welt aussendet. Wann endlich fällt sein Begehren auf fruchtbaren Boden?
    Ein Film voller Dramatik, aber ohne Wendungen.

    Im Anschluss: RTL-Extra mit Drehbuchautorin Katja Kessler.

  5. Nicolaus Fest und Bülend Ürük treffen sich im Magen von Kai Diekmann.
    Fragt Fest: „Hast du mitbekommen, wie Diekmann mich einfach geschluckt hat?“
    Ürük: „Nein, konnte ich nicht, ich bin von der anderen Seite gekommen!“

  6. „Den Rest Würde, könnte man ergänzen, den „Bild“ ihnen noch gelassen hat“
    Ist das jetzt das Stichwort, bei dem Muriel von ueberschaubarerelevanz.com auf die prinzipiellen Probleme hinweist, die er mit dem Begriff der (Menschen-)Würde hat? ;) Gut, gehört jetzt nicht hierher.
    Dann vielleicht ein kurzer Einwand, ob Würde etwas ist, das einem durch gehässige „Bild“-„Berichterstattung“ sukzessive abhanden kommen kann – analog dazu, dass Vergewaltigungsopfer nach althergebrachter Begrifflichkeit als „geschändet“ bezeichnet wurden, also Schande aufgeladen bekamen, obwohl sie gar nichts falsch gemacht haben? Nein, auch zu grundsätzlich? Ja ok.

    Dann nur ein Wort zum Ürük-Kommentar: Die belustigendste Verteidigung der Praxis von „Bild“ (und sonstiger boulevardesker Blätter) finde ich ja immer, dass allen Ernstes behauptet wird, Persönlichkeitsrechtsverletzungen seien lediglich „Fehler“ (Ausrutscher!) und nicht etwa Kernelement des Geschäftsmodells. „Zentraler Eckpfeiler“, bin ich sogar versucht sagen. ;)

  7. Ein schönes, sehr gutes Stück über die Dekonstruktion des B. Ürük – geht als plakatives Beispiel in meine Lehrveranstaltungen ein.

  8. Des Öfteren erwische ich mich, dass ich solchen Fürsprechern wie Herrn Ürük die gleiche Aufmerksamkeit die die Bild an Herrn Kachelmann (o.a.) hatte.

    Schade das Herr Kachelmann soviel Zeit, Geld und Geduld in solche Verfahren stecken muss … und umso trauriger, dass es Leute wie Herrn Ürük gibt aber andererseits sind auch alle die solche Berichte und Medien unterstützen (z.B. durch Kauf derselben) mit Schuld an dem Geschäftsmodell …

  9. Würde?

    Wie steht denn aktuell der Zwangs-Wechselkurs MenschenWürde(MW) zu Auflage-Werbemark(Reibach) beim Übertreten der Springer-Sektorengrenze?

  10. @Andy, #6
    Stimmt, das wird es wohl sein. Wobei ich es wiederum auch seltsam fände, alle Verstöße gleich zu gewichten, aber sei’s drum.

  11. Bülent Ürük ist übrigens auch Chefredakteur bei newsroom.de der Johann Oberauer GmbH :
    .
    „Das Portal für Journalisten“ .
    .

  12. @8
    Wenn in einer Konstruktion und sei es in einer metaphorischen, die jeweiligen Ecken durch mehrere Pfeiler gestützt werden, dann ist der mittigste der zentrale Eckpfeiler….

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