Bei „Apollo-News“, dem „Magazin für die Freiheit“, sind sie offenbar einer ganz großen Sache auf die Spur gekommen. So zumindest klingt es, wenn Chefredakteurin Elisa David schreibt, man habe, nach Jan Böhmermanns Tweet, den „nächsten Beweis dafür ausgegraben, dass der öffentlich-rechtliche Rundfunk vieles tut“ – aber sich nicht an das Neutralitätsgebot halte. Was, nun ja, etwas übertrieben-investigativ wirkt, wenn man weiß, worum es eigentlich geht.
Rund zwei Wochen nach Veröffentlichung hat man bei „Apollo News“ eine Folge der hr-Unterhaltungssendung „Never Ever“ mit Negah Amiri geguckt – und eine Welle der Empörung losgetreten, weil die Komikerin darin eine Klimaaktivistin umarmt und zu ihr sagt: „Danke, dass es dich gibt.“ Für einige Nachrichtenseiten und Twitter-Nutzer der perfekte Aufhänger, um mal wieder die Existenz des von „Zwangsgebühren“ finanzierten öffentlich-rechtlichen Rundfunks in Frage zu stellen.
Ein weiterer großer Aufreger: Am Ende der Sendung himmelt die in die Figur einer Rapperin geschlüpfte Amiri in einem Musikvideo ihren „Bio-Basti“ an, einen attraktiven „Alman“, der die Wohnung „nackt mit Essig“ putzt und der nicht im AMG vorfährt, sondern mit dem Lastenrad. Passend dazu räkelt sich die Künstlerin eben nicht – wie im Klischee vieler Hiphop-Videos – auf einer Motorhaube, sondern in der Transportbox des Lastenrads. Dazu textet sie Zeilen wie „Taschen voller Dinkelflocken, Mann, ich kann nicht anders, muss dich ****“ und: „Klimaaktivismus bringt mich zum Orgasmus“.
„Klimaaktivismus bringt mich zum Orgasmus“: ARD-Moderatorin feiert Klimaaktivisten
Negah Amiri hat in der hr-Sendung „Never ever“ ein Rap-Video inszeniert, in dem sie sich öffentlich für Klimaproteste bekannt und zur Teilnahme daran aufgerufen hat.
Der Song und das Video sind witzig – und für einen Sender wie den Hessischen Rundfunk erfrischend unkonventionell. Und selbst wenn der Humor jemandem nicht zusagt: darin einen öffentlich-rechtlichen Aufruf zum Aktivismus zu sehen, ist konstruiert. Zumal man gar darüber streiten könnte, ob hier der typisch-deutsche Bioladen-Outdoor-Jacken-Mann wirklich idealisiert wird, oder nicht auch ein bisschen aufs Korn genommen.
Die Sendung ist die fünfte Folge einer Comedy- und Unterhaltungsserie, die Interviews, satirische und informative Einspieler miteinander vermischt. In den Folgen zuvor wollte Amiri zum Beispiel erfahren, ob Schönheits-OPs, Drogentrips, Wildnis-Survivaltrainings oder das Fetisch-Business mit Fuß-Fotos etwas für sie sind. Und nun eben Klimaaktivismus. Die ARD schreibt über die Sendung:
„In NEVER EVER stellt sich Negah ihren persönlichen No-Gos: Schluss mit Vorurteilen und Ängsten! Jetzt werden die Dinge hinterfragt – und das geht am Besten im Talk mit Menschen, die sich wirklich auskennen. Doch reicht das, um Negah zu überzeugen?“
Schwächen ja, aber kein Skandal
Man kann nicht leugnen, dass die Sendung zum Thema Klimaaktivimus teilweise redaktionelle und handwerkliche Schwächen hat. Einigen Comedy-Szenen fehlen die Pointen. In einem informativen Einspieler werden Hitzerekorde unpassend mit dem Bild eines brennenden Waldes illustriert. Und die Gespräche, die Amiri mit ihren Sendungsgästen, einer Klimaaktivistin der Gruppe „Extinction Rebellion“ und zwei Mitgliedern der „Grünen Jugend“, führt, sind teilweise seicht, und ja, an einigen Stellen sicherlich zu begeistert und gefällig – das sollte auch bei einem betont persönlichen Format nicht der Fall sein. Man darf sich von einer Komikerin wie Amiri einen frecheren, pointierteren, mutigeren Umgang mit ihren Interviewpartnern wünschen.
Und nur weil Amiri als Stand-Up-Comedienne genial ist (wer sie noch nicht kennt, sollte sich wirklich ein paar Stücke von ihr anschauen, es ist wunderbar, wenn sie den persischen Akzent und die Kommentare ihrer Eltern imitiert), ist sie längst noch keine gute Interviewerin. Hier versagen auch Regie, Redaktion und Schnitt – sie sind dafür mitverantwortlich, wie ihre Moderatorin vor der Kamera agiert und wirkt.
Aber: es ist kein Skandal. Und was einige Medien aus dieser Sendung machen, ist übertrieben und aufgeblasen. Als hätten sie nur auf den nächsten Grund gewartet, die Öffentlich-Rechtlichen an sich in Frage zu stellen.
„Journalistische Distanz? Fehlanzeige!“, kritisiert die „Bild“. Um sich im darauffolgenenden Satz gleich selbst zu korrigieren. Denn Negah Amiri, das schreibt „Bild“ auch, ist keine Journalistin, sie ist Komikerin. Und in dieser Funktion, also als Komikerin Negah Amiri, ist sie Gastgeberin einer Unterhaltungssendung. Den Journalisten-Maßstab legen ihre Kritiker dennoch an sie an. Weil sie so die Fläche, auf die sie angreifen, künstlich vergrößern können.
Dass Amiri ihre Protagonisten herzt – und das tut sie auch mit den Gästen in ihren anderen Sendungen – ist aber ungefähr genauso verwerflich, wie wenn Ina Müller bei „Inas Nacht“ ihre Gäste knutscht und mit ihnen Biergläser leert.
„Doppelmoral“ und Mehrwegbecher-„Fanatismus“
Medien wie die rechte Wochenzeitung „Junge Freiheit“ leiten dennoch nicht weniger als eine „Propagandasendung für Klima-Extremisten“ ab. Die „Junge Freiheit“ verweist auch auf den „ÖRR-Blog“, der aufgedeckt habe, dass Amiri um die Welt jettet, wenn sie nicht gerade Klimaschützer hofiert. Was für eine Doppelmoral! Wobei „aufgedeckt“ auch hier einfach bedeutet: man hat sich mal ihren Instagram-Kanal angeschaut. Da hat Amiri Fotos von Urlaubsreisen gepostet, an Orte, die sie wohl mit dem Flieger erreicht hat. Die Kommentare, die sich seit Beginn der Empörungswelle unter ihren Urlaubsbildern anhäufen, sind voller Hass.
Dabei ist Amiris Sendung kein Zeigefinger-Format, auch sie selbst stellt sich gar nicht als Vorzeigeklimaschützerin dar. Eingangs der Sendung macht sie sich in einem selbstironischen Clip darüber lustig, dass es als Influencerin ziemlich bequem ist, sich auf dem eigenen Kanal pro Klimaschutz zu präsentieren. Der Klimaaktivistin, die ihr Sendungsgast ist, erzählt Amiri, wie schwer es ihr selbst manchmal falle, zum Beispiel ihren wiederverwendbaren Kaffee-Becher mitzunehmen. Die Aktivistin antwortet ihr darauf, dass es einfacher wäre, wenn es den Plastikbecher gar nicht gebe und der Mehrwegbecher-Becher umsonst wäre. „So musst du dich immer überwinden, musst du die moralische Instanz sein für dein eigenes Handeln.“ Für „Apollo“-Autorin David ist diese Aussage dann gleich große Bühne für eine „Fanatikerin“, die „fordert, die Privatautonomie des Menschen abzuschaffen und die Regierung zur Moralinstanz für alle Menschen zu erklären.“
Ein interessanter Widerspruch bei der Kritik an Amiris angeblicher „Doppelmoral“ ist: dass die, die Amiri fürs Reisen mit dem Flugzeug kritisieren, ja sonst gerne fordern, dass sich niemand darin einmischen soll, was Menschen privat in ihrem Urlaub tun. Dieser Freiheits-Imperativ wackelt aber schnell mal, etwa, wenn dieselben Publizisten Klimaakivisten beim Urlaub auf Bali erwischen.
Dass Amiri auf einem Foto vor einer Yacht in Istanbul „im knappen Outfit“ posiert, wie die neue publizistische Heimat von Ex-„Bild“-Chef Julian Reichelt, „Nius“, berichtet, ist dabei nur ein frauenfeindlicher Nebenaspekt. Und „Tichys Einblick“ schreibt:
„Negah Amiri hat alle die Eigenschaften, die die Fernsehmacher bei ARD und ZDF so lieben: Frau, mit den aus dem Iran stammenden Eltern geflüchtet, politisch grün und im übrigen immer dem Zeitgeist auf der Spur, dazu noch tele- und fotogen – worauf sie selbst sehr stolz ist, wie sie auf zahlreichen Reisebildern an den Stränden und Sehenswürdigkeiten dieser Welt zeigt.“
Und schon hat man eine talentierte Komikern abgewertet, indem man ihre Beschäftigung bei einem Fernsehsender einzig Diversitätskriterien zuschreibt, denen der ÖRR angeblich hinterherhechelt. Als könne Amiri sich damit alles erlauben, auch die Dreistigkeit, in den Urlaub zu fliegen und gleichzeitig diese Sendung zu machen.
Wahrscheinlich wäre es in diesem sowieso schon persönlich angelegten Format tatsächlich nicht schlecht gewesen zu thematisieren, dass Amiri gerne in den Urlaub fliegt – und nicht nur über das vermeintlich banale Kaffeebecher-Dilemma zu sinnieren. Es ist aber falsch, Amiri deshalb die Legitimation abzusprechen, eine Sendung zum Thema Klimaaktivismus zu machen, sich für Klimaschutz auszusprechen und zu sagen, dass sie ihre Reichweite dafür nutzen will. Im Gegenteil: Amiri könnte, gerade, weil sie eben nicht das Klischee der Vorzeige-Klimaschützerin bedient, weil sie ambivalent und fehlbar ist, mit einem wichtigen Thema so eine ganz andere Zielgruppe erreichen.
„Never Ever“ ist ein Personality-Format mit Negah Amiri. Die Serie soll unterhalten und zum Nachdenken anregen und ist aus der persönlichen Perspektive von Negah Amiri erzählt. „Never ever“ ist kein berichtend- nachrichtliches Format, es hat daher auch mehr Freiraum in der Erzähl- und Darstellungsweise. In Talk- und Sketchelementen geht die Comedyfrau unterschiedlichen Fragestellungen nach, in diesem Fall, wie sie zu „Klima-Aktivismus“ steht. Dabei steht Negah Amiris persönliche Herangehens- und Erzählweise immer im Vordergrund. Es gehört zum Konzept der Sendung, auch mit bewussten Übertreibungen von Emotionen zu arbeiten.“
Amiri sei eine freie Künstlerin. Bei der Entwicklung von Sendungen sei es wichtig, unterschiedliche Formate mit verschiedenen Protagonisten auszuprobieren. Man evaluiere Mediatheksformate „kontinuierlich“, entwickle sie weiter und werde sich in der Redaktion mit „jeder Kritik“ auseinandersetzen.
Man hätte als hr in diesem Fall vielleicht nicht auf jede, aber schon auf irgendeine Kritik genauer eingehen können. Man hätte sich als Sender auch vor seine Moderatorin stellen und sie konkret gegen Angriffe verteidigen können.
Wobei es für die, die die Öffentlich-Rechtlichen samt ihrer „Zwangsgebühren“ abschaffen wollen, ja wahrscheinlich sowieso egal ist, was der hr dazu sagt. Sie graben bestimmt längst nach dem nächsten Stöckchen.
Die Autorin
Lisa Kräher ist Redakteurin bei Übermedien. Sie hat bei der „Mittelbayerischen Zeitung“ volontiert und von 2013 an als freie Journalistin und Filmautorin gearbeitet, unter anderem für epd. Sie ist Autorin für die „Carolin Kebekus Show“ und Mitglied der Grimme-Preis-Jury.
4 Kommentare
Top Artikel, danke.
Die Reaktionen der neurechten Hetzpostillen und üblichen Verdächtigen sind ja zu erwarten gewesen. Das wirklich traurige ist für mich auch, dass eben auf deren „Argumente“ nicht auch in der Aussage des hr eingegangen wird.
Die unsägliche Bigotterie, das mutwillige Verdrehen von Gesagtem und die Ignoranz gegenüber allem was nicht das eigene Narrativ bedient, ist das was so unerträglich an diesen Leuten ist. Das sollte bei jeder Gelegenheit aufgezeigt und thematisiert werden.
Nicht jede einzelne Sendung muss ausgewogen sein. Deshalb stört mich so eine einseitige Sendung mit Negah Amiri nicht. Im Gegenteil: ich finde sie erfrischend. Aber mir fehlen einseitige Sendungen aus dem rechten Spektrum als Gegengewicht. Schließlich zahlen alle Haushalte Rundfunkgebühren. Deshalb müsste es linke und rechte Sender geben und jeder Gebührenzahler müsste selbst entscheiden können, wie er sein Geld auf die Sender verteilt. Ich würde die eine Hälfte für einen linken Sender ausgeben, die andere Hälfte für einen rechten Sender. Beide Sender würde ich mir anschauen. Ich lese schließlich auch gerne Übermedien und Tichy, Spiegel und NZZ.
@Florian: Die von Dir am Ende genannten Medien sind private Medien. Evtl. müsstest Du im Privat-TV-Spektrum nach „rechten“ Sendern suchen. Die deutschen ÖRR-Sender sind recht ausgewogen, deshalb wirst Du da kaum einen rechten oder linken Sender finden.
Top Artikel, danke.
Die Reaktionen der neurechten Hetzpostillen und üblichen Verdächtigen sind ja zu erwarten gewesen. Das wirklich traurige ist für mich auch, dass eben auf deren „Argumente“ nicht auch in der Aussage des hr eingegangen wird.
Die unsägliche Bigotterie, das mutwillige Verdrehen von Gesagtem und die Ignoranz gegenüber allem was nicht das eigene Narrativ bedient, ist das was so unerträglich an diesen Leuten ist. Das sollte bei jeder Gelegenheit aufgezeigt und thematisiert werden.
Nicht jede einzelne Sendung muss ausgewogen sein. Deshalb stört mich so eine einseitige Sendung mit Negah Amiri nicht. Im Gegenteil: ich finde sie erfrischend. Aber mir fehlen einseitige Sendungen aus dem rechten Spektrum als Gegengewicht. Schließlich zahlen alle Haushalte Rundfunkgebühren. Deshalb müsste es linke und rechte Sender geben und jeder Gebührenzahler müsste selbst entscheiden können, wie er sein Geld auf die Sender verteilt. Ich würde die eine Hälfte für einen linken Sender ausgeben, die andere Hälfte für einen rechten Sender. Beide Sender würde ich mir anschauen. Ich lese schließlich auch gerne Übermedien und Tichy, Spiegel und NZZ.
@Florian: Die von Dir am Ende genannten Medien sind private Medien. Evtl. müsstest Du im Privat-TV-Spektrum nach „rechten“ Sendern suchen. Die deutschen ÖRR-Sender sind recht ausgewogen, deshalb wirst Du da kaum einen rechten oder linken Sender finden.