Jubiläums-Kampagne mit Helene Fischer

Lidl lohnt sich. Für Springer.

Als H.P. Baxxter vor acht Jahren in einem Jung-von-Matt-Spot für die Supermarktkette Edeka warb und auf einem Kassenband stehend seinem Publikum zurief „I want to see you sweat!“, war das voller Selbstironie. Sein Stagediving in die kleine Gruppe nerdiger Zuhörer war ein alberner Slapstick, die Lichteffekte im Supermarkt steuerte ein Marktmitarbeiter, der die Neonröhren mit einem Kippschalter flackern ließ und sein Signature-Satz „How much is the fish?“ bekam endlich eine Antwort: 1,59 Euro.

Der Lidl-Spot, in dem Helene Fischer aktuell zu sehen ist, ist zwar mit dem Drehort Supermarkt plagiatsverdächtig nah am Edeka-Original – das Ergebnis ist aber meilenweit davon entfernt. Die Schlagerkönigin bleibt auch zwischen den Regalen des Discounters das unnahbare Sphärenwesen im cremefarbenen Outfit, gefolgt von einer Gruppe professioneller Tänzer, die ihre Choreografie mit dem Griff ins Supermarkt-Regal verbinden und ihre Anführerin schließlich im Einkaufswagen aus dem Markt schieben.

Helene Fischer im Lild-Werbespot
Superstar im Supermarkt Screenshot: Lidl

Nach dem Kurzauftritt des Komikers Max Giermann, der seinen Witz aus einem missglückten Dad-Joke schöpfen soll, erklärt ein Buzzerton, dass das jetzt absichtlich ein schlechter Witz war und das deshalb ja schon wieder witzig ist. Ah ja. Haha.

Obwohl auf eine synthetische Instrumentalversion von Fischers Hit „Atemlos“ geschnitten, holpert das Timing des kurzen Films durchgehend. In der 29. und 54. Sekunde muss sogar dieselbe Tanzszene doppelt herhalten, weil offenbar die Schnittbilder ausgingen. Am Ende bleibt ein Cringe-Gefühl und die Fallhöhe vom Superstar im Supermarkt wirkt seltsam konstruiert.

Das Video ist ein Baustein der gigantischen Kampagne, mit der der Discounter Lidl derzeit seinen 50. Geburtstag mit Spots, Plakaten, Anzeigen und Onlinewerbung feiert. Neben Helene Fischer und Max Giermann gehört auch Barbara Schöneberger zu den Jubiläums-Promis. Die Ankündigung des deutschen Lidl-Chefs Christian Hartnägel zur Kampagne klang fast wie eine Drohung: „Wir werden dafür sorgen, dass in den nächsten zwanzig Wochen niemand an diesem Jubiläum vorbeikann.“ Deshalb auch gleich drei Testimonials, deren Bekanntheitsgrad etwa auf dem von Milka, Coca-Cola und Duplo liegt und von denen jeder und jede Deutsche mindestens einen kennt. Naja, wahrscheinlich hätten das schon Fischer oder Schöneberger alleine erfüllt. Aber zum Jubiläum wird eben groß aufgefahren.

Barbara Schöneberger, Helene Fischer und Max Giermann werben für Lidl.
Ein Promi ist nicht genug. Foto: Lidl

Und deshalb auch eine in ihrer Massivität einzigartige Anzeigenschaltung – eine Komplettbelegung buchstäblich aller Anzeigenplätze in zwei Zeitungen desselben Verlages. Am 26. Mai belegte Lidl über den Axel-Springer-Vermarkter „Media Impact“ alle Werbeplätze der „Welt“ exklusiv, einen Tag später die komplette Ausgabe der „Bild“ – einer halb von einem Lidl-Überleger bedeckten Titelseite folgten 14 weitere Anzeigenmotive des Discounters.

Die Omnipräsenz der auch außerhalb der Kampagne omnipräsenten Werbegesichter führte neben Lob auch zu Kritik bei einigen ihrer Fans. Aber die nörgelnden Kommentare („Der Lidl-Kunde bezahlt es letztlich ja wieder…“) bei Youtube sind erwartbar. Ein wirklicher „Shitstorm“, wie es auf einigen Nachrichtenseiten hieß, war das nicht. Diese Form von Zusatzöffentlichkeit war vermutlich sogar eingepreist und es ist auch nicht so, als wären die drei Protagonisten der Lidl-Kampagne noch nie als Werbefiguren in Erscheinung getreten.

Was Kreuzfahrten, VW und Helene Fischer gemeinsam haben

Max Giermann ist in diesem Reigen – mit einem kleinen Werbeauftritt für den LKW-Hersteller MAN – noch eher unauffällig. Wesentlich breiter aufgestellt ist die Markenbotschafterin Helene Fischer, die, wenn das Honorar stimmt, auch für Kräuterbutter von Meggle in die Kamera lächelt, eine eigene Modekollektion samt Handtaschen bei Tchibo hat und über die ein Automobil-Manager mal gesagt hat: „Helene Fischer und Volkswagen haben viel gemeinsam.“

Mit Testimonials wird in erster Linie Reichweite eingekauft. Bei den Themen Glaubwürdigkeit und Nähe zur Marke wird dann in Pressemeldungen eine wacklige Brücke gebaut. Das Kreuzfahrtunternehmen Aida Cruises etwa, das die diesjährige „Live-Rausch-Tour“ von Helene Fischer unterstützt, begründet die Seelenverwandtschaft mit der geteilten Freude an einem „Unterhaltungserlebnis ganz ohne Zwang und in lockerer Atmosphäre“. Lidl bleibt in der Begründung eher fantasielos und textet: „Eine starke Marke trifft auf starke Persönlichkeiten“.

Die Königin des bezahlten Verleihs von Prominenz ist im Lidl-Trio unangefochten TV-Moderatorin Barbara Schöneberger. Die Milchbotschafterin von 2007 ist langjähriges Markengesicht von Homanns Kartoffelsalat, trat für die HypoVereinsbank auf, für Renault, für die Kfz-Versicherungssparte der VHV und für den Onlinemöbelhändler Wayfair. Um nur einige Auftraggeber zu nennen. Und statt der Tchibo-Handtaschen ist es bei Barbara Schöneberger gleich eine komplette Kofferserie, die sie mit dem Hersteller Titan entworfen hat.

Außerdem war sie eines der Gesichter der „Volks-Produkte“, einem umfangreichen Marketingpaket, mit dem der Verlag seinen Werbekunden seit 2002 ein Rundum-Abverkaufsumfeld schafft: Von der Volks-Zahnbürste bis zur Volks-Matratze verspricht das Label im „Bild“-Look besondere Schnäppchen. Als Anzeige im Blatt gestartet, wandern die Produkte direkt in die Gitterkörben mit der Aktionsware – unter anderem auch zu Lidl.

„Interview“ ohne Fragen mit dem Lidl-Chef

Christian Hartnägel, Chef von Lidl Deutschland, im "Bild"-Interview
Lidl-Chef bei „Bild“, 20.05.23 Screenshot: Bild.de

Ohne das Wort „Anzeige“ – obwohl es sehr gut gepasst hätte – erschien am 20. Mai das „Bild“-Gespräch mit Lidl-Chef Hartnägel. Das „große BILD-Interview“, wie es in der Dachzeile heißt, ist eigentlich gar kein Interview. Es hat nur eine einzige echte Frage, nämlich die Überschrift: „Wann fallen endlich die Preise, Herr Lidl-Chef?“ Klar, sowas wollen die von „Preis-Schocks“ geplagten „Bild“-Leser wissen. Im Folgenden darf der Manager vor einer rot-gelb-blauen Lidl-Jubiläumstapete ausführlich über die günstigen Preise des Discounters sprechen, Lidls Rabatte loben und auf das attraktive Jubiläums-Lotto hinweisen. Auf angerissene Stichworte folgen sehr geschmeidige und ausführliche Aussagen ohne Zwischenfragen. Den Beitrag hätten die Werbetexter von Lidl auch nicht besser formulieren können.

Wie bei der Anzeigenschaltung war die „Welt“ mit ihrem Interview einen Tag früher dran als ihr Schwesterblatt. Hier gibt es tatsächlich so richtige Fragen, gestellt vom Redakteur für „Wirtschaft & Innovation“. Aber auch hier lesen sich die Antworten wie aus einer Imagebroschüre. Die Discount-DNA, „das sind einfache Prozesse, schlanke Strukturen, der Fokus auf einen schnellen Einkauf – und immer schon Nachhaltigkeit.“ Sowas will man im redaktionellen Teil einer Zeitung nun wirklich nicht lesen.

Klammheimlich hat es das ganz große Werbepaket auch in den redaktionellen Teil der „Bild“ geschafft. Wie eine echte Nachricht sieht es aus, wenn die Zeitung titelt: „Dieser Promi hat sich in Helene Fischer verliebt!“ Schließlich ist das Liebesleben von Helene Fischer seit vielen Jahren immer eine Meldung wert. Und dieses Mal ist es eben Max Giermann, der bei der Lidl-Jubiläumsfeier gesagt hat, wie angenehm es war, den Werbespot mit Helene Fischer zu drehen. „Er zu BILD: „Ich habe mich verliebt!“.

Gähn.

Skurrile Blüten treibt die Dauerbeschallung, wenn am selben Tag in „Bild“ Paula Lambert auf einem großen Foto mit dem bunten Lidl-Jubiläumshintergrund auftaucht und eine Orgasmus-Garantie für 250 Euro verspricht. Ist das nicht ein bisschen teuer für einen Discounter? Ach so! Die Orgasmus-Garantie gibt es nicht bei Lidl, sondern in Lamberts „Pussy Bootcamp“. Hat sie der „Bild“-Reporterin erzählt, als sie gemeinsam auf der Lidl-Party in Bad Wimpfen abhingen. So eine schöne Geschichte lässt man doch nicht liegen und eine Gelegenheit, das Lidl-Logo nochmal kurz zu zeigen, ist es auch.

2 Kommentare

Einen Kommentar schreiben

Mit dem Absenden stimmen Sie zu, dass Ihre Angaben gemäß unseren Datenschutzhinweisen gespeichert werden. Ihre E-Mail-Adresse wird nicht veröffentlicht.