Ex-„Tagesschau“-Sprecherin bei „Bild“

Wie man aus einer Milchmädchenrechnung eine Schlagzeile macht

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Die frühere „Tagesschau“-Sprecherin Karolin Kandler hat in „Bild“ (€) ihr Leid geklagt. Sie habe „bei der ,Tagesschau‘ vier Jahre lang fast umsonst gearbeitet!“, behauptet die 37-Jährige. „Und da fragst du dich als Frau am Ende: Lohnt sich die Arbeit dann überhaupt noch? Rechnet sich das?“

„Endlich“ rede mal jemand „Klartext über Kinder als Karriereblockade – und wie schwer es Müttern gemacht wird, neben Kids und Kita noch zu arbeiten!“, schreibt „Bild“. Als hätte sowas noch nie jemand klar ausgesprochen, und als wäre Karolin Kandler die perfekte Person, um das mal klar auszusprechen.

„Bild Plus“-Artikel über Karolin Kandler
Nicht umsonst: „Bild Plus“-Artikel über Karolin Kandler Screenshot: Bild.de

„Fast umsonst“ bei der „Tagesschau“ arbeiten – das klingt, als würde die ARD Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter ausbeuten. „Bild“ meldet so etwas natürlich gerne, das Zitat steht gleich in der Überschrift. Schlechte Nachrichten über die ARD (und das ZDF) gehören bei „Bild“ gewissermaßen zum Markenkern.

Pendeln von München nach Hamburg

Dass sich der Job für Kandler nicht rentierte, liegt aber möglicherweise gar nicht so sehr an der ARD, sondern, nun ja, an Kandler. Und an ihrem Mann. Karolin Kandler lebt mit ihrer Familie in München, die „Tagesschau“ wird in Hamburg produziert. Die Nachrichten-Sprecherin musste da also hinfahren, „mehrmals im Monat“, oder genauer gesagt: sechs Mal, so erzählt sie das.

„Sie rechnet vor: ,Sechs Tage arbeiten im Monat haben mich mindestens 550 Euro für Hotel, 500 Euro für Bahnfahrten und manchmal bis zu 900 Euro für zwei Babysitter gekostet, wenn meine Mutter nicht helfen konnte und ich beide Kinder in München und in Hamburg unterbringen musste‘.“

Das Doofe ist nämlich: Ihr Mann, ein „selbständiger Unternehmer“, der seine eigene Firma führe, ist laut „Bild“ „intensiv eingespannt“, der kann wohl nicht so viel tun. Und auch wenn „der Mann“ mithelfe, bleibe „die Hauptarbeit doch meist an uns Frauen hängen“, sagt Kandler. Sie richtet diese Klage an die „Bild“-Öffentlichkeit, um über die schwierige Vereinbarkeit von Job und Familie zu sprechen. Relevantes Thema, durchaus – aber gute Beispielrechnung?

„Was sie und viele andere Mamas dieser Doppel-Job kostet, darüber redet niemand gerne“, schreibt „Bild“. Kandler tue es „trotzdem“. Sie habe 2.100 Euro verdient, 350 Euro pro Sendung – und 1.950 Euro ausgegeben für Hotel, Bahn, Babysitter. „Der Rest ging für Essen drauf“, sagt Kandler. Blieb also angeblich nichts übrig.

Doch: Stimmt die Rechnung so überhaupt? Stimmt es, dass Kandler an sechs Tagen bei der „Tagesschau“ oder „Tagesschau24“, wo sie einst auch Nachrichten vorlas, jeweils 350 Euro bekommen hat? Für eine Sendung pro Tag?

Der NDR schreibt auf unsere Anfrage:

„Bei ,Tagesschau24‘ arbeiten die Moderatorinnen und Moderatoren in Schichten. Hierfür wird ein festes Honorar von deutlich über 350 € bezahlt. Zusätzlich zu diesem Honorar gibt es noch einen Online-Zuschlag.“

An Wochenenden sprächen Moderatoren von „Tagesschau24“ darüber hinaus auch „die kurzen ,Tagesschau‘-Ausgaben im Ersten, wofür sie extra honoriert werden“. Kandler habe „häufig Wochenenden angeboten“, schreibt der NDR, sie „musste daher auch mehrfach anreisen“.

Mehrere Moderationen pro Tag üblich

Das Honorar für die Ausgaben der „Tagesschau“ im Ersten benennt der NDR auf Anfrage nicht, es kursiert aber ohnehin. Es sind so 260, 270 Euro für die Hauptausgabe um 20 Uhr, für die Tagesausgaben gibt es offenbar weniger; Jan Hofer, der frühere Chefsprecher der „Tagesschau“, hat das mal erzählt und auch auf das hingewiesen, was der NDR nun auf unsere Anfrage schreibt: Dass die Sprecher:innen „in der Regel mehrere Sendungen am Tag“ machen, „so dass sich die Honorare summieren“. Dass Kandler an einem Tag nur eine Sendung gemacht hat, für die sie bezahlt wurde, ist also unwahrscheinlich.

Demnach dürfte Karolin Kandler an sechs Tagen „Tagesschau“ im Monat mehr erwirtschaftet haben, als sie und „Bild“ vorrechnen. Und ist das nicht ohnehin eine Milchmädchenrechnung, wenn „Bild“ nicht berücksichtigt, was man so bei der Steuer absetzen kann, etwa berufsrelevante Kosten wie Bahnfahrten? Mal abgesehen von der generellen Möglichkeit, einfach nicht im fernen Hamburg zu arbeiten, wenn man in München residiert.

Aber Karolin Kandler will auch nicht zu laut klagen. Sie hat „fast umsonst“ bei der „Tagesschau“ gearbeitet, aber doch nicht umsonst: Sie habe „versucht“, sagt sie, ihren früheren Job „als Investment in meine Zukunft zu sehen, dann tat das Geld nicht so sehr weh. Und ich finde, es hat sich gelohnt!“

Das kann man sagen. So kann das Management der Moderatorin nun auf seine Website schreiben, dass Karolin Kandler „vier Jahre Teil des Moderatorenteams der bekanntesten Nachrichtensendung Deutschlands“ war. „Somit strahlt Karolin Kandler Kompetenz, Souveränität und Glaubwürdigkeit aus.“ Diese unter anderem bei der ARD hart erarbeitete Glaubwürdigkeit kann sie wieder einsetzen: „Nebenbei“, schreibt ihr Management, „moderiert Karolin Kandler hochkarätige Gala-Events, Podiumsdiskussionen und Preisverleihungen“.

Ob sich das rechnet, ist unklar, aber sorgen muss man sich wohl nicht: Karolin Kandler arbeitet inzwischen bei ProSieben in München, das spart das Reisen; sie moderiert hie und da noch nebenbei; sie hat einen Schwangerschaftspodcast namens „Mom2B“; und sie ist jetzt in den Schlagzeilen: Die „Bild“-Story wurde von vielen Medien aufgegriffen, auch immer mit der Überschrift, wie wenig Kandler bei der „Tagesschau“ verdient habe. Oder wie der „Stern“ titelt:

„Reich wurde sie mit der ,Tagesschau‘ nicht“


Offenlegung: Ich habe vor einigen Jahren gelegentlich bei „Tagesschau24“ Kultur-Beiträge anmoderiert.

3 Kommentare

  1. Joah…
    Allein das Konzept, von München nach Hamburg zu pendeln, ist schon sehr… speziell.
    Ob es jemanden in D. gibt mit einem noch längeren Arbeitsweg für ein noch kleineres Tagessalär?

  2. vor rund 30 jahren erzählte mir eine frau in berlin, die immer wieder mal für den deutschlandfunk arbeitete, dass einem kollegen die anreise aus münchen und die übernachtung in berlin bezahlt werden würde. fand ich nahezu unglaublich. stimmte vielleicht auch nicht…oder nicht mehr…
    jedenfalls wäre vielleicht wirklich nachfragenswert, wie da so die vertragsmodalitäten sind…

    übrigens: die dame hätte sich eine bahncard 100 zulegen können. deutlich unter 6000€…

  3. Rein von der Logik her – wenn man für die Arbeit irgendwo übernachten muss, ist es legitim, diese Kosten in Rechnung zu stellen. Ebenso die der Anreise. Wenn Arbeitgeber oder Auftraggeber das nicht zahlen wollen, sollen die halt jemanden aus der Gegend nehmen, und man sucht sich selbst umgekehrt auch ein näheres Betätigungsfeld.

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