Wochenschau (143)

Die Monster, die das Trash-TV schuf

Michael Wendler in der RTL-Live-Show "Pocher vs. Wendler - Schluss mit lustig" 2020.
RTL-Show „Pocher vs. Wendler – Schluss mit lustig“ 2020 Foto: IMAGO / Future Image

Manchmal frage ich mich, was Fernsehmachende sich so denken, wenn sie auf ihre Stars schauen, die dank ihrer Sendungen am Trash-TV-Himmel stehen. Und wie es für sie ist, wenn sie plötzlich dabei zuschauen müssen, wenn sich eines dieser Sternchen nach einem kometenhaften Aufstieg aufgrund von Verhaltensauffälligkeit, Grenzüberschreitung, Menschenfeindlichkeit oder einer schwierigen Vergangenheit unaufhaltsam in einen cholerischen roten Zwerg verwandelt, im öffentlichen Diskurs implodiert und schließlich als schwarzes Loch alles bedroht, was sich im Gravitationsfeld befindet: Produktionsfirmen, Sender, Teilnehmende.

Das jüngste Beispiel: Michael Wendler. Sein unerwartet angekündigtes Comeback endete nach breitem öffentlichen Entsetzen mit dem Beschluss von RTL Zwei, die geplante Baby-Doku-Soap doch nicht zu drehen. Doch man fragt sich immer noch: Was für ein verwegener unternehmerischer Masochismus, welches undurchsichtige Entertainment-Kalkül hatten den Grünwalder Sender und die EndemolShine Germany da wohl geritten? Es ist davon auszugehen, dass das nicht das letzte Mal war, dass sich ein Sender und eine Produktionsfirma mit der Frage auseinandersetzen müssen, ob sie nicht doch auch eine gewisse gesellschaftspolitische Verantwortung für ihre Zöglinge tragen, die sie in die Welt entsenden.

Die Krawallballermannbardin Melanie Müller, unter anderem Siegerin des achten Dschungelcamps, soll Mitte September während eines Auftrittes mehrfach den Hitlergruß gezeigt haben. Sie wehrte sich gegen den Vorwurf, erklärte, dass die Handbewegung, die wie ein Hitlergruß aussehe, nur dem Einheizen diene, und sie diese Geste bereits zuvor gemacht habe. Dieser Verdacht hatte eine Hausdurchsuchung ihrer Wohnung durch die Polizei zur Folge. Laut RTL-Recherche scheint es bei Müller eine Nähe zur rechtsextremistischen Szene zu geben. Der Sicherheitsfirma Asgaard, mit der sie zusammenarbeitet, sei immer wieder durch rechtsextreme Umtrieben aufgefallen. Zudem läuft auch noch eine Ermittlung gegen unbekannt, weil bei ihrem Auftritt rechtsradikale und nationalsozialistische Äußerungen gefallen sein sollen.

„Bon Schlonzo“ verurteilt

Der Politikerenkel und „Love Island“-Dauer-Toucher Henrik „Bon Schlonzo“ Stoltenberg flog 2021 aus den Dreharbeiten der RTL-Sendung „Promis unter Palmen“, da er gegenüber seiner Mitkandidatin Melanie Müller Drohgebärden gezeigt haben soll. Im Sommer 2022 schrie er „Heil Hitler“ aus seiner Kölner Wohnung, vier Wochen später randalierte er auf einer Baustelle und brüllte dabei „Scheiß Kanaken! Man müsste den allen den Hals abschneiden“. Ende Februar wurde er wegen Volksverhetzung und Verwendung verfassungsfeindlicher Symbole zu einer Strafe von 15.000 Euro verurteilt. Die Dreharbeiten für eine Realityshow, die zu diesem Zeitpunkt mit RTL stattfanden, wurden vom Kölner Sender sofort eingestellt. Zudem wurden alle Episoden verschiedener TV-Formate, in denen er zu sehen war, aus der Mediathek entfernt.

Und bisweilen sind es auch Vorfälle, die schon etwas länger zurückliegen, die die Reality-Star-Pläne von Teilnehmenden durchkreuzen und die Sender zu einer Positionierung zwingen: So tauchte zum Beispiel in der Woche, in der Bastian Yotta die mit 100.000 Euro dotierte Show „Promis unter Palmen“ als Gewinner verlassen sollte, ein Video auf, das mutmaßlich zeigt, wie der Unternehmer einen kleinen Dackel malträtiert und ihn mit Steinen bewirft. In einem anderen Video erklärte er in Andrew-Tate-Männer-Coaching-Manier, wie man Frauen vergewaltigt. Gewonnen hatte Yotta in der voraufgezeichneten Sendung bereits. Man konnte ihm das Geld wegen der mutmaßlichen Tierquälerei offensichtlich nicht verwehren. Jedoch wäre es ein fatales wie ungerechtes Signal gewesen, im Fernsehen auszustrahlen, wie ein mutmaßlicher Hundetreter und notorischer Mobber eine so hohe Siegesprämie abstaubt. Nach Bekanntwerden der Vorwürfe entschied sich Sat.1 also dazu, die letzte Folge mit der gebotenen Halbherzigkeit wegzusenden, ihn vom großen Wiedersehen auszuschließen und zudem eine zukünftige Zusammenarbeit abzulehnen. Heute bastelt Yotta weiter an seiner Erotikkarriere mit supersympathischen Pornovideos auf Onlyfans.

Das Pult der Jury von "Deutschland sucht den SuperStar" mit einem einsamen Michael Wendler, der nicht zu sehen ist
Keiner da, außer dem Wendler. Und der ja irgendwie auch nicht. Screenshot: TVNow/RTL

Kreativer handhabte es RTL, als 2021 Michael Wendler, Jury-Mitglied bei „Deutschland sucht den Superstar“ (DSDS), plötzlich die Öffentlichkeit an seinen antisemitischen Auslassungen teilhaben ließ und von einer Gleichschaltung der Medien sprach. Zu diesem Moment waren die Folgen bereits abgedreht. RTL distanzierte sich noch während der laufenden DSDS-Staffel und schnitt „den Wendler“ buchstäblich aus dem bereits aufgezeichneten Material heraus, beziehungsweise wurde er durch einen Filter unkenntlich gemacht. 

Die Mad-Scientist-Situation

Deutsche Privatsender haben also schon häufiger Persönlichkeiten eine öffentliche Bühne bereitet, die später unethisches, rassistisches und sexistisches Verhalten zur Schau stellten. Bei jeder Besetzung eines Ensembles für ihre aktuellen Realityshows befinden sich die Produktionsfirmen in einer Art Mad-Scientist-Situation. Sie sollten verantwortungsvoll mit diesen einzelnen toxischen Elementen aus dem explosiven Periodensystemen umgehen, um nicht von den kleinen Biestern, die sie da mit Sendezeit erschaffen, verfolgt zu werden. Aber Schöpfungen solcher Reality-Fernsehlabore werfen stets die Frage auf: Wie sollen die Sender mit ihren Stars umgehen, wenn deren Skandale plötzlich ans Licht kommen?

Ein Faktor ist, dass bereits im Castingprozess für diese Formate häufiger Menschen mit einem fragwürdigen Wertekompass vorstellig werden, oder mit einer niedrigeren Hemmschwelle, was generelle Grenzübertritte angeht. Das bedeutet natürlich nicht, dass Extraversion, Impulsivität und Hang zur Polemik automatisch mit einem amoralischen oder kriminellen Verhalten vor oder nach der Sendung einhergehen. Aber andersherum brauchen alle, die gerne die Grenzen des Sagbaren überschreiten, ein gewisses Maß an Polarisierungswillen und Hemmungslosigkeit, was zufälligerweise nicht die schlechtesten Eigenschaften sind, um im Reality-Starbusiness erfolgreich Reichweite zu generieren. Im Design der Sendungen, auch und unbedingt kontroverse Figuren besetzen zu müssen, liegt auch die Gefahr, untragbare Gestalten groß und sichtbar zu machen.

Anders ausgedrückt: Die Produktionsfirma muss darauf wetten, dass der laute, anstrengende, manipulative Typ, der alle Frauen auf „Love Island“ oder „Temptation Island“ gleichzeitig klar machen will, sich zumindest nicht danach als krimineller, toxischer Misogynling entpuppt. In der Trashtemperatur schon so ein paar Calvin, aber eben keinen Yotta mehr. Und sie müssen darauf hoffen und spekulieren, dass die Publikumsreichweite und Fanliebe, die er erfährt, für ihn nicht zur Bestätigung all seiner untragbaren Eigenschaften wird, er nicht aus entstehender Prominentenhybris glaubt, mit falschem Handeln doch gar nicht so falsch liegen zu können.

Die öffentliche Distanzierung ist mittlerweile so inflationär geworden, dass es ein eigenes Genre geworden ist, dennoch ist und bleibt sie so notwendig wie sinnvoll. In Anbetracht der Tragweite solcher Skandale, der Krassheit der Grenzüberschreitungen und der gesellschaftlichen Konsequenzen ist es unerlässlich, dass sich die Sender von ihren ehemaligen Schützlingen abgrenzen und deren Verfehlungen sozial sanktionieren. Nämlich, indem sie deutlich machen, dass diese keinen Platz in ihrer Programmgestaltung haben.

Trash-TV ist moralischer als sein Ruf

Und vielleicht gilt das gerade im Trash-TV ganz besonders, denn entgegen seines schlechten Rufs, besonders amoralisch und verlottert zu sein – „Durchnudel-TV“, wie Dieter Bohlen vielleicht sagen würde – sind es Formate, die moralisch hochgradig aufgeladen sind, die innerhalb der Formatlogik versuchen, Gerechtigkeit herzustellen. Ob durch ein Zuschauerkorrektiv, das die fiesesten Pöbler früher oder später rauswählt, oder ein Spielsystem, das Kooperation und Fairness belohnt und Lügen bestraft. Wenn beispielsweise Moderatorin Sophia Thomalla in „Are you the one“ die Liebesflunkerei einzelner Kandidat:innen nicht durchgehen lässt, oder wenn im „Sommerhaus der Stars“ das Spiel „Reinen Wein einschenken“ gespielt wird.

Trash-TV muss selbst nicht ethisch sein und ist es oft nicht, aber sein Kern ist es, Ethik fürs Entertainment zu verhandeln. Realityshows sind immer die Bewertung menschlichen Handelns nach Gesichtspunkten der Sozialverträglichkeit und wie diese dem Strategischen und Spieltheoretischen widersprechen.

Medienwissenschaftler Gay Hawkins stellte in seinem Aufsatz „The Ethics of Television“ fest, dass das Fernsehen unser ethisches Empfinden prägt, denn „Ethik ist zur Unterhaltung geworden“. Sender sollten also nicht einen Selbstanspruch pflegen, obwohl es „Durchnudel-Sendungen“ sind, sondern gerade eben bei diesen ganz besonders. Weil diese Sendungen Einfluss darauf nehmen, wie wir Dinge bewerten.

Die Kulturtheoretikerinnen Kristie Bunton und Wendy Wyatt schreiben in „Ethics of Reality TV“, dass „die Texte des Reality-TV ethisch aufgeladen (sind), und sie sind in einer Weise von Bedeutung, die einen echten Einfluss auf unser ethisches Leben hat. (…) Das Reality-Fernsehen trägt – wie alle Kommunikation – dazu bei, die Art und Weise, wie wir die Welt sehen und mit ihr umgehen, zu formen“. Deswegen ist der Sender-Umgang mit den Reality-Akteur:innen nach ihren Ausfällen so enorm wichtig. Dieses Verhalten legt fest, ob wir Verschiebungen des Sagbaren, auch nachdem die Produktion abgedreht und die Gewinnsummen eingesackt wurden, zulassen oder nicht.

Damit dies aber nicht rein performativ oder in Selbstgefälligkeit hängen bleibt, gilt es die eigene Verantwortung zu reflektieren. Und dafür braucht es transparente Selbstkritik: Wie sind wir hier gelandet? Und im Falle der zwischenzeitlichen Entscheidung, wieder den Wendler On Air gehen zu lassen, fragt man sich besonders, welche Kontrollmechanismen hier offensichtlich nicht gegriffen hatten.

Daran angeschlossen bleibt die Frage, ob man den Trash-TV-Stars noch eine Chance geben sollte. Hier liegt es im Ermessen der Sender: Ist die Einsicht glaubhaft oder wird die Reue nur inszeniert? Wie Xavier Naidoo dies handhabte war umstritten, aber worüber es zumindest eine Verständigung geben konnte: dass die jahrelange Verbreitung der konspirativen Ideologien nicht mit einer Entschuldigung auf Youtube rehabilitiert werden kann. Beim Wendler wäre dies ja auch schon mal ein kleiner, nicht ausreichender, aber notwendiger Anfang: eine Entschuldigung.

 

3 Kommentare

  1. Dass „Trash-TV“ nicht notwendigerweise unmoralische Menschen anzieht, hat man mMn gesehen, als Zietlow und Hartwich u.a. aus Respekt für den kürzlich verstorbenen Dirk Bach auf einen Preis verzichteten.
    Und das man als Fernsehschaffende wie alle Menschen eine Verantwortung für moralisches Verhalten hat, ist sicher richtig.
    Aber hier ist das doch eine rein kaufmännische Entscheidung – Kandidaten, Moderatoren und sonstige Gesichter müssen einerseits Grenzen überschreiten, um Publikum anzulocken, aber nicht so sehr, um es wieder abzuschrecken, bei einer goldenen Mitte sind maximale Zuschauerzahlen und Werbeeinnahmen erreicht; bei Wendler hat man anscheinend erst durch andere Reaktionen gemerkt, wie weit der „drüber“ ist.
    Inwieweit vermittelt so eine Entscheidung Ethik?
    Und wie ethisch ist es, ein Format zu entwickeln, was durch Fremdschämen und Schadenfreude Unterhaltung erzeugt?
    Soll heißen, der Kritik gebe ich grundsätzlich Recht, aber nicht im Detail. :-)

  2. Muss meinem Vorredner leider Recht geben: Trash TV ist nicht aus dem Nichts entstanden, sondern ist das Endergebnis einer Verkettung von systemischen Umständen, die mit Kohl Buddy Leo Kirch angefangen haben:
    Nach der liberalisierung des Fernsehmarktes in Deutschland schossen die Privatsenser wie Pilze aus dem Boden. Unter anderem auch deshalb, weil die Kirch Gruppe sie mit Sendematerial (neudeutsch auch „Content“ genannt) aus den USA versorgte. Die Lawine an Material verlangte Quasi immer mehr Sender, die das Ganze auch zeigten, RTL (Plus) kam sogar mit Spinoffs wie RTL 2 und Super RTL um die Ecke, nur um noch mehr senden zu können als Sat1 und Pro7 und Tele5 und wie sie alle heißen. Bezahlfernsehen war die das große Ding der Deutschen. „Warum soll ich für was bezahlen, das ich gratis haben kann?“ Es gab also eine klare Abhängigkeit von fremdem Content, der über Werbeeinnahmen Querfinanziert wurde.
    Problem:
    Mit dem Internet setzten sich auch neue Möglichkeiten für die Rechteinhsaber durch: Disney und Co. lassen ihren Content auf ihren eigenen Plattformen Streamen. Dieser Content fehlt nun, dutzende Privatsender müssen sich also was einfallen lassen, um das Programm zu füllen und, Überraschung, es darf alles nix kosten. Daher produziert man Dummbatzen Shows, die weniger Flughöhe haben als eine Runte Topfschlagen auf einem Kindergeburtstag.
    Wie Content produzieren richtig geht, hat Netflix mehrfach vorgemacht. Quasi: „Mach es so gut, dass es Talk of the town wird und die Leute freiwillig dafür zahlen wollen.“
    Talk of the town ist der Deutsche Trash Content auch, aber eben leider aus einem ganz anderen Grund …

  3. Ich mag Alex mit der These des „fehlenden Content“ nicht folgen. Big Brother und Dschungelcamp kamen vor Netflix und Disney+ in Deutschland. Der Trash war schon da bevor das Material aus ging.

Einen Kommentar schreiben

Mit dem Absenden stimmen Sie zu, dass Ihre Angaben gemäß unseren Datenschutzhinweisen gespeichert werden. Ihre E-Mail-Adresse wird nicht veröffentlicht.