Journalistenkinder

Wir tragen einen großen Namen

Als Susanne Schneider noch ein Kind war, spielte ihr Vater mit ihr und ihrem Bruder beim Frühstück Sprachspiele: Wer einen Satz nicht korrekt vollendete, musste eine Münze in eine Kasse werfen. Dass sie als Tochter des berühmten Journalisten Wolf Schneider auf diese Weise ein Gefühl für Sprache entwickelte, liegt auf der Hand. Aber dass sie später Textchefin des „SZ Magazins“ wurde, sei ihr eigener Verdienst gewesen, betont Susanne Schneider: „Ich kann meinen Beruf einfach.“

Wolf Schneider als Moderator der NDR Talkshow
Wolf Schneider als Moderator der „NDR Talkshow“ Foto: Imago / teuropress

Im Übermedien-Gespräch erzählt sie, wie gerne sie an die Hamburger Henri-Nannen-Schule gegangen wäre – nicht, weil ihr Vater sie leitete, sondern weil es dort ein Ausbildungsgehalt gab. Dass sie den Platz ohne Hilfe ihres Vaters bekommen hätte, würde ihr aber niemand glauben, warnte dieser damals. Also versuchte es Susanne Schneider an der renommierten Deutschen Journalistenschule (DJS) in München und bestand die Prüfung mit Bravour. Ihr erstes Praktikum hatte ihr ihr Vater vorher aber schon verschafft, indem er den damaligen Leiter der Landkreisausgaben der „Süddeutschen Zeitung“ angerufen hatte.

Vitamin V sei Dank?

Es scheint so einfach, wenn Kinder großer Journalist:innen in die Fußstapfen ihrer Eltern treten wollen. Eine Nachricht an den befreundeten Redakteur und, zack, ist das Praktikum für die Tochter gesichert. Die unbefristete Stelle im großen Medienhaus – tütet Mama oder Papa schon ein! Sobald Journalistenkinder in die Medien gehen, begleitet sie der Verdacht, ihren Erfolg den Beziehungen ihrer Eltern zu verdanken. Aber ist das wirklich so?

Als im August bei „Business Insider“ zu lesen war, eine NDR-Führungskraft habe eine der begehrten Festanstellungen an ihre eigene Tochter vermittelt, passte das ins Bild, das manche vor allem von öffentlich-rechtlichen Medienhäusern haben: alles Vetternwirtschaft und Mauschelei! Im konkreten Fall wies eine NDR-Sprecherin die Vorwürfe zurück, die Stelle sei ordentlich vergeben worden. Das Hamburger Landgericht untersagte später die Berichterstattung darüber, weil „Business Insider“ und „Bild“ nicht ausreichend Beweise für ihre Behauptung vorlegen konnten.

Wir haben für diesen Text mehrere Journalist:innen, deren Eltern große Namen haben, angefragt. Ein Journalist, der im selben öffentlich-rechtlichen Sender wie einst sein Vater arbeitet, sagte ohne Begründung ab. Andere sind offener und haben sich ganz bewusst einen eigenen Karriereweg gesucht, abseits vom Erfolg ihrer Eltern.

Frederik Pleitgen zum Beispiel, Sohn des ehemaligen USA-Korrespondenten der ARD und späteren WDR-Intendanten Fritz Pleitgen, arbeitet seit Jahren als Korrespondent für CNN – einen Sender, in dem die wenigsten seinen Vater kennen. „Ich glaube schon, dass mir der Einstieg in den Beruf extrem erleichtert wurde“, sagt der 46-Jährige, der sich von einer Recherchereise aus Moskau meldet.

Frederik Pleiten mit seinem Vater Fritz Pleitgen
Frederik Pleiten mit seinem Vater Fritz Pleitgen, der 2022 starb Foto: IMAGO / Günther Ortmann

Sieben bis acht Praktika hat Frederik Pleitgen zum Berufsstart absolviert und gibt zu: „Ich weiß nicht, wie viele davon ich ohne meinen Namen bekommen hätte. Da gab es schon Leute, die damals meines Erachtens bessere Journalisten waren als ich.“ Für ihn sei es deshalb umso wichtiger gewesen, sich besonders reinzuhängen und „jede Arbeit zu jeder Zeit“ zu übernehmen. Seine ersten festen Anstellungen hatte er später bei Privatsendern, bei RTL und n-tv. Um die ARD habe er einen Bogen gemacht – aber auch deshalb, weil das zu seinen Interessen gepasst habe.

Bei CNN sei er gelandet, weil er während eines Stipendienprogramms in Atlanta 2005 spontan ein Auto mietete, um mit einem Kollegen über Hurrikan Katrina zu berichten. Monate später bekam er eine Stelle als CNN-Korrespondent in Berlin angeboten.

Ob er als junger Journalist auch einen Job angenommen hätte, den ihm sein Vater vermittelt hätte? Ausschließen könne er das rückblickend nicht, sagt Pleitgen – wohl aber, dass Fritz Pleitgen mit einem solchen Angebot jemals auf ihn zugekommen wäre. Er hatte in ihm aber über Jahrzehnte hinweg einen Ratgeber, wenn er bei Karriereentscheidungen oder journalistischen Themen unsicher war.

Akademiker-Kinder im Vorteil

Repräsentative Zahlen, wie oft Journalistenkinder den Beruf ihrer Eltern ergreifen, lassen sich nicht finden. Es gibt aber Hinweise darauf, dass es nicht sonderlich oft vorkommt. Einer Untersuchung der Friedrich-Ebert-Stiftung zufolge sei es in den Anfangsjahren der DJS durchaus vorgekommen, „dass Söhne und Töchter von Verlegern, Intendanten und Chefredakteuren das Nadelöhr ‚Aufnahmeprüfung‘ durchdringen konnten und einen der begehrten Ausbildungsplätze erhielten“. Zwischen 1985 und 2005 hätten aber nur wenige Journalistenkinder an den großen deutschen Journalistenschulen gelernt.

Daran scheint sich wenig geändert zu haben: Die Mainzer Forscherin Julia Lück hat 2019 für die Studie „Talente und Vielfalt in der Medienbranche“ die Elternberufe von 20 Nachwuchsjournalist:innen von der Deutschen Journalistenschule, der Henri-Nannen-Schule, der RTL-Journalistenschule und von ZDF-Volontär:innen abgefragt. „Es gab nur eine Person, die berichtet hat, dass der Vater auch Journalist war, dann aber noch zum Lehramt gewechselt ist“, schreibt Julia Lück auf Übermedien-Anfrage. Auch als sie 2018 bis 2020 rund 60 Studierende im Journalismus-Master der Uni Mainz befragte, habe es nur einen einzigen gegeben, dessen Vater Journalist gewesen sei. Die mit Abstand am häufigste vertretene Berufsgruppe bei den Eltern sei Lehrer:in, so Julia Lück.

In deutschen Redaktionen sitzen also zwar nicht unbedingt Journalisten-, aber doch viele Akademikerkinder. Dank ihrer Eltern haben sie bei ihren Karrieren einen Startvorteil, können sich auch schlecht bezahlte Praktika leisten und bringen wichtiges Vorwissen mit. Arbeiterkinder haben es hingegen immer noch schwer – was sich in mangelnder Diversität auch in der Berichterstattung widerspiegelt.

„Hinzu kommt in den Medien und in der Wissenschaft noch, dass diese keine klar vorstrukturierten Karrierewege anbieten, über die die meisten Studierenden klare Vorstellungen haben, sondern dass Beziehungen und Informationen durch Insider wichtig sind, um den richtigen Einstieg zu finden“, schreibt die Elitenforscherin Ursula Hoffmann-Lange von der Uni Bamberg auf Übermedien-Anfrage. Hier unterscheidet sich der Weg in den Journalismus, der sehr unterschiedlich verlaufen kann, von dem des Zahnarzt-Sohnes, der in erster Linie Zahnmedizin studieren muss, wenn er später die Praxis seiner Mutter übernehmen möchte.

Die Wissenschaftlerin betont aber auch: Kinder von erfolgreichen Eltern hätten zwar bessere Chancen auf eine gute Ausbildung und bekämen teilweise auch direkte Hilfestellung beim Einstieg. Aber wie weit jemand im Beruf komme, hänge von vielen anderen Faktoren ab, darunter Begabung, Intelligenz, Ehrgeiz, Zähigkeit und soziale Kompetenz.

„Mein Name hat nichts gebracht“

Barbara Lueg ist die Tochter des legendären WDR-Journalisten Ernst-Dieter Lueg, der vor allem durch ein Interview mit dem damaligen SPD-Politiker Herbert Wehner in Erinnerung geblieben ist (Herr „Lüg“ und Herr „Wöhner“). Heute arbeitet sie als ZDF-Reporterin im Landesstudio Bayern, hat zuletzt aus Kairo über das türkisch-syrische Erdbeben berichtet. Schon früh habe sie Journalistin werden wollen, sagt Barbara Lueg. In ihrem Elternhaus hätten sie die vielen Journalisten, die regelmäßig zu Besuch kamen, sehr beeindruckt.

Journalistin Barbara Lueg mit ihrem Vater Ernst Dieter Lueg
Journalistin Barbara Lueg mit ihrem Vater Ernst Dieter Lueg Foto: privat

Ihre eigene Laufbahn begann als Schülerpraktikantin bei Lokalzeitungen im Ruhrgebiet. „Es kann sein, dass ich das eine oder andere Praktikum durch einen Namen oder vielleicht sogar auch einen Anruf bekommen habe“, sagt Barabara Lueg. Ihr weiterer Weg war dennoch eher klassisch: Während des Studiums schrieb sie erst bei einer Lokalzeitung über „Kaninchenzüchterverein und Karneval“, arbeitete später als freie Mitarbeiterin für HR und SWR.

„Ich bin an sämtlichen Journalistenschulen und auch beim ZDF-Volontariat abgelehnt worden. Da hat mein Name nichts gebracht“, sagt Barbara Lueg. Sie übernahm als Studentin einen Job in der „Ablaufredaktion“ einer ZDF-Nachmittagssendung, und durfte dort schließlich ihren ersten Dreiminüter über ein Seniorengefängnis drehen. An dem Tag sei sie endgültig aus dem Schatten ihres Vaters getreten, erzählt sie: „Da habe ich gedacht: So, das ist jetzt dein Moment. Jetzt bist du du.“ Die 57-Jährige ist überzeugt, dass sie auch ohne ihren Vater im Journalismus gelandet wäre. „Jeder, der sich im Beruf durchsetzt, will das ja nun aus eigenen Stücken machen.“

„Chefredaktörin“

Auch die Journalistin Sarah Koldehoff stellt klar: „Die Medien, für die ich arbeite, sind nicht durch Connections meiner Eltern zustande gekommen und so wird es auch in Zukunft nicht sein.“ Ihr Vater, Stefan Koldehoff, ist Chefreporter Kultur beim Deutschlandradio, ihre Mutter freie Journalistin. Die 24-Jährige studiert im Master Psychologie, arbeitet als freie Journalistin für Wissenschaftsthemen und hostet seit Kurzem den „funk“-Podcast „Der Fall“, in dem sie mit der Kriminalpsychologin Lydia Benecke die Hintergründe von Verbrechen beleuchtet.

Porträt Sarah Koldehoff
Sarah Koldehoff Foto: Nora Koldehoff

Sie habe Psychologie studiert, um eben nicht das Gleiche wie ihre Eltern zu machen, sich dann aber doch für Journalismus interessiert. „Ich hatte manchmal das Gefühl, dass die Rolle des Journalisten in der Familie schon besetzt ist und ich etwas Eigenes machen möchte“, erzählt sie. Ihre Mutter habe ihr dann aber gesagt, es ergebe wenig Sinn, nur wegen ihrer Eltern auf den Beruf zu verzichten, den sie eigentlich machen will.

„Es war mir wichtig, keine Praktika über Vitamin B zu bekommen, weil man dann mit einem anderen Selbstverständnis in den Job geht“, sagt Sarah Koldehoff. Für ein „Zeit“-Praktikum bewarb sie sich regulär und konnte danach als freie Mitarbeiterin weitermachen. „funk“ habe sie später zu einem Podcast-Casting eingeladen und ihr anschließend die Rolle als Host angeboten. Sich beim Sender ihres Vaters zu bewerben, komme für sie nicht in Frage, solange er dort arbeitet.

Dennoch: „Zu sagen, dass ich das ganz allein geschafft hätte, käme mir unreflektiert vor“, sagt Sarah Koldehoff. Dass sie aus ihrem Elternhaus schon früh Medienkompetenz, Sprachgefühl und Hintergrundwissen über die Branche mitbekommen habe, habe ihr natürlich etwas gebracht. Auch dass sie vom „Medium“-Magazin schon mit Anfang 20 zu einer der „besten 30 unter 30“ gekürt worden ist, habe indirekt mit ihrem Elternhaus zu tun. Sie habe früh über Wege in den Journalismus Bescheid gewusst und deswegen direkt loslegen können – anders als junge Menschen, die erst einmal herausfinden müssen, dass man auch ohne Studienabschluss schon journalistisch arbeiten kann. „Dass dieser Job für mich früh eine Option war, kam daher, dass ich das von meinen Eltern kannte“, sagt sie – schon als Kind bastelte sie sich ein Namensschild als „Chefredaktörin“.

Letztendlich ist wohl beides wahr: Erfolg gibt es nur mit eigener Leistung. Trotzdem profitieren Journalistenkinder von dem, was ihre Eltern ihnen „nebenbei“ mitgeben – mehr noch als von direkten Hilfestellungen. Zu behaupten, dass sie sich in gemachte Nester setzen, ist wohl zu einfach. Aber manche Eltern können ihren Küken eben besser beim Fliegenlernen helfen als andere.

 

6 Kommentare

  1. Ist nicht ein Kern des Privilegs, dass die Privilegierten es selbst nicht sehen oder klein reden? Und was sagt die Befragung von nur 20 Journalistenschülern aus, nichts wahrscheinlich – außer dass es sehr wenige Journalisten gemessen an der Gesamtbevölkerung gibt und ein Treffer da schon wieder was aussagt. Ich arbeite seit 12 Jahren im Journalismus, also noch gar nicht ewig, und könnte auf Anhieb 7 Journalistenkinder im Journalismus nennen, die natürlich profitiert haben von ihren Eltern. Und jedem Kollegen würden weitere Fälle einfallen. Und ob diejenigen profitiert haben und Privilegien hatten, können wohl eher jene sagen, die die Fälle miterlebt haben und nicht die gleichen Startchancen. Der Text lässt einen zum Thema eher ratlos zurück.

  2. Ich weiß ja nicht, welchen Text Du gelesen hast, Pia, aber es räumen doch die meisten ein, dass sie Vorteile und Privilegien hatten.

  3. „Auch dass sie vom „Medium“-Magazin schon mit Anfang 20 zu einer der „besten 30 unter 30“ gekürt worden sein,“ -> „gekürt worden sei,“

  4. Susanne Schneider, die Julian Lennon des deutschen Journalismus`…

    Dass einem ein großer Name Türen öffnet, dürfte ein Vorteil sein. Ein Nachteil ist, dass man, wenn man drin ist, ständig an diesem Namen gemessen wird – und von den Kollegen als Günstlingskind beargwohnt. Gleicht sich aus, täte ich sagen.

    Vitamin V ist bestimmt ein Problem. Aber von den Erfahrungen der Eltern zu profitieren, indem man deren Fähigkeiten mit der Muttermilch aufsaugt und deshalb jung schon gut ist – daran mag ich nun gar nichts Schlimmes finden.

  5. Die Frage lautet ja eher: haben (eher selbst reflektierte) Journalisten ein Problem damit dass aufgrund des Nachnamens in einer Position sind, in der sie sonst nicht wären? Fragen wir hierzu doch mal Ralph und Mick Schumacher, Fritz Kalkbrenner, Emma Schweiger und Agamemnon Böhmermann.

  6. Ich sag mal so – für die Bewerbung um die raren bezahlten Ausbildungsplätze sind solche Verbindungen ja anscheinend ganz gut, aber das liegt ja auch daran, dass es so wenige davon gibt.
    Ab Ende der Ausbildung wird die eigene Leistung oder deren Fehlen schwerer wiegen als der Elternbonus.
    Außerdem, was will man machen? Verbieten, dass Kinder die Berufe ihrer Eltern ergreifen?

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