Vor zwei Wochen haben wir hier berichtet, dass das ZDF bei einer Straßenumfrage zu einem Berliner Projekt der Grünen eine Frau interviewt hat, die ebenfalls bei den Grünen ist. Im Beitrag wurde das jedoch nicht transparent gemacht, was problematisch ist – und nicht das erste Mal.
Unter anderem beim rbb gab es vor einiger Zeit einen ähnlichen Fall. Auch hier wurde der politische Hintergrund eines Interviewten nicht erwähnt. Der Sender löschte den Beitrag daraufhin.
Nun hat die „Welt“ am Dienstag in ihrem Fernsehsender und auf Youtube über eine Aktion der „Letzten Generation“ berichtet. Zwei Aktivisten hatten vor dem Kanzleramt in Berlin einen kleinen Baum abgesägt, um so auf die Zerstörung von Wäldern aufmerksam zu machen. Das schreibt das Bündnis jedenfalls in einer Pressemitteilung.
++ Baum vor’m Kanzleramt gefällt ++
Stillschweigend werden pro Min. 42 Fußballfelder Wald gerodet, wichtige Kohlenstoffspeicher für unsere Zukunft.
Wirtschaft & Politik sägen an den Ästen, auf denen die Zivilisation sitzt.
„Bäume fällen für den Klimaschutz?“, fragt „Welt“ im Sprechertext des Beitrags. Auch „die Passanten“ reagierten darauf „mit Unverständnis“. Zu Wort kommt dann lediglich eine Person.
„Auf der einen Seite wollen sie [die Klimaschützer], dass die Politik Bäume pflanzt etc. pp.“, sagt der Mann namens Steven Hellmuth, „und dann macht man so wie da hinten, macht man die … reißt man die Bäume ab. Also, da fehlt mir wirklich … also, ich weiß nicht, ob die nix im Kopf haben.“
Was der Beitrag nicht erwähnt: Steven Hellmuth ist nicht nur irgendein x-beliebiger Passant, er ist Beisitzer im Landesverband Sachsen-Anhalt der Jungen Alternative. Der Journalist Julius Geiler hat darauf auf Twitter hingewiesen und auch noch mal an einen älteren Fall beim ZDF erinnert.
Zur Bundestagswahl 2021 hatte das ZDF einen bekannten Rechtsextremen, den so genannten „Volkslehrer“ Nikolai Nerling, bei einer Umfrage als ganz normalen Bürger auftreten lassen und ihm damit – wenngleich das, was er sagte, recht harmlos war – ein Forum geboten. Wir haben darüber berichtet.
Die Antwort des ZDF damals war bemerkenswert: Dass es sich bei einem der befragten Bürgerinnen und Bürger „um einen wegen Volksverhetzung verurteilten Neonazi handelt, konnte die Redaktion nicht erkennen“.
Doch ob Nerling oder Hellmuth: Auch wenn man sie nicht kennt, man hätte ihre Namen einfach nur googeln müssen. Und bei Steven Hellmuth hätte man ohnehin ahnen können, wo er sich engagiert. Es stand auf seiner Stirn.
Hellmuth trägt im Beitrag eine blaue Mütze, auf der „Unser Land zuerst!“ steht. Es ist eine Mütze aus dem AfD-Fanshop. Auf Steven Hellmuths Insta-Account ist sie gut zu erkennen. Im Beitrag hingegen ist die Mütze so angeschnitten, dass der Schriftzug nicht zu sehen ist.
War dem Sender klar, wen sie da vor der Kamera hat?
„Das war uns nicht bewusst“, schreibt eine „Welt“-Sprecherin auf Anfrage von Übermedien, Steven Hellmuth sei „nicht ‚gesichtsbekannt‘“.
„Wir haben das Material einer Nachrichtenagentur gesendet, die uns auch die Bezeichnung ‚Passant‘ für ihn mitgeliefert hat.“
Um welche Nachrichtenagentur es sich handelt, möchte der Sender auf Nachfrage von Übermedien nicht sagen: „Wir kommunizieren die Agenturen nicht, mit denen wir zusammenarbeiten“.
Weiter schreibt die Sprecherin:
„Alle unsere WELT TV-Reporter nehmen ihre journalistische Sorgfaltspflicht sehr ernst und kennzeichnen Personen von öffentlichem Interesse. Passanten werden in der Regel bei uns nicht mit Namen ausgewiesen. In diesem konkreten Fall wurde er eingeblendet, weil er von der Agentur mitgeliefert wurde.“
Auf unsere Frage, ob Vertreter der Jungen Alternative, die vom Verfassungsschutz beobachtet wird, grundsätzlich bei „Welt“ als Gesprächspartner in Frage kämen, schreibt der Sender: „Wie alle anderen Medienhäuser“ führe man grundsätzlich „Interviews mit Politikern der Bundes-AfD, wenn es der Anlass erfordert“. Die Junge Alternative und ihre Vertreter seien „keine relevanten Gesprächspartner für uns“.
Der Beitrag, in dem Steven Hellmuth auftritt, ein Vertreter der Jungen Alternative, steht trotzdem weiterhin im Youtube-Kanal der „Welt“.
Nachtrag, 23.2.2023. Das Youtube-Video wurde inzwischen gelöscht.
Der Autor
Boris Rosenkranz ist Gründer von Übermedien. Er hat an der Ruhr-Universität Bochum studiert, war „taz“-Redakteur und Volontär beim Norddeutschen Rundfunk. Anschließend arbeitete er dort für verschiedene Redaktionen, insbesondere für das Medienmagazin „Zapp“. Seit einigen Jahren ist er freier Autor des NDR-Satiremagazins „Extra 3“.
5 Kommentare
Kann da mal jemand checken ob der Anschnitt des Logos bereits vor Ort – durch entsprechende Kameraführung – geschah oder erst im Nachgang auf digitale Art und Weise?
@#1:
Beides problematisch. Der Kameramann wählt ja auch bewusst einen Bildausschnitt. Das ist sein Job. Es kann nicht sein, dass ihm das nicht aufgefallen ist. Ansonsten hat er seinen Job nicht gemacht.
Ich tippe eher auf Bullshit, was das Welt Statement angeht.
Offenbar gibt es hier einen Wettbewerb der Fernsehsender, wer sich am heftigsten blamiert: Das ZDF hat mit der Heidenreich-Sache schon tief ins Klo gegriffen und die Welt versucht das zu toppen, indem man einen Politiker mit einem AfD-Fanartikel mitten aufm Kopf als Durchschnittsbürger von der Straße präsentiert.
Als nächstes macht wahrscheinlich jemand eine Straßenumfrage zu Leopard-Lieferungen an die Ukraine und zufällig geht Olaf Scholz vorbei und darf sich als „Passant“ vor die Kamera stellen.
Ich finde allein dieses Befragen von Personen auf der Straße zu allen möglichen Themen schwierig. Was hat das für eine Relevanz, was Person X zu Thema Y zu „meinen hat“?
Da werden dann leider diese Meinungen 1:1 und ohne Einordnung, schlimmstenfalls auch noch bundesweit, einfach so ausgestrahlt.
Kann man das eigentlich nicht besser als Quiz veranstalten – man interviewt ausschließlich Parteipolitiker oder Personen, die einer bestimmten Partei nahestehen, und hinterher muss das Publikum raten, welche?
Kann da mal jemand checken ob der Anschnitt des Logos bereits vor Ort – durch entsprechende Kameraführung – geschah oder erst im Nachgang auf digitale Art und Weise?
@#1:
Beides problematisch. Der Kameramann wählt ja auch bewusst einen Bildausschnitt. Das ist sein Job. Es kann nicht sein, dass ihm das nicht aufgefallen ist. Ansonsten hat er seinen Job nicht gemacht.
Ich tippe eher auf Bullshit, was das Welt Statement angeht.
Offenbar gibt es hier einen Wettbewerb der Fernsehsender, wer sich am heftigsten blamiert: Das ZDF hat mit der Heidenreich-Sache schon tief ins Klo gegriffen und die Welt versucht das zu toppen, indem man einen Politiker mit einem AfD-Fanartikel mitten aufm Kopf als Durchschnittsbürger von der Straße präsentiert.
Als nächstes macht wahrscheinlich jemand eine Straßenumfrage zu Leopard-Lieferungen an die Ukraine und zufällig geht Olaf Scholz vorbei und darf sich als „Passant“ vor die Kamera stellen.
Ich finde allein dieses Befragen von Personen auf der Straße zu allen möglichen Themen schwierig. Was hat das für eine Relevanz, was Person X zu Thema Y zu „meinen hat“?
Da werden dann leider diese Meinungen 1:1 und ohne Einordnung, schlimmstenfalls auch noch bundesweit, einfach so ausgestrahlt.
Kann man das eigentlich nicht besser als Quiz veranstalten – man interviewt ausschließlich Parteipolitiker oder Personen, die einer bestimmten Partei nahestehen, und hinterher muss das Publikum raten, welche?