Straßenumfrage

Wie oft muss sowas passieren, bis es nicht mehr passiert?

In der ZDF-Sendung „Drehscheibe“ gehen sie gerne auf „Expedition“, weil das spannender klingt als „Straßenumfrage“. „Expedition Deutschland“ heißt die Rubrik, für die sich vergangene Woche, anlässlich der Wahl in Berlin, eine Reporterin auf die berühmte Friedrichstraße gestellt und dort mit Menschen darüber gesprochen hat, wie sie es finden, dass die Friedrichstraße seit kurzem mal wieder für den Autoverkehr gesperrt ist. Was Bettina Jarasch, die Umwelt-Senatorin der Stadt, so veranlasst hat. Jarasch tritt nämlich (wie schon bei der Berliner Pannenwahl 2021) als Spitzenkandidatin der Grünen an, und da kommt so ein Verkehrs-Projekt ganz gut, auch wenn es beileibe nicht alle gut finden.

Das ZDF hat sich deshalb mal umgehört, was die Leute auf der Straße denken. Eine Frau, die im Beitrag auftritt, wird als Marie Heidenreich vorgestellt, sie „arbeitet um die Ecke und spricht uns an“, erklärt die Reporterin. Heidenreich darf im ZDF schwärmen, wie „wahnsinnig ruhig“ und „wahnsinnig entspannt“ es auf der Friedrichstraße nun doch sei, „total schön ohne Autolärm“, eine „Oase zum Aufatmen“, wo man ganz toll mit den Kollegen „flanieren“ könne.

ZDF-Reporterin interviewt auf der Friedrichstraße Marie Heidenreich
Marie Heidenreich (l.), ZDF-Reporterin Screenshot: ZDF

Wer Marie Heidenreich ist, wird im Beitrag nicht erwähnt. Dabei wäre es doch vielleicht ganz interessant, so zur Einordnung, dass Marie Heidenreich bei den Grünen ist. Nicht in Berlin, aber in Rostock. 2021 ist sie als Kandidatin für die Landtagswahl in Mecklenburg-Vorpommern angetreten. Auch wenn sie es nicht in den Landtag geschafft hat, sie ist offenbar parteipolitisch aktiv. Und in Berlin arbeitet sie, Überraschung: für die grüne Heinrich-Böll-Stiftung.

„Liebe Bettina Jarasch …“

Auf Twitter hat Heidenreich den ZDF-Beitrag beworben – verbunden mit einem anfeuernden Lob an Bettina Jarasch, ihre grüne Parteifreundin:

„Wahlkampfthema Verkehr: Das @ZDF hat in der Berliner Friedrichstraße gefragt, was die Leute von der autofreien Zone halten“, schreibt Heidenreich. Und fügt hinzu: „Liebe @Bettina_Jarasch , bitte mehr davon!“

Wenn eine Grüne im Fernsehen über ein grünes Verkehrs-Projekt spricht, ohne dass den Zuschauern mitgeteilt wird, dass sie eine Grüne ist, dann fällt das natürlich irgendwann irgendwem auf, zum Beispiel auf Twitter.

Und das ist dann ungefähr so doof wie bei der rbb-„Abendschau“, die 2021 (vor der Wahl) in einer Straßenumfrage zum Thema „Radfahren in Berlin“, hups, nicht bemerkt hatte, dass sich auch dort ein Abgeordneter der Grünen unter die Bürger:innen gemischt hatte. Wie sollte einem sowas auch auffallen als Berliner TV-Magazin? Und wie hätten sie beim ZDF, auch 2021, bloß wissen können, dass einer der Bürger, der da bei der Straßenumfrage für das „Wahl-Spezial“ vor der Kamera stand, ein prominenter Rechtsextremer ist? Okay, man hätte seinen Namen einfach googeln können. Zum Beispiel. Aber, puh – Arbeit!

Ich weiß leider nicht, wie oft sowas noch passieren muss, bis es nicht wieder passiert. Auch in „Townhall“-Formaten vor Wahlen kommt es immer wieder vor, dass da Leute sitzen, die sich etwa als parteinah herausstellen, was aber nicht erwähnt wird. Das ist auch deshalb ärgerlich, weil es den Verdacht nährt, dass das ein abgekartetes Spiel sei. Dass sich, im aktuellen Fall etwa, das ZDF doch eh mit der Grünen verabredet habe. Nix Zufall also, alles Propaganda!

Wir haben beim ZDF nachgefragt, ob der Redaktion bewusst war, wen sie da vor dem Mikro hatte, und weshalb das im Beitrag nicht transparent gemacht wurde. Und ob es denn Regeln gibt für solche Straßenumfragen, ob Reporter zum Beispiel recherchieren sollen, wer die Leute sind, die sie einvernehmen. Gerade bei Menschen, die vor die Kamera drängen, wie Heidenreich, könnte man gleich doppelt aufmerksam werden. Nach meiner Erfahrung wollen die wenigsten, die draußen rumlaufen, von einem Fernsehteam angequatscht werden. Wer sich aufdrängt, hat Mitteilungsdrang. Oder eine Absicht.

Dünne Antwort vom ZDF

Doch das ZDF mag nicht genauer auf unsere Fragen eingehen. „In der Rubrik ,Expedition Deutschland‘ der ,drehscheibe‘“, schreibt ein Sprecher, begäben sich Reporter „vor Ort auf die Suche nach Themen und Zufallsbegegnungen“. Für diese „Expedition“ zum Thema Verkehr habe die Reporterin „alle Bilder und O-Töne am 2. Februar 2023, zwischen 11.00 und 15.30 Uhr in der Friedrichstraße und Unter den Linden gedreht. Alle Interviewpartnerinnen und -partner hat sie dort zufällig angetroffen“. Das ist alles, was das ZDF dazu zu sagen hat.

Marie Heidenreich hat der „B.Z.“ derweil erklärt, dass sie ja niemals ein Mandat gehabt habe – als ob das irgendwas ändern oder besser machen würde, nah dran ist sie auch ohne Posten. Und es kommt leider noch schlechter: Angeblich hat Heidenreich die biografischen Angaben auf ihrer Internetseite verändert, als über ihren ZDF-Auftritt diskutiert wurde. Das behauptet jedenfalls der (durchaus mit Vorsicht zu genießende) Argonerd auf Twitter.

Wann genau die Seite geändert wurde, kann ich leider nicht nachvollziehen, aber Ende vorigen Jahres stand dort noch: „Ich engagiere mich als Sprecherin der Landesarbeitsgemeinschaft Energie und Klima von Bündnis 90/Die Grünen Mecklenburg-Vorpommern für wirksamen Klimaschutz.“ Das ist jetzt weg, und möglicherweise trifft es auch nicht mehr zu. Wenn es aber gerade jetzt von der Seite gelöscht wurde – Gratulation! Das lässt alles nur dubioser wirken.

Letztlich ist es ein Bärendienst in Sachen Glaubwürdigkeit und Unabhängigkeit des öffentlich-rechtlichen Rundfunks, den das ZDF und die Grüne da geleistet haben. Da ist es am Ende auch egal, wie journalistisch egal die Sendung ist, in der der Beitrag lief, und dass der sogar recht ausgewogen war.


Dieser Text ist zuerst im Übermedien-Newsletter erschienen. Wenn Sie uns abonnieren, bekommen Sie den Newsletter jeden Sonntag ins Postfach.

9 Kommentare

  1. Einfachster Weg, dafür zu sorgen, dass sowas nicht mehr passiert: Auf Straßenumfragen verzichten. Überflüssigstes Format ever. Habe es schon als Praktikant gehasst…

  2. Wir wissen wohl nicht, ob jetzt Absicht oder nicht, aber dass man nicht einfach kurz den Personalausweis erfragt, den Namen googelt und später entscheidet, ob man den Beitrag hereinnimmt oder nicht – oder zumindest kennzeichnet, das ist ja wirklich, wie auch gut gesagt, keine Arbeit und eigentlich zu erwarten. Wenn sowas dann öfter vorkommt, macht das einfach einen schlechten Eindruck.
    Doppelt dubios, wenn sich die interviewte Person dann noch so komisch verhält.

  3. Das noch größere Problem als die nicht erfolgte Offenlegung der Parteizugehörigkeit der Interviewpartner (ein Schnitzer, der einfach nicht passieren darf) ist der eklatante Mangel an Verständnis für selbiges beim ZDF: Offenbar kapiert man dort nicht ansatzweise, wieviel man sich selbst mit sowas schadet. Sonst kämen andere als solche Nicht-Antworten auf Anfragen.

    Leider reiht sich das auch nahtlos ins Bild ein. Man vergleiche den Beitrag zur Fehlerkultur der Tagesschau.

  4. @#2: Ich stimme zu 100 Prozent zu. Und – ich schweife jetzt ein wenig ab – dann bitte auch gleich das Radio-Pendant „Feature“ einstellen. Irgendwann rechne ich mal zusammen, wie viel meiner Lebenszeit dabei draufgegangen ist, irgendwelchen „JournalistInnen“ dabei zuzuhören, wie sie auf dem Weihnachtsmarkt stehen und irgendwas liefern müssen, um die Sendung zu füllen. Los geht’s mit: „Wir stehen hier auf dem [Name irgendeines Provinznests] Weihnachtsmarkt. Eigentlich ist es viel zu warm für Glühwein, aber ein paar Besucher gönnen sich doch einen“. [Achtung, jetzt wird’s noch schlimmer] Die fragen sie dann: „Na, was machen Sie hier?“ Antwort: „Einen Glühwein trinken“. Wieder der/die JournalistIn: „Und? Schmeckt er bei dem Wetter?“ Antwort: „Kälter wäre besser. Aber das passt schon.“

    Ich raufe mir die Haare, dass Menschen damit Geld verdienen können.

  5. @Sid (#5):

    „Und – ich schweife jetzt ein wenig ab – dann bitte auch gleich das Radio-Pendant ‚Feature‘ einstellen.“

    Sie bringen das was durcheinander. Was Sie beschreiben ist eine Live-Schalte von der Straße, wie sie im Formatradio beliebt ist. Das Radio-Feature hingegen ist die Königsdisziplin und verlangt Wochen für Recherche, Skript und Produktion. Ist also so ziemlich das Gegenteil.

    https://de.wikipedia.org/wiki/Radio-Feature

  6. @Kritischer Kritiker: Ok, erwischt. Ich bin beim Radio reiner Konsument. Danke für den Hinweis. Dann bin ich eben dafür, die furchtbare Unart namens „Live-Schalte von der Straße“ aus dem Radio zu verbannen.

  7. Mal wieder weiß ich nicht, wie viel Fehler und wie viel Absicht dahinter steckt.
    Wobei ich ja nicht dagegen bin, eine Grüne zu interviewen, die tatsächlich auch im Thema ist, aber die Art, wie das rein gar nicht eingeordnet präsentiert wird, macht das zum erfolgreichen Knieschuss.

  8. Kann man so sehen.

    Ich frage mich aber: Darf ich als Mensch mit Parteizugehörigkeit meine Meinung zu einem Thema nur mit Disclaimer veröffentlicht sehen – und sie damit gleich eingeordnet finden? Man unterstellt doch damit, die Meinung sei wegen der Parteizugehörigkeit weniger legitim. Ich erfahre ja bei anderen befragten Menschen auch nicht, ob sie in nem Fahrradclub sind, ein Autohaus betreiben, den Wirtschaftsjunioren angehören oder beim NABU aktiv Vögel zählen.

    Finde ich ein sehr zweischneidiges Schwert.

    (Disclaimer: Ich arbeite beim Öffentlich-rechtlichen Rundfunk.)

Einen Kommentar schreiben

Mit dem Absenden stimmen Sie zu, dass Ihre Angaben gemäß unseren Datenschutzhinweisen gespeichert werden. Ihre E-Mail-Adresse wird nicht veröffentlicht.