„40 Jahre Supernasen“

Thomas Gottschalk ist nur noch ein trauriger Kult-o-mat

Mike Krüger, Thomas Gottschalk, Laura Wontorra
„Rentnerbetreuung“ nennt Laura Wontorra ihren Moderationsjob bei „40 Jahre Supernasen“ mit Mike Krüger und Thomas Gottschalk. Foto: RTL / Manfred H. Vogel

Das oberfränkische Kulmbach ist nicht mehr viel von dem, was es mal war. Einst war die Stadt mit der Renaissance-Festung Plassenburg für ihre ausgelassen Volksfeste bekannt, für ihre Brauerei-Dichte und für die Spinnerei, ein Großbetrieb, in dem auch mein Großvater arbeitete. Die Spinnerei ist längst zum kleinstädtischen Einkaufszentrum umgebaut worden, statt Brauerei-Dichte gibt es vor allem dichtgemachte Brauereien, und seit ich denken kann, sinken die Einwohnerzahlen der Stadt.

Einer, der die Stadt nach seiner Jugend auch verlassen hat, in dessen Glanz sich die Kulmbacher aber heute noch baden, ist ihr „Thommy“, Thomas Gottschalk, natürlich, Herrschaften, Ehrenbürger.

In Berlin ist Thomas Gottschalk kein Ehrenbürger. Und offenbar hatte RTL alle Mühe, genügend Menschen in den Admiralspalast zu bekommen, um mit ihm und Mike Krüger ein Jubiläum zu feiern: Vor 40 Jahren lief der erste von vier „Supernasen“-Filmen in den deutschen Kinos. In den Tagen vor der Aufzeichnung der Sendung wurden deshalb noch Freikarten verschenkt. Dennoch sind auf dem Parkett einige Sitze frei geblieben. Im obersten Rang müssen Pappaufsteller-Attrappen Menschen simulieren.

Admiralspalast
Flache Gags, flaches Publikum. Links oben strahlen nur die Pappaufsteller. Screenshot: RTL

Wie man aus den inbrünstigen „Innsbruck“-Rufen vor der Show ableiten kann (der Warm-Upper hatte gefragt, woher man denn so käme), sind einige Zuschauer:innen weit angereist. Offenbar kommen die meisten auf ihre Kosten. Selbst die flachesten Gags (Angela Merkel wird in einem Einspieler gezeigt, Mike Krüger: „Das Auge wählt mit“) werden frenetisch bejubelt. Ein dankbares Publikum. Ob es an den Reisestrapazen, den hohen Temperaturen im Saal oder doch an Gottschalk und Krüger liegt, wird man nie erfahren.

Das Publikum goutiert Gottschalks und Krügers Zoten und musikalische Darbietungen, egal wie oft man sie schon gehört haben mag: Es klatscht, es johlt, es lässt sich immer wieder zu stehenden Ovationen hinreißen. Selbst als die kleinen Tetrapacks mit Wasser, von denen alle einen bekommen hatten, ausgetrunken sind und es beinahe unerträglich heiß und schwül im Saal wird, lässt die Kraft der Zuschauer:innen nicht nach.


Auch in Kulmbach wird man nicht müde, Gottschalk zu feiern. Er scheint ewig gegenwärtig in dem kleinen, vergessenen Städtchen. Viele Kulmbacher, die ich in meiner Kindheit und Jugend kennengelernt habe, hatten irgendein Erlebnis, das sie mit Gottschalk verband. Als er noch ein kleiner Junge war, hat mein Großvater mal auf ihn aufgepasst. Das erzählte mein Großvater immer wieder, wenn der Entertainer im Fernsehen zu sehen war. Und natürlich auch, dass Gottschalks Karriere mit Jobs als DJ im früheren Café Schatz startete. Dem Ort, an dem sich meine Großeltern (gut für mich) kennengelernt hatten.

Und so fühlte auch ich mich Gottschalk irgendwie verbunden. Überhaupt war Gottschalk in meiner Jugend im Fernsehen stets präsent. Ich bin 1989 geboren, wie er in Bamberg. Als ich klein war, gab’s kein Internet, nur einen Fernseher im Haus und darauf auch nur sieben oder acht Programme. Alle paar Wochen durfte ich samstags länger aufbleiben, wenn „Wetten, dass..?“, Familienpflichtprogramm, im ZDF lief. Good old times, good old Thommy.


Thomas Gottschalk und Mike Krüger auf einem Trike aus den "Supernasen"-Filmen
Vorwärts nimmer, rückwärts immer: Gottschalk und Krüger auf einem Trike aus den „Supernasen“-Filmen Foto: RTL / Manfred H. Vogel

Nostalgie ist eine recht schlichte Möglichkeit, mit der Vergangenheit umzugehen. RTL aber kennt eine noch schlichtere Variante: Das Verkulten. Das beherrscht der Kölner Sender, bei dem jeder halbwegs schräge ehemalige Casting-Kandidat zur „Kult-Figur“ ernannt wird, aus dem Effeff. So geschieht es eben auch mit den TV-Urgesteinen Gottschalk und Krüger. „Einfach nur für’s Dasein“ der beiden gibt es bereits die ersten von insgesamt zwölf Punkten auf dem, ja wirklich, „Kult-o-meter“. Eine Studio-Requisite, die Moderatorin Wontorra zufolge dazu dienen soll, herauszufinden, ob die „Supernasen“ wirklich noch Kult sind.

Während der Aufzeichnung verbringe ich Stunden damit, zu hoffen, dass diese Anzeige sich füllt. Denn schnell wird klar: Ehe das Ding nicht voll ist, komm ich hier nicht raus. Jeder Auftritt, jede Nummer wird den „Kult-o-meter“-Füllstand ein bisschen wachsen lassen.

Das "Kult-o-meter"
Screenshot: RTL

Dafür fährt RTL „Überraschungsgäste“ auf. Überraschung: Es sind vor allem die, die immer da sind bei RTL. Frauke Ludowig, Oliver Pocher, Ella Endlich, Chris Tall.


Gottschalk begleitet mich schon mein Leben lang, selbst wenn ich ihm nie persönlich begegnet bin. Wahrscheinlich habe ich irgendwann eine parasoziale Beziehung zu ihm aufgebaut. Spätestens mit 16, als ich die zehnte Klasse wiederholen musste. Im Nachhinein betrachtet keine große Sache, aber damals war es das für mich. Eine Bekannte meiner Eltern schrieb mir eine tröstende Karte: „Kopf hoch, die Welt braucht Menschen wie Dich, Du wirst der neue Thomas Gottschalk“. Meinen Freunden gegenüber hätte ich das niemals laut ausgesprochen, aber ein kleines bisschen cool fand ich die Vorstellung damals schon. Und ein noch kleineres bisschen war Gottschalk mein Idol.

Nun bin ich aber nicht mehr 16, sondern 32, und Gottschalk ist mir vollkommen fremd. Das hat wenig mit dem Niedergang von „Wetten, dass..?“ zu tun, der sich schon weit vor Samuel Kochs Unfall 2010 angebahnt hatte. Sondern damit, wie Gottschalk sich seither offenbar in jedes TV-Format gehockt hat, das ihm angeboten wurde. Neben der gruselig-öden Vorabend-Talkshow „Gottschalk Live“ (*2012, ✝2012) waren da vor allem seine Privatfernsehen-Auftritte bei „Germany’s Next Topmodel“, „Das Supertalent“ und diversen anderen RTL-Blödelshows, meist mit Günther Jauch und Barbara Schöneberger, in denen auch immer wieder Oliver Pocher dabeisein musste. Und natürlich war da noch das von Gottschalk in Essen wegmoderierte Leiden Jesu in „die Passion“. Als ob der Arme nicht schon genug gelitten hätte. Noch schlimmer ist es für mich gewesen, dass Gottschalk es sich nicht nehmen ließ, zu Dingen, von denen er wenig Ahnung hat, viel Unsinn zu erzählen, zu Rassismuserfahrungen beispielsweise.


Chris Tall ist RTL-Allzweckwaffe, gilt bei dem Sender aus unbekannten Gründen als witzig und obendrein auch noch als Experte in Sachen „Was-man-noch-sagen-darf“. Damit passt er perfekt in diese Runde.

„Oh, was man früher“ – gemeint sind die 1980er Jahre, die Tall nur vom RTL-Verkulten aus der Nachbetrachtung kennen kann – „alles noch machen konnte“! „Wie locker und entspannt damals alles war“, feuert Tall Gottschalk und Krüger an. Ob sich die beiden diese Zeit zurückwünschen, will Wontorra wissen. „Wir leben in der Zeit“, antwortet Gottschalk. Man solle ihnen Sachen, die sie sagen, deshalb auch bitte nicht böse nehmen, ergänzt Krüger. Und Gottschalk gottschalkt: „Wir durften alles! Und was wir nicht durften, haben wir trotzdem gemacht“.

Thomas Gottschalk
Immer wieder steht Gottschalk während der Einspieler am Bühnenrand und beobachtet sein 40 Jahre jüngeres Ich auf der Studioleinwand. Foto: RTL / Manfred H. Vogel

Heute, das bestätigt den beiden auch der inzwischen hinzugekommene und selbsternannte „Riesenfan“ des „politisch Unkorrekten“, Oliver Pocher, hätten ja „alle“ ständig Angst, was man überhaupt noch machen oder sagen dürfe. Vor allem, wenn es um das Thema Gendern gehe.

Es geht eine Menge ums Gendern.

Als Wontorra RTL-Moderatorin Frauke Ludowig mit „ich habe eine neue Gästin für Euch“ ankündigt, äfft Pocher das „Gästin“ nach. Wontorra wiegelt ab, sie gendere halt. Gottschalk darauf: „Ich auch, ich nenn ihn immer Krügerin.“

Gottschalk sieht sich zwischen Wontorra und Ludowig in guten Händen – und fasst dabei natürlich auch beiden an ebenjene. Er lebt halt in seiner Zeit.

Auch mit den eingespielten Zusammenschnitten, die RTL einstreut, wird der Kurs immer wieder nachjustiert: Als Gottschalk und Krüger in ihren Supernasen-Rollen als Frauen verkleidet und mit Klischees überfrachtet zu sehen sind, hört man den süffisanten Off-Text: „Sie lesen sich eben zeitweise ganz modern als Frauen.“

Den Höhepunkt des Gender-Gaga-Gegackers liefern Mike Krüger und die Sängerin Ella Endlich. Krüger hat zuvor schon ein Medley von „Mein Gott, Walther“ (1975), „Der Nippel“ (1980) und „Bodo mit dem Bagger“ (1984) gesungen, als ein weiterer Song in einem Einspieler angestimmt wird: „M-M-M-Mädel“ (1981, kommt im „Supernasen“-Film „Piratensender Powerplay“ vor). Krügers Humor geht so:

„Ich sage: ‚M-M-M-M-Mädel, ha-ha-ha-hat es mit uns Z-Zweck?
Ich mö-mö-mö-mö-möchte ta-ta-ta-ta-tanzen‘, do-do-doch dann sind sie weg.“

Über Stottern herziehen, das geht heute natürlich nicht mehr, weiß Gottschalk und fragt scheinheilig in Richtung Krüger: „Macht er sich da nicht über eine Behinderung lustig?“ Das Stichwort für seinen „Supernasen“-Buddy. Krüger habe den Text „umgeschrieben, dass man ihn heute singen könnte“. Im Duett mit Ella Endlich trägt er ein Zeugnis geistiger Unreife vor, das zu kürzen ich nicht im Stande bin:

„Ich trage Lederkluft und n Teddycoat,
meine Haare, die sind lila und mein Mund ist rot.
Ich bin ein pansexueller nicht-binärer Mann.
Alle Sänger und -innen wollen mit mir geh’n.
Vielleicht checken wir’s mal, ob wir uns versteh’n,
am Besten wir fangen gleich mal mit dem Gendern an.
Sagst Du auch Salzstreuer:innen?
Ja, das sag ich auch.
Ich sag auch Hosenträger:innen,
das ist bei uns so Brauch.
Wenn Du jetzt noch Korkenzieher:innen sagst,
flipp‘ ich völlig aus.
Ich bestelle eine Taxifahrer:in
und dann nichts wie raus.
Und dann nichts wie raus.
Und dann nichts wie raus.
Und dann nichts wie raus.
Und dann nichts wie raus.“

Mike Krüger, Ella Endlich
Haben denselben Humor: Mike Krüger und Ella Endlich. Foto: RTL / Manfred H. Vogel

Nicht im TV zu sehen ist, wie Krüger in der Aufzeichnung auf eine Bitte von Wontorra reagiert hat, sich mit Altherrenwitzen zurückzuhalten: Er mutmaßt, er dürfe ja nicht mal mehr den Arm um sie legen, ohne dass es einen „Schittschtorm“ geben würde. Umso erstaunlicher, dass es der folgende (nicht zum ersten Mal) von Gottschalk vorgetragene Uraltherrenwitz in die Sendung geschafft hat: „Die suchen einen, der im Englischen Garten Frauen belästigt. Sagt Mike: Ja, vielleicht bewerbe ich mich“.

Auch Gags wie dieser aus dem Film „2 Nasen tanken Super“ zünden beim Publikum im Admiralspalast noch immer. Gottschalk, als Arzt verkleidet, drückt einer Frau mit tiefem Dekolleté ein Stethoskop auf die Brust, die er mit der anderen Hand hält. „Mmh, da läuten die Glocken.“

In jeweils mehr als 70 Lebensjahren scheinen Gottschalk und Krüger noch nicht auf den Trichter gekommen zu sein, dass Frauen durchaus mehr sein könnten als Trabanten, die um die riesigen Nasen der beiden kreisen. In einem Quiz mit Jörg Pilawa sollten Chris Tall und Oliver Pocher erraten, wer von den beiden „Supernasen“-Darstellern in den Filmen mit mehr Frauen geknutscht habe. Nach der Auflösung (12:12, unentschieden) witzeln Krüger und Gottschalk, sie hätten beim Drehbuchschreiben schon darauf geachtet, dass jeder auf seine Kosten komme. Gottschalk sagt, er habe aber eh einfach „alles weggeknutscht, was da rumstand“.

Oliver Pocher, Chris Tall
RTL-Jungnasen Oliver Pocher und Chris Tall Foto: RTL / Manfred H. Vogel

Männer dominieren den Abend. Drei der in den „Supernasen“ weggeknutschten Schauspielerinnen dürfen bei ihrem Auftritt jeweils nur wenige Worte sagen. Im einen Moment sagt Gottschalk noch „schön euch dazuhaben“ in Richtung von Andrea L’Arronge, Denise Biellmann und Anja Kruse. Im nächsten sind sie auch schon wieder verschwunden. „Da saßen doch eben noch drei Frauen“, wundert sich Gottschalk immerhin.

Wontorra, die ja angekündigt hatte, den Altherrenwitzen Einhalt zu gebieten, gibt sich oder ist tatsächlich chancenlos gegen die beiden. Vielleicht hätte sie mal bei Katrin Bauerfeind nachfragen sollen, wie man einen wie Gottschalk abserviert.

Das hat dann Oliver Kalkofe erledigt. Er steht als letzter Gast im Smoking an einem Rednerpult im ersten Rang des Admiralspalasts. Seine Rede, gespickt mit zeitgenössischen Kritiken zu den vier „Supernasen“-Filmen, wird (und das ist trotz der dürftigen Konkurrenz ein ernstgemeintes Kompliment) der Höhepunkt des Abends.

„Wow. Was für ein gigantischer Moment für die Ewigkeit.

Das Finale einer gigantomanisch-geisteskranken Gesichtserker-Gala zu Ehren von zwei überreifen Männern mit riesigen Rüsseln – und ich darf heute hier stehen müssen, als einziger Vollidiot im Smoking übrigens bei dieser Hitze, um wenigstens zum Abschluss diesem ganzen wunderbaren Gaga-Bums noch einen letzten Hauch von Würde zu verleihen.

Und da ich mich sowohl mit den schlechtesten Filmen aller Zeiten wie auch mit den kultigsten auskenne – bleibt natürlich die Frage: Was sind eigentlich die Nasenfilme, zu welcher Kategorie gehören sie?

Nun, da muss ich gar nicht selber was zu sagen, sondern checke einfach mal die unzähligen wundervollen Kritiken der letzten vier Jahrzehnte, wie zum Beispiel von der ‚Katholischen Filmkommission‘, die den ‚Primatensender Powerplay‘ treffend zusammenfasste als ‚unsäglich platten Schwank mit allen Klischees der deutschen Filmklamotte!‘ Ja, inhaltlich korrekt.

Oder auch die späteren ‚Supernasen‘-Meisterwerke mit den weisen Worten: ‚nur mäßig witzig und nur eher naiven Gemütern zur anspruchslosen Unterhaltung zuzumuten!‘

Wozu der ‚Filmbeobachter‘ noch ergänzte: ‚Filme wie dieser mögen für ein wenig anspruchsvolles, wenig intellektuelles Publikum gedacht sein, doch die Art und Weise, wie dieses Publikum eingeschätzt wird, ist schon beleidigend!‘“

(Zwei weitere Kritiken, die Kalkofe an dieser Stelle vorliest, fehlen in der TV-Version.)

„Ganz generell wird seltsamerweise überaus häufig die ‚schauspielerische Hilflosigkeit‘ der Hauptdarsteller kritisiert – was ich allerdings nicht wirklich fair finde, denn die Nasen haben ohne Frage immer ganz hervorragend gespielt – “

An dieser Stelle brandet der größte Applaus auf, sodass die anschließende Pointe im Gejohle untergeht.

„– das Problem war eher der Rest des Körpers!

Wie auch immer, schließen möchte ich mit einem relativ aktuellen Zitat, was eigentlich die gesamte Thematik ganz wunderbar zusammenfasst, nämlich: ‚Zoten, Zitzen, Trallala – Die Supernasen ist ein gelungenes Beispiel deutscher Blödel-Exploitation aus Filmzeiten, als noch keiner einen Fick gab! (…) Wer sich hier nicht unterhalten fühlt, hat kein Herz – oder einfach zu viel Geschmack!‘

Schöner kann man es eigentlich nicht ausdrücken. Denn ob die Nasenstreifen nun so schlecht waren, dass sie schon wieder gut sind – oder so gut, dass einem davon schlecht wird – egal!

Am Ende ist sowieso jeder Film nur so gut wie man ihn selber findet – und jeder Kult nur so groß wie man ihn feiert!

Und deshalb – und natürlich auch weil wir die rüstigen Riechkolben-Rentner hier noch mal richtig rocken sehen wollen – gibt es von mir offiziell den letzten Balken [auf dem ‚Kult-o-meter‘]. Herzlichen Glückwunsch zur offiziellen Kultigkeit der Supernasen – warum auch immer!“


Zum Abschluss der Sendung darf oder muss das Publikum Thomas Gottschalk einmal mehr „Rocking all over the World“ singen hören, diesmal im Duett mit Mike Krüger. Der hatte Ende 2021 eigentlich Abschied von Bühne und TV verkündet. Mein Gott, Krüger, hätte er sich daran mal gehalten – und seinen Freund Gottschalk gleich mit von der Rente überzeugt.

Denn die traurigste Erkenntnis an diesem Abend zu „40 Jahre Supernasen“ ist nicht einmal, wie offensichtlich Gottschalk und Krüger tatsächlich in einer anderen Zeit festhängen. Sondern wie krampfhaft bemüht sie sich an die paar Themen klammern, zu denen sie glauben, noch etwas zu sagen zu haben. Wenn man die „Das wird man doch nochmal sagen dürfen“-Nummer dann aber sogar noch unter dem Niveau eines Mario Barth performt und einem 2022 zum Thema Gendern nicht mehr als „Salzstreuer:in“ einfällt – was darf man denn da überhaupt noch erwarten?

Und auch wenn das Saal-Publikum offenbar aus treuen „Supernasen“-Fans bestand, die Gottschalk und Krüger noch einmal das Gefühl von Zuspruch vermittelt haben dürften – die TV-Quoten sprechen eine andere Sprache. Das Desinteresse des Publikums in Zahlen: 880.000 Zuschauer:innen, Marktanteil: 4,1 Prozent.


2019 durchquerten meine Freundin und ich Kalifornien mit einem Wohnmobil. Waldbrände hatten der Region zugesetzt, wenige Monate zuvor ist dabei auch die alte Mühle in der Nähe von Malibu, in der Gottschalk und seine Familie zwei Jahrzehnte lebten, niedergebrannt. In San Francisco landeten wir eher zufällig bei einem Spaziergang an der Fisherman’s Wharf im Musée Mécanique. Ein fantastischer Ort, an dem mehr als 300 alte Spielautomaten (und deren Vorgänger und deren Vorvorgänger) ausgestellt sind – und mit denen man auch tatsächlich spielen darf. Das fand ich tatsächlich kultig.

Wie RTL in seinem Retro- und Kultwahn nun versucht, aus Gottschalk einen Kult-o-maten zu machen, ist dagegen traurig. Noch trauriger, dass er es mit sich machen lässt. 2015 hat Gottschalk einmal gesagt, er sei „nach wie vor zu jedem Schabernack bereit“, mache sich „aber nur noch begrenzt zum Deppen“, höchstens mal „zum Narren“. Gottschalk erkannte aber damals schon, dass es „fast schon zu spät“ sei um aufzuhören. Und:

„Den Punkt, an dem ich als Held hätte abtreten können, habe ich verpasst.“

4 Kommentare

  1. Lieber Frederik,
    herzlichen Dank für deinen wirklich grandiosen Beitrag zu diesem wahrhaftig traurigen Thema. Ich bin bei Gottschalks Auftritten mittlerweile mehr als schockiert – oft sprachlos, wenn ich versehentlich irgendwas von ihm in meinen Feed oder die Timeline gespült bekomme. Traurig, dass RTL das auch noch mit sich machen lässt, wo doch eigentlich das Image aufgebessert werden soll. Sowas abschätziges und unverschämtes wie die Kommentare der beiden „Kultometer-Giganten“ nicht redaktionell zu kommentieren zeugt meines Erachtens von wahrer Traurigkeit.

    Du hast es auf den Punkt gebracht.

    Liebe Grüße,

    Martin

  2. Der größte Unsinn ist ja auch zu behaupten, dass man in den 80er mehr sagen durfte im TV. Vorgestern von Mike Krüger in der NDR-Talkshow mit diesem unsinnigen Statement rübergezappt zu Carolin Kebekus. Die – obwohl von Männern wie Gottschalk und Krüger wahrscheinlich als zu feministisch, moralisch belehrend u.ä. verschrien – hatte dann in 5 Minuten mehr derbe Sachen gesagt, als in sämtlichen Liedern von Mike Krüger aus den 80ern zusammen genommen zu finden ist. Was kein Wunder ist, da die Toleranzschwelle damals ja deutlich niedriger war.
    Das Publikum war vielleicht einfach mit weniger zufrieden. (Obwohl Loriot damals ja schon bereits bewiesen hatte, dass man auch für die breite Masse auf Zoten verzichten und einfach erstklassigen Humor liefern kann.)

  3. Da fehlt ein Gedanke gegen Ende meines Kommentars:
    Was Krüger und Gottschalk vielleicht wohl eher kompensieren müssen mit ihrer pauschalen Jammerei: Dass die billigen Zoten von damals nicht mehr zünden, sondern heute schlicht als billige Zoten benannt werden.

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