Presseschau (7)

Von Bettina Gaus lernen

Bettina Gaus
Bettina Gaus Foto: Imago / Future Image

In all den vielen Nachrufen auf die Journalistin Bettina Gaus wurde ihre Sonderrolle als souveräne Bewohnerin einer eingeschüchterten Branche gewürdigt. Eine, die wusste, wovon sie redet, die unabhängig schreibt und denkt und freundliche Beziehungen in weite Teile der KollegInnenschaft unterhielt. Zweifelsohne braucht es schon ein besonderes Talent, ein einzigartiges Leben und eine einmalige Veranlagung, um so zu werden, und dann auch noch die verdiente Anerkennung zu bekommen.

Man kann den Verdacht bekommen, dass die tiefe Bestürzung in der deutschen Medienlandschaft und im Publikum über die individuelle Dimension eines zu frühen Verlusts hinausgeht; dass es auch eine Trauer um ihre Art des guten Journalismus ist. Wer die Branche einigermaßen verfolgt, wird schon länger bemerken, dass viele gute Leute dem Journalismus den Rücken gekehrt haben, um ihre Karriere woanders fortzuführen, in Institutionen, Stiftungen oder Agenturen für Events und PR.

So sind die Nachrufe auf Bettina Gaus auch ein Zeugnis für eine Branche, die sich nicht allein, wie es so schön heißt, „im Umbruch“ befindet, sondern die sich auch viele Probleme selbst bereitet, weil sie elementare Grundsätze ihrer Arbeit vernachlässigt hat. Bettina Gaus aber nicht. Der Schock, den ihr zu früher Tod ausgelöst hat, sollte zum Anlass genommen werden, über Reformen nachzudenken: in der Ausbildung, in den Strukturen der Redaktionen und Verlage und auch im Selbstverständnis der Profession.

Es gibt einige Themen, die die besondere Karriere, aber schlicht auch die Persönlichkeit von Bettina Gaus geprägt haben, die es aber in der heutigen Medienlandschaft schwer haben.

Neugier

Zunächst einmal die Bildung. Bettina Gaus war nicht nur ausgesprochen gut ausgebildet und informiert, sie hielt sich auch permanent selbst auf dem Laufenden. Und sie ließ sich eines Besseren belehren, ohne Eitelkeit. Als sie einmal einen Streit mit einem lieben einstigen Kollegen von mir hatte, bat sie mich, ihr einmal zu erklären, wie der so ticke. Ich referierte ihr also meinen Eindruck von dem Mann – ein genialischer Spieler, aber ohne böse Absichten – und sie lachte, sagte, das überzeuge sie und ließ die Sache auf sich beruhen.

Neugierig zu sein, das bescheinigen sich alle Journalisten, aber sorgen sie auch für ständige Weiterbildung? Leider ist der Gestus des „Alles schon gesehen, alle schon gehört“ weit verbreitet. Außerdem macht sich eine immer unverhülltere Intellektuellenfeindlichkeit breit. Manch ein Chefredakteur -nicht von Springer – wird mit dem Satz zitiert „wenn ich ‚englischer Historiker‘ lese, bin ich bei -riker schon eingeschlafen“. Wenn man sich selbst aber keine geistige Wachheit, keine intellektuelle Anstrengung zumutet – und zwar ohne vorher zu wissen, wozu man es genau tut, was einem das bringt -, dann hat man eben auch immer weniger zu sagen.

Souveränität

Ein zweiter Aspekt ist die Souveränität. Niemand konnte Bettina Gaus nachsagen, es ihrer „taz“ leicht gemacht zu haben. Sie war nicht daran interessiert, Linien zu folgen oder dem, was die Genossinnen und Genossen vielleicht hören mochten. Und sie wechselte auch nicht zu größeren Verlagen, blieb überhaupt dem Zirkus der publizistischen Macht fern. Damit fokussierte sie sich auf das, worauf es eigentlich ankommt: die Themen, die Fakten und vor allem das Publikum, die Öffentlichkeit.

Leider sind in vielen Häusern viele Menschen mit eben diesen Häusern beschäftigt: Wer wird was und warum, was kommt, was ist gewünscht oder angesagt? Bloß hat das Publikum von diesen Interna keine Ahnung, und sie sind ihm auch weitgehend egal. Darum verfehlen Chefredakteure, die nur intern agieren, aber weder schreiben noch ab und an im Fernsehen auftreten, ihren Job. Journalisten arbeiten nicht in erster Linie für die KollegInnen im eigenen Hause – auch diese schlichte Einsicht beherzigte Bettina Gaus.

Konzentration

Sie kannte, ein weiterer Aspekt, ihren Beruf und verstand es, sich auf ihn zu konzentrieren. Seit dem Beginn der intensivierten Digitalisierung ist diese Konzentration selten geworden: Mehr und mehr werden Redaktionen zu Selbsthilfegruppen digitalwirtschaftlicher Pioniere. Wo um die Beschaffenheit einer künftigen Bundesregierung debattiert werden sollte, geht es um die Beschaffenheit von Apps, um Fragen des E-Commerce und um Umwandlungsraten. Was klickt oder funktioniert, was enttäuscht?

Nicht, dass solche Erwägungen unwichtig sind. Sie sind aber eine eigenes Problemfeld, das von entsprechenden Profis beackert werden sollte. JournalistInnen sorgen für Texte, Standpunkte und Einsichten, andere KollegInnen in den Verlagen etwa machen daraus hoffentlich Gewinne. Wenn das durcheinandergeht und die digitalen Tools schon die Botschaft sind, wird Journalismus für Außenstehende langweilig.

Auch davor verstand es Bettina Gaus, ihr Publikum zu bewahren. Ihre Beiträge waren nicht allein interessant, sie waren stets auch so verfasst und formuliert, dass alle es verstehen konnten.

Sich ans Publikum zu wenden und daran zu denken, was die Leute wissen möchten, bewahrte Bettina Gaus auch vor einer anderen Malaise dieser Medienzeit, nämlich der Faszination mit dem eigenen Untergang. Man hörte sie nicht von irgendeiner alten Zeit schwärmen, und sie machte auch nicht bange wegen dem, was kommen mag. Der lustgruselige Narzissmus derer, die von der „sterbenden Branche“ unken, hat sie nicht besonders interessiert.

Er interessiert auch außerhalb der Branche niemanden. Wer würde einen Bäcker besuchen, der immerzu darüber klagt, dass Brot dick macht, teurer wird und kaum noch Abnehmer findet? Stattdessen bewahrte sich Bettina Gaus eine ansprechende gute Laune und auch das ist ein ganz wesentlicher Faktor für die Anziehungskraft, den Charme von Journalismus.

Überzeugungskraft

Journalismus hat mit Macht zu tun, nicht nur als Gegenstand der Berichterstattung. Redaktionen sind hierarchisch organisiert und man wundert sich, wie autoritär es dort oft noch zugeht. Widerspruch wird dann höchstens toleriert, und wenn es am Produktionstag hektisch wird, gefallen sich manche in der Pose des brüllenden Machers.

Bettina Gaus hat verstanden, dass die Macht im Journalismus von der Verbindung zum Publikum und also von der Überzeugungskraft der Argumente herrührt. Wenn die sich schon vorher in der Diskussion unter KollegInnen bewährt haben, um so besser. Aber wesentlich ist die Prüfung durch ZuschauerInnen und LeserInnen. Nur aus der erwächst die gute journalistische Macht, nicht aus den Titeln, die im Impressum verzeichnet sind und den damit verbundenen Möglichkeiten. Auch nicht aus dem Geld: Die am besten bezahlten Konzernhelden sind oft die zaghaftesten und hasenherzigsten Zeitgenossen.

Ihre Prominenz, ihre Familie und ihr Naturell bewahrten Gaus vor dem um sich greifenden Zynismus der Branche. Ein gutes Leben führen, sein Leben auch genießen – auch dies wäre eine Masterclass in der Bettina-Gaus-Akademie.

Das Denken und Schreiben von Bettina Gaus besticht durch ihre Verbundenheit mit emanzipatorischen Werten, einen humanistischen common sense – der leider auch nicht mehr selbstverständlich ist – und durch ihre Fähigkeit zur Freiheit in einer Branche, die sich ängstlich vor jedem Risiko in Formaten verkriecht.

2 Kommentare

  1. „Ihre Beiträge waren nicht allein interessant, sie waren stets auch so verfasst und formuliert, dass alles es verstehen konnten.“

    Unglückliche Stelle für einen kleinen Tippfehler, sorgt er doch dafür, dass man den Satz zweimal lesen muss, um alles es verstehen zu können. ;-)

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