Fußnoten (26)

Gefühlt Kanzler

Situation beim RTL-„Triell“ mit den Kandidaten und Moderatoren
Kanzlerkandidat*innen-Aufstellung beim ersten „Triell“ Screenshot: RTL

Es gibt Momente in diesem Medienwahlkampf, in denen die Wahrheit durchscheint, obwohl alle Beteiligten sich jede Mühe geben, es nicht dazu kommen zu lassen. RTL hatte den bisher vielleicht schönsten dieser Momente, als die versammelten Experten in der Nachbetrachtung des ersten Kandidat*innen-Triells1)dass wir dieses Wort lernen mussten ist nur deshalb schön, weil es die Aussicht auf noch großzügiger besetzte „Duelle“ verspricht. Wie heißt es bei vier oder fünf Teilnehmer*innen? Tetrell? Pentell? Wir dürfen gespannt sein im RTL-Studio Olaf Scholz als eindeutigen Verlierer des Abends ausmachten, um dann fast verzweifelt die Zahlen der Forsa-Umfrage zu sehen, in denen die Zuschauer*innen eben jenen Olaf Scholz zum eindeutigen Sieger erklärten.

Es war sicher nicht Inkompetenz, RTL-Politikchef Nikolaus Blome kennt die deutsche Politik wie Menschen, die Westen tragen, deren Taschen.2)Er hat eine ungefähre Übersicht, findet aber manchmal glücklich ein Kaugummi. Und einmal sogar fünf Euro! Er hatte die grenzinteressante Behauptung aufgestellt, Scholz habe sich durch den Abend “durchgedieselt”, was nach meinem Verständnis bedeuten sollte, Scholz hätte einfach nichts, oder zumindest nichts besonderes, gemacht. In Blomes Augen war das deutlich zu wenig, für die Teilnehmer*innen der repräsentativen Befragung aber offensichtlich mehr als genug.

Für einen kurzen Moment war ich geneigt, das für ein Beispiel von elitärer Entfernung der classe politique vom einfachen Wahl-Schrägstrich-Zuschauer*innenvolk zu halten, aber dann fiel mir das RTL-Logo wieder auf. Wie auch immer man den Sender beschreiben will, „elitär“ taucht dabei ganz sicher nicht auf.

Schlechtes Fernsehen

Das Problem ist ein anderes, und ich lehne mich nicht sehr weit aus dem Fenster, wenn ich vorhersage, dass auch die beiden noch folgenden Trielle es nicht lösen werden: Diese Veranstaltungen sind schlechtes Fernsehen.

Das ist zunächst mal nicht überraschend: Jenseits der, ähem, „heißesten“ Wahlkampfphasen würde niemand auf die Idee kommen, „Drei Berufspolitiker treffen sich und sagen, was sie immer sagen“ wäre ein Fernsehformat. Menschen würden an ihren Fußnägeln aufgehängt, wenn sie es ernsthaft vorschlügen. Niemand kann von so einem Abend erwarten, dass aufregende Dinge passieren. So lange alle Anwesenden geistig einigermaßen beieinander sind, ist dieses, nun ja, nennen wir es Gespräch, bis in die Details vorhersehbar und eher spröde.

Aber kein Sender kann es sich erlauben, ein Triell irgendwie anders zu behandeln denn als Clash der Titanen, der dann nachfolgend unter sportlichen Gesichtspunkten von den Punktrichtern bewertet wird. Man beneidet sie nicht darum, denn egal wie dramatisch man die Trailer schneidet, es wird aus einer Fistel im Programm einfach kein Faustkampf.

Kompetenz-Kompetenz

Paradoxerweise ändert die Tatsache, dass Trielle schlechtes Fernsehen sind, nichts daran, dass es sie geben muss. Sie mögen schlecht sein, aber sie sind auch wichtig. In einer Demokratie müssen sich die Wähler*innen ein Bild davon machen können, wer sich da um das wichtigste Staatsamt bewirbt. Nur schauen die Menschen vor den Bildschirmen offensichtlich völlig anders zu, als es die Experten tun, die hinterher auf dem Bildschirm darüber sprechen. Und die Frage aller Fragen ist: Wie denn eigentlich?

RTL hat sich für einige Sekunden der Frage gewidmet, indem sie zu einem Reporter schalteten, der bei einer als „ganz normale Familie“ ausgewählten Familie auf dem Sofa saß, allerdings in Hamburg, was eindeutig wettbewerbsverzerrend ist, denn in Hamburg war Scholz ein populärer Bürgermeister und hatte einen Heimvorteil. Dass Scholz in Scholzland gewonnen hatte (wie es aus den Antworten von Hamburger Sofa zumindest heraus klang), hat also eher geringe Aussagekraft.

Ein besserer Gradmesser ist wahrscheinlich – ich begebe mich jetzt weit hinein in den Bereich der nicht belegbaren These – das, was Menschen sonst noch so über die Kanzlerkandidat*innen in die Fragenkataloge der Meinungsforscher*innen diktieren, und da fällt immer wieder der horrende Vorsprung von Scholz gegenüber seinen Mitbewerber*innen im Bereich „Kompetenz“ auf.

Ich oute mich hier, ich mag Olaf Scholz und halte ihn für kompetent, aber ich habe keine vernünftige Erklärung, warum er offensichtlich für so überragend viel kompetenter gehalten wird als Armin Laschet, der immerhin Ministerpräsident von Nordrhein-Westfalen ist, oder Annalena Baerbock, die vielleicht keine Regierungserfahrung hat, aber doch offensichtlich eine kluge und durchsetzungsfähige Frau ist.

Man mag Scholz für den kompetentesten halten, aber die Abstände sind obskur groß. Scholz hat in dieser Frage eine absolute Mehrheit der Stimmen, die beiden anderen müssen sich die restlichen teilen, und ich bezweifle, dass viele Menschen die realen Errungenschaften der drei vergleichen. Sie fühlen das. In anderen Worten: Olaf Scholz fühlt sich für eine riesige Mehrheit der Wähler*innen kompetenter an als Baerbock und Laschet. Man könnte auch sagen: Unbenommen aller anderen Fragen ist er unter den Bewerbern der beste Kanzler-Darsteller.

Bessere Kanzlerdarsteller

Das wäre die Frage gewesen, mit der die Experten im RTL-Studio wahrscheinlich völlige Übereinstimmung mit dem Ergebnis der Zuschauerbefragung erreicht hätten3)nicht, dass ich das für nötig halte: „Wer sah heute am meisten wie ein Kanzler aus?“ Sie erklärt auch, warum Söder und Habeck mit ihrem Streitgespräch unter der Regie des erstaunlichen Triumvirats „Spiegel“, „T-Online“ und „Vice“ eine Welle der „Was wäre gewesen, wenn“-Nostalgie entfacht haben: Sie waren beide bessere Kanzlerdarsteller, als es die tatsächlichen Kandidat*innen ihrer Parteien gerade sind.

Ich glaube tatsächlich, mehr oder weniger bewusst wünschen sich die Menschen gerade den Kanzler oder die Kanzlerin, der oder die am besten einen Kanzler oder eine Kanzlerin spielen kann.

Es flackert bei mir ganz kurz innerer Widerstand dagegen auf, dass es am Ende so einfach sein soll, aber dann fällt mir ein Satz ein, den mir vor ein paar Jahren in einem anderen Wahlkampf jemand gesagt hat:

„Die Medien überschätzen regelmäßig das Vorwissen der Leute und unterschätzen dabei genauso regelmäßig deren Fähigkeit, auch auf der Grundlage von wenig Informationen vernünftige Entscheidungen zu treffen.“

Ich halte den Satz für sehr klug. Manchmal fühlt man auch ohne langes Studium, was richtig ist. Der ihn mir gesagt hat, war übrigens Olaf Scholz, und es wirkt auf mich, als hätte er einen sehr erfolgreichen Wahlkampf darauf begründet.

*) Offenlegung: Ich war einige Jahre lang freiberuflicher Redenschreiber für die Ersten und Zweiten Bürgermeister von Hamburg, unter anderem für Olaf Scholz.

Fußnoten

Fußnoten
1 dass wir dieses Wort lernen mussten ist nur deshalb schön, weil es die Aussicht auf noch großzügiger besetzte „Duelle“ verspricht. Wie heißt es bei vier oder fünf Teilnehmer*innen? Tetrell? Pentell? Wir dürfen gespannt sein
2 Er hat eine ungefähre Übersicht, findet aber manchmal glücklich ein Kaugummi. Und einmal sogar fünf Euro!
3 nicht, dass ich das für nötig halte

3 Kommentare

  1. Ergänzend: Vor vier Jahren im leider verblichenen Aufwachen-Podcast (sinngemäß): Bundestagswahl und Kandidatenduell sind wichtig, weil die Leute entscheiden wollen, wen sie die nächsten vier Jahre im Fernsehen sehen.

    Das ist glaub was dran.

  2. Endlich mal wieder eine Kolumne von Herrn Pantelouris! Wieder sehr gut gelungen.

    Dass Laschet und Baerbock als viel weniger kompetent wahrgenommen werden als Scholz überrascht mich allerdings kaum, wenn ich an die Berichterstattung der letzten Monate zurück denke. Gerechtfertigt oder nicht, wenn mir zu jedem der beiden auf Anhieb mindestens drei peinliche Patzer einfallen, die von den Medien genüsslich breitgetreten wurden, drängt sich doch der Eindruck der Inkompetenz auf.

    @ #2 von Mycroft: Sehr schöne Formulierung, die muss ich klauen.

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