Staatswerbung aus Peking

„Handelsblatt“ und FAZ: Geld verdienen mit chinesischen Propaganda-Anzeigen

Über Chinas Hetze gegen ausländische Journalist*innen berichten und zugleich Anzeigen mit chinesischer Staatspropaganda drucken: Geht das? Für "Handelsblatt" und FAZ schon. Über Pekings Medienstrategie und deutsche Zeitungen, die damit Geld verdienen.

„Die Hetze gegen ausländische Journalisten in China geht weiter“, schrieb Dana Heide Ende Juli auf Twitter. Die China-Korrespondentin des „Handelsblatts“ verwies damit auf ein Video der staatlichen Propagandazeitung „China Daily“: Die Deutsche Welle, heißt es darin, sei „ein von der deutschen Regierung bezahltes internationales Propaganda-Büro“.

Einige Tage zuvor hatte ein wütender Mob den DW-Kollegen Mathias Bölinger angegriffen, als er über die verheerende Flut in der Stadt Zhengzhou berichten wollte – eine Verwechslung: Der Kommunistische Jugendverband hatte aufgerufen, einen BBC-Reporter ausfindig zu machen.

In kaum einem Land werden Journalist*innen und Medien stärker unterdrückt als in China: Über 100 Journalisten und Blogger sind dort laut „Reporter ohne Grenzen“ in Haft. In Hongkong zwang man Ende Juni die unabhängige Zeitung „Apple Daily“, ihren Betrieb einzustellen: der Gründer Jimmy Lai samt einiger Redaktionsmitglieder inhaftiert, die Konten gesperrt. Auf der Rangliste der Pressefreiheit nimmt China Platz 177 von 180 ein.

Doch während Korrespondenten deutscher Zeitungen couragiert aus China berichten, gehen ihre Verlage in Deutschland teils problematische Kompromisse ein. Und lassen sich dafür bezahlen, die Propaganda der Kommunistischen Partei Chinas (KPCh) zu verbreiten.

Acht Seiten Werbung für Parteichef Xi Jinping

So auch ausgerechnet das „Handelsblatt“. Einen Tag vor dem Tweet seiner Korrespondentin hatte die Zeitung eine achtseitige Sonderbeilage im Zeitungslook namens „China Watch“ veröffentlicht. Untertitel: „All you need to know“. Herausgeber ist ebenjene „China Daily“.

Fragwürdige Anzeige: Titelseite der „Handelsblatt“-Beilage Ausriss: China Watch

In der Ausgabe: ein Schmuckbild vom Weltraumspaziergang eines Taikonauten, ein Bericht über Traditionelle Chinesische Medizin – und ein langer Artikel über die Politik des Parteichefs Xi Jinping. Es gehe um „das große Wiederaufleben der chinesischen Nation“, heißt es dort etwa, und um „die Förderung einer friedlichen Entwicklung in der Welt und den Aufbau einer Schicksalsgemeinschaft der Menschheit“. Diese Formulierung ist Teil einer Propagandastrategie. Damit versuche Peking, so wissenschaftliche Einschätzungen, die Allgemeine Erklärung der Menschenrechte zu unterminieren.

Das „Handelsblatt“ hat jene Beilage schon mehrfach veröffentlicht. In der Ausgabe, die im Januar 2019 der Zeitung beilag, ebenfalls als „Anzeige“ bezeichnet, ging es um Pandas, Chinas Hochgeschwindigkeits-Zugnetz und eine chinesische Nudel-Sorte. „Diese bezahlte Sonderveröffentlichung wird dem Handelsblatt beigelegt“, heißt es auf der Titelseite der Beilage. Für den Inhalt sei „China Daily (Volksrepublik China)“ verantwortlich, die „Handelsblatt“-Redaktion sei nicht beteiligt.

Laut Reporter ohne Grenzen (ROG) machen sich Medien, die die Beilage „China Watch“ veröffentlichen, nicht nur finanziell abhängig von der Kommunistischen Partei – sie trügen selbst auch dazu bei, Propaganda zu verbreiten. Warum veröffentlicht das „Handelsblatt“ trotzdem jene Beilagen? Wie häufig erschienen sie bislang, wie hoch waren die Einnahmen? Und wie bewertet es der Verlag, dass „China Daily“ gegen ausländische Korrespondenten hetzt? Eine Sprecherin erklärt auf Anfrage von Übermedien: „Bitte haben Sie Verständnis, dass wir keine Stellung zu Ihren Fragen beziehen.“

„100 Jahre Kommunistische Partei“ in der FAZ

Auch die „Frankfurter Allgemeine Zeitung“ berichtete Ende Juli über das Video von „China Daily“ und die „Jagd auf Journalisten“ in China. Ausgerechnet diese Ausgabe enthielt auch eine ganzseitige Anzeige mit sehr viel Text, Überschrift: „100 Jahre Kommunistische Partei Chinas“.

Großes Jubiläum: China-Anzeige in der FAZ Ausriss: FAZ

Im Text der Anzeige geht es etwa um einen Deutschen, der sich dem sozialistischen Aufbau Chinas gewidmet habe, und es wird ein sudanesischer Übersetzer mit den Worten zitiert: „Die menschenorientierte Philosophie der KPCh wurde ebenfalls durch die landesweite Mobilisierung bewiesen, um die grassierende COVID-19-Epidemie im Jahr 2020 einzudämmen.“ Auch hier taucht sie wieder auf: die „Schicksalsgemeinschaft“.

Bereits im März hatte die FAZ eine ganzseitige Anzeige mit „Zehn Fallbeispielen für Chinas Armutsbekämpfung“ veröffentlicht. Als Verantwortliche sind vier Namen aufgeführt und eine Adresse in Peking. In der jüngsten Version sind die vier der „Nachrichtenagentur Xinhua“ zugeordnet: Auch diese ist KPCh-gesteuert.

„Politische Anzeigen und solche mit starkem Meinungscharakter sind immer Grenzfälle für einen Verlag, über deren grundsätzliche Annahme wir nach interner Prüfung entscheiden“, erklärt eine FAZ-Sprecherin. „Letztendlich aber haben wir der freien Meinungsäußerung den Vorrang gegeben.“ Offen rechtswidrige Anzeigen lehne man ab, aber: „Kritische oder provokante Anzeigen in einer Art vorauseilender Zensur zu verhindern, wäre zumindest mit unserem Verständnis einer in unserer Demokratie legitimen und freien Meinungsäußerung nicht zu vereinbaren.“

Die Anzeige sei als solche zu erkennen, Redaktion und Anzeigenabteilung arbeiteten unabhängig, inhaltlich sei der Kunde verantwortlich. Welche weiteren Anzeigen von KPCh-nahen Organisationen die FAZ veröffentlicht oder welche Einnahmen man erzielt hat, lässt die Sprecherin offen. Laut Listenpreis kostet eine ganzseitige Anzeige in der FAZ derzeit rund 80.000 Euro. „Werbung in Qualitätsumfeldern wird positiver bewertet, also als glaubwürdiger und seriöser“, heißt es in einer FAZ-Werbebroschüre.

Die FAZ hätte es wissen können

Dass sich die chinesische Regierung ein seriöses Umfeld für ihre Propaganda sucht – zum Beispiel auch in Kooperation mit einer deutschen Buchhandelskette – ist schon länger bekannt. Bereits 2018 warnten Berliner Thinktanks, Peking nutze etablierte Medien im Ausland für solche Beilagen, wegen deren Vertrauenswürdigkeit. Auch im erwähnten ROG-Bericht von 2019 ist die chinesische Strategie, ausländische Medien für Propaganda zu nutzen, ausführlich dokumentiert. Die FAZ könnte das wissen: Sie berichtete selbst über den ROG-Report und die „China-Watch“-Beilagen.

Einige Medienhäuser haben die Kooperation beendet, darunter die „New York Times“ oder der britische „Telegraph“, in der „Süddeutschen Zeitung“ blieb es offenbar bei einer Sonderbeilage von „China Daily“ im Jahr 2017. Auch die „Zeit“ publiziert die problematischen Inhalte derzeit nicht: In den vergangenen zwei Jahren hätten keine KPCh-Organisationen Anzeigen gebucht, so eine Sprecherin.

Auch eine dpa-Tochter verbreitet China-Propaganda

Dagegen ist auch die Deutsche Presse-Agentur (dpa) aktuell an der Verbreitung chinesischer Propaganda beteiligt. Ihre Tochterfirma „news aktuell“ veröffentlicht etwa den „Seidenstraße Informationsdienst“ von Xinhua. Ebenfalls in ihrem „Presseportal“ verfügbar: Inhalte des chinesischen Propagandakanals CGTN. Dieser gehört zum Staatssender CCTV, der etwa zu digitaler Gewalt gegen Hongkonger Demonstranten aufruft oder erzwungene Geständnisse ausstrahlt und somit direkt an eklatanten Menschenrechtsverletzungen beteiligt ist.

Ein dpa-Sprecher betont auf Anfrage, dass es sich beim „Presseportal“ nicht um einen redaktionellen Service der dpa handle. Der Dienst sei allen professionellen Aussendern offen, diese seien auch inhaltlich verantwortlich.

Dass es sich um von der KPCh kontrollierte Propaganda handelt, erfahren Leser*innen nicht – auch nicht, wer hinter dem Kürzel CGTN in den Pressemitteilungen steht.

Über Details von Geschäftsbeziehungen gebe die dpa grundsätzlich keine Auskunft, erklärt der Sprecher. Die chinesischen Kunden seien für jedoch „wirtschaftlich ohne Bedeutung“. Presseportale wie das der dpa hätten „die Aufgabe, verschiedene Quellen zugänglich zu machen“, erklärt er: „Es steht Medien und professionellen Usern frei, die bereitgestellten Informationen für die Erstellung eigener Publikationen nach eigenem Ermessen zu nutzen.“

Der „Tagesspiegel“ etwa nutzte eine dieser einschlägigen „Unternehmensinformationen“ im März und veröffentlichte sie als „Advertorial“: Tibet sei ein ökologisches Land, heißt es, man habe „große Fortschritte beim Schutz seltener Arten erreicht“. Das Land und seine „Bevölkerung aus Tibet in China“ heiße Gäste und Freunde aus aller Welt willkommen, steht in dem PR-Text. Währenddessen ist Tibet für unabhängige Journalist*innen und kritische Besucher quasi unzugänglich.

Immer noch treiben also manche deutsche Medien dieses Propaganda-Spiel mit. Die deutsche Sektion der „International Campaign for Tibet“ (ICT) hat das „Handelsblatt“ wegen der Beilage um eine Stellungnahme gebeten – ohne Reaktion, so ICT-Geschäftsführer Kai Müller, der zuvor im Bundesvorstand von Amnesty International saß. Man habe nun an andere Anzeigenkunden appelliert, sich dafür einzusetzen, dass das „Handelsblatt“ nicht mehr mit „China Daily“ zusammenarbeite.

Derartige Kooperationen, kritisiert die ICT, seien ein „Ausverkauf journalistischer Glaubwürdigkeit“. Die jüngste Entwicklung betrachtet Müller mit Sorge. Die jüngsten FAZ-Anzeigen haben für ihn „eine neue Qualität“, weil sie sich „als angesehene Tageszeitung wiederholt für unverhohlene Propaganda eines autoritären Regimes bezahlen lässt“. So entstehe der Eindruck, journalistische Grundwerte seien käuflich. „Das ist fatal.“

Nachtrag, 16.8.2021. Die FAZ hat auch online eine „Anzeigensonderveröffentlichung“ mit dem Titel „China heute“ publiziert, für deren Inhalt laut Impressum ebenfalls Xinhua German News verantwortlich ist.

3 Kommentare

  1. Ist doch schön, wenn kritische Berichterstattung über China indirekt durch Anzeigenaufträge der chinesischen Propaganda finanziert wird.

  2. Dürfen wir gespannt sein, wie lange der Autor noch nach China einreisen darf?
    Die wichtigste Botschaft ist: Platz 177 von 180. Denn der interessierte Leser – der für seine Meinungsbildung auf feine journalistische Arbeit setzt (und mit „echt“ meine ich ausdrücklich nicht „Loft“ und „Cocktail“ Journalisten, die sich in ihrer journalistischen Meinungsführerschaft in der BRD in ihren Kreisen suhlen und jeden Blödsinn aufmerksamkeitsbeschaffend als demokratie- und freiheitsgefährdend hinstellen. Und an dieser Stelle schliesse ich mich noch dem Dank Samira El-Oussasil an, den sie vor einigen Wochen hier in ihrer Kolumne an Journalisten ausgesprochen hat).
    Dieser viertletzte Platz reflektiert nämlich etwas, was in unseren Lebenswirklichkeiten überhaupt nicht präsent ist. Und das politische und wirtschaftliche Deutschland sowie Europa hat keine Antworten darauf oder will keine geben. Es hat schlichtweg keine Haltung dazu, außer der Phrasendrescherei der Aussenministerien.
    Dass die FAZ diese Haltung hat und die Beilagen veröffentlicht, verwundert nicht, enttäuscht aber, denn der kluge Kopf schaut eben auf‘s Portemonnaie, das muss gefüllt sein und in China lässt es sich gut füllen.
    Das kann man hier nicht hoch genug hängen, dass die New York Times und der Telegraph beispielhaft vorangehen.

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