Die Pocast-Kritik (62)

In Atze Schröders Kopf reinhören

Wonach gehe ich, wenn ich neue Podcasts suche? Zunächst muss mich das Cover ansprechen. Der Titel. Das Thema. Und natürlich müssen mich auch die Macher interessieren. Wenn ich dann reinhöre, muss mich der Podcast schließlich „kriegen“. Wie das bei „Betreutes Fühlen“ war?

Ich sage es ganz ehrlich: Schon das Cover fand ich schrecklich. Da liegt Atze Schröder auf dem Schoß eines Mannes, der mich an einen Zauberer der 1980er-Jahre erinnert, dazu teilweise rosafarbene Schrift. Bloß nicht. Überhaupt: mit Atze Schröder? Auf keinen Fall! Der Titel „Betreutes Fühlen“? Ok, Wortwitz, nette Idee. Das Thema: Psychologie. Also noch so ein Selbsthilfe-Ding, um mit dem eigenen Ich besser klar zu kommen? Nee.

Fazit: wegklicken. Nichts für mich.

Ich habe allerdings nicht erwähnt, dass es noch einen viel wichtigeren Aspekt für meine Podcastsuche gibt: Wenn andere Podcaster oder Podcasterinnen etwas empfehlen. Tja, und als Atze Schröder und Leon Windscheid im Podcast „Hotel Matze“ zu Gast waren, hörte ich dort zwei intelligente und humorvolle Männer, die Dinge von sich gaben, über die ich noch viele Tage nachgedacht habe. „Betreutes Fühlen“ habe ich deshalb sofort abonniert.

Das ist diese blöde menschliche Eigenschaft: sich vorschnell ein Urteil zu bilden. Ich fand die Kunstfigur Atze Schröder mit Minipli-Perücke und getönter Pilotenbrille immer schon dämlich. Aber hinter dem Proll mit Goldkettchen steckt ein einfühlsamer, reflektierter Mensch.

Gefangen im eigenen Pseudonym

Die Sache mit den Pseudonymen kenne ich nur zu gut: Ich selber habe 2005 unter dem Pseudonym Annik Rubens angefangen zu podcasten. Das war damals nötig, um mein Hobby vom seriösen Beruf als Journalistin zu trennen. Heute benutze ich fast nur meinen richtigen Namen – aber den kennt halt niemand in der Szene. So geht es Atze Schröder wahrscheinlich auch. Der Mann hinter der Kunstfigur schützt seine wahre Identität inklusive seines richtigen Namens, wenn nötig, sogar vor Gericht. Er möchte nicht als Privatperson in der Öffentlichkeit stehen. Das ist sein gutes Recht.

In diesem Fall habe ich aber den Eindruck, dass ihm die Kunstfigur eher schadet: Die Ehrlichkeit, mit der er in „Betreutes Fühlen“ spricht, passt nicht zum Minipli-Proll. Und für die über Jahrzehnte gelebte Zurückgezogenheit gibt er erstaunlich viel von sich preis. Ein Dilemma: Mit seinem richtigen Namen kennt ihn keiner – keiner würde deswegen auf den Podcast klicken. Und sein Pseudonym schreckt Leute wie mich automatisch ab, weil der Witz-Proll eben nicht zu einem ernsthaften Psychologie-Podcast passt.

Die andere Figur in diesem Podcast (und auf dem Cover) ist Dr. Leon Windscheid. Fast 20 Jahre jünger als Atze, Psychologe, Bestseller-Autor, Gastronom und „Wer wird Millionär“-Gewinner (und auch Solo-Podcaster). Er hält in den Gesprächen souverän die Zügel in der Hand, führt durch das jeweilige Thema der Folge, hat in der Vorrecherche passende wissenschaftliche Studien herausgesucht. Das Spektrum reicht von „Depression“ über „Darum scheitern gute Vorsätze“ bis „Passiv aggressiv“. Dazu greifen sie Wünsche aus der Community auf, beispielsweise das Thema „Mobbing“.

Die Episoden beginnen als leicht verdaulicher Laberpodcast. Da wird gescherzt und über Atzes Boot auf Mallorca gesprochen, über Kochen oder den Besuch bei den Eltern. Und dann geht’s ab in die Tiefe. Die beiden bieten damit einen niederschwelligen Zugang zu psychologischen Themen. Ehrlich und überraschend, nur selten in Klamauk abgleitend. Es geht darum, Psychologie zu verstehen und sie im besten Falle auf das eigene Leben anzuwenden – also das eigene Handeln besser zu verstehen.

Ein Beispiel ist die Folge „So wirkt Porno im Kopf“. Klar, ein Thema bei dem sich blöde Witze anbieten. Aber Atze Schröder hält sich weitgehend zurück. Stattdessen reden die beiden Männer ehrlich darüber, welche Rolle Pornos in ihrem Leben spielen. Als Gast haben sie eine Porno-Darstellerin eingeladen, der sie dann frank und frei alle möglichen Fragen stellen. Nach dem krassesten Erlebnis in der Branche, nach ihrem Ruf im Heimatdorf und danach, was die Eltern zu ihrem Beruf so sagen.

Nicht lockerlassen, wenn’s unbequem wird

Bis hierhin habe ich die Episode so gehört wie die typischen Domian-Gespräche: mit Belustigung, Voyeurismus und Erstaunen über die menschlichen Bedürfnisse. Aber dann geht Leon Windscheid in die nächste Runde. Er konfrontiert die Darstellerin mit den Titeln ihrer Pornos und fragt mehrfach nach, ob diese denn Frauen nicht erniedrigen oder objektivieren würden. Ob sie nicht sogar zu Gewalt anstacheln könnten oder Sex mit Minderjährigen bewerben. Schön, dass er in dieser Sache nicht lockerlässt, auch wenn es unbequem wird.

Den beiden Männern gelingt in ihrem Podcast eine Gratwanderung zwischen Spaß und Ernst, zwischen Gelaber und Tiefgang, zwischen Wissen und Unterhaltung. Und ich kann hiermit sagen: Ich habe meine (vorschnell gebildete) Meinung zu dem Mann hinter dem Pseudonym Atze Schröder komplett revidiert. Und genau das ist es, was ein guter Podcast schafft: Er lässt hinter die Kulissen blicken. Oder eben: in den Kopf unter der Perücke.


Podcast: „Betreutes Fühlen“ von Atze Schröder und Dr. Leon Windscheid

Episodenlänge: ca. 1,5 Stunden, wöchentlich

Offizieller Claim: „Atze Schröder geht zum Psychologen“

Inoffizieller Claim: Atze Schröder ist gar nicht so blöd, wie Ihr denkt!

Wer „Betreutes Fühlen“ mag, hört auch: „So bin ich eben“ und „PsychCast“

4 Kommentare

  1. Ich stimme voll zu. Mein persönliches Umdenken zu Atze Schröder kann nach seinem Einzel-Besuch im Hotel Matze (generell eine Hörempfehlung). Absolut hörenswert, weil man einem Atze Schröder zuhört, der so gar nichts mit der Kunstfigur gemeinsam hat, sympatisch, einfühlsam, reflektiert und sehr belesen. So bin ich dann zum Betreuten Fühlen gekommen. Und wer Atze etwas privater lauschen möchte, sollte man bei „Zärtliche Cousinen“ reinhören.

  2. Es ist schon hart genug, wenn man „Atze Schröder“ drauf schreibt , da sollte man nicht noch mit „Zärtliche Cousinen“ rumspielen, wenn man auch auf den ersten Blick inhaltlich ernst genommen werden will. ;-)

  3. Danke für den Tipp. Selbst mit Hotel-Matze-Background wäre ich nicht auf die Idee gekommen, dem Podcast eine Chance zu geben.

    Der Laberanteil ist mir zwar zuweilen zu hoch, aber das Durchhalten wurde bislang immer belohnt.

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