Was wird aus „Monitor“ & Co?

Das Dilemma der Fernsehmagazine – und ein möglicher Ausweg

Georg Restle versucht es mit ein paar Hinweisen. „Warum die #Politikmagazine der ARD so wichtig sind?“, twittert der Moderator und Redaktionsleiter von „Monitor“ und weist unter anderem auf „Share Deals: Wie große Immobilienkonzerne Steuern vermeiden“ hin und auf Recherchen zur Pandemie – „Freiheiten für Konzerne, Lockdown für die Gesellschaft“ oder „Auslastung der Intensivstationen: Manipulierte Daten?“

Für den WDR-Journalisten konnte auch nur ein Magazin wie seines wuchtig über die Maskendeals und Nebeneinkünfte in der Union berichten, denn:

„Zu lang für die Tagesthemen. Zu aktuell für langfristige Dokus“ – Restle spricht einen wunden Punkt an. Wenn die ARD tatsächlich wie geplant die Zahl der Sendeplätze für klassische Magazine zurückfahren sollte, um nach einer größeren Programmreform auf den Plätzen von „Monitor“, „Panorama“ und Co. mehr Dokus zu senden, dann drohen semi-aktuelle Recherchen kürzer zu kommen, womöglich zu kurz.

Erstaunlicherweise trommelt Restle öffentlich relativ allein für den Erhalt der Magazine. Er twittert: „Sollten [ARD-Programmdirektorin] Strobl, die ARD-Intendant:innen oder andere tatsächlich planen, die Zahl der Politikmagazine um 30% zu kürzen, wäre dies ein Angriff auf regelmäßige regierungskritische investigative Berichterstattung.“ In der „Süddeutschen Zeitung“ warnt er vor einer „Entpolitisierung und Trivialisierung“ des Programms.

Zur Seite springt ihm immerhin seine Vorgängerin Sonia Mikich:

Und auch die Leiterin des ARD-Fernsehstudios in Moskau, Ina Ruck, wird öffentlich deutlich:

Die Programmdirektion des Ersten versucht währenddessen zu beruhigen. „Wir wollen die politische Berichterstattung ausbauen und einen neuen Schwerpunkt ‚investigativen Journalismus‘ schaffen“, sagt der neue ARD-Chefredakteur Oliver Köhr in einem schriftlich geführten dpa-Interview.

Demnach sollen die politischen Magazine ihre Sendeplätze und Marken behalten, dort aber auch Angebote für die ARD-Mediathek entwickeln. „Dies gelingt am besten durch Dokumentationen und Reportagen oder andere filmische Formate“, sagt Köhr und ergänzt: „Das sieht der Vorschlag im Übrigen für alle Magazinangebote vor.“ Mit anderen Worten: Die Verantwortlichen des Ersten wünschen sich, dass auch das Auslandsmagazin „Weltspiegel“, das Kulturmagazin „ttt“ und das Wirtschaftsmagazin „plusminus“ ihre Form ändern und zunehmend in die Langstrecke gehen.

Alles im Sinne des „Audience Flow“

Klassische Fernsehmagazine stecken in einem Dilemma. Linear funktionieren sie oft noch prima, wie das Beispiel „Kontraste“ zeigt: Das Format im Ersten vom RBB war 2020 das erfolgreichste der sechs ARD-Politikmagazine – mit im Schnitt drei Millionen Zuschauerinnen und Zuschauern. Elf Prozent all derer, die fernsahen, schalteten ein. Der Quotenerfolg liegt zwar maßgeblich auch an einem Zufall, der den Jahresschnitt spürbar anhob: „Kontraste“ sendete im März 2020 am Tag nach der Corona-Ansprache von Bundeskanzlerin Angela Merkel, als das Publikum besonders gierig nach Informationen war. Doch auch die anderen Formate fallen im Jahresschnitt nicht dramatisch ab. Die Politikmagazine funktionieren, vor allem donnerstags nach dem Krimi.

Gleichzeitig müssen sich Sender wie das Erste darauf vorbereiten, dass Mediatheken das klassische Fernsehen ablösen.

Die Magazinform ist perfekt für das lineare Fernsehen geschaffen: Die Moderatorinnen und Moderatoren führen das Publikum nicht nur innerhalb der Sendung von Beitrag zu Beitrag; sie leiten auch zu den nachfolgenden Programmen wie den „Tagesthemen“ über. Alles im Sinne des „Audience Flow“, des Zuschauerstroms.

Doch der hat in der neuen digitalen Welt in dieser Form keine große Bedeutung. Und wenn sich Nutzerinnen und Nutzer in Mediatheken neben Unterhaltung überhaupt für Informationssendungen interessieren, dann meist für Dokumentationen, nach dem Motto: ein Thema, das aber konsequent.

Konkrete Zahlen liefert die Programmdirektion des Ersten dazu zwar nicht. Ein Sprecher teilt aber mit:

„Generell lässt sich feststellen, dass trotz eines etwa doppelt so großen Angebotsvolumens an Magazinsendungen gegenüber Reportagen/Dokus die Abrufzahl der Reportagen/Dokus in der ARD-Mediathek rund 50 Prozent höher liegt als die der Magazinsendungen.“

Die Politikmagazine sind in der ARD-Mediathek ziemlich versteckt. Screenshot: ardmediathek.de

Aussortierte ZDF-Magazine

Mit diesem Phänomen ist die ARD nicht allein. Auch ZDF-Chefredakteur Peter Frey registriert, dass seine klassischen Magazine wie „Frontal“, „WISO“, „Berlin Direkt“ oder das „Auslandsjournal“ im Fernsehen „noch immer funktionieren, was die Quoten eindrücklich beweisen“. Der Chefredakteur sagt gegenüber Übermedien aber auch: „Auf einem stark fragmentierten Medienmarkt muss das Magazin mehr tun als früher, um in der Breite der Gesellschaft anzukommen.“ Er meint damit andere Formate und eben vor allem auch: Dokumentationen.

Seit Frey 2010 Chefredakteur wurde, hat er immer mehr TV-Magazine ganz gestrichen, etwa die „ZDF.reporter“, „ML Mona Lisa“ und „ZDF Umwelt“. Das hatte mit einem Spardruck zu tun, bei dem hunderte Stellen wegfielen, aber eben auch mit der Zukunftssicherung.

Statt der genannten Magazine laufen im ZDF nun Dokus: die Umweltreihe „planet e“, die konstruktive Reihe „plan b“ und die investigative Reihe „ZDFzoom“. Programmdirektor Norbert Himmler, der im März 2022 Intendant wird, widmete zudem das Kulturmagazin „Aspekte“ in eine „Kultursendung“ um – eine Art Formatkreuzung: Das Magazin bekam dokumentarische Züge und sendet nicht mehr aus einem Studio mit all dem Aufwand, der dahintersteckt. Wer moderiert, ist dafür im Land unterwegs und zeichnet auf.

„Starke Stories erreichen, in der richtigen Form und Ansprache, auch digital ihre Zielgruppen“, sagt Frey. „Tatsächlich sind die Abrufzahlen ganzer Magazinsendungen in der Mediathek geringer als bei monothematischen Inhalten.“

Will auch das ZDF bei seinen verbliebenen Magazinen sparen und lieber Dokus abfordern? Eine eindeutige Antwort bleibt aus. Frey sagt aber, dass er auf seine verbliebenen Magazine weiter setzen will: „als Brücke für journalistischen Content auf den digitalen Plattformen“.

„Frontal21“, das künftig nur noch „Frontal“ heißt, spiele etwa „eine wesentliche Rolle bei der Verbreitung investigativer Inhalte ins Netz“. Ziel sei, Inhalte „häufig sowohl im Youtube-Format als auch fürs TV-Magazin“ zu präsentieren. Zum „Lernprozess“ gehöre auch, Recherchen der Magazinredaktionen in die Nachrichtensendungen zu bringen. Grundsätzlich gelte aber eben: „Wir nutzen die Magazine und ihre Rechercheergebnisse, um hintergründige, latent aktuelle Themen gezielt für verschiedene Plattformen zu optimieren.“

Veränderungen bei den ARD-Magazinen

Nun ist es nicht so, als hätten sich die etablierten ARD-Magazine in den vergangenen Jahren nicht verändert. Im Gegenteil: Einige haben neben ihren Magazinausgaben weitere Formate gestartet. Beim NDR gingen schon 2008 „Panorama – die Reporter“ an den Start, anfangs noch als weiteres Magazin, seit vielen Jahren aber als Langformat, etwa zur „Jagd auf den Impfstoff“ oder „Das rechte Phantom“, einem Unterstützer der AfD. Auch das „Panaroma“-Magazin im ersten setzt immer häufiger auf monothematische Sendungen.

2019 kopierte der RBB die Ableger-Idee von „Panorama“. Seitdem sendet auch „Kontraste – die Reporter“, etwa „High durch den Tag – Wenn Drogen zum Alltag gehören“ über den LSD-Markt oder „Wir sind die Macht! – Autonome in der Rigaer Straße“. Außerdem bestücken auch Autorinnen und Autoren der Politikmagazine die Dokumentar- und Reportage-Reihen „Exclusiv im Ersten“ und „Die Story im Ersten“. „Panorama“ hat zudem mit „Strg_F“ eine Reihe gestartet, die Investigatives auf Youtube an ein junges Publikum bringt und auch von der ARD-Mediathek gerne nach vorne gestellt wird. Auf Youtube hat Georg Restle auch „Studio M“ gestartet: eine eigene Talkshow, in der er mit Gästen über den „Schmutzigen Wahlkampf“ diskutiert und den „Konflikt ohne Ende?“ im Nahen Osten.

Screenshot Studio M
„Studio M“ mit Georg Restle Screenshot: Youtube/Monitor

Einige Magazine sind auf die neue Zeit besser vorbereitet als andere. Den Willen, sich zu verändern oder mit den eigenen Inhalten auch auf andere Plattformen zu gehen, kann den Magazinen aber niemand ernsthaft absprechen. Dennoch bleibt das von Restle adressierte Problem: Dokumentationen oder auch Talkshows können gut und wichtig sein, aber mit weniger Magazinsendungen würden auch viele Themen einfach wegfallen. Einiges würde für Dokus viel intensiver recherchiert, anderes dafür gar nicht mehr. Vielleicht wäre es deshalb an der Zeit, über einen anderen, radikaleren Weg nachzudenken, vor allem im TV.

Ein mögliches Vorbild: „Newsnight“

Es lohnt ein Blick auf die BBC. Sie sendet mit „Newsnight“ jeden Tag ein hintergründiges Magazin, das von Recherche lebt. 40 Minuten, platziert im Anschluss an die halbstündigen „News at Ten“, die magazinige Züge haben, vergleichbar mit den „Tagesthemen“ oder dem „heute-journal“. „Newsnight“ ist ein flexibles Magazin, das sich am Tagesgeschehen orientiert, aber auch eigene Themen setzt.

Einzelne Beiträge können drei, aber auch zehn Minuten lang sein. Dazu kommen Talks: Analysen mit Expertinnen und Experten oder den Leuten aus der eigenen Redaktion, aber auch klassische Interviews und Gespräche – mal in einer größeren Runde mit bis zu drei Gästen, mal in einem harten Eins zu Eins. Mit dieser Flexibilität ist „Newsnight“ ein immer wieder überraschendes Format, das auch bietet, was die deutschen Politikmagazine einst mal waren: ein Ort für den direkten Diskurs.

Screenshot Newsnight
„Newsnight“ Screenshot: BBC

Wenn die Spätnachrichten ausführlich über den Jubel der englischen Nationalmannschaft über den Sieg gegen die Deutschen in Wembley berichten, geht „Newsnight“ in der Bevölkerung und bei Experten der Frage nach, wie es um den Nationalismus bestellt ist. Eine Journalistin, die von der BBC als „Disinformation-Correspondent“ installiert wurde, geht der Spur der Corona-Leugner nach. Dem Populismus bei den Nachwahlen im Norden Englands widmet das Magazin 20 Minuten. Dem „letzten Diktator von Europa“ in Belarus und seinen Förderern zwölf.

Es ist das, was hierzulande Politikmagazine leisten, nur: jeden Tag – während sich hierzulande „Tagesthemen“ und „heute-journal“ ein Wettrennen bieten um das beste Nachrichtenmagazin, beladen mit Nachrichtenüberblicken und dem Börsenbericht.

Problem der kleinen Schritte

Die ARD hätte, wenn sie ihre Kräfte bündeln würde, alle Zutaten für solch ein Format, das Inhalte schafft, die auch im Netz aktuell mit erzählt werden können – neben aufwändigen Dokumentationen, die natürlich weiter produziert werden könnten. Theoretisch könnten in einem neuen ARD-Magazin sogar alle Magazine aufgehen – die politischen, aber auch die fürs Ausland, für die Wirtschaft und die Kultur. Außerdem hätten auch die diversen Investigativ-Teams, die in der ARD bislang oft parallel zu den Magazinen arbeiten, eine aktuelle Abspielfläche.

Die Kultur hierzulande ist aber die Reform in kleinen Schritten. Sie soll möglichst wenigen richtig wehtun, schafft so aber auch nie wirklich etwas Neues.

„Wir wollen das ZDF nicht angreifen“, hat die neue ARD-Programmdirektorin Christine Strobl der dpa zu ihren Reformplänen gesagt, die auch vorsehen, „Markus Lanz“ und der „heute-show“ etwas jeweils ähnliches entgegenzusetzen.

Man fragt sich: Das ZDF angreifen – ja, warum eigentlich nicht? Aber bitte mit einem anderen Programm. Es bräuchte eine wirklich radikale Reform.

Offenlegung: Daniel Bouhs arbeitet auch für verschiedene ARD-Sendungen (siehe Autorenkasten). 2017 war er Co-Autor eines „Panorama“-Beitrags.

5 Kommentare

  1. Mein Vorschlag (den ich auch schon woanders gelesen habe und auch in diesem Beitrag etwas anklingt): Verlängerung der Tagesthemen auf 45 Minuten. Dann könnte man dort neben dem Tagesgeschehen auch mal einen bis zu 20-25-minütigen Schwerpunkt bilden.

    Es ist sowieso merkwürdig, warum die öffentlich-rechtlichen Nachrichtenformate so sehr in ihrer Form erstarrt sind. In vielen anderen Ländern sind Langformate auch am Vorabend Usus. Warum nicht auch eine 45-minütige ZDF-heute von 19 bis 19:45 Uhr oder 45-minütige Früh-Tagesthemen von 19:30 Uhr bis 20:15 Uhr? (Am besten im Ersten, Abend von mir aus auch auf tagesschau24 oder auf Phoenix.) Die 15-Minuten-Variante der Tagesschau von 20:00 bis 20:15 Uhr kann ja weiter in den Dritten und auf 3sat laufen.

  2. Ich glaube, im ersten Absatz, in dem „Newsnight“ vorgestellt wird, da hat sich irgendwas verschoben.
    Das liest sich nicht richtig, spätestens nach dem dritten Satz dort.

  3. Danke für den Artikel. Interessante Gedanken und Aspekte.

    Die ARD sollte weniger auf die Quote und das ZDF schauen, sondern sich mal überlegen: Was wollen wir senden und warum. Klar, man muss jetzt nicht Nischen-TV machen, wo nur die Mutter des Redakteurs zuschaut. Aber die Themen, die die Politikmagazine aufgreifen, sind relevant. Die Themen müssen in der ARD stattfinden, sonst kann man Bumms auch gleich zumachen.

    Die Ideen von #1 sind gut. Auch ein Newsnight-Klon, gerne mit Tages*-Branding, würde das Programm bereichern. Selbst im Radio könnte man besser werden und eine Sendung wie das
    Echo der Zeit vom SRF aufziehen.

  4. Ein Format wie Newsnight würde unserem ÖRR wirklich gut zu Gesicht stehen. Generell fände ich die Idee offenerer, weniger in ein Korsett gepresster Newssendungen extrem spannend. Die Idee von freiwild (sic!), das ganze einfach an die Tagesthemen ran zu hängen, fände ich auch ganz charmant.

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