Die Podcast-Kritik (53)

Der Bundestags-Hack als Spionage-Krimi mit journalistischem Anspruch

Podcastkritik: Der Mann in Merkels Rechner

Auch wenn es bei „Der Mann in Merkels Rechner“ um ein echtes Verbrechen geht und True-Crime-Anleihen im Podcast-Sound stecken, würde ich die Kategorie „True Crime“ am liebsten gar nicht bemühen. Dass ich kein Fan des Genres bin, habe ich in dieser Kolumne wahrscheinlich schon zu oft betont.

Die Podcast-Miniserie von Bayern 2 ist auch keine Schauer-Unterhaltung, sondern eine journalistische Produktion mit Informationsanspruch. Die Anleihen an die True-Crime-Ästhetik hätte der Podcast gar nicht nötig: „Der Mann in Merkels Rechner“ ist ein aufschlussreicher Exkurs in die Welt der Cybersicherheit, Geheimdienste und Hacker – sowie ein guter Rückblick auf den fast schon vergessenen Hack des Bundestags 2015.

Spoiler vorweg: Es gibt nicht den einen großen Scoop des Podcasts, der namensgebende „Mann in Merkels Rechner“ ist bereits bekannt und wird trotz Haftbefehl wahrscheinlich nicht mehr zu fassen sein. Eine Enthüllung oder den Hacker höchstpersönlich braucht der Podcast allerdings auch gar nicht, um über fünf Folgen spannend zu bleiben.

In der ersten Folge wird sehr szenisch der Weg der Hacker in den Bundestag rekonstruiert. Er beginnt mit einer Phishing-Email und endet mit 16 Gigabyte abgeflossenen Daten aus dem Bundestag. Folge 2 widmet sich den grundlegenden Mechanismen des Hacks, der Aufklärungsarbeit und der Attribution, der Zuschreibung der Attacken zu Urhebern.

Die Folgen 3 und 4 sind die Highlights der Serie, weil hier die bewährte Mischung aus Spionage-Krimi und journalistischer Arbeit – beides teils mit selbstironischen Anflügen – voll greift: Anonyme Quellen, überraschende Interviewzusagen, außenpolitische Bezüge, das volle Programm.

„Der Mann in Merkels Rechner“ ist allerdings immer dann am besten, wenn der Podcast das Hacking nicht unterhaltend beschreibt, sondern als Verlängerung von politischen Interessen einordnet. Die beiden Reporter legen dar, wie ein internationaler Verbund von Behörden, IT-Firmen, Nachrichtendiensten und Regierungen zu dem Schluss kommt, dass viele Hinweise darauf hindeuten, dass hinter dem Hack auf den Bundestag und anderen Attacken wahrscheinlich der russische Militärgeheimdienst stand. Und sie thematisieren, warum – wahrscheinlich auch unter dieser Podcast-Kritik – die Frage kommen wird: Wie will das jemand überhaupt wissen, geschweige denn beweisen?

Detailverliebte Recherchen, liebloser Sound 

Die beiden letzten Folgen machen klar, warum der Bundestagshack auch Jahre später noch interessiert. „Der Mann in Merkels Rechner“ sorgt dafür, dass sich die Hörer*innen Fragen stellen zu einer politischen Debatte, die trotz der Snowden-Enthüllungen und diverser Skandale kaum vorankommt.

Wie verteidigt sich ein Land gegen digitale Angriffe? Welche Mittel sind wir bereit einzusetzen? Ist es legitim, auch aktiv mit Hackbacks zum digitalen Gegenangriff zu blasen, trotz schwer absehbarer Folgen? Wie passt digitaler Krieg zu Diplomatie, Politik und Demokratie mit offenem Visier? Und wer kontrolliert das, wer kann dann überhaupt noch die Geheimdienste und die digitalen Waffen sinnvoll kontrollieren, wenn sie einmal so mächtig sind? Inhaltlich überzeugt „Der Mann in Merkels Rechner“ in seiner Gesamtheit, zumindest thematisch interessierte Laien wie mich.

Meine Begeisterung für den Podcast wäre allerdings deutlich weniger verhalten, wäre da nicht die Produktion. Einerseits klingt der Podcast für meine Ohren routiniert-lieblos. Andererseits ist das Sound-Design viel zu bemüht, mit Krimi- und Thriller-Anleihen eine raunende Spannung aufzubauen. Und dann sind da noch die eher klischeebeladenen Sounds rund um Digitales: Digitale Artefakte, elektronisch-klingende Störgeräusche, ein digital-komprimiertes Kichern im Hintergrund. Klar, geht um Internet und Hacker. Das muss irgendwie piepsen und rauschen.

Diese retrofuturistische Sound-Note wirkt auf mich wie die Audio-Entsprechung der schlimmen Hacker-Symbolbilder, diese schwarzen Hoodie-Silhouetten vor den dunklen Tastaturen und den grünen Matrix-Bildschirmen.

Präzise, aber steif

Zweite Schwäche, die für Abzüge in der B-Note sorgt: An vielen Stellen wirkt die Erzählung von „Der Mann in Merkels Rechner“ eher wie ein sehr klassisch geratenes Radiofeature: Zwar präzise und effizient in der Wortwahl, oft sogar mit schönen Metaphern und Formulierungen. Die können aber kaum richtig wirken. Manchmal liegt das daran, dass das Timing und der sehr ernste Ton der Autoren nicht stimmen. Das ist allerdings so verzeihbar wie die O-Töne, die nicht immer so klingen, als seien sie ursprünglich für die Veröffentlichung gedacht gewesen.

Weitaus ärgerlicher ist, wie kalt und roboterhaft streckenweise die Erzählung präsentiert wird. Ich hätte mir gewünscht, dass sich die Produktion mehr Zeit genommen hätte, eine Erzählhaltung der beiden Autor*innen zu entwickeln. Diese steife, neutrale Präsentation abzuschütteln. Erst in der vorletzten Folge tauen Florian Flade und Hakan Tanriverdi langsam auf und lassen mehr Persönlichkeit und Erfahrungen anklingen, jenseits der neutralen Sprecherrolle.

In den Geschichten von „Der Mann in Merkels Rechner“ stecken so viele besprechenswerte Zwischen- und Untertöne zur Hackerszene, zu Sicherheitsbehörden und Nachrichtendiensten. Nur: Die Produktion des Podcasts schafft keinen echten Raum für die Reaktionen, Gedanken, Einordnungen der beiden Reporter. Das müsste auch nicht zwangsläufig im gekünstelten Reporter-Duett in verteilten Rollen passieren, nach dem Motto: „Sag mal, was denkst du dazu?“ Ich hätte mir nur eine Form gewünscht, um noch mehr Einordnung der erfahrenen Reporter zu hören.

Transparenz in einem intransparenten Geschäft

Dass die Meta-Ebene zu kurz kommt, mag auch am Eigenanspruch des Podcasts liegen, ein komplexes Thema laientauglich und so komprimiert zu vermitteln. Möglicherweise stecken in den fünf Folgen aber auch schlicht zu viele, zu dicht gestaffelte Nebengeschichten, Nebenschauplätze und Nebenfiguren. Selbst wenn die oft unterhaltsam sind.

Neben den Absurditäten der Szene aus Unternehmen, Behörden und Politik, die da anklingen, gäbe es auch journalistisch gesehen noch genügend Besprechenswertes, das zu kurz kommt. Da wären auch Grautöne der Recherchen zu diskutieren, die neben der Haupthandlung liegen.

Als Hörer stelle ich mir die Frage, ob der Podcast nicht zu bereitwillig die Erzählung und die Interessen der Geheimdienste vertritt. Ob er beispielsweise nicht klar genug benennt, dass die Interviewten aus den großen IT-Sicherheitsfirmen immer auch Eigen-PR betreiben können, wenn sie in Medien als neutrale Experten auftreten. Oder, warum die Reporter plötzlich Informationen von ihren sonst so schweigsamen Quellen bekommen, und wem das eigentlich nützt. Insbesondere die letzte Folge bewegt dann ärgerlicherweise beispielsweise zahlreiche Argumente, die eher für den digitalen Gegenangriff, für Hackbacks sprechen – die Kritik am staatlichen Hacking kommt dabei extrem kurz.

Trotzdem: Der Podcast unternimmt den lobenswerten Versuch, an vielen Stellen so transparent wie möglich zu sein. Keine leichte Aufgabe, wenn so oft aus vertraulichen Gesprächen, geheimen Dokumenten und anonymen Quellen zitiert werden muss. Im Podcast vermitteln Florian Flade und Hakan Tanriverdi nebenbei sehr gut, wie investigativer Journalismus grundsätzlich funktioniert. Sie zeigen auch, wie schwierig die Detektivarbeit im Digitalen für die Behörden ist – und wie schwierig es ist, über diese Detektivarbeit als Journalist*innen zu berichten.

„Der Mann in Merkels Rechner“ erklärt – trotz aller Schwächen – hörenswert, warum das Klischee vom Kaputzenpulli-tragenden Hobbyhacker überholt ist und digitale Angriffe längst mehr als nur Unannehmlichkeiten in einer digitalisierten Welt sind.


Podcast: „Der Mann in Merkels Rechner“, von Bayern 2

Episodenlänge: 5 Folgen mit jeweils 25-30 Minuten

Offizieller Claim: Es ist der spektakulärste Fall von Cyper-Spionage, den es in Deutschland je gegeben hat

Inoffizieller Claim: Was ist eigentlich aus den 16 GB aus dem Bundestag geworden?

Wer diesen Podcast mag, hört auch: „Cybercrime“  von hr-info; das englische Hörspiel „Motherhacker“ (Gimlet), den leider eingestellten US-Podcast „Codebreaker“

1 Kommentare

  1. Vielen Dank für die Rezension, die mich so neugierig gemacht hat, dass ich den Podcast heute selber angehört habe. Und: Er ist definitiv kurzweilig und spannend.

    Die Anmerkungen bzgl. Sound-Effekten kann ich gut nachvollziehen, das war oft zu viel des Guten. Aber besonders die Kritik der stellenweise lieblosen bzw. roboterhaften Erzählungen und des „gekünstelten Reporter-Duetts“ trifft genau ins Herz: Die Geschichte ist wirklich sauber recherchiert und aufbereitet – da hätte auf der Vertonung mehr Priorität liegen sollen. Die Reporter sollten sich auch überlegen, ob sie wirklich alles selbst einsprechen – ein guter Investigativ-Journalist macht noch keinen guten Sprecher.

    Alles in allem aber eine sauber aufbereitete Story mit vielen Details – gerne mehr davon!

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