WDR-Themenabend Rassismus

Immerhin mal den Elefant im Raum beschrieben, ohne noch mehr Porzellan zu zerstören

Warum hat Rassismus mit uns allen zu tun?
Foto: WDR / Claus Langer

Ich weiß, ich weiß, ich weiß. Das Thema ist zu groß und wichtig, als dass ich mir da innere Uneinigkeit erlauben dürfte.

Aber ich will ehrlich sein: Ein Teil von mir, der optimistische, der idealistische, wollte unbedingt, dass an diesem Themenabend Rassismus im WDR ein mehrstündiges Feuerwerk der Fernsehaufklärung passiert, ganz im Sinne des öffentlich-rechtlichen Bildungsauftrags, von dem sich MedienhistorikerInnen noch lange erzählen werden. Der Tag, an dem ein Sender öffentlich seine Fehler eingesteht, sie korrigiert, Konsequenzen daraus zieht und dabei zugleich ein magischer Moment der diskursiven Verständigung entsteht, wie beim Turmbau zu Babel.

Auch die Zusammenstellung der GästInnen – sowohl die originale mit der Journalistin Hadija Haruna-Oelker, der Sängerin Tayo Awosusi-Onutor und der Black-Lives-Matter-Aktivistin Perla Londole, als auch die kurzfristig veränderte – bot Personen eine Bühne, die sich forschend, aufklärend und aktivistisch mit dem Thema Antirassismus und Identität auseinandersetzen. Sie alle waren für eine fundierte Verhandlung, die tatsächlich an einer Durchdringung der Sachverhalte und Missstände interessiert ist, von Berufswegen qualifiziert.

Der von der Wirklichkeit gekränkte Pessimist in mir war aber in seiner Voreingenommenheit sicher, dass das Ganze scheitern muss. Es fing schon damit an, dass die drei erwähnten Gästinnen absagten, weil sich der Sender nicht an Verabredungen hielt. Der Pessimist wusste schon, dass sowas passieren musste, der Sendungstitel („Freiheit, Gleichheit, Hautfarbe!“) stand schon auf den Stufen der „Hart aber Fair“-Schule des Cringes.

Fast unmögliche Aufgabe

Zudem erschien die große Herausforderung, die vorab über allem schwebte, einfach zu verfahren: Kann der Sender, dessen redaktionelle Strukturen die Z-Ausgabe der „Letzten Instanz“ über den Äther gehen ließ, einen mehrstündigen Diskussionsabend stemmen, bei dem nicht nur viele Informationen vermittelt, sondern die Themenkomplexe auch mit einer großen Sensibilität verhandelt werden?

Dabei müssen ja zugleich noch abstrakte Debatten benannt werden, bei denen es sich gewissermaßen um Vater, Sohn und Heiliger Geist der aktuellen gesellschaftlichen Diskurse handelt: Identitätspolitik, Cancel Culture und Political Correctness; und das, ohne die Fehler zu reproduzieren, die eine solchen Sendung überhaupt erst notwendig gemacht haben.

Meine innere Pessimistin stand mit verschränkten Armen davor und erwartete eine gezwungene antirassistische Feigenblattveranstaltung, einen „Reinwaschungstalk“, wie ihn die Standupperin Enissa Amani prophezeite. Die schwarze Instagram-Kachel unter den Sendungen. Vor meinem geistigen Auge überreichte die Philosophin Svenja Flaßpöhler den Schwarzen Gästen im Namen der Freundschaft und des „hermeneutischen Wohlwollens“ ein paar Schokoküsse.

Nicht so gut, nicht so schlecht

Aber – es wurde alles viel unaufgeregter, als ich zuvor befürchtet oder erhofft hatte. Die Diskussion war nicht als Debatte angelegt, es war der Versuch eines kooperativen Austauschs, keine Konfrontation. Und im Gegensatz zum „Presseclub“ am vergangen Sonntag, ließ der Moderator hier tatsächlich alle TeilnehmerInnen in Ruhe ihre Punkte ausführen, was dem Gespräch gut tat. Denn die besprochenen Sachverhalte sind größtenteils so komplex, dass man für Argumente oftmals soziologischen Anlauf benötigt, um die Systematiken, die Historie und Ökonomie von Diskriminierungen darlegen zu können. Dass dem Thema so viel Zeit eingeräumt wurde, und das auch noch zur Primetime, ist ein Zugeständnis und zeugt von einem Bewusstsein dafür, wie notwendig das ist. Das will ich an dieser Stelle auf jeden Fall würdigen.

WDR-Programmdirektor Jörg Schönenborn (links) und ein Aktivist namens Charles Foto: WDR/ Claus Langer

WDR-Programmdirektor Jörg Schönenborn als Gesicht des Senders gab sich beflissen-zerknirscht, sah alles ein, gab allen Recht, schämte sich sehr viel und entschied sich dann, die Rolle in der Runde einzunehmen, die gleichermaßen am leichtesten und am schwersten ist: die des Zuhörenden. Svenja „Wo fängt Rassismus an?“ Flaßpöhler war demgegenüber etwas überbemüht und tarnte ihre mitteilungsbedürftige Beharrlichkeit nicht sehr erfolgreich hinter dem Impetus des Verstehenwollens, vor allem in den Momenten, in denen sie von der Abbildung von Alltagsrassismus unbedingt zurück zu der Gedichtübersetzung von Amanda Gorman kommen wollte, um diesen Sachverhalt jetzt endlich mal ausführlich auszudiskutieren.

Zugleich veranschaulichte dieses Insistieren natürlich sehr schön einen wichtigen Aspekt aktueller identitätspolitischer Diskurse, der in seiner Empörungskraft das konservative Lager beständig beschäftigt – Jetzt dürfen weiße Menschen nicht einmal mehr das Gedicht einer Schwarzen Frau übersetzen! Deshalb muss man ihr vielleicht sogar dankbar sein, dass sie hier als Stellvertreterin weißer Bildungsbürger diese offenbar besonders drängende Angelegenheit problematisierte, die die Wissenschaftlerin Roxanna-Lorraine Witt überzeugend und eloquent beantworten konnte.

Rückschritt und Fortschritt

Der Talk, der über den ganzen Fernsehabend ging, wurde von Nachrichten sowie drei Features unterbrochen, die sich thematisch mit dem Alltag von Schwarzen Menschen und Menschen of Color in Deutschland auseinandersetzen. Sie klärten kulturanthropologisch über die Fiktion des falschen postkolonialen Denkens in „Rassen“ auf. Vom Arbeitsalltag einer Schwarzen Pflegekraft, eines Schwarzen Schauspielers und einer marokkanischen Bundeswehrsoldatin wurde ein weiter Bogen über das Spektrum gegenwärtiger Rassismusdiskurse gespannt, zum Beispiel zur historischen Erfindung von Überlegenheitserzählungen bis hin zur Elektroingenieurin Kenza Ait Si Abbou Lyadini, die digitale Diskriminierung und rassistische Algorithmen untersucht.

Das scheint sehr viel, aber im Grunde bildet der Bogen die Zusammenhänge ab: Ein ausbeuterisches Jahrhunderterbe, dessen Auswirkungen direkt in das Privatleben der Porträtierten schwappt und sich sogar in der Technologie fortsetzt. Rückschritt und Fortschritt abgebildet in der Montage der Einspieler.

Durch den Austausch von Argumenten und Erfahrungen in den Talkshow-Teilen und die Abbildung von Lebenswirklichkeiten in den Einspielern versuchte man, sich der Vermittlung von strukturellem Rassismus von zwei Seiten zu nähern – und vielleicht ist genau das eines der Hauptprobleme, das auch dieser Themenabend nicht lösen konnte: die banale Alltäglichkeit und dementsprechend gleichzeitig die Strukturalität von Rassismus in den ökonomischen und soziologischen Kräfteverhältnissen unser Gesellschaft deutlich und sichtbar zu machen. Es gelang nicht wirklich, diesen „strukturellen Rassismus“, von dem die ganze Zeit gesprochen wurde, auch für eine Person greif- und spürbar werden zu lassen, die nicht davon betroffen ist.

Narrative Transportation

Die Abbildung von Ungerechtigkeit, die einen selbst nicht betrifft, ist vielleicht eine der größten journalistischen Herausforderungen; diesen notwendigen Moment herzustellen, der „narrative Transportation“ genannt wird. Er ermöglicht es, in die fremde Lebenswirklichkeit eines Protagonisten oder einer Protagonistin einzutauchen und ein Verständnis für ihre Situation zu entwickeln.

Es gab solche Augenblicke, in denen erahnbar wurde, dass solch eine narrative Transportation möglich ist, beispielsweise als Flaßpöhler (komplett übergriffigerweise) Witt fragte, wie sich denn die „Retraumatisierung“ genau ausgestaltet, von der diese zuvor gesprochen hatte – und Witt es ihr erklärte. Zusammen mit dem Soziologen Aladin El-Mafaalani und der Journalistin Sheila Mysorekar vom Verein der Neuen Deutschen Medienmacher lieferte Witt den ganzen Abend aufschlussreiche und fundierte Einordnungen für diskriminierende Strukturen, aber hier erklärte sie Flaßpöhler konkret, ganz praktisch anhand ihres eigenen Lebens, worum die Debatte seit Monaten kreist: Dass Gleichberechtigung auch bedeutet, von manchen Menschen nicht mehr soziale Dickhäutigkeit einzufordern als von anderen.

Auch wenn ich mich gegen diese biografische Selbstpräsentations-Notwendigkeit sträube – denn es ist ja nicht die Aufgabe Einzelner, durch einen unfreiwilligen Exhibitionismus Aufklärungsarbeit zu leisten – hatte sie hier offenbar einen Effekt auf die fragende Philosophin. Witts Erläuterung sorgte für einen Erkenntnismoment, der darauf beruhte, die Situation des Gegenübers nachvollziehen. Die Wissenschaftlerin bot hier freundlicherweise ihren Erfahrungshorizont, um Flaßpöhler zu helfen, eine gemeinsame Frequenz zu finden, auch wenn dies natürlich nicht Aufgabe der Wissenschaftlerin Witt sein sollte und auch wenn die Philosophin Flaßpöhler sich nicht so recht auf die Synchronisierung einlassen konnte oder wollte.

Zugleich wurde in diesem Dialog der beiden das Dilemma erkennbar: zwischen der Idee einer Aufklärung, die nach universeller Gleichheit strebt, und einer alltäglichen Realität, in der darum gekämpft werden muss, Heterogenität und Unterschiede sichtbar zu machen, um überhaupt auf die bestehenden Ungleichheiten hinweisen zu können.

Weltverbesserung aus Versehen

Leider verflüchtigte sich dieser Moment sogleich wieder aufgrund des ritualisierten Talkshow-Protokolls und verglimmte schließlich gänzlich, als Flaßpöhler mehrmals versuchte, nicht ohne eine befremdliche wie unnötige Hartnäckigkeit, über die Abwesenheit der drei Schwarzen GästInnen zu diskutieren; und sich dabei weniger für die Anwesenden interessierte.

Der Abend lässt mich etwas ratlos zurück. Weder die Optimistin noch die Pessimistin in mir konnte wirklich etwas aussetzen oder feiern. Immerhin wurde der Elefant im Raum mal ausführlicher adressiert und beschrieben, ohne dabei noch mehr Porzellan zu zerstören.

Die Sendung machte vielleicht deutlich, was wir ja heimlich schon über jede Talkshow wissen: Es werden dort keine Lösungen gefunden und die Welt wird höchstens aus Versehen ein bisschen besser.

9 Kommentare

  1. Ok, es freut mich zu hören, dass das nicht ganz so schlimm wie gedacht war. Aber…
    „… es ist ja nicht die Aufgabe Einzelner, durch einen unfreiwilligen Exhibitionismus Aufklärungsarbeit zu leisten“ Erstens wird offenbar niemand gezwungen, an so einem Format mitzumachen, und zweitens müssten sie ja nicht unbedingt Geschichten aus der eigenen Biographie verwenden.

    Aber ansonsten ist das doch der Grund, warum sie da sitzen: die eigenen Erfahrungen als Betroffene an Nichtbetroffene weiterzugeben.

  2. „Zugleich wurde in diesem Dialog der beiden das Dilemma erkennbar: zwischen der Idee einer Aufklärung, die nach universeller Gleichheit strebt, und einer alltäglichen Realität, in der darum gekämpft werden muss, Heterogenität und Unterschiede sichtbar zu machen, um überhaupt auf die bestehenden Ungleichheiten hinweisen zu können.“

    Ganz starker Satz.

  3. @Mycroft
    Ich glaube, es geht eher darum, dass es ein wenig Schade ist, dass Menschen nicht in der Lage sind, abstrakt geschilderte Situationen und Gegebenheiten zu verstehen, sondern es dazu eines konkreten, realen, biografischen Beispiels bedarf.

    Ich muss aber zugeben, das Konkrete ist tatsächlich das Überzeugende. Ich selbst fühle mich seit dem Hören des Podcasts „Halbe Katoffl“ wesentlich stärker für das Thema sensibilisiert, in dem dutzende konkrete Beispiele benannt werden.

  4. „Ich glaube, es geht eher darum, dass es ein wenig Schade ist, dass Menschen nicht in der Lage sind, abstrakt geschilderte Situationen und Gegebenheiten zu verstehen“
    Manche Menschen können das, manche nicht.

    Ich fühle mich zwar mehr vom Abstrakten angesprochen, aber ich kann ja nicht der Maßstab sein.

  5. Ich bin überrascht, dass einige Nutzer offenbar zu fast jedem Thema eine Meinung haben und die dann hier auch noch posten müssen. Weniger ist oft mehr. Wer sich in jede Diskussion einschaltet, verpasst die klugen Gedanken anderer. Meinungsfreiheit bedeutet weder, dass man eine Meinung haben noch jede davon veröffentlichen muss.

  6. @Stefan Fries
    Da ist was dran, ich bekenne mich schuldig im Sinne der Anklage.
    Aber noch schlimmer sind Leute, die zum eigentlichen Thema nichts zu sagen haben, sondern die Kommentare nutzen, um ihre persönlichen Befindlichkeiten abzuladen weil sie einen schlechten Tag oder sonstigen Kummer haben.

  7. Das ist geballter Erkenntnisgewinn, der sich mir hier offenbart.
    Die Sendung lief schon ca. 1 Stunde und ich hatte kurz – aber zufällig – reingezappt, 5 oder 10 Minuten zugehört. Der Eindruck vom Setup, das sich mir optisch bot war diffus, ich kannte kein Gesicht, außer Schönborns und wartete ab, bis die Namen eingeblendet wurden, was ja immer wieder mal passiert, wenn sie reden. Aufgefallen ist mir dabei in der kurzen Zeit Flaßpöhlers Art. Sie verkörpert deutsch sozialisierte Akademiker*innen aus dem Bildungsbürgertum: sauber, wenig Strahlkraft aus dem persönlich erfahrenen Lebensumfeld, und unnahbar und mit Hang zum Dogmatischen.
    Das finde ich hier „…..Flaßpöhler war demgegenüber etwas überbemüht und tarnte ihre mitteilungsbedürftige Beharrlichkeit nicht sehr erfolgreich hinter dem Impetus des Verstehenwollens“ wunderbar wieder. Um so schöner, dass hier Frau Witt (deutsch klingender Name, Sinti) offensichtlich etwas gelang, was die Deutungshoheit zurechtrücken konnte. Da wird es noch einige Jahre brauchen, bis es zum Alltag dieses Landes gehört, dass das Bildungsbürgertum andere Wirklichkeiten zulässt.
    Nach der Beschreibung dieser Sendung durch die Autorin habe ich das Gefühl, die Spur, die die Sendung hinterlässt, ist eine deutliche und keine schlechte.

  8. „Ich bin überrascht, dass einige Nutzer offenbar zu fast jedem Thema eine Meinung haben“ Ich bin mehr überrascht, dass das nicht bei allen so ist.

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