Die Podcast-Kritik (46)

„Eine Runde Berlin“: Gute Gespräche im Takt der S-Bahn

Die Berliner-S-Bahn mit ihren quietschenden Schienen, klappernden Wägen, jaulenden Automatik-Türen und roboterhaften Stationsansagen als akustische Kulisse für Gespräche? Ist das eine gute Idee?

Podcastkritik "Eine Runde Berlin"

Man muss sich auf diese Akustik einlassen, im Gesprächspodcast „Eine Runde Berlin“ des „Tagesspiegels“, aber mich hat er dann schnell überzeugt: Eine gar nicht mal so neue Idee, aber mit spannenden Gästen und einer grandios aufmerksamen Gastgeberin. Zusammen ergibt das – nicht nur für Berliner*innen – einen überraschend hörenswerten Podcast. Voller toller Gespräche und schöner Momente, alles inmitten der Kakophonie der Berliner S-Bahn.

„Tagesspiegel“-Journalistin Ann-Kathrin Hipp fährt quatschend mit ihren Gästen „eine Runde Berlin“. Das sind 27 Stationen auf dem S-Bahn-Ring, eine gute Stunde Zeit, mit Ein- und Aussteigen auch mal mehr. Das Format ist im März, nur wenige Tage nach den ersten Corona-Kontaktbeschränkungen, gestartet.

Was mir „Eine Runde Berlin“ auf den ersten Eindruck so unsympathisch erscheinen ließ, ist genau das, was mich auf den zweiten Höreindruck überzeugt hat: Es sind gerade die Ecken und Kanten, die kleinen Störungen, die den Podcast so liebenswert machen.

Hier stört die S-Bahn – und das ist auch gut so

Es ist ein anspruchsvolles, weil dichtes Interviewformat – mit viel Gesprächigkeit, aber ohne Gelaber. Wenn Gesprächspodcasts rezensiert werden, wird ja gerne die akustische Intimität des Podcasts beschworen, die eine ungeahnte Nähe, Natürlichkeit und das Gefühl des Dabeiseins beim Publikum herstelle. Aber wie natürlich ist es, dass viele Podcast-Gespräche in einem beliebig-anonymen Studio, irgendwo im unendlichen Audio-Kosmos stattfinden – nahezu raum- und zeitlos?

„Eine Runde Berlin“ hat mir wieder in Erinnerung gerufen, dass echte Gespräche auch in echten Räumen, im echten Leben stattfinden. Bis auf wenige lobenswerte Ausnahmen wie „Durch die Gegend“, ist das eine Seltenheit in der Podcast-Landschaft geworden, erst recht bei den Neustarts der letzten Monate. Endlich spielt mal in einem Podcast der Handlungsort eine Rolle. Wo “Eine Runde Berlin” beginnt, wird jeweils bestimmt durch die Gäste.

Der Podcast schafft Nähe, weil ich als Hörer mehr als sonst Teil der Situation werde. Das produziert viele Reibungspunkte und Störfaktoren: Da gehen die S-Bahn-Türen auf und das Rauschen der Stadt dringt in das Gespräch ein. Türen zu, zurück im lauten Gequassel der Fahrgäste, im geschlossenen Mikrokosmos der S-Bahn. Immer begleitet vom Berlin-typischen Warngeräusch der Türen. Bahn- und Haltestellenansagen platzen in die Gespräche. Aber das ist der Charme.

Viel Neugierde, viel Gesprächigkeit und wenig Gelaber

So kommt es im Podcast vor, dass in der vierten Episode Podcast-Host Ann-Kathrin Hipp und ihre Interviewpartnerin Mo Asumang erstmal minutenlang gemeinsam einen Sitzplatz in der vollen Bahn suchen müssen. Ich war mir sicher, dass solche Momente mich erst nerven und dann vertreiben würden. Aber nach einigen Episoden bin ich ausnahmsweise froh, dass diese Geplänkel eben nicht dem Schnitt zum Opfer fallen. Es sind gerade diese Momente, die oft ganz beiläufig die Persönlichkeit eines Gasts einfangen. Ich höre plötzlich einen dreidimensionalen Menschen in einer Alltagssituation, keine Antwort-Maschine in einem künstlichen Interviewsetting.

„Eine Runde Berlin“ kommt ohnehin mit viel Natürlichkeit und wenig nachträglicher Bearbeitung daher. Der Schutz vor Überlänge ist quasi in das Format eingebaut: Einerseits verhindert die begrenzte Fahrtzeit ohnehin stundenlanges Gelaber. Andererseits sorgt die Taktung der Stationen für ein Gefühl von Dringlichkeit, sich auf das Wesentliche zu konzentrieren. Zwischen zwei Haltestellen ist Zeit für den nächsten Interviewsprint: Türen zu, Vorhang auf für den nächsten Themenblock, die nächste kleine Anekdote. Ah, da ist schon die nächste Haltestelle. Nächstes Thema. „Eine Runde Berlin“ ist deswegen sehr kurzweilig und unterhaltsam, aber auch sehr dicht. Ein Podcast für aufmerksame und konzentrierte Zuhörer*innen, aber nicht für die Nebenbeibeschallung geeignet.

Hommage an öffentliche Verkehrsmittel

Besondere Höhepunkte sind für mich die beiden Standard-Formatspiele, die Ann-Kathrin Hipp mit ihren Gästen spielt: Das Speed-Dating und der Entweder-Oder-Fragebogen. Mo Asumang bekommt die Aufgabe gestellt, einen anderen Fahrgast zu interviewen. Es entsteht ein hörenswerter Schlagabtausch, der innerhalb weniger Sekunden den Bogen vom Frotzeln bis zum einfühlsamen Zuhören spannt:

Mo Asumang: „Setzen Sie sich doch mal zu mir, ich möchte Sie mal interviewen!“

Mann: „Ich habe ‘nen Tagesspiegel, den lese ich auch gerade.“

Mo Asumang: „Das ist jetzt wirklich ein Scherz …“

Mann: „Aber jetzt hindern Sie mich dabei, den zu lesen …“

Mo Asumang: „Ja, aber es ist doch viel besser, wenn Sie hier mit mir sitzen!“

Mann: „Sie sind bestimmt nett …“

Mo Asumang: „Im Moment bin ich noch nett. Kommt drauf an, was Sie sagen.“

Mann: „Was wollen Sie hören?“

Mo Asumang: „Wie empfinden sie jetzt gerade die Corona-Zeit?“

Und dann gibt der Mann eine herzensehrliche Antwort, wie es ihm geht und wie er sich vornimmt, mit der Situation umzugehen. Mit solchen Momenten fängt der Podcast beiläufig den Mikrokosmos der Hauptstadt und ihrer Bewohner*innen ein. Aber auch die merkwürdig verbindende Atmosphäre, die in der Schicksalsgemeinschaft der öffentlichen Verkehrsmitteln entstehen kann.

In den Öffis passieren die nettesten Begegnungen, sagt Ann-Kathrin Hipp. Mo Asumang erzählt, dass sie bei einer Bahnfahrt von einem Nazi gewürgt wurde. Beides ist Teil der Wahrheit. Das Bahnfahren als Achterbahn durch die Höhen und Tiefen der Gesellschaft. „Eine Runde Berlin“ ist auch eine Hommage an öffentliche Verkehrsmittel und das Miteinander dort als öffentlicher Raum, der Gesellschaft prägt und spiegelt.

Die Gastgeberin lässt ihre Gäste strahlen

Die Gästeauswahl ist abwechslungsreich und bricht mit dem Promi-fokussierten Gleichschritt der Gesprächspodcasts anderer Anbieter, der sich schleichend etabliert hat. Natürlich sind Berliner Prominente überrepräsentiert. So kümmert sich der Podcast mal ums Politische, wenn Kevin Kühnert zu Gast ist. Spricht über Musik und künstlerisches Schaffen mit Joy Denalane. Aber eben auch über Glauben und Religion mit Digitalpfarrerin Theresa Brückner und mit Ingo Bauer über sein Leben auf der Straße. Wie ein Chamäleon passt sich der Podcast seinen Gästen an, statt andersherum – auch das eine wohltuende Ausnahme.

Die neugierige Gastgeberin Ann-Kathrin Hipp bringt sich selbst ein, ohne im Mittelpunkt zu stehen. Die „Tagesspiegel“-Journalistin erzählt von sich, um Fragen stellen zu können – nicht, um selber Monologe zu halten.

Stattdessen stellt sie viele Rückfragen, unterbricht ihre Gäste und schürft nach Anekdoten. So entwickeln sich die eher biografisch angelegten Interviews dann schnell zu thematischen Gesprächen, mit erstaunlich viel Tiefgang. Es wirkt auf mich, als sei im Vorfeld der Podcast-Aufnahmen wenig abgesprochen. Deswegen gibt es viele ehrliche, spontane Interaktionen und glaubwürdige Neugierde. Was nicht heißt, dass Ann-Kathrin Hipp nicht bestens vorbereitet in die Gespräche einsteigt.

Und wenn dann ein Interview ganz anders läuft

Die meiner Meinung nach beste Episode ist das Interview mit Ingo Bauer, der seit Jahrzehnten auf der Straße lebt. Er will lieber draußen und in Ruhe am Bahnsteig reden will, statt sich vom „Eine Runde Berlin“-Konzept und den Formatspielen hetzen zu lassen. Und hat eine empathische Gastgeberin gegenüber, die das zulässt und aussteigt, statt in ihrem Format zu verharren. Das Gespräch ist hörenswert, weil Ingo Bauer viel von sich preisgibt. Weil er schonungslos ehrlich über sein Leben, seine Fehler, seine Alkolholsucht spricht und versucht, für das Leben der Menschen ohne festen Wohnsitz zu sensibilisieren. Es gibt in diesem Gespräch auch Spannungen und Überraschungen. Ich würde mir öfter den Mut wünschen, auch weniger Interview-gestählte und prominente Menschen in solchen Formaten zu Wort kommen zu lassen – diese Episode ist das beste Argument dafür.

Gerade einmal eine einzige Episode pro Monat gibt es von „Eine Runde Berlin“. In einem Umfeld, in dem viele Laberformate die Schlagzahl erhöht haben, zeigt mir das einmal mehr: Nicht nur Erzählformate, sondern auch gute Gesprächspodcasts brauchen Zeit. Manchmal ist es nicht die Gesprächszeit, sondern die Zeit zwischen den Gesprächen. Dann zahlt sich die Geduld bis zur nächsten Episode auch aus.


Podcast: „Eine Runde Berlin“ vom „Tagesspiegel“

Episodenlänge: +/- 60 Minuten, bisher 12 Episoden

Offizieller Claim: 27 Stationen, 60 Minuten, 1 Gast

Inoffizieller Claim: Ringgespräche zwischen S-Bahn-Tür und Haltestelle

Wer „Eine Runde Berlin“ mag, hört auch: „Durch die Gegend“, „Lob des Gehens“, „Unterwegs mit …“

8 Kommentare

  1. Danke für den Tipp! Für mich als Nicht-mehr-ganz-Neu-Berliner und regelmäßigen Ringbahn-Fahrer ein toller Podcast. Besonders interessant finde ich die erste Folge mit dem Berlin-Biographen Jens Bisky. Schick!

  2. Dass echte gespräche auch in echten räumen und im echten leben stattfinden, das hat eine runde berlin dem sandro schroeder wieder in erinnerung gerufen. Hatte er bisher angenommen, dass echte gespräche da draussen, da wo es ja auch echte menschen zu geben scheint, die etwas zu sagen haben könnten, eigentlich eher selten stattfinden und mehr dort, wo die berufenen in geschlossenen studios und echokammern miteinander erwartbare statements austauschen? Da war ich als gebürtiger berliner, der bei besuchen in der gescheiterten stadt, immer auch die ringbahn rituell befährt, doch mal gespannt, was den sandro so jäh ins wirkliche leben kickte, in dem er sich anscheinend vorher medial so selten befand, trotz der vielen podcasts, die dort spielen. Habe in die bisky-folge reingehört und zweifellos hat ein stadtgeschichtler viel zu erzählen und das tut er auch. Soweit hörenswert. Dass seine gegenüberin den anscheinend heute zwingend notwendigen, bemüht-angeregten und leicht quäkigen ton der jungbleibenmüssenden eine stunde trotz sbahngeräuschen tapfer durchhält, geschenkt. So muss sich das wohl heute anhören. Aber zumindestens in dieser folge ist die situation sbahn für das gespräch komplett egal. Die hätten auch im studio sitzen können. Die gucken anscheinend auch nicht raus? (Habs aber nicht ganz gehört) Ich erfahre aber, dass in anderen folgen doch tatsächlich mit mitreisenden ins gespräch gekommen wird und man sich vorher erst mühsam einen sitzplatz suchen musste. Krass grosses kino, so authentisch lebendig!
    Ich fahre seit 40 jahren fast täglich öffis. Da kann man mit leuten wirklich manchmal reden. Auch so interessantes wie mit bisky. Aber seien wir ehrlich: zumindestens in diesem ersten gespräch hätte man die sbahnathmo auch ins studio einblenden können. Hätte nichts geändert. Wenn das in den anderen folgen wesentlich anders werden sollte, entschuldige ich mich hier schon mal, auch im namen meiner eltern. Aber ich glaube, es wird wohl ein athmogag bleiben, und wo sie sitzen, das wird kaum je prägen, was sie sagen. Sie hätten nur gerne, dass wir das denken. Nice try immerhin.

  3. @Gianno Chiaro Es ist wohl mehr als ein Athmo-Gag, wenn sogar schon im Text steht, dass in einer Folge Interviewerin und Gast erst minutenlang einen Sitzplatz suchen müssen oder ein zufällig anwesender Fahrgast angesprochen wird. Also wären jetzt wohl mehrere versprochene Entschuldigungen (auch im Namen der Eltern) fällig. „Nice try immerhin.“

  4. @Gianno Chiaro: Was habe ich Ihnen denn getan, dass Sie, ganz offensichtlich ohne den Podcast gehört zu haben, sich an dieser Besprechung so dermaßen stören? Ich kann Ihnen versprechen: Die Atmosphäre ist eben kein Gag.

  5. @Sandro Schroeder
    Warum so weinerlich empfindlich?
    Man muss einem nicht gleich etwas getan haben um anderer Meinung zu sein, unabhängig davon, ob die Kritik berechtigt ist. Sie verreissen hier ja auch ab und zu einen Podcast, was haben denn die lieben Menschen Ihnen getan?

  6. Das faktenfreie Genöle gegen Sandro Schröder zu Beginn ist Ihnen nicht aufgefallen („ was den sandro so jäh ins wirkliche leben kickte, in dem er sich anscheinend vorher medial so selten befand“)?

  7. #4, hey sandro schroeder, ich habe exakt gesagt, was ich gehört habe, nämlich grosse teile der bisky- folge und da spielte die ubahnsituation ja wohl erkennbar inhaltlich keinerlei rolle. Wenn ihrer meinung nach das in einer anderen folge wirklich anders ist, sagen sie mir welche , dann höre ich die auch und sage ihnen, ob ich das auch finde. Alle höre ich sicher nicht, wie sagt drosten, ich habe besseres zu tun. Und die hipp quäkt schon ganz gut.
    ‚Was habe ich ihnen eigentlich getan‘ als replik auf kritik ist doch ein wenig sehr schneeflöckchen, selbst für ihre generation?
    Besprechen sie vielleicht auch mal den podcast, wo holger immer sagt, er wollte mal anrufen, während er erkennbar genau das gerade tut und jedesmal ist er sich mit seinem gesprächspartner in fast allem komplett einig und sie machen nur noch den doppelten erklärbär und lachen dabei gezwungen über ihre ach so flapsigen witzchen und wortspiele? Statt mal einen, nur e i n e n einzuladen, der ihm mal r i c h t ig widerspricht, statt nur beim hauch des schattens einer nuance? Früher nannte man das schulfunk und schlief sofort ein? Tun sie das? Nur für mich? Dann will ich auch wieder lieb sein, ich schwöre bei karel gott.

  8. @gianno chiaro: Sie können gerne Kritik üben, dafür ist diese Kommentarfunktion (auch) da. Aber wie Sie kommentieren – und das im Akkord unter jedem Beitrag – spricht nicht dafür, dass Sie eine gute, kontroverse Diskussion führen wollen. Ich lese Ihre Beiträge hier vor allem als Provokationen, die Gespräche eher verhindern als befeuern. Ich möchte Sie bitten, das zu ändern.

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