Fast vier Jahre her, der 9. November 2016: Donald Trump ist gerade zum US-Präsidenten gewählt worden. Und ich bin mir damals sehr sicher, er wird seine erste Amtszeit definitiv nicht beenden. Ich schließe Wetten darauf ab. Nun gut. Jetzt bin ich alle Wetteinsätze so gut wie los. Und ich bin um Einiges klüger – was die Person und den Politiker Donald Trump betrifft. Und geholfen hat mir dabei der US-amerikanische Podcast „Trump, Inc.“ von WNYC und ProPublica.
Klar, auch andere haben ihre Wetten verloren oder Versprechen nicht halten können. Jacob Weisberg zum Beispiel, damals Chefredakteur von „Slate“, hatte sich bereits vor der Wahl monatelang dem republikanischen Kandidaten Trump gewidmet, im Podcast „Trumpcast“. Er kündigte damals an: Er würde den „Trumpcast“ solange machen, bis Donald Trump von der politischen Bildfläche verschwunden wäre.
Das ist schön, auch wenn der beste und wichtigste englischsprachige Podcast über Trump meiner Meinung nach eben doch „Trump, Inc.“ ist, der nie die Aufmerksamkeit bekommen hat, die der „Trumpcast“ zum Start hatte. Also holen wir das jetzt und hier nach.
Die Kolumne
Podcasts haben es längst verdient, genauso ernsthaft wie andere Medien besprochen, gelobt und kritisiert zu werden. Alle zwei Wochen machen Marcus Engert und Sandro Schroeder das abwechselnd für uns – in der „Podcast-Kritik“.
Sandro Schroeder ist durch Podcasts überhaupt erst schleichend zum Fan des Mediums Audio geworden. Er berichtet seit 2016 regelmäßig über Podcasts und schreibt seit Mitte 2017 den Podcast-Newsletter Hören/Sagen. Nach seinem Journalistik-Studium in Bremen arbeitete er als freier Journalist in Leipzig, unter anderem für das Onlineradio detektor.fm. Seit 2018 ist er bei Deutschlandradio in der Abteilung Multimedia insbesondere für Podcasts und Audio-Drittplattformen zuständig.
Der Podcast „Trump, Inc.“ wirft einen Blick auf das System Trump, ohne in Trumps System der medialen Aufmerksamkeitsmanipulation mitzuspielen. Er hat das Ganze im Auge behalten, statt sich im Kleinklein zu verlieren. Hat Trump nicht behandelt, als wäre er nur ein Präsident wie jeder andere. Als würden die alten Regeln für (Politik-)Journalismus weiterhin gelten, als wäre 2016 nichts gewesen.
Die Trump-Jahre sind ein schier endloser Reigen von Provokationen, Aufregern, Ablenkungen, echten Skandalen, Normbrüchen und Tweets. Das hat wahnsinnig viel mediale Aufmerksamkeit absorbiert. Auch im aktuellen US-Wahlkampf. Bis heute amüsiert sich ein Teil der Medienschaffenden auf Twitter noch immer süffisant und vermeintlich abgeklärt mit dem Format des ironisch-schlagfertigen Drüber-Kommentars über den neuesten, absurden Trump-Tweet.
Dabei müssten es vor allem Medienschaffende seit 2016 besser wissen, wer hier wen ausspielt und entzaubert.
Aber: Auch 2020 ist es leider keinesfalls Konsens in den Medien, dass nicht jede Botschaft und Aussage von Trump per se Nachrichtenwert hat. Dass mancher absurde Tweet auch ablenkt, von den Vorgängen im Trump-Kosmos, die wirklich gesellschaftlich und journalistisch relevant sind – eben weil sie der US-Präsident niemals auf Twitter oder einer anderen Bühne thematisieren würde. „Trump, Inc.“ entzieht sich all der Dauerempörung über diese Reality-TV-Präsidentschaft.
Recherchen statt Twitter-Empörung
Der Podcast beleuchtet genau das, was Trump eben nicht zeigen will: Das Unspektakuläre und die Vergangenheit. Und es scheint zumindest im Podcast so, als ob jenseits des Trump-Spektakels im Weißen Haus viel eher damit zu rechnen ist, dass die kleinen und großen Verfehlungen eines Tages doch noch Konsequenzen haben werden.
Die Produktion ist eine Kooperation zwischen dem New Yorker Radiosender WNYC, einer der führenden und innovativsten Podcast-Anbieter der USA, und der gemeinnützigen Redaktion von ProPublica, der Adresse schlechthin für Investigativjournalismus in den USA. Womit auch der Anspruch klar sein sollte: Der Podcast schaut hinter den Vorhang, die Marke, den Namen „Trump” – immer mit der Agenda, die Interessen der Öffentlichkeit und der Steuerzahler*innen zu verfolgen.
Zu Beginn lag der Fokus von „Trump, Inc.“ auf dem tatsächlichen Unternehmen mit dem goldenen „Trump“-Schriftzug, auf dem angeblichen Vermögen, den echten Schulden, den Steuern, den gescheiterten Unternehmungen – und den Geschäften des Umfelds. Es gibt Episoden über den Anwalt Michael Cohen und sein Leben in New York. Über Trumps Berater Paul Manafort. Über seinen Vertrauten Rudy Giuliani. Über die Immobiliengeschäfte der Familie des Trump-Schwiegersohns Jared Kushner. Bis hin zur sehr exorbitant teuren, intransparent finanzierten Amtseinführungsfeier, mit der diese Präsidentschaft vor knapp vier Jahren begann.
Ein Unternehmer als Präsident oder ein Präsident als Unternehmer?
„Trump, Inc.“ beleuchtet dabei verschiedene Paradoxa – Achtung, erwartbarer Spoiler – ohne sie endgültig auflösen zu können. Beispielsweise, dass Trump prahlt, wie viel seine Immobilien wert seien. Zeitgleich streitet sein Unternehmen aber mit Städten vor Gericht darüber, dass dieselben Immobilien eigentlich viel weniger wert seien, zumindest wenn es um die Steuern geht, die dafür abzudrücken wären.
Auch „Trump, Inc.“ kann keine befriedigenden oder befreienden Antworten zu Trump liefern. Aber die Rechercheausflüge machen trotzdem Spaß, weil sie mit Vor-Ort-Besuchen und Einspielern keine trockene Audio-Kost sind und gut erzählt werden. Die Moderatoren Ilya Marritz und Andrea Bernstein strahlen einen angenehmen Daueroptimismus während der Recherchen aus, transportieren Erkenntnisse, Haltung, Skepsis, Kritik und Zweifel in Erzählung und Interviews. Also alles, was eine gute Recherche ausmacht. Sie sprechen mit Quellen im Trump-Umfeld, rufen zu Hinweisen auf und gehen ihnen nach, sprechen mit Zeitzeugen und anderen Rechercheuren wie dem Investigativjournalisten David Fahrenthold von der Washington Post, der für seine Trump-Recherchen 2017 mit dem Pulitzerpreis ausgezeichnet wurde.
Recherchen und Fakten, um selber ein Urteil zu fällen
Natürlich schaut „Trump, Inc.“ anlassbezogen auch auf die großen Themen, wie auf die jüngsten Recherchen der „New York Times“ zu Trumps Steuern. Aber die eigentliche Stärke des Podcasts liegt in den Geschichten, die keine internationalen Schlagzeilen machen. Immer wieder sind es vermeintliche Kleinigkeiten und Absurditäten, die zusammengenommen dann wieder eine große Geschichte erzählen. Die Stellen, an denen sich das Unternehmerische mit dem Politischen vermischt – oft auf ungute Weise. Beispielsweise wenn die Trump Organization eine Bestellung für Golfkurs-Markierungen aufgibt, mit dem präsidialen Siegel, das rechtlich gesehen nur für offizielle Anlässe der Regierung eingesetzt werden darf.
Es gibt Geschichten wie die eines Dokumentars für das Weiße Haus, der für Clinton, Bush und Obama gearbeitet hat. Und bei Trump zum ersten Mal zerfetzte Unterlagen mithilfe von Klebestreifen wieder zusammenfügen musste. Weil nunmal alles, was über den Schreibtisch des Präsidenten geht, archiviert werden muss. Der Dokumentar sagt dann ganz lapidar, Trump zerfetze gar nicht alles, sondern nur alles Negative. In solchen Momenten nimmt sich „Trump, Inc.“ zurück, präsentiert die Informationen – und überlässt seinem Publikum die Beurteilung.
Keine Therapiesitzung für Trump-Kritiker
Die Folge, aus der auch die Dokumentar-Anekdote stammt, ist ein guter Einstiegspunkt in den Podcast: „The Family Business“ zeigt, wie sich der Führungsstil des Unternehmers Trump in der Präsidentschaft fortsetzt. Wie Trump mit Mitarbeiter*innen umgeht. Ein Mann, der nie woanders gearbeitet hat, außer in einem Unternehmen, das denselben Nachnamen wie er trägt. Wie seine fast schon monarchische Art, ein Unternehmen zu führen mit den Normen eines gewählten Amtes kollidiert. Wie seine Kampagne mit Wahlkampfauftritten die Budgets von Polizeirevieren sprengt und sie mit den Mehrkosten allein lässt. Wie das, was wir früher „einmaligen Skandal“ nannten, bei Trump einfach alltäglich geworden ist und in dieser Taktung auch seine Wirkung verloren hat.
Über die letzten zwei Jahre habe ich „Trump, Inc.“ entspannt zugehört, obwohl der Inhalt eigentlich nur aufregen kann. Es sind Hör-Rituale entstanden, wie beispielsweise das Mantra in nahezu jeder Folge, dass die „Trump Organization“ auf Fragen des Podcasts erst gar nicht reagierte oder nicht antworten wollte. Oder das lobenswert transparente „Was wir wissen und was wir nicht wissen“ und der ehrliche Umgang mit dem, was eigene Recherchen sind und was andere Medien herausgefunden haben.
Der Podcast ist ein Weg, ein Ventil, um mit den vielen Skandalen und Normbrüchen eines der mächtigsten Politiker der Welt umzugehen. Er ist der Klebestreifen, der die in Wut zerrissenen Briefings wieder zusammenfügt, weil sie für die Nachwelt erhalten werden müssen.
Vielleicht ist jetzt, kurz vor der nächsten US-Präsidentschaftwahl, der beste Zeitpunkt, um sich doch noch einmal ernsthaft mit dem System Trump auseinandersetzen. Unabhängig davon, ob er wiedergewählt wird oder nicht. Aber ich will betonen: „Trump, Inc.“ ist keine Therapiesitzung für Trump-Kritiker*innen. Der Podcast ist vor allem erstklassiger Journalismus, der Mächtige zur Rechenschaft zieht – aber das hat definitiv eine therapeutische Wirkung.
Podcast: „Trump, Inc.“ von WNYC und ProPublica Episodenlänge: zwischen 20 und 45 Minuten Offizieller Claim: „Who’s profiting from this administration and at what cost?“ Inoffizieller Claim: Die anderen fragwürdigen Sachen, die Trump macht
Buchstabendreher im Link: Es heißt WNYC, nicht WNCY.
Danke für den Hinweis – ist korrigiert!