Heute, liebe Kinder, erzählt euch Oma mal was vom Krieg. Und von der Zeit, als sie sich noch auf jede Ausgabe von „Fit for Fun“ freute. Denn damals, als Oma noch jung war, hatte sie das Heft sogar abonniert, und zwar freiwillig.
Das ist zugegebenermaßen lange her, deshalb kann Oma sich nur noch dumpf an die Ausgaben erinnern, die sich jahrelang in ihrer Wohnung stapelten, aber ihr kommen beim Zurückdenken zumindest Wörter wie „überraschend“, „originell“, „innovativ“, „kreativ“, „informativ“ und „tolle Optik“ in den Sinn. So wie fast alle Magazine waren, die Dirk Mantheys Milchstraßen-Verlag damals entwickelt hatte.
Mittlerweile schreiben wir das Jahr 2020. Dirk Mantheys Milchstraße gibt es schon lange nicht mehr, eine eigene „Fit for Fun“-Redaktion ebenso wenig. Sie wurde Anfang 2019 vom Burda-Verlag, der den Titel 2006 endgültig übernommen hatte, komplett gefeuert. Nun wird das Heft von einem Redaktionsbüro gefüllt, Aushängeschild ist Kickbox-Weltmeisterin Christine Theiss. Die Herausgeberin verfügt auch noch über ein Medizin-Studium und wird im Heft deshalb konsequent als „Dr. Christine Theiss“ geführt.
Und wie immer, wenn Omas vom Krieg erzählen, lautet der erste Satz: Früher war alles besser. Früher erkannte man „Fit for Fun“ auf einen Blick. Gut, das Format war damals größer, das hilft natürlich. Aber irgendwie hatte auch das Cover einen eigenen Stil. Heute jedoch wird die Leserin schon auf der ersten Seite von dem ersten austauschbaren Stockfoto-Model angegrinst.
„Exklusiv“, hahahahaha
Mein erster Chefredakteur predigte immer: „Journalismus ist Wiederholung“, aber er meinte damit sicher nicht, andauernd die gleichen Themen zu bringen. Genauso jedoch klingt das, was da auf dem Cover von „Fit for Fun“ steht.
„Gesund und fit wie nie!“
„10 Sportler-Drinks – Durstlöscher im Fit-Check“
„Neues Training – 15, 30 oder 45 Minuten. Unser perfektes Sommer-Workout für jeden Typ“
Ob „Lunge stärken. Exklusiv: das Atemprogramm für mehr Luft“ ein Zugeständnis an Corona ist und wie sehr die Redaktion lachen musste, als sie das Wort „Exklusiv“ davor gesetzt hat, ist nicht bekannt.
Dr. Christine Theiss beginnt ihr Editorial mit der bescheidenen Anmerkung, dass sie sich „seit vielen Jahren“ für die Deutsche Knochenmarkspende engagiert – mein erster Flashback zu Dr. „Hirschhausens Gesund Leben“. Der Rest besteht dann aus lauwarmen Sätzen, die man so ähnlich sicher auch noch mal in den nächsten Ausgaben verwenden kann. Die Krise als Chance nutzen, Neues entdecken, mal andere Wege gehen, Routinen überprüfen … schnarch.
Es geht los mit den üblichen, schönen, doppelseitigen Fotos und danach weiter mit den üblichen vollgefüllten, kleinteiligen Produktempfehlungen. Wobei mir persönlich ja am besten die Empfehlung für ein Sport-T-Shirt gefällt – illustriert mit einem obenrum nackigen jungen Mann.
Meine Hoffnung, von einem eindeutig (auf Sport und Gesundheit) ausgerichteten Magazin fundierte Informationen zu bekommen, stirbt bereits auf Seite 16. Unter „Top 3 digital“ empfiehlt die Redaktion drei Lauf-Apps, die auch jeder Säugling beim ziellosen Herumpatschen auf dem Smartphone gefunden hätte – weil sie jeder kennt. Mir wird nicht erklärt, ob es sich um die drei beliebtesten, besten oder bekanntesten Apps handelt, aber wenn es die Redaktion als „Wow“ bewertet, dass man „seine Erfolge in sozialen Netzwerken teilen“ oder den integrierten Musikplayer „mit Spotify oder iTunes verbinden“ kann, vermute ich mal, dass die genauso oft joggen gehen wie ich.
Aber das große Special „Fit wie nie!“, das wird die volle Kompetenz von „Fit for Fun“ zeigen! Und es wird auch gleich an den Ehrgeiz appelliert:
„So nutzen wir die Corona-Krise als Chance für neue Ziele. Fangen Sie doch gleich an – mit 4 Challenges für mehr Fitness und Gesundheit“
Dazu ein riesiger Button, auf dem „Fit for Fun Special Life-Change“ steht.
Corona-Bingo mit Frau Dr. Theiss
Das Superspeciallifechange beginnt mit einem Text von Dr. Christine Theiss darüber, wie sie die Corona-Zeit mit ihrer kleinen Tochter auf dem Land verbracht hat. Würden wir jetzt Corona-Bingo spielen, ginge das schnell: „plötzlicher Stillstand“, „viele Dinge neu oder wieder entdeckt“, „komplett entschleunigt“, „habe selber Mund-Nasen-Masken genäht“ – Bingo!
Die Kurve zu „Fit wie nie“ kriegt Dr. Theiss gerade noch so, aber mit quietschenden Laufschuhen, über die Fitness-Videos, die sie (während Corona) auf Instagram veröffentlicht hat:
„Wunderbarer Nebeneffekt: Auch mein eigenes Training wird dadurch abwechslungsreicher. Ich muss zugeben, so fit wie jetzt war ich schon ganz lange nicht mehr.“
Das wollen wir ihr, der Kickbox-Weltmeisterin von 2007 bis 2013, einfach mal so glauben.
Auch die ärztliche Expertise von Frau Dr. Theiss wird noch schnell hineingerührt:
„Die Mischung aus Kraft und Ausdauer ist genau die richtige Lösung, um zum einen lästigen Pfunden den Kampf anzusagen, aber vor allem auch, um das Herz-Kreislauf-System zu stärken. Da kann ich als Ärztin nur sagen: Das kann in Zeiten von Corona von einem Moment auf den anderen wichtiger werden denn je.“
Da hat selbst Hirschhausen mehr zu sagen.
Nachdem ich auch noch erfahren habe, dass die Herausgeberin dieses Jahr zu Ostern erstmals wieder selbst Eier ausgeblasen hat, startet die Superchallenge dann so richtig durch mit Tipps zu mehr Motivation:
„Nur wenn wir wissen, was wir wollen, können wir es erreichen. Hinzu kommt, dass wir an uns glauben müssen.“
Ich merke langsam, wo die wahre Herausforderung dieser Strecke liegen wird.
„Fit wie nie“ wird man mit vier Rezepten, weiteren Motivationstipps sowie Anleitungen, wie man innerhalb von vier Wochen einen Kopfstand, 50 Liegestütze oder einen Spagat schafft. Dazu gibt es Trainingspläne und Übungen, die jedoch beim Spagat entweder unvollständig oder missverständlich beschrieben sind. Etwa die hier:
„Im Sitz ein Bein vorn anwinkeln, das andere nach hinten ausstrecken. Rumpf etwas nach vorn lehnen.“
Wenn mit Sitz der Langsitz gemeint ist und ich dabei ein Bein nach hinten ausstrecken soll – wer zahlt dann die Rechnung des Unfallchirurgen?
Eine weitere Anleitung verspricht:
„So schaffen Sie es als Einsteiger ohne Überforderung 30 Minuten am Stück zu laufen.“
Übertitelt ist sie jedoch mit „Locker Gewicht verlieren“, und diese Panik vor „lästigen Fettpolstern“, vor denen auch schon Dr. Theiss in ihrem Ostereiertext warnte, zieht sich durch das gesamte Heft. Natürlich gibt es einen Grund, wieso viele Magazine auf jeder Ausgabe mit der diesmal aber wirklich schlank machenden Diät locken. Man würde sich von einem Fitnessmagazin – dem eine Ärztin vorsteht – aber vielleicht doch etwas weniger Tunnelblick und etwas mehr Betonung der gesundheitlichen Vorteile regelmäßiger sportlicher Betätigung erhoffen.
Immerhin überlege ich, das mit dem Spagat in vier Wochen wirklich zu versuchen – und mir im Netz eine vertrauenswürdigere Anleitung zu suchen. Auch die Liegestütze probiere ich irgendwann einmal. Je nachdem, wann die Motivationstipps endlich zu wirken beginnen.
Und wenn ich dann so richtig drin bin, könnte ich ja auch einmal die Übungen versuchen, mit denen ich in „15, 30 oder 45 Minuten“ fit werde. Die sehen sogar für mich schaffbar aus – und das ist tatsächlich als Lob gemeint. Die Fotos zeigen die richtige Ausführung, die Vorturnerin wirkt sympathisch – ich muss nur noch meine Sportschuhe finden. Und wenn der Side-Plank-Crunch „eine Freude für die seitliche Bauchmuskulatur“ ist, soll sie diese Freude kriegen.
Ebenso könnten meine Nachbarn mich demnächst auf den Stufen im Treppenhaus die „Spiderman-Push-Ups“ machen sehen, eine von sechs Übungen, die so aussehen, also ob sie tatsächlich fit wie nie machen könnten.
Diese eigenproduzierten Bilderstrecken werden auch jene Teile von „Fit for Fun“ sein, die etwas länger in Erinnerung bleiben. Erinnern sie mich an das gute alte „Fit for Fun“ von früher? Eher nicht. Aber sie stechen so wohltuend aus dem optischen und thematischen Einheitsbrei heraus.
Wieso es gleich drei Texte übers Trinken gibt, verstehe ich auch nach der Lektüre nicht genau. Gleich zu Beginn werden „Bio-Fitnessdrinks“ vorgestellt, eine Seite weiter folgt die bereits hunderte Male gelesene Geschichte über Trinkmythen („Wer Durst hat, trinkt zu spät“), und im hinteren „Health“-Teil wird das Thema noch einmal behandelt, diesmal mit einem „Guide für das richtige Trinkverhalten“, an dessen Ende – ebenfalls zum hundertsten Mal – die unterschiedlichen Getränke erklärt werden. Journalismus mag ja Wiederholung sein, aber gleich in derselben Ausgabe?
Ebenfalls schon sehr oft gelesen hat man über Mikronährstoffe und welche Rolle sie für Sportler spielen. Rezepte für sogenannte (Buddha) Bowls bringt mittlerweile vermutlich schon jede bessere Schülerzeitung, aber wenn man kompletten Content mitsamt Fotos aus einem neu erschienenen, korrigiere, im Februar erschienenen Buch kostengünstig übernehmen kann – her damit!
Stockfotos wie im Bademodenkatalog
Für Fotos scheint ganz generell wenig Budget vorhanden zu sein. Außer den beiden Trainingsanleitungen und einer Fotoreportage über das Tauchen vor Hawaii wird das Heft großteils mit Stock- sowie von Firmen gestellten Produktfotos illustriert, die ihm so viel Charakter verleihen wie ein Bademodenkatalog. Manchmal haut die Fotoredaktion auch daneben, etwa, wenn sie einen Text über Hautprobleme im Gesicht wie Narben, Besenreiser oder Rosazea mit einem Model illustriert, das sich einfach nur eine Gesichtspflegemaske auflegt.
Dazwischengestreut sind immer wieder sogenannte „Fit-Kooperationen“, etwa mit den Herstellern einer Sportuhr, eines Waschmittels und eines Protein-Drinks. Sie sind ebensowenig als Werbung gekennzeichnet wie das Interview mit der „Head von Vendor Control“ von Jack Wolfskin, die über Sustainability (wir Langeweiler sagen einfach Nachhaltigkeit dazu) erzählen soll und dabei auch gleich ein bisschen von der Marke schwärmen darf. Aber in Zeiten schwindender Anzeigenumsätze tut man eben, was man kann.
Fühle ich mich nach „Fit for Fun“ jetzt also informiert, wieso ich Sport machen soll, motiviert, endlich mehr davon zu machen und animiert, sofort damit zu beginnen? Leider nein. Aber irgendwie habe ich das Gefühl, dass das „Fit for Fun“ auch ziemlich egal ist.
Die Kolumne
Im wöchentlichen Wechsel gehen vier Autor/innen zum Bahnhofskiosk, entdecken dort Zeitschriften und schreiben drüber. (Hier alle Folgen.)
Sigrid Neudecker war Redakteurin der Wiener Stadtzeitung „Falter“ und gehörte von 2004 bis 2008 zur Redaktion von „Zeit Wissen“. Damals schrieb sie auch das Sex-Blog „Man muss ja nicht immer reden“ auf „Zeit Online“. Nach ein paar Jahren in Paris, wo sie ein Buch über Kochen schrieb, war sie bis vor kurzem Redakteurin im Hamburg-Ressort der „Zeit“. Derzeit lebt sie als freie Autorin und Textchefin in Hamburg.
In den nächsten Wochen schreiben: Arno Frank und Johanna Adorján.
5 Kommentare
„Und wie immer, wenn Omas vom Krieg erzählen, lautet der erste Satz: Früher war alles besser. “
Hmmm, Ich weiß nicht, ich weiß nicht. Irgendwas an dem Satz kommt mir seltsam vor.
Die Omas, die ICH gekannt habe (meine nämlich), hätten sich lieber die Zunge abschneiden lassen, bevor sie vom Krieg erzählen. Und die Zeit danach soll irgendwie auch nicht so lustig gewesen sein.
@Frank Reichelt (#1):
Stimmt, ein hübscher Freud’scher Verschreiber. Passt aber dazu, dass mir „Fit for Fun“ immer schon zu sehr nach einer postnazistischen Variante von „Kraft durch Freude“ klang.
Was das Magazin betrifft: Was will man da als Journalist schon groß machen, als für Themen wie „Weg mit dem Winterspeck“ oder „Instant-Sixpack: In drei Wochen zur perfekten Strandfigur“ jedes Jahr neue Zufalls-Schönlinge aus dem Stockfoto-Angebot zu kramen und die verbliebenen Seiten mit „Gesund, lecker, Ananas: Die neueste Power-Diät“ zu füllen. Muss die Hölle sein…
@3: Ein Fall für: „Künstliche Intelligenz, übernehmen Sie!“
Schöne Rezension, aber mal unter uns: Ein bisschen Vergangenheitsverklärung ist schon dabei, oder?
„Und wie immer, wenn Omas vom Krieg erzählen, lautet der erste Satz: Früher war alles besser. “
Hmmm, Ich weiß nicht, ich weiß nicht. Irgendwas an dem Satz kommt mir seltsam vor.
Die Omas, die ICH gekannt habe (meine nämlich), hätten sich lieber die Zunge abschneiden lassen, bevor sie vom Krieg erzählen. Und die Zeit danach soll irgendwie auch nicht so lustig gewesen sein.
@Frank Reichelt (#1):
Stimmt, ein hübscher Freud’scher Verschreiber. Passt aber dazu, dass mir „Fit for Fun“ immer schon zu sehr nach einer postnazistischen Variante von „Kraft durch Freude“ klang.
Was das Magazin betrifft: Was will man da als Journalist schon groß machen, als für Themen wie „Weg mit dem Winterspeck“ oder „Instant-Sixpack: In drei Wochen zur perfekten Strandfigur“ jedes Jahr neue Zufalls-Schönlinge aus dem Stockfoto-Angebot zu kramen und die verbliebenen Seiten mit „Gesund, lecker, Ananas: Die neueste Power-Diät“ zu füllen. Muss die Hölle sein…
@3: Ein Fall für: „Künstliche Intelligenz, übernehmen Sie!“
Schöne Rezension, aber mal unter uns: Ein bisschen Vergangenheitsverklärung ist schon dabei, oder?