Die Podcast-Kritik (31)

Die Frage nach dem System hinter dem Tod von Oury Jalloh

Ein Mann stirbt, wehrlos, unter den Augen von Polizisten: Die Bilder von George Floyds Tod sind omnipräsent, momentan eingebrannt in das kollektive Gedächtnis. Sie sind nur das jüngste Beispiel von unverhältnismäßiger, tödlicher Polizeigewalt in den USA gegen Afroamerikaner.

Für viele weiße Deutsche – mich eingeschlossen – wäre es jetzt leicht, diesen Fall abzutun als Extremfall in einem extremen Polizeisystem, in einem anderen Land, auf einem anderen Kontinent. Diese Bilder aus den USA sind dermaßen explizit und zugleich so weit weg für uns. So einfach dürfen wir es uns nicht machen.

Wir neigen als weiße Mehrheitsgesellschaft in Deutschland dazu, den dazugehörigen strukturellen und institutionellen Rassismus zu übersehen, weil wir von unserer privilegierten Warte aus auf diese Bilder schauen. Wir sind mangels eigener Erfahrungen geneigt, diese Bilder in keine Verbindung mit unserem Rechtssystem zu bringen. Aber auch in der Bundesrepublik sterben Menschen unter den Augen und Ohren von Polizeibeamten. Das zeigt der WDR-Podcast „Oury Jalloh und die Toten des Polizeireviers Dessau“ in bedrückender Weise.

Vor 15 Jahren starb der Sierra-Leoner Oury Jalloh in Sachsen-Anhalt, in der Zelle 5 der Polizeiwache Dessau-Roßlau in der Wolfgangstraße 25. Sein Tod im Polizeigewahrsam ist trotz mehrerer Prozesse bis heute nicht plausibel aufgeklärt. Der fünfteilige Podcast leistet Erinnerungs- und Aufklärungsarbeit, die jetzt besonders relevant ist, dabei wurde er bereits zwei Wochen vor George Floyds Tod veröffentlicht.

Die Radiofeature-Schrägstrich-Podcast-Serie des WDR fasst das verheerende Bild zusammen, das Polizei, Behörden und Politik in Sachsen-Anhalt, in Deutschland bei der Aufklärung abgegeben haben. Sie lässt ihre Hörerinnen und Hörer am Handeln und Nicht-Handeln von Rechtsstaat und Polizei zweifeln und verzweifeln. „Oury Jalloh und die Toten des Polizeireviers Dessau“ ist ein wichtiger, nüchterner und reflektierter Podcast-Beitrag zur Debatte um Gewalt und Rassismus in geschlossenen Systemen, in Systemen wie der Polizei.

Ein nüchterner Podcast für eine laute Debatte

Nach dem Tod von George Floyd und den anschließenden Protesten weltweit entflammt in Deutschland wieder einmal eine politische Debatte über Polizeigewalt sowie offenen, latenten und institutionellen Rassismus. Belastbare Statistiken und Studien zu Racial Profiling und (rassistisch motivierter) Polizeigewalt sind rar gesät – was schon ein Teil des Problem ist.

Die vielen Erfahrungsberichte von betroffenen Menschen, die vielen traurigen Einzelfälle, die zusammengetragenen Zahlen von Bündnissen, die internationale Kritik an Deutschland – all das scheint bei deutschen Innenministern, Polizeigewerkschaften und konservativen Stimmen bis heute teilweise wenig Eindruck hinterlassen zu haben. Wie nach dem G20-Gipfel im Jahr 2017 ist es auch 2020 wieder ein sehr lauter Meinungskampf, wenn es um Polizeigewalt in Deutschland geht: „Wo leben Roth und Esken eigentlich?“, fragte beispielsweise Reinhard Müller bei „FAZ Einspruch“, der „FAZ für Juristen“. Müller schrieb in seinem Kommentar:

„Wenn Bundestagsvizepräsidentin Claudia Roth ‚rassistische Strukturen und Netzwerke gerade auch innerhalb der Staatsgewalt‘ und die SPD-Vorsitzende Saskia Esken ‚latenten Rassismus in den Reihen der Sicherheitskräfte‘ beklagen, dann fragt man sich, wo die beiden leben. Geht es angesichts dieser Breitseite gegen die deutsche Staatsgewalt, der beide ja angehören, nicht etwas genauer? Jeder Fall muss zudem ins Verhältnis gesetzt werden.“

Mich hat erschrocken, dass selbst ein Fachjournalist wie der FAZ-Kollege offenbar nicht einmal anerkennen will, dass es im Rechtsstaat Deutschland doch erschreckend viele Fälle gibt, die eigentlich in gar kein Verhältnis gesetzt werden dürfen – weil sie für sich genommen schon eine Katastrophe sind. Ja, wo lebt Reinhard Müller eigentlich? Eigentlich im selben Rechtsstaat Deutschland. In dem es den Fall Oury Jalloh gibt, in dem sehr wohl die Existenz rassistischer Strukturen mittlerweile weitaus plausibler ist als es die Erklärungen von Polizei- und Justizbehörden sind. Es ist ein verhältnismäßig prominenter, aber nicht der einzige Fall in Deutschland.

Gegen jede Logik und gegen erdrückende Indizien

Der Podcast beginnt mit den bekannten Koordinaten: Oury Jalloh wird 2005 von zwei Polizisten in Gewahrsam genommen, nachdem es einen Anruf in der Leitstelle wegen angeblicher Belästigung von Frauen durch eine Gruppe „Schwarzafrikaner“ im Zentrum Dessaus gegeben hatte. Er ist stark alkoholisiert, aber unverletzt, als er in die Ausnüchterungszelle mit der Nummer 5 kommt.

Stunden später werden Feuermelder und Rauchentwicklung im Revier ignoriert, werden Alarme wegdrückt, wird Funk leiser gedreht. Als Polizeibeamte, Feuerwehr und Sanitäter schließlich die Zelle betreten, ist es zu spät: Nach den Löscharbeiten wird der verkohlte Leichnam von Oury Jalloh, noch immer an allen Gliedern gefesselt, in der Zelle aufgefunden.

Danach verwickeln sich Beamte in Widersprüche oder schweigen. Zusammen mit einer Reihe von Fehlern, Zufällen, Missgeschicken, Pannen in der Ermittlungen führt das dazu, dass durch Polizeizeugen „eine Aufklärung verunmöglicht“ wurde – so deutlich formulierte es der Richter Manfred Steinhoff in seiner Urteilsverkündung im ersten Mammut-Prozess.

Margot Overath, die Autorin der Podcast-Serie, hält zu Beginn fest:

„Kaum fünfzig Minuten nach der Entdeckung Oury Jallohs verkohlter Leiche in der Dessauer Polizeizelle müssen sich die Verantwortlichen festgelegt haben: Der Mann in der Zelle soll sich selbst angezündet haben. Sie werden an dieser Version eisern festhalten. Über viele Jahre und Gerichtsverhandlungen hinweg. Gegen jede Logik und gegen erdrückende Indizien. Es kann nicht sein, was nicht sein darf. Entsprechend werden vom ersten Augenblick an die Ermittlungen geführt.“

Overath hat den Fall Oury Jalloh über zehn Jahre und durch mehrere Prozesse verfolgt und mehrere Radiofeatures veröffentlicht. Sie hat umfangreich recherchiert, Akten gesichtet, Experten und Umfelder befragt, die Angehörigen begleitet. Auch sie kann mit ihrer Feature-Serie nicht alle Zweifel beseitigen.

Aber die Journalistin baut in einer nüchternen Genauigkeit ein Puzzle zusammen. Ein Puzzle aus Unstimmigkeiten, Widersprüchen, Indizien, Expertengutachten, Zitaten, anonymen Stimmen aus dem Polizeiumfeld. Der Podcast kommt dabei ganz unaufgeregt daher; er braucht die klischeehafte Dramaturgie, das unangenehme Raunen und bedeutungsschwangere Andeuten anderer Kriminalfall-Podcasts nicht. Margot Overath benennt, was sie weiß und was sie nicht weiß – was bewiesen ist und welche scheinbaren Beweise in Widerspruch zueinander stehen. Der Podcast ist dort am stärksten, wo er gezielt Widersprüche in der offiziellen Version benennt.

Nichts passt zur offiziellen Version

Da ist das angebliche Tatfeuerzeug, mit dem sich der an Armen und Beinen gefesselte Oury Jalloh selber angezündet haben soll. Bei dem nicht klar ist, wie es bei einer Durchsuchung übersehen werden konnte. Das erst drei Tage nach den restlichen Beweismitteln in der Asservatenkammer landet. An dem DNA-Spuren von Oury Jalloh fehlen, dafür aber Fasern und Tierhaare zu finden sind, die nicht zum restlichen Brandort im Dessauer Gefängnis passen.

Da ist das Brandgutachten, das die „Initiative in Gedenken an Oury Jalloh“ finanzierte, weil die Behörden den ungewöhnlich schnellen, heißen Brand in der Zelle 5 lange Zeit für unverdächtig hielten. Das Gutachten konnte die aus Beamtenaussagen abgeleitete offizielle Version, wie der Brand auf einer feuerhemmenden Matratze entstand, nicht reproduzieren. Es kam zu dem Schluss, dass die tiefgreifenden Brandverletzungen am verkohlten Leichnam von Oury Jalloh sich nur durch mehrere Liter Brandbeschleuniger erklären ließen.

Da ist das ärztliche Gutachten eines Radiologen, der mit neuen Methoden das Bildmaterial einer Computertomographie des Leichnams von Oury Jalloh ausgewertet hat. Es kommt Ende 2019 zu dem Schluss, dass Oury Jalloh bis dato unbekannte, schwerste Knochenbrüche im Gesicht und am Schädel hatte. Die Verletzungen muss er vor seinem Tod erlitten haben – Jalloh war morgens unverletzt in das Polizeigewahrsam eingeliefert worden, wie der damalige Arzt im Polizeirevier notierte. All das komprimiert der Podcast noch einmal, widmet sich diesen Aspekten jeweils in Schwerpunktfolgen.

Margot Overath konzentriert sich jedoch nicht allein auf die Aktenlage im Fall Oury Jalloh, sondern setzt die Aussagen und das Verhalten der anwesenden Polizistinnen und Polizisten in den Zusammenhang mit der unrühmlichen Geschichte der Dienststelle in der Wolfgangstraße 25. Sie ist in zwei weitere ungeklärte Todesfällen verwickelt. Die Serie bettet den Fall Oury Jalloh in zwei Jahrzehnte in Deutschland ein, in denen oft genau das war, was eigentlich nicht sein durfte, so die Autorin:

„Vieles geht mir durch den Kopf. Manches macht Angst. Rechtsradikale Polizisten in Hessen vereinten sich zum NSU 2.0. In Brandenburg zur Gruppe ‚Defend Cottbus‘. Neonazis in der militärischen Eliteeinheit KSK. Netzwerke rassistischer Beamter in Sachsen. Bayerische Polizisten, die antisemitische Videos in einer Chatgruppe teilen. SEK -Beamte die sich in Mecklenburg auf den Tag X vorbereiten. Das sind Fakten. Der schwache Staat hat lange weggeschaut.“

Ein möglicher Hergang, kein Urteil

Auch der Journalistin fehlen am Ende definitive Beweise, die auch den Verfahren und Richtern im Fall Oury Jalloh fehlten. Aber sie kann mit der gebotenen journalistischen Vorsicht dennoch die Kontexte und damit Muster benennen, die sich aus den gefundenen und fehlenden Teilen ergeben.

Erst nach fünf Episoden umfangreicher Beweissammlung und Kontextualisierung präsentiert der Podcast dann einen möglichen Hergang, vom Streifenwageneinsatz über die Festnahme Oury Jallohs bis hin zum Brand in Zelle 5. Overaths Version wirkt stichhaltiger als die Erzählung der Beamten aus dem Dessauer Polizeirevier. Der Podcast kann natürlich kein Urteil ersetzen, Margot Overath will auch keine Richterin sein. Aber sie liefert ein eindrucksvolles Dokument, ein Gegengewicht zur offiziellen Version der Geschehnisse. Sie klagt ein System an, fordert die offizielle Version zum Tod Oury Jallohs heraus – und ihre Hörerinnen und Hörer.

Es ist keine leichte Aufgabe, einen solchen umfangreichen Fall mit so vielen Wendungen, Implikationen, Haupt- und Nebenschauplätzen nachzuerzählen – ohne Wissen vorauszusetzen, für ein Laienpublikum, ohne zu langweilen, aber trotzdem mit höchsten Ansprüchen an die korrekte Wiedergabe von juristischen Details.

Damit tut sich der WDR-Podcast auch etwas schwer. Er springt zwischen vielen Stimmen und Experten, durch Zeitebenen und Erkenntnisstände, mit Vor- und Rückbezügen. Das ist einerseits eine angenehme Abwechslung zur braven Chronologie-Sucht von True-Crime-Podcasts. Anderseits prasseln stellenweise zehn Jahre Recherche und Fallkenntnis ziemlich ungefiltert und ungebremst auf die Hörerinnen und Hörer ein.

Es ginge auch anders: Der US-Podcast „Wind Of Change“ – über das Gerücht, die CIA habe diesen kitschigen Skorpions-Hit geschrieben – hat bewiesen, dass sich das Schleifendrehen und Vomwegabkommen einer jahrelangen Recherche durchaus in ein extrem hörenswertes Storytelling-Erlebnis gießen lassen. Mit dessen dramaturgischer und erzählerischer Kunst kann die „Oury Jalloh“-Serie nicht mithalten. Sie will es auch nicht, steht sie doch in einer anderen Erzähltradition als die US-Storytelling-Schule mit ihrer Vorliebe für den vermittelnden Plauderton mit viel Erklärung, für eine persönliche Erzählung durch einen Charakter.

Doku-Feature statt Storytelling-Podcast

Der WDR-Fünfteiler ist in seiner Anmutung eigentlich ein eher klassisches dokumentarisches Radiofeature, in dem nicht die Autorin und Journalistin selbst zu hören ist, sondern eine Schauspielerin den geschriebenen Erzählerinnen-Text spricht. Der Anspruch an die Hörerinnen und Hörer ist dabei so hoch wie die Informationsdichte. Dazu verzichtet der Podcast auf orientierende Wiederholungen und Hinweise. Er fühlt sich eher wie zurückgenommene Dokumentation an, weniger nach dem Genre True Crime – und das ist auch gut so.

Ich bin zwar, ehrlich gesagt, kein Fan von Sprecher-Features. Aber die mir sonst oft so unangenehme, weil wahrnehmbare Distanz zwischen Lesenden und Text geht für mich hier einmal voll auf. Die nüchterne Recherche wird nüchtern präsentiert – der Fokus verschiebt sich automatisch weg von der Vortragenden. Es gibt dadurch spannende Stellen, in der die Reporterin im Text ihre eigene Rolle thematisiert und sich hinterfragt.

Wenn die Schauspielerin dann diese „Ich“-Aussagen spricht, damit aber ein anderes Ich gemeint ist – dann wirkt das erst kurios und absurd. Dann aber wie ein kluges Mittel, um das Verhandeln einer Reporterin mit sich selbst und ihren unterschiedlichen Rollen abzubilden: Zwischen der exakten Recherche, der professionellen Skepsis und der Empathie. Der Fokus liegt beim Hören umso deutlicher auf dem Skript und der sorgfältigen Wortwahl, bei den vielen Fragen, mit denen mich der Podcast erst konfrontiert und dann jeweils in kleine Pausen, so lang wie Ewigkeiten entlässt:

„Kann es sein, dass Menschen in diesem Land von Polizisten zu Tode gebracht werden? Aus Wut? Aus Rassismus? Sadismus? Oder einfach, weil sie unkontrollierte Macht haben und Täter auf den Korpsgeist der Kollegen vertrauen können – oder sogar auf aktive Vertuschung durch Behörden? Und wäre es möglich, dass wir in Deutschland eine zivilisatorische Lücke haben, weil das aufklärerische Engagement des Rechtstaates besonders bescheiden ist, wenn die Opfer randständig, arm oder fremd sind?“

Bei aller sprachlichen Detailliebe enttäuscht die Podcast-Serie mit wenig Eleganz in der Produktion. Egal, ob Sprechertexte aus dem Studio oder Originalaufnahmen vor Ort – überall sind unsaubere Schnitte zu hören, häufig ist die Tonqualität suboptimal. Die Musik ist zwar passend eingesetzt, aber es wummern halt tiefe Bässe und klimpern helle Tasteninstrumente dort, wo halt bei deutschen und US-amerikanischen Kriminalreportagen immer gewummert und geklimpert wird.

„Oury Jalloh und die Toten des Polizeireviers Dessau“ hätte sicherlich länger sein können, hätte noch mehr Episoden und noch mehr Zeit in der Bearbeitung verdient. Aber 15 Jahre nach dem Brand in der Zelle 5 ist die Podcast-Serie, so wie sie ist, eine bemerkenswerte journalisische Leistung. Und eine wichtige und notwendige Erinnerung, dass auch in Deutschland durchaus sein könnte, was eigentlich nicht sein darf.


Podcast: „Oury Jalloh und die Toten des Polizeireviers Dessau“ (WDR)
Episodenlänge: 5 Folgen mit jeweils 30 Minuten
Offizieller Claim: 15 Jahre lang scheitert die Justiz trotz mehrfacher Anläufe daran, den Fall aufzuklären – und macht ihn damit zum Politikum.
Inoffizieller Claim: „Es kann nicht sein, was nicht sein darf“

Wer diesen Podcast hört, hört auch: Die US-Podcast-Serie „seeing white“; das Hörbuch „Was weiße Menschen nicht über Rassismus hören wollen aber wissen sollten“; „Feuer und Brot“; „Halbe Katoffel; „Kanackische Welle“; die preisgekrönte US-Podcast-Doku „74 Seconds“ über den Tod von Philando Castille

…und lässt sich hier inspirieren: „Listening In: [Zu]Hören als solidarischer Akt“ der Medienforscherin Nele Heise

6 Kommentare

  1. Es ist auch aktuell fraglich, wie ernst es den heutigen #blacklivesmatters Demonstranten in Deutschland ist, dass sie ein Ereignis aus den USA nehmen, statt in unserem eigenen Haus zu schauen.

    Uns fehlt es an der us-amerikanischen Medienkonzentration, um solch Bewegungen aus lokalen Ereignissen entstehen zu lassen.
    Das ist eine Kritik an den deutschen Medien und weniger an den Konsumenten

  2. @civichief Waren sie schon auf einer deutschen BLM Demonstration? Auf denen, bei den ich war wurde auch sehr deutlich auf die deutschen Opfer von Polizeigewalt eingegangen, natürlich auch auf Oury Jalloh.

  3. Ich will ja jetzt hier nicht der Miesmacher sein, aber …
    Proteste zum Tod von Oury Jalloh finden seit 2005 statt. Mittlerweile eher jährlich zum Todestag und in kleinem Rahmen. Dass daraus keine Massenproteste werden liegt m. E. an der geringen Frequenz solcher (extremen) Vorfälle in DE.
    Die Tatsache, dass hier ein 15 Jahre alter Fall diskutiert wird (was absolut richtig ist!) belegt das m. E. ganz gut – Was nicht heißt, dass wir neue Fälle brauchen oder dass hier alles tutti sei.

    Vgl. z.B. USA: Dieser Artikel hier ist schon überholt. „Sie sind nur das jüngste Beispiel (…)“ … Leider schon nicht mehr, siehe Atlanta.

    Explizit sei angemerkt: Das soll garnichts relativieren! Im Gegenteil bin ich froh, dass es hier auch Proteste auslöst.

    @1: „ein Ereignis aus den USA nehmen, statt in unserem eigenen Haus zu schauen.“
    Die Proteste in Deutschland richte(te)n sich eher gegen strukturellen Rassismus generell. George Floyd war da eher der Auslöser, als der Grund.

    Schade finde ich auch, die anhaltenden Bemühungen von meist linken Gruppierungen als nichtig wegzuwischen, nur weil jetzt ein Fall aus den USA alles überlagert. Die Demos fanden immer statt und werden weiter stattfinden. Es läuft nur unter dem Radar. Die Zivilgesellschaft hat sich daran gewöhnt, das „linke Spinner“ für die Freiheiten aller demonstrieren gehen. Darüber lächelt man gerne am Webergrill mit den Nachbarn, wenn man feststellt, dass Fleisch einfach geiler ist als diese vegane Pampe, die einem die Grünen aufzwingen wollen und man deshalb sicherheitshalber CDU wählt.
    Selbst aktiv wird man, wenn es sich für die eigene Reputation lohnt. Ich hoffe, der Wind dreht sich und das Kokettieren mit Wörtern wie „struktureller Rassismus“ wird wieder sexy (statt z. B. „Asylflut“).
    „Max und Murat“-Diskussionen bieten, im Gegensatz zu Sarazzin-Diskussionen tatsächlich Fakten, über die man reden kann.

    Sorry für den Rundumschlag … Musste mal raus.

  4. Wie geschrieben: Es ist eher als Kritik an den deutchen Medien zu verstehen, die gerne Bilder aus den USA nehmen (die einfach mehr Bilder produzieren) statt die Demos aus Deutschland vor BlackLivesMatter prominent zu präsentieren.
    Zur Verteidigung der Medien wurde ja schon hier kommentiert: Es passiert in Deutschland zum Glück seltener, dass ein Mensch durch die Polizei oder bei der Polizei stirbt.

    Deutschland Medien präsentieren einfach weniger Bilder, das ist auch gut so. Aber sie bedienen sich gerne bei den USA, weil es gut und einfach ist.
    Ich erinner mich hier an das ICE-Unglück bei Eschede: Hier hatte man in Deutschland zunächst keine eigenen Kameras vor Ort und bediente sich dann bei CNN World (Die Hintergründe sind natürlich nicht so, dass CNN ein eigenes Kamerateam hatte. Ein deutscher DIenstleister hatte sich einfach zuerst an CNN verkauft.)

  5. Medienkompetenz ist so wichtig!
    Also ich habe einige gute Lehrer gehabt, die sehr viel Wert auf die Unterscheidung von Grund und Anlass gelegt haben…Diese Differenz nicht auf die Reihe zu bekommen ohne irgenswelchen entschuldigenden Seufzer hinterher zuseufzen finde ich immer traurig.
    Einige wollen natürlich den Unterschied nicht machen,
    ein paar können den Unterschied nicht sehen und wieder andere wollen nicht können!
    Letztere wollen absichtsvoll den Diskurs steuern und sind attraktiv für die ersten Gruppen,weil sie genau wissen was diese Gruppen hören wollen/müssen.
    Wobei ich keinen Unterschied zwischen Links und Rechts mache..
    aber hinsichtlich der von mir beobachteten Effizienz sind die Rechten vorne.

  6. Dass wir auch heute, 15 Jahre nach dem Mord an Oury Jalloh, über diese unfassbaren Vorgänge sprechen, liegt nicht an dem extremen Charakter der Tat, sondern an zwei anderen sehr wichtigen Aspekten:

    1. Die Ausdauer von Margot Overath, diesen Fall über viele Jahre journalistisch zu verfolgen. Von Beginn an wurden und werden an vielen verschiedenen Stellen und über alle beteiligten politischen Ebenen hinweg Sachverhalte vertuscht oder zurechtgebogen, Beweismittel vernichtet oder Beweismittel konstruiert, Aussagen abgestimmt und Zeugen beeinflusst. All das, um an einer abenteuerlichen These festzuhalten, die eher an eine Geschichte aus einem schlechten Kriminalroman erinnert als an professionelle Polizeiarbeit. Unter diesen Umständen fällt die Recherche natürlich nicht leicht.

    2. Noch viel wichtiger: Die trotz Schikanen der Polizei unaufhörliche Arbeit von Mouctar Bah und der Initiative in Gedenken an Oury Jalloh. Würden diese Menschen nicht unter Gefährdung der eigenen insb. psychischen Gesundheit so hartnäckig Spenden sammeln und die Arbeit der Staatsanwaltschaft erledigen, wäre dieser Fall nur ein weiterer in einer Reihe von Tötungen Schwarzer Menschen im Zusammenhang mit der deutschen Polizei, von denen die Öffentlichkeit kaum bzw. keine Notiz nehmen würde.

    Am exakt selben Tag, als Oury Jalloh ermordet wurde, wurde ein weiterer Schwarzer Mann aus Sierra Leone getötet: Unter Einsatz von Brechmitteln starb Laya-Alama Condé in Bremen in Polizeigewahrsam. Das hätte man vermeiden können, wenn man diese gegen die Menschenwürde gerichtete Praxis nie eingeführt hätte; oder wenigstens abgeschafft, nachdem Achidi John unter ganz ähnlichen Umständen zu Tode gekommen war. Aber gut, geht ja nur um Schwarze.

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