Die Podcast-Kritik (24)

Diese Podcasts helfen dabei, Extremismus zu verstehen

Es ist nicht schwer, dieser Tage den Mut zu verlieren. Nicht erst nach Hanau, nach Halle, nach der Gruppe S, nach Nordkreuz, nach Walter Lübcke, nach fast 500 untergetauchten Neonazis bundesweit. Aber auch und erst recht nach alledem.

Es soll in dieser Podcast-Kolumne nicht darum gehen, in einen der Chöre einzustimmen, die beklagen, der Diskurs sei kaputt, weil alles Erregungsgesellschaft ist, niemand mehr zuhört und ja ohnehin immer nur mit der Extremismus-Keule geschwungen wird.

Es soll in dieser Kolumne um das Lernen gehen. Um das Hinterfragen, das Zuhören. Darum, sich selbst in Frage zu stellen – und das, was man zu wissen glaubt. In dieser Kolumne geht es um Podcasts, die dabei helfen, Extremismus besser zu verstehen.

Eine Vorbemerkung muss sein: Die hier empfohlenen Podcasts sind nichts zum Entspannen und nichts zum Genießen. Sie sind keine Klangkunst, begeistern weder mit kreativem Storytelling noch durch mutige Dramatik. Diese Podcasts sind Arbeit, aber manchmal muss das sein.

de:hate von der Amadeu-Antonio-Stiftung

Glatze, Springerstiefel, Bomberjacke – so einfach das in den „Baseballschlägerjahren“ (zumindest manchmal) gewesen sein mag, den Rechtsextremisten zu erkennen, so sicher kann man heute sagen: Die Zeiten sind vorbei. Rechtsextremismus tritt in vielen Spielarten auf; er dockt an die großen gesellschaftlichen Debatten an; er modernisiert sich, und die Grenze zwischen dem, was noch-okay-konservativ ist und was eigentlich-schon-zu-weit-rechts-draußen ist, die ist auch kein sauberer, glatter Strich.

Rechtsextremismus heute ist meistens nicht so laut, auffällig und aggressiv. Was aber ist er dann? Im Projekt de:hate der Amadeu-Antonio-Stiftung wird versucht, das fortwährend im Blick zu behalten. „Hierzu ordnet und dekodiert das Projekt unterschwellige Strategien, Erzählungen und Bildsprache der Rechten im Netz. Aus diesen Erkenntnissen entwickelt de:hate Handlungsempfehlungen für die digitale Zivilgesellschaft, Politik und Plattformbetreibende“, heißt es auf der Projektseite. Das de:hate-Team produziert auch einen Podcast, der durchaus eine Hörempfehlung ist.

In bislang zehn Folgen arbeiten sich dort Matthias Goedeking und Viola Schmidt durch Phänomene, Fragen und neue Formen rechtsextremer Ideologien. Das kann die Frage sein, wie Rechte die Debatte um Gender und Geschlecht kapern, ein Blick auf Verschwörungstheorien und ihre Funktionsweisen, eine Gegenüberstellung von klassischem Rechtsextremismus und Neuer Rechten oder auch eine Annäherung an die Frage, ob es einen eigens definierten Bereich „Hasskriminalität“ überhaupt braucht und was es mit „HateSpeech“ auf sich hat.

Neben der Vermittlung von Basiswissen zu den Phänomenen werden aktuelle Entwicklungen erklärt und Experten und Initiativen vorgestellt, bei denen man mehr zum Thema finden kann. Der de:hate-Podcast selbst hat nicht den Anspruch, diese Fragen erschöpfend zu beantworten. Er ist eher eine Art hörbare Startrampe, um sich danach selbst solider mit diesen Fragen auseinandersetzen zu können.

Die Anmutung von „de:hate“ ist ernst, aber nicht erdrückend. Der Tonfall ist sachlich, vermittelnd, hier gibt es keine Show und keine großen Effekte, hier steht Lernen im Mittelpunkt und nicht das Erzählen einer Geschichte. Das muss man wollen. Aber dank einer sorgfältigen Produktion, zurückhaltender Sound-Verpackung und einem klugen Einsatz von Interviews, O-Tönen und Klangteppichen ist das gar nicht so schwer, wenn man sich den Ruck einmal gegeben hat.

Wer das tut, der wird recht schnell belohnt. Der erfährt in Folge 3, warum der Begriff der „Verschwörungstheorie“ problematisch ist (Spoiler: Theorien gibt’s in der Wissenschaft, das Wort wertet das Ganze nur auf – hier geht es um Ideologie und Erzählungen). Warum man sich dann eben doch zu Wort melden muss, auch wenn das zermürbend ist. Und warum man auch mal akzeptieren muss, dass man etwas nicht weiß. („Über viele Dinge werden wir die Wahrheit nicht erfahren. Aber das heißt eben nicht, dass es eine Verschwörung gibt.“)

In Folge 4 wird – am Beispiel der Debatten um Gender und Geschlecht – klug erklärt, warum der Rechtsextremismus eine „nachholende Modernisierung“ durchmacht, und es eben kein Zufall ist, dass rechte Gruppierungen auf Fotos mittlerweile ganz gern Frauen nach vorn stellen.

Und Folge 9 macht eindrucksvoll klar, dass die Frage nach Sinn und Unsinn eines eigenen Bereichs „Hasskriminalität“ nicht allein juristisch oder politisch zu beantworten ist, weil das die Opfer und Betroffenen nicht angemessen in die Betrachtung einbezieht.

„de:hate“ lohnt sich. Auch für jene, die bei all diesen Sachen schon ganz gut im Stoff stehen – vielleicht auch gerade für die. Denn ab und an mal jemandem zuhören, der die Grundlagen sortiert, das bewahrt auch davor, sich zu oft zu tief in den Debattenstrudel ziehen zu lassen.

„Politischer Extremismus“

Wer auf theoretischer Ebene noch etwas tiefer einsteigen will, auch in methodischer Hinsicht, der findet eine Möglichkeit dazu beim Fachbereich Politikwissenschaften der Uni Hamburg.

Dort haben Studierende ihren Stoff in einem Vertiefungsseminar zum „Politischen Extremismus“ in einem Podcast aufgearbeitet. In sechs Folgen erklären sie, was Extremismus ist und was alle Extremismus-Formen gemeinsam haben, befassen sich mit „Religiösem Extremismus“, analysieren „Rechte Netzwerke und ihre Organisationsstrukturen“, beschäftigen sich mit der „Menschenwürde als Gegenpol zum Extremismus“ und fragen sich: „Wie rechts ist Hamburg wirklich?“

Das ist, natürlich, weder vollständig, noch behauptet es das. Es blickt durch die Brille der Wissenschaft auf die behandelten Fragen: trocken, sachlich, ausgewogen, analytisch und nicht erzählerisch. Aber: Die Produktion ist ambitioniert, die sechs Folgen haben Magazin-Charakter und lassen sich ganz gut durchhören, und wer möchte,kann hier auch einen kleinen Einblick in die Methodik wissenschaftlicher Arbeiten bekommen.

„modus I extrem“

Ebenfalls recht theoretisch im Zugang, dafür sehr zeitgeistig und hoch aktuell in der Auswahl der betrachteten Themen ist der Podcast „modus I extrem“ vom „Modus – Zentrum für angewandte Deradikalisierungsforschung“, einer Nicht-Regierungsorganisation mit dem Ziel, „Wissenschaft, Wirtschaft und andere gesellschaftliche Akteure“ in Kontakt zu bringen, „um Innovationen für die Extremismusprävention und Deradikalisierung zu entwickeln“. Es gibt bislang sechs Folgen, die sich unter anderem mit dem im Netz entstehenden „Chan-Terrorismus und Gamification“ beschäftigen, erklären, wie Musik zum „Türöffner und Weichspüler des Extremismus gemacht wird“ und warum auch hinter Natur-, Umwelt- und Tierschützer radikale Rechte stecken können.

Es sind wichtige, sehr aktuelle Themen. Doch die Produktion ist hier etwas schwerer verdaulich, weil die Beiträge und Redeanteile sehr lang sind, und es erkennbar eher darum geht, dass die Darstellung vollständig ist, was leider auf Kosten von Hörbarkeit und Leichtigkeit geht.

Einzelsendungen

Wem all zu trocken ist, der findet auch zahlreichen Hörstoff, bei dem echte Menschen aus eigenem Erleben berichten: Zum Beispiel erzählt bei „Neugier genügt“ von WDR 5 einer, der Neonazi war – und ausgestiegen ist. Das ist kein klassischer Podcast, sondern ein Gespräch im Rahmen einer täglichen Sendung im WDR, aber interessant und sehr eindrücklich. Beim Deutschlandfunk gibt es eine sehr hörenswerte Reportage von Sabine Adler über einen deutschen Neonazi-Aussteiger, der in den USA lebt. Und bei hr-info berichten sechs Menschen, die Rassismus im Alltag erleben, wie viele Gesichter der hat und warum es manchmal ziemlich schwer ist, mit jenen, die diese Erfahrungen nicht teilen, darüber zu sprechen.

Wir alle haben unseren Alltag. Und auch, wenn wir uns grundsätzlich für aufmerksam, lernbereit, sensibilisiert halten: Wenn gruppenbezogene Menschenfeindlichkeit kein Teil dieses Alltags ist, dann erfordert es Arbeit, zu verstehen, was hier gesellschaftlich um uns herum passiert.

Das merkt man zum Beispiel dann, wenn man plötzlich mit Debatten, Forderungen, mit neuen Vokabeln konfrontiert wird. Wenn plötzlich reden alle wieder über Äquidistanz und Hufeisen sprechen. Wenn seit Jahrzehnten ausgiebig darüber diskutiert wird, ob es sowas wie Hasskriminalität wirklich gibt. Wenn sich Juristen und Publizisten streiten, ob man Leute, die aus Armut, Not, Elend fliehen, besser Flüchtling oder Migrant nennen soll.

Es ist gut, diese Diskussionen zu führen. Aber man sollte sie nicht nur an Substantiven führen. Ob jemand Flüchtling oder Migrant ist, das mag Juristen viele Stunden lebhaft beschäftigen und natürlich kann man sagen: Wer aus Armut flieht, der ist Migrant, kein (im juristischen Sinne anerkannter) Flüchtling. Wer aber die Perspektive wechselt, und an die Stelle des blutleeren Wortes „Armutsmigration“ einmal das Leben setzt, das dort gelebt wird, wer man also von einer Flucht aus Zwangsprostitution spricht, aus Organverkauf, Ausbeutung und Menschenhandel, aus Dörfern, in denen ganze Familien inklusive der Kinder von Drogen zerfressen werden, der findet diese Frage vielleicht gar nicht mehr so zentral. Vielleicht sollten wir weniger über die Labels und mehr über die Leben dahinter nachdenken. Diese Podcasts helfen dabei – auch, wenn sie mehr das Sachbuch und weniger der unterhaltsame Roman sind.

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