Die Podcast-Kritik (22)

Von einem, der verwahrlost, und vielen, die überfordert sind

Podcastkritik: Kronau reichts

Eines Tages steht Franziska Engelhardt vor dem Gefängnis Limattal bei Zürich. Sie holt Karl Engelhardt ab. Der saß sechs Monate in U-Haft. Zuvor hat sein Haus gebrannt. Er ist wegen Bedrohung verhaftet worden.

Als Messie hatte er nicht nur sein Haus, sondern auch mehrere Scheunen bis zum Rand mit Zeug vollgestopft. Über viele Jahre war er zum Außenseiter geworden. Einen ganzen Ort hatte er gegen sich aufgebracht. Dort gehen Franziska Engelhardt und Stefanie Müller-Frank nun in einem Podcast der Frage nach, wie es so weit kommen konnte – mit Franziskas Vater.

Knonau ist ein kleines Dorf in der Schweiz, eine halbe Stunde hinter Zürich. Man kann die schneebedeckten Spitzen der Alpen sehen. Beschaulich und gemütlich ist es hier, Kirche, Brunnen, alte Häuser – und mittendrin das Haus von Karl. „Erst waren es nur ein paar Bretter am Gartenzaun. Aber dann kamen all die Plastikeimer, Gummikabel, Ziegelstapel, Gießkannen und verrosteten Fahrräder hinzu. Und plötzlich hatte man da diesen leidenschaftlich zusammengetragenen Schrottplatz, mitten im Dorf.“ So beginnt der Podcast „Knonau reichts“, der auch eine Familientragödie ist.

Das Dorf ist überfordert und verstört von dem Anblick, doch hinter dem verwahrlosten Grundstück schlummert eine viel größere Frage: „Was sie noch mehr verstört: dass sich einer von ihnen einfach nicht an die Spielregeln hält.“ Wie lange muss man das aushalten? Wie viel Mitgefühl muss man mit jemandem haben, der findet, die Gesetze gelten für ihn nicht? Was kann man tun, wenn jemand das Harmoniebedürfnis der Gemeinschaft ausnutzt?

Es ist dieser Konflikt, der in Knonau lange schwelt, und irgendwann schwelt es tatsächlich. Denn in einer Nacht im Juni brennt das Haus von Karl. Dieses über 500 Jahre alte, denkmalgeschützte Haus, das bis auf die Grundmauer abbrennt, ist Franziskas Elternhaus. Davor hatten alle Angst, allen voran die Feuerwehr. „Der erste Befehl war: Es geht keine Person in das Haus rein. Das Risiko wäre viel zu groß gewesen“, erinnert sich ein Feuerwehrmann. So zugestellt waren Haus und Grundstück, dass sich der Hund beim Bäcker gegenüber hinlegen musste, weil er hier keinen Platz mehr fand, um sich auszustrecken.

In diese Idylle fahren nun die beiden Autorinnen, sprachen mit den Behörden, dem Pfarrer, Feuerwehrleuten, wühlen in Akten und Karls Vergangenheit, die auch Franziskas Kindheit ist.

Der Verdacht

Und in der zweiten Folge gehen sie einem Verdacht nach: Hat jemand aus dem Dorf das Haus von Karl Engelhardt angezündet? Während er dort schlief? Franziska Engelhardt und ihre Mitautorin Stefanie Müller-Frank treffen einen Dorfbewohner, der wohl mehr weiß, aber zögert, offen zu sprechen – doch immerhin das: Jemand habe ihm ein Video gezeigt, gefilmt von hinter der Gardine, und: noch bevor die Feuerwehr alarmiert wurde. Der Verdacht ist jetzt in der Welt. Und er beschäftigt auch Franziska und Stefanie. Muss man das den Behörden sagen? Oder sollten sie versuchen, denjenigen selbst anzusprechen, auf die Gefahr hin, dass er dann alles verschwinden lässt?

In dieser Folge bekommt das Bild von Karl eine andere, eine liebenswürdigere Facette. Wir hören von Karl, der aus allem noch etwas basteln konnte. Der künstlerisch begabt ist. Der für Theaterproduktionen die außergewöhnlichsten Requisiten besorgen konnte. Der Pauke spielte und bei der Freiwilligen Feuerwehr war. Und für den mit dem Auszug seiner Frau offenbar alle Dämme brechen.

Auch sie hören wir im Podcast, und sie rät Angehörigen von Messies: „Geben Sie sofort auf. Sie haben keine Chance. Absolut keine. Wenn der Betroffene nicht will.“

Der Mensch

Erstmals kommt Karl selbst in der dritten Folge zu Wort. Ein später, aber wichtiger Wendepunkt: denn so wird aus dem Querulanten Karl der echte Mensch, dessen leise, sanfte Stimme so gar nicht zu diesem harten Bild passen will, das wir bisher von ihm gehört haben. Die Fragezeichen werden jetzt immer größer: „Ich will meinen Vater jetzt nicht allein lassen. Aber ich weiß auch nicht, wie er drauf ist, wenn er da gleich zur Tür rauskommt. Wie reagiert jemand, der sechs Monate in Einzelhaft war und kein Daheim mehr hat?“

Karl kommt wieder aus dem Gefängnis, und „alle haben Angst vor dem, was jetzt passiert“.

Mit Karls Entlassung prallen die zwei Weltsichten aufeinander. Karl, der meint, es könne gar nicht zur Zwangsversteigerung kommen, weil ihm da ja Unrecht getan wurde. Und Karls Familie, der nach und nach klar wird, dass der Brand womöglich die eine und letzte Chance war. Die Chance auf einen Neustart. Das Grundstück verkaufen, die Versicherungssumme für den Brand mitnehmen, die Schulden abbezahlen und neu anfangen. Aber Karl will nicht.

Franziska Engelhardt und ihr Bruder kommen nach und nach zu dem Punkt, ihren Vater nun auch finanziell entmündigen zu lassen. In dieser Situation können sie es nicht mehr richtig machen: Sie können sich raushalten und zusehen, wie Karl sich ruiniert. Oder sich einmischen, gegen den Willen ihres Vaters.

Die nötige Distanz

Auch wenn es manchmal eine Sekunde braucht, um zu erfassen, ob gerade die Tochter Franziska Engelhardt oder ihre Mitautorin Stefanie Müller-Frank spricht, ist es ist gut, dass Franziska Engelhardt sich entschieden hat, diese Geschichte nicht allein zu erzählen. Wenn wir von Franziska Engelhardt hören: „Für mich ist es fast unerträglich, meinen Vater so hilflos zu sehen. Mit allem, was wichtig wäre, um sein Leben in den Griff zu bekommen, ist er komplett überfordert. Eine Katastrophe eigentlich. Mich macht es fast wahnsinnig, dass er sich nicht helfen lässt“ – dann sorgt es für die nötige Distanz, wenn Stefanie Müller-Frank dem entgegenstellt: „Für mich ist es fast unerträglich, wie Franziska ihren Vater bemuttert. Die Rollen zwischen ihnen haben sich fast umgekehrt.“

„Knonau reichts“ ist auch deswegen eine große Empfehlung, weil dieser Podcast sich gegen den Zeitgeist stemmt. Ja, hier wird einem Verbrechen nachrecherchiert, aber muss das deswegen wie der x-te Krimi-Hörbuch-Abklatsch klingen? Muss es schnell gehen, laut sein, überproduziert? Nein. Mit True Crime hat „Knonau reichts“ nichts zu tun und siehe da: Das geht!

Wer „Knonau reichts“ hört, der wird stattdessen mit Fragen konfrontiert, die wir gern vor uns wegschieben. So lange, bis sie nicht mehr wegzuschieben sind. Eine von ihnen lautet: Was tun, wenn man irgendwann die eigenen Eltern überstimmen muss? Gleich zu Beginn wird diese Frage aufgeworfen: „Mein Vater hat den Brand nur knapp überlebt. Trotzdem ist er schon ein paar Tage später wieder in der einsturzgefährdeten Ruine umhergeklettert. Er hat sich eine drei Stockwerke hohe Leiter aufgestellt, um noch all das zu bergen, was nicht komplett verbrannt war. Er hat also praktisch einfach weitergemacht mit dem Sammeln. Für mich dagegen war mit dem Brand klar: Jetzt ist es genug. Ich muss meinen Vater aufhalten.“ Die Frage, ob das überhaupt geht, die schwebt fortan über allem.

„Knonau reichts“ ist ein ausgeruhter Podcast. Sehr feinsinnig produziert, fast schon zu sanft. Die Dramatik liegt hier nicht selten zwischen den Zeilen. Man sollte ihn zweimal hören.

P.S.: Wer schweizerdeutsch versteht oder lernen mag, dem sei die Originalfassung empfohlen. Für alle anderen hat WDR5 eine hochdeutsche Version produziert.

Podcast:  Knonau reichts

Episodenlänge: ca. eine halbe Stunde
Offizieller Claim: Ein Schweizer Dorf will Ordnung
Inoffizieller Claim: Die leisen Fragen sind die schwierigsten
Für Fans von: Außenseitern.
Nichts für: Ungeduldige.

2 Kommentare

  1. Ich hatte diesen Podcast schon vor einiger Zeit angefangen zu hören und dann mittendrin abgebrochen, weil ich es unerträglich fand. Aber nicht die Zumutung für Dorf und Tochter, sondern wie hier mit den Persönlichkeitsrechten eines Menschen umgegangen wird, der sich wahrscheinlich nicht wirklich mehr dazu verhalten kann.

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