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Wir könnten alle reich sein, sogar die Frauen!

Was soll dabei rauskommen, wenn die Redaktion einer Frauen-Mode-Zeitschrift eine Ausgabe einer Finanz-Illustrierten produziert? Anlagetipps mit Handtaschen?

Haha, ja, genau. Hier, Seite 64: „Buy the Bag! Eine Investition in das beliebte Accessoire kann sich allemal lohnen – und sogar den Aktienindex S&P-500 und Gold schlagen. Wir zeigen Ihnen die Handtaschen, die die höchsten Renditen bringen.“

Klar: Birkin Bags. Zwischen 1980 und 2016 sollen sie im Schnitt jährlich 14,2 Prozent an Wert gewonnen haben. Eine Himalaya-Birkin aus Leder vom Nilkrokodil, erfahre ich, wurde im Juni 2016 für 300.168 Dollar versteigert. Eine mattweiße Himalaya-Niloticus-Krokodil-Birkin ein Jahr später sogar für 377.000 Dollar. Ist Nilkrokodil ein Kosewort für Niloticus-Krokodil? Was machen die im Himalaya?

Die ursprünglichen Kaufpreise sind anscheinend unbekannt, weshalb es rätselhaft konkret erscheint, dass „einzelne Exemplare zwischen 2015 und 2018 um 265 Prozent zulegten“. Das konkrete Investment scheitert aber für Anna-Normalanlegerin vermutlich schon daran, dass teilweise nur zwei Exemplare pro Jahr produziert und unter unklaren Umständen an die Frau gebracht werden. „Die Botschaft: Einer Birkin muss man würdig sein. Die Folge: Wertzuwächse vom Feinsten.“

Die Zeitschrift „InStyle“ hat also eine Ausgabe „Focus Money“ gestaltet. Ein einmaliges Experiment soll es sein: „Wie können wir es schaffen, dass mehr Frauen FOCUS-MONEY lesen?“ Auf einem Foto, das beide Redaktionen aus dem Hause Burda an einem Tisch zeigt, sind Männer und Frauen säuberlich getrennt, scheinen aber in Genervtheit vereint. Noch vor dem Inhaltverzeichnis versuchen Kerstin Weng, Chefredakteurin „InStyle“, und Frank Pöpsel, Chefredakteur „Focus Money“, einen Dialog über Geschlechtergrenzen hinweg:

Pöpsel: Brauchen wir mehr Frauen in Führungspositionen?

Weng: Das ist eine rhetorische Frage, oder?

Pöpsel: Was können denn Frauen in Führungspositionen besser als Männer?

Weng: Sagen wir es mal so: Eine Frau, die ihr Ego über das Wohl des Teams oder die Aufgabe stellt, ist mir noch nicht begegnet.

Pöpsel: Typisch Frauensicht.

Ich bin weder Anleger noch Frau, insofern gleich doppelt nicht Zielgruppe. Aber mich verbindet eine lange Geschichte der Konträrfaszination mit „Focus Money“ – und vor allem seinem unglaublichen Titelseitenkonzept, wo mit ungeheurer Aufmerksamkeitsheischerei und Penetranz immer wieder abwechselnd der Untergang des Weltwirtschaftssystems und der mit einfachsten Mitteln zu bewerkstelligende Reichtum beschworen wird.

Die Frauen-Ausgabe hat einen Titel der zweiten Kategorie: „REICH ohne Arbeit“, verspricht er. „WIE SIE VÖLLIG STRESSFREI EIN VERMÖGEN AUFBAUEN.“ Gäbe es am oberen Seitenrand nicht einen Hinweis auf die besondere Zusammenarbeit mit „InStyle“ („Exklusiv in diesem Heft: Wirtschaft stylisch“), ich hätte dem Cover nicht angesehen, dass es von jemandem oder für jemanden anderes gestaltet wurde als all die anderen zuvor.

Das „REICH ohne Arbeit“-Versprechen schnurrt im Inneren auf Ratgeber zusammen, wie man „bereits mit überschaubaren Summen und einfachen, aber effektiven Strategien deutlich mehr herausholt als mit den Standard-Finanzprodukten, die der Hausbankberater empfiehlt“. Es geht unter anderem um Dividenden und um die 25-Prozent-Methode, mit der man rechtzeitig aus fallenden Kursen aussteigt. Wenn man das konsequent durchgehalten hätte, wären bei einem „Focus Money“-Depot angeblich seit 1999 aus 10.000 Euro 90.000 Euro geworden. Reich ohne Arbeit, naja.

Es stellt sich heraus, dass diese besondere Ausgabe nicht nur zwei Eltern hat: Der dritte im Bund ist die Bank J.P. Morgan, von deren Asset-Management-Abteilung sämtliche Anzeigen im Heft stammen. Dafür bekommt sie auch ein paar hübsche redaktionelle Beiträge. Klar als Anzeige „Gemeinschafts-Aktion“ von „Focus Money“ und „J.P. Morgan Asset Management“ gekennzeichnet, finden sich im Heft ein langes, freundliches Gespräch mit der J.P.-Morgan-Chefanlagestrategin Karen Ward, ein Interview mit der J.P.-Asset-Management-Fonds-Managerin Joanna Kwok, ein Überblick über eine J.P.-Morgan-Asset-Management-Studie über „Frauen und Geldanlage“. Die hat „acht unterschiedliche Vorsorgetypen“ charakterisiert, von der „erklärten Traditionalistin“ über die „Vorsichtige Zweiflerin“ bis zur „jungen Überfliegerin“. „Ihnen gemeinsam ist ihr Bedarf an Finanzbildung und Beratung“, resümiert „Focus Money“. Wie praktisch.

Das Heft ist voller Geschichten darüber, wie leicht es ist, Geld zu verdienen: mit populären Aktien, mit erfolgreichen Aktien, mit Aktien guter Unternehmen, mit Bitcoin, mit Handtaschen. Die Gewinne warten nur darauf, eingefahren zu werden, und Verluste überbrücken nur die Zeit bis zur nächsten Gewinnphase oder sind das, was Leute machen, die „Focus Money“ nicht lesen. Das einzige, was man wirklich falsch machen kann, ist nichts zu machen und sein Geld auf irgendwelchen Konten herumliegen zu lassen.

Das ist als pädagogische Botschaft in Zeiten von Null- und Negativzinsen vermutlich nicht einmal falsch. Wie seriös die Empfehlungen und Analysen sind, kann ich nicht beurteilen. Die vielen, vielen Grafiken, Kursverläufe, Statistiken, Linien geben sich Mühe, einen entsprechenden Eindruck zu erwecken.

Allerdings bleibt ein fundamentaler Grundzweifel bei mir vor allem deshalb, weil ich mich mit jeder weiteren So-leicht-werden-Sie-reich-Geschichte zunehmend drängender frage, warum ihre Autoren selbst offenbar immer noch, statt in der Südsee herumzuschippern oder auf einer Finca im Mittelmeer Champagner zu schlürfen, ihr Leben damit verbringen, die immer gleichen Texte für „Focus Money“ zu schrubben. Ganz als wüssten sie nicht, wie man ohne Arbeit reich wird.

Viel spannender als die vielen Grafiken mit Kursverläufen und Wertentwicklungen sind die Symbolbilder, mit denen die Geschichten illustriert sind – insbesondere diesmal offenbar mit dem Gedanken, die Aufmerksamkeit von Frauen zu wecken. Die Reich-ohne-Arbeit-Titelschichte trägt im Inneren den Titel „Auf das Geld zugehen“, weshalb daneben ein Model abgebildet ist, das auf einem Laufsteg aus überlebensgroßen Geldscheinen geht. (Bildtext: „Wie Models auf dem Laufsteg köännen Anleger mit richtigen Schritten punkten.“)

Ein großes Landschaftsfoto bebildert einen Artikel mit der Überschrift „Ihr Platz am Geldfluss“. Und sogar die Platzierung der 98-jährigen Mode-Ikone Iris Apfel in einen Artikel über Aktionärspräminen erscheint beinahe zwingend, wenn man nur in den Bildtext schreibt: „Das Model Iris Apfel erhält noch mit 98 Jahren Aufträge. So lange zahlen manche AGs stetig Dividenden.“

Vielleicht lässt sich ein weibliches Publikum aber auch schon dadurch beeindrucken, dass man in der Überschrift „KAUFRAUSCH“ die Buchstaben F, R, A und U farblich hervorhebt.

Es hat etwas Rührendes, der Redaktion dabei zuzusehen, wie sie mit originellen bis abwegigen Einstiegen Leserinnen und Leser einzufangen versucht, die sich nicht für das eigentliche Thema interessieren. Ein Artikel beginnt so:

Stehen Sie auf der Gästeliste? Nicht? Dann tut es mir leid, heute ist hier eine geschlossene Gesellschaft. Eine verdammt exklusive Gesellschaft. Eine Gruppe von weltbekannten Stars, die sich vor Presseanfragen kaum retten können und die auf der ganzen Welt heiß begeht sind. Es sind die VIPs unter den VIPs, die Crème de la Crème.

Nein, wir befinden uns gerade ni

(Bitte bleiben Sie dran, es dauert jetzt nicht mehr sehr lange.)

cht auf einer Oscar-After-Show-Party in den Hollywood Hills. Denn diese Mal hat ausnahmsweise FOCUS-MONEY den roten Teppich ausgerollt und hat für sie eines der gefragten VIP-Bändchen und einen Platz auf der Gästeliste übrig. Lesen Sie, welche Unternehmen weltweit die größte Reputation genießen, was sie so stark macht und wie Sie als cleverer Investor mit einer simplen Strategie den Glamour-Faktor für Ihr Depot nutzen können.

Ja, das ist alles nur Vorrede für einen Artikel über die zehn beliebtesten Unternehmen der Welt (Apple, Amazon, Berkshire Hathaway …). Was für ein ergreifender Gedanke, dass das endlose Geschwurbel ein Weg sei, Leute in den Text hineinzuziehen.

Die Auflockerungsversuche wirken teilweise spröder als es die kargsten Zahlen und Fakten sein könnten. Der Artikel über Dividenden beginnt mit einer Beschreibung, dass „die Damen noch ausladende Röcke mit sperrigen Drahtkonstruktionen trugen, als im Jahr 1816 im US-Bundesstaat Pennsylvania die York Walter Company gegründet wurde“ und „die Männer hingegen Revolver trugen“. Aber die damals gegründete Firma habe sofort Dividenden gezahlt und tue das bis heute.

Viele Zeilen später, nachdem Strategien mit Dividenden-starken Anlagen diskutiert wurden, kommt der Autor zum Schluss fast gar nicht sehr angestrengt darauf zurück:

Anleger, die so vorgehen, haben dann den finanziellen Spielraum, um sich auch einmal besondere Wünsche zu erfüllen. Sollten sie mal wieder in Mode kommen, könnten das zum Beispiel auch die eingangs erwähnten sperrigen Röcke mit Innengitter sein.

Für die Leserinnen, die so auf den Geschmack gekommen sind, wollen „Focus Money“ und „Instyle“ die Aktion im Netz unter dem Hashtag #investinyou fortsetzen. Das ist zufällig auch der Name der Aktion, mit der J.P. Morgan Frauen ansprechen will.

Und wo bleibt das Goldige? Nichts erregt die „Focus Money“-Macher so sehr wie Gold, sie werden es doch nicht in diesem Heft dabei belassen, einer Geschichte über Bitcoin die Überschrift „Das digitale Gold“ gegeben zu haben?

Stellt sich heraus: Sie haben ihre Gold-Begeisterung in ein beiligendes 28-seitigiges Heft ausgelagert, ein „Gemeinschafts-Spezial von Focus Money“ und neun Firmen, die mit Edelmetallen handeln. Alle schwärmen hier hemmungslos für Gold als „nachhaltig werthaltige Reserve“, als „Langfrist-Anlage“, als „ultimative Versicherung“, die „langfristig das Vermögen schützt, Sicherheit bietet und Vertrauen schafft“ – „als Schutz und Geld alternativlos“. Als Experten werden Mitarbeiter der Firmen befragt, die auch als Werbepartner auftauchen. Steht sogar so im Impressum: „… enthält eine bevorzugte Behandlung der Kooperationspartner und ihrer Produkte“.

Jetzt warte ich auf das sicher bald erscheinende „Focus Money“-Sonderheft: „REICH ohne Journalismus“.

6 Kommentare

  1. „Ist Nilkrokodil ein Kosewort für Niloticus-Krokodil?“
    Wikipedia:
    „Das Nilkrokodil (Crocodylus niloticus) ist eine Art der Krokodile (Crocodylia) aus der Familie der Echten Krokodile (Crocodylidae).“

    Was das Nilkrokodil mit dem Himalaya zu tun hat, bliebe noch zu recherchieren.

  2. Sicher wurde das Krokodil-Leder unter Verwendung des berüchtigten Himalaya-Salz gegerbt, mit der Bad Reichenhaller Variante schafft man man es nur zu kik.

  3. @Schnellinger: der Yeti hat die Krokodile mit seiner Reinhold-Messner-Nachahmung zu Tränen gerührt und dabei haben sie sich Tod gelacht -also sehr human! ;-)

  4. „Ganz als wüssten sie nicht, wie man ohne Arbeit reich wird.“

    Nun, die Autoren vielleicht nicht, aber ein paar Ebenen höher hat man definitiv Expertise im Themengebiet ‚Reich werden ohne Arbeit‘.

    Zumindest gehe ich mal davon aus, dass JP Morgan nicht all zu schlecht dafür bezahlt, sich auf diese Weise in ein gemachtes Bett legen zu dürfen.

  5. Brauchen Frauen anderen Journalismus als Männer? Muss man ihnen trockene Themen wie die Geldanlage wirklich mit klischeegespickten Bildnissen wie „teure Handtaschen“ näher bringen? Diese bezahlte PR-Kooperation ist ein Griff in die Mottenkiste und hat nichts mit Finanzjournalismus zu tun.

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