Presserat: Volkswagen-„Welt“ gefährdet Ansehen der Presse
Der Deutsche Presserat hat die Volkswagen-Ausgabe der „Welt“ missbilligt. Sie verstoße gegen Präambel und Ziffer 6 des Pressekodex. Die Präambel mahnt, das Ansehen der Presse zu schützen; Ziffer 6 fordert eine klare Trennung von publizistischen und anderen Funktionen.
Die „Welt“ hatte im Mai für eine Sonderausgabe zum Thema „Mobilität der Zukunft“ VW-Chef Herbert Diess zum Co-Chefredakteur für einen Tag gemacht, samt entsprechender Nennung im Impressum. Die meisten Artikel der Ausgabe beschäftigten sich mit Volkswagen. Ein aktueller Artikel über Donald Trump war mit einem Foto illustriert, das Diess bei einem früheren Besuch im Weißen Haus zeigt. Der andere Chefredakteur des Blattes, Ulf Poschardt, war zu sehen, wie er im „racigen Audi E-Tron“ auf der VW-Teststrecke in der Nähe von Wolfsburg fuhr. Die meisten Anzeigen warben für Volkswagen-Marken (VW, Porsche, Audi, Seat, Skoda).
Beim Presserat waren wegen dieser Ausgabe drei Beschwerden eingegangen (davon eine von uns). Die Beschwerdeführer bemängelten einen „Fall beispielloser Verquickung von Unternehmensinteressen“ mit „Interviews zur Selbstdarstellung, Wohlfühlartikeln und ungezählten Aufnahmen von VW-Produkten“, „Corporate Name-Dropping“ oder eine „scheinjournalistische Inszenierung“ von VW-Botschaften.
Poschardt: Hatte letztes Wort
„Welt“-Chefredakteur Poschardt nutzte seine Stellungnahme gegenüber dem Presserat zu einigen längeren grundsätzlichen Ausführungen. Darin erläutert er unter anderem, dass Volkswagen als größter Automobilhersteller der Welt für die Zukunft der Mobilität eine außergewöhnliche und herausgehobene Rolle spiele, aus Sicht der Kunden und Produkte, aus Sicht der über 660.000 Mitarbeiter, aus Sicht der Zulieferer und der gesamten Automobilbranche in Deutschland, aus Sicht der Millionen im Zuge des Dieselskandals betrogenen Kunden weltweit. Für all diese Themen sei der Vorstandsvorsitzende Diess besonders wichtig. Darum sei es reizvoll gewesen, ihn zum „WELT-Chef für einen Tag“ zu machen.
Heute in der Konferenz und Gast-Chefredakteur: Herbert Diess. Gemeinsam mit @ulfposh und @rosidaggi wird der @vwgroup_de-CEO heute eine 40-seitige WELT-Ausgabe zum Thema "Mobilität der Zukunft" produzieren pic.twitter.com/PStq2KIAbs
— WELT (@welt) May 6, 2019
Die redaktionelle Verantwortung für die „Welt“-Ausgabe habe aber selbstverständlich er, Poschardt, getragen. Er habe bei allen Fragen das letzte Wort gehabt und die Ausgabe inhaltlich verantwortet. Dies werde auf der Titelseite der Ausgabe eindeutig und ausführlich erläutert.
Zum Vergleich hier, was wirklich auf der Titelseite der Ausgabe stand:
38 BESONDERE SEITEN MIT EINEM BESONDEREN CHEF
(…) Gast-Chefredakteur an der Seite von Ulf Poschardt, Chefredakteur der WELT-Gruppe, und WELT-Chefredakteurin Dagmar Rosenfeld war gestern Herbert Diess, der Vorstandsvorsitzende von Volkswagen.
Diess hat bei der inhaltlichen Gestaltung dieser 38-seitigen Sonderausgabe zum Thema Mobilität der Zukunft mitgewirkt; und gemeinsam mit Michael Mauer, dem Design-Chef von Porsche, gab er dieser Zeitung auch optisch eine besondere Note. (…)
Poschardt verwies gegenüber dem Presserat darauf, dass sich VW-Verantwortliche in zwei Doppel-Interviews von ihren Gesprächspartnern kritische Fragen und scharfe Kritik anhören müssten. Auch in allen anderen Texten seien „journalistische Kriterien“ der entscheidene Maßstab gewesen. Deshalb weise man den Vorwurf der Schleichwerbung und der fehlenden journalistischen Unabhängigkeit entschieden zurück.
Poschardt räumte ein, dass die zahlreichen Anzeigen für Unternehmen des VW-Konzerns zu dem „falschen“ Eindruck fehlender Unabhängigkeit beigetragen hätten. Das sei anders geplant gewesen, doch hätten mehrere bedeutende Automobilhersteller kurzfristig ihre Anzeigen zurückgezogen. Sonst wäre der Eindruck der „VW-PR“ endgültig zerstreut worden. Man habe interne Maßnahmen ergriffen, um die Sensibilität für diese Problematik zu erhöhen und einen solchen falschen Eindruck in Zukunft zu vermeiden.
Knappe Entscheidung
Der Beschwerdeausschuss des Presserates bemängelt vor allem die Berufung des VW-Chefs zum zeitweiligen „Welt“-Chef. Das sei eine Doppelfunktion und widerspreche dem Pressekodex, wonach auf eine strikte Trennung der jeweiligen Funktionen zu achten wäre.
Ein „durchschnittlich verständiger Leser“ würde aufgrund der Themensetzung und -umsetzung des Ausgabe davon ausgehen, dass der VW-Chef als Gastchefredakteur eine gewichtige Rolle wahrgenommen habe, so der Presserat. Er urteilt:
„Im Ergebnis können bei den Lesern Zweifel an der journalistischen Unabhängigkeit der [„Welt“] zumindest bei dieser Ausgabe entstehen. Ein solcher Eindruck ist geeignet, das gemäß der Präambel des Pressekodex besonders zu schützende Ansehen der Presse zu beschädigen.“
Den Vorwurf der Schleichwerbung (Ziffer 7 des Pressekodex) wies das Gremium mehrheitlich zurück: Ein möglicherweise werblicher Effekt durch die Fokussierung auf VW sei auf die mangelnde Funktionstrennung des Gastchefredakteurs zurückzuführen.
Der Presserat hielt die Beschwerden gegen die „Welt“ nur mit knapper Mehrheit von drei zu zwei Stimmen bei einer Enthaltung für berechtigt. Die „Missbilligung“, die er aussprach, ist die zweitschärfste Maßnahme. Es besteht für die „Welt“ keine Pflicht, sie zu veröffentlichen, obwohl der Presserat das als „Ausdruck fairer Berichterstattung“ empfiehlt.
Korrektur, 14:30 Uhr. Wir hatten zweimal „Driss“ statt „Diess“ geschrieben. Peinlich. Sorry!
Ich würde der Beschwerde auch eher zustimmen unter journalistischen Gesichtspunkten.
Gleichwohl: Ich finde das sehr interessant und hätte mir diese Ausgabe wohl eher gekauft als eine reguläre Zeitung wenn ich davon gewusst hätte.
Im Übrigen: Print-Produkte mit scheinbar oder tatsächlichen journalistischen oder dem Journalismus ähnlichen Inhalten, die aber von einem Nicht-Presseunternehmen finanziert werden, sind qualitativ meist sehr gut (schließlich soll es eine positiv Rückwirkung auf die finanzierende Marke haben).
Das führt jetzt zwar weit vom Thema weg, aber ich könnte mir vorstellen, dass die Zukunft der Zeitung darin liegt, dass Sie von Unternehmen herausgegeben/ finanziert werden, die eigentlich einen anderen Geschäftszweck haben. Also eine Zeitung die VW gehört zum Beispiel. In der Praxis würde sich die Berichterstattung über sich selbst dann sicher auch nicht besonders von der oben dargestellten unterscheiden.
„Den Vorwurf der Schleichwerbung (Ziffer 7 des Pressekodex) wies das Gremium mehrheitlich zurück“
Und was ist mit diesem Politiker da, der auch noch aufs Foto platziert wurde?
OK, OK, der ist so überworben, sitzt in jeder Talkshow, und plauscht in jedem Magazin über seinen Haarschnitt, dass eine zusätzliche Werbewirkung faktisch ausgeschlossen werden kann :-)
Man muss nur die Berichte zum Thema Tesla und allg. Elektromobilität lesen, die in den Leitmedien erscheinen. Dass nun der VW-Chef dort als Co-Chefredakteur fungiert, ist in gewisser Weise dann wenigstens ehrlich. In dessem Sinne schreibt man meiner Meinung nach ohnehin; und nicht nur bei der Welt.
Dass die kleine Schwester der „Bild“ ihren Namen und ihren Chefredakteur, für eine Werbebroschüre an „VW“ ausleiht, passt zu ihrem Mangel an Seriosität.
Gut gemacht, ÜberMedien!
Dreist, was Poschardt sich unter dem Deckmantel des Journalismus erlaubt.
°Deckmantel“ ist übertrieben. Es handelt sich eher um nen Pullunder…
„Das sei anders geplant gewesen, doch hätten mehrere bedeutende Automobilhersteller kurzfristig ihre Anzeigen zurückgezogen.“
Ach was? Die wollten tatsächlich nicht in einem Werbemagazin der Konkurrenz auftauchen? Und diesem damit vielleicht noch Legitimität verleihen?
Ach ja, wirklich nur eine Missbilligung? Das finde ich offen gesagt für so eine Leser- und Kundenverarschung (entschuldigt meinen Bild-Ton) etwas happig bis wenig!
Der Presserat,und das sage ich auch aus eigener Erfahrung, belässt es wohl in den meisten Fällen bei einer „knappen Entscheidung“, i.d.R. pro Medien, dass sieht man ja an den tatsächlichen Zahlen. Ich monierte bspw. einen Artikel/Interview über einen Autoverleiher in einem (Pseudo)-Wirtschaftsblatt. Nicht nur ging es nach dem Aufhänger um eine Werbung die angeblich so „heikel“ war, dass man sie seitens des als recht provokant bekannten Autoverleihers eben nicht veröffentlicht hatte. Das Blatt aber zeigte natürlich die Werbung in seiner vollen Pracht und ohne Schwärzung(en). Es war auch ansonsten ein reines Werbetheater ohne jeglichen journalistischen Anstrich, Wirtschaftsjournalismus gleich gar nicht. Im Selbstbeweihräucherungs-Blättchen des „Verbandes der deutschen Autoverleiher“ wäre dieser Artikel/Interview sicher perfekt aufgehoben gewesen. Da diese Farce schließlich auch via SMM finanziell ausgeschlachtet wurde, konnte ja ein weiterer Beschwerdegrund greifen. Hätte greifen können, wenn, aber hat nicht, ebenso nicht der Grund „Schleichwerbung“. Ich werde nun meine Zeit nicht mehr mit dem Presserat verschwenden, in der Zeit kann ich lieber meine Fertigkeiten im Toastbrotweitwurf verbessern.
Auf der Papiertiger-Gebrüllskala ist die zweitstärkste Maßnahme allerdings genauso stumpf wie die stärkste. Von daher… ¯\_(ツ)_/¯
Hervorheben möchte ich, dass ich es nur konsequent finde, wenn ein Werbeblättchen seinen Finanzier auch im Impressum nennt. Für den Wiederholungsfall sollte der Titel aber noch in „VW-Welt“ geändert werden. Sicherlich sind alle Beteiligten dann noch glücklicher.
Spaß beiseite. Mir ist völlig schleicherhaft, wieso ich für PR auch noch Geld ausgeben sollte. Selbst gratis würde sowas ungelesen im Müll landen. Ich vertrete also die genaue Gegenposition zu Tommix in #1, der sich auch an beredetem PR-Schwurbel erfreuen kann. Jedoch teile ich seine dystope Einschätzung, derartiges zukünftig häufiger anzutreffen, wie ich hier in den Kommentaren schon einmal erläutert habe. Zudem ist der neue Investor bei Axel-Springer ja angetreten Kasse zu machen und alles ist einmal auf dem Prüfstand. Wieso also nicht das Zeitungsimitat „Welt“ mitsamt TV-Sender an VW verramschen? Ein weltweit bescheißender Automobilkonzern ? – mir ist gerade nicht bekannt, ob VW hierin die Weltmarktführerschaft hat oder sich lediglich darum bemüht – kann auch jede PR gebrauchen, die er bekommen kann.