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Aufblasbare Panzer und andere überraschend gute Ideen

Schriftentwerfer sind Besessene. Für Laien ist es häufig schwer, eine Arial und eine Helvetica auseinanderzuhalten, und wieviel Arbeit es ist, eine lesbare Satzschrift zu entwickeln, die gut „läuft“, einen eigenen Charakter hat und trotzdem alle Eventualitäten des Aufeinandertreffens verschiedener Buchstaben meistert, ist den Wenigsten klar. Zwischen dem ersten Strich und der fertigen Schrift vergehen Jahre des Ausprobierens, Zeichnens und Rechnens. Der Unterschied zwischen einer illustrativen Headlineschrift und einer Satzschrift ist vergleichbar mit dem unterschiedlichen Schwierigkeitsgrad zwischen dem Auftragen eines Pflasters und einer Herztransplantation.

Der gebürtige Tscheche Peter Biľak ist einer dieser Besessenen. Er hat mehrere Satzschriften entwickelt. Unter anderem die „Eureka“, eine groß ausgebaute Schriftfamilie, die es als Sans, Serif, Monospaced und sogar als Piktogrammfont gibt. Und das ist nur ein Teil seines Ouevres, denn er ist auch ein begnadeter Fotograf und ein sehr guter Designer. Was selten ist, denn die besten Typedesigner verschreiben sich häufig nur den einzelnen Buchstaben und nicht ihrer konkreten Anwendung. Seit einiger Zeit ist er auch Herausgeber. Sein englischsprachiges Magazin heißt „Works That Work“, erscheint aktuell zum sechsten Mal und hat in jedem Heft einen anderen Schwerpunkt. In der aktuellen Ausgabe sind es vergessene Ideen.

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Die Titelgeschichte „Weapons of Mass Deception“ bezieht sich auf die „Ghost Army“, deren Existenz erst Anfang der 2000er Jahre bekannt wurde: Die Aufgabe dieses geheimen Truppenbestandteils der United States Army, zu dessen buntem Personal auch der damals noch unbekannte Künstler Ellsworth Kelly und der Fotograf Art Kane gehörten, war – der Titel sagt es – die optische und akustische Vortäuschung militärischer Stärke. Während die Funkexperten einen regen Informationsaustausch zwischen nicht vorhandenen Truppenteilen simulierten, pumpten die Soldaten des 603. „Camouflage Engineering Batallions“ Panzer aus Gummi auf. Ihr Attrappenarsenal umfasste neben den Tanks auch Lastwagen, Jeeps, Flugzeuge und sogar Artilleriegeschütze – teils aufblasbar, aber auch leichte Holzkonstruktionen, die mit Stoff bespannt wurden.

Rick Beyer, der die Geschichte auf zehn Seiten erzählt, ist zwar gleichzeitig der Produzent des preisgekrönten Dokumentarfilms über diese Geisterarmee, aber er erzählt weder seinen Film nach, noch verliert er sich in militärischen Details. Es ist die Geschichte einer kunstvollen Kriegslist, die den Gegner in eine geradezu lächerliche Überforderung trieb und mit ihrem aufgeblasenem Gerät viele Menschenleben rettete.

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Fast zum Bildband wird „Works That Work“ auf den Seiten, auf denen ein Langzeitprojekt von Christopher Herwig vorgestellt wird. Der kanadische Fotograf reiste 2002 von London nach St. Petersburg. Mit dem Fahrrad. Die Bilder, die er auf dieser Reise machte, waren der Auftakt einer Fotoserie, die ihn in den folgenden zwölf Jahren durch 14 Republiken der ehemaligen Sowjetunion führte.

Sein fotografisches Sammelgebiet: Bushaltestellen, die in einem Land, in dem das Auto ein Luxusgut war, das Transportnetz des öffentlichen Personenverkehrs hingegen gut ausgebaut, eine etwas andere Architektur hatten. Bizarr aufgebogene Betonrampen in der Steppe von Kasachstan, eine Art Art-Deko in der Schwarzmeer-Republik Abchasien und moscheenartige Wartehäuschen im muslimisch geprägten Kasachstan. Insgesamt 18.000 Kilometer legte Christopher Herwig mit dem Auto, dem Fahrrad, Bussen und Taxis zurück und man möchte lieber gar nicht wissen, wie viele Stunden er in der Einöde vor Ort jeweils warten musste, bis das Licht für seine hellen dokumentarischen Aufnahmen perfekt war.

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Die britische Architekturkritikerin Giovanna Dunmall besuchte für „Works that work“ mit dem Fotografen Grant Smith eine Schule der evangelischen Hilfsorganisation AEAD (L’Association Évangélique d’Appui au Développement) in Burkina Faso. Was sie dort begeisterte, waren die simplen Mittel, mit denen die preiswerte Architektur ohne elektrische Klimatisierung gekühlt wird: Mechanische Metalljalousien zur Kreuzlüftung und ein nach oben versetztes Dach auf einer Stahlgitterkonstruktion senken die Temperaturen deutlich unter die Außentemperaturen von 40 Grad Celsius. Was den Bau in einem Entwicklungsland durch das Fehlen preiswerter Normbauteile teurer macht, spart die Passivbauweise der Schule an Betriebskosten ein.

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Eine „Steampunk-Fantasie“ – also einen Retrotraum mit Science-Fiction-Elementen – nennt Jonah Goodman die in Vergessenheit geratene Technik der Holzvergaser-Autos. Er verwebt die lange Historie der mitt Holzgasen angetriebenen Kraftfahrzeuge mit einer zweiten Geschichte – dem Bastler Johan Linell, der seinen alten 140er Volvo mit einem Holzvergaser nachrüstete. Eine 5.420-Kilometer-Rundreise mit dem monströs verrohrten Auto kreuz und quer durch Schweden dauerte dabei zwanzig Tage. Was aber weniger an der mauen Höchstgeschwindigkeit von 90 km/h lag, als an der Notwendigkeit, alle 50 Kilometer Brennstoff nachzulegen. Die nötige Holzzerkleinerungsanlage fuhr dabei mit – eine riesige benzinbetriebene Kettensägenkonstruktion auf einem Extra-Anhänger.

Das Geschäft des Herausgebers Peter Biľak, der Schriftentwurf, ist Thema des Textes „Fighting Illiteracy with Typography“. Es geht allerdings nicht um die ästhetisch anspruchsvolle Gestaltung von Buchstaben und ihre Reihung, sondern um ein Problem, das Benutzer lateinischer Schrift nicht kennen: Zwar ist das arabische Alphabet mit seinen 28 Buchstaben eine der verbreitetsten Schriften, aber seine Formen variieren und die Nähe zur Schreibschrift produziert unzählige Ligaturen, den Verbindungen zum jeweiligen Nachbarbuchstaben. Was das Erlernen der Schriftsprache erschwert und Analphabetismus fördert. Yara Khoury Nammour beschreibt das Modell einer einheitlichen und vereinfachten Satzschrift, die das Lesen beschleunigen kann – im Kontrast zu vielen Computerfonts, die auf Kosten der Lesbarkeit lediglich die unüberschaubare Vielfalt arabischer Kalligraphie simulieren.

Das zweimal jährlich erscheinende „Works That Work“ ist ein aufgeräumtes und sehr gut gestaltetes Magazin in einem handlichen Format von 24 mal 17 Zentimetern. Es ist in seiner Themenwahl und dem neugierigen Zugang am ehesten mit dem legendären frühen „Colors Magazine“ von Oliviero Toscani und Tibor Kalman vergleichbar – dass neben Peter Biľak auch Jonah Goodman, einer der späteren Herausgeber von „Colors“ zu den Mitwirkenden gehört, ist kein Zufall.

Gedruckt auf ungestrichenem Munken Polar mit 1,3-fachem Volumen fühlt es sich gut an, und die Fotos erscheinen dennoch brillant. Für die Rezension nutzten wir die Ausgabe 5 als Printversion und die Nummer 6 als Digitalausgabe auf dem iPad. (downloadbar als EPUB/MOBI/PDF/Web). Die verwendeten Schriften stammen natürlich aus Peter Biľaks Schriftenhaus „Typotheque“ – die „Lava“, eine vielsprachige Fließtextschrift hat er selbst entworfen. Versteht sich.

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Works That Work
Verlag Typotheque, Den Haag
90 Seiten
Printversion 16 Euro, Digitalversion 8 Euro
worksthatwork.com

1 Kommentare

  1. Ich freu mich jedes Mal auf und über Peter Breuers Kolumne! Sprachlich ein Genuß, inhaltlich eine Bereicherung und Anregung.

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