Unterhalten sie sich über etwas anderes als einen Mann?
Diese drei Fragen, mit denen der Bechdel-Test die Rolle von Frauen im Film unter die Lupe nimmt, lässt sich auch auf Magazine anwenden. „Soul Sister“ besteht ihn mit Bravour. Bis auf den „Publisher“ und den „Art Director“ sind alle Rollen mit Frauen besetzt. Es ist ein Heft für Frauen von Frauen, die mit Frauen über Frauen sprechen – oder doch Themen, die Frauen vermeintlich näher am Herzen liegen als Männern.
„Soul Sister“ ist die kleine Schwester von „Woman’s Health“. Eine, die Trockenblumen sammelt, gerne Jasminblütentee trinkt und in der Badewanne stundenlang ihre aus dem Schaum rausguckenden Zehen betrachten kann. Und wie alle kleinen Schwestern dieser Tage, orientiert sich auch „Soul Sister“ an Influencerinnen, und diese Influencerinnen, eigentlich gute Freundinnen, haben natürlich keine Namen mehr, nein! Namen sind sowas von 2018!
Stattdessen werden sie mit @lauramalinaseiler, @kickassyoga, @heavenlynnhealthy und @saranuru vorgestellt. Gewissermaßen als Patinnen stehen sie für die vier Teile des Heftes: „Den Geist beruhigen & Stress abschütteln“, „Aktiv sein & Innere Balance finden“, „Gefühlen Raum geben & Sich selbst kennenlernen“ sowie „Neues wagen & Das Leben Genießen“.
Find, feel and free your Achtsamkeit!
Das ist natürlich keine knallharte Abgrenzung der Ressorts, im Gegenteil. Kapitel wie „Find Your Soul“, „Free Your Mind“, „Feel Your Body“ oder „Follow Your Heart“ könnten auch „Find Your Body“, „Follow Your Mind“ oder „Free Your Heart“ heißen, ganz egal. Worum es eigentlich geht auf diesen Seiten, die sich rein papierqualitativ total nachhaltig anfühlen, ist: Achtsamkeit.
Denn „Awareness“ ist mehr als eine modische Psycho-Vokabel. Sie ist der große begehbare Kleiderschrank, in den einfach alles reinpasst, was wirklich zählt. Yoga, Freundschaft, Entschleunigung, „Self Care“, leckere Rezepte mit „Soul Food“ („Schnelle Vanille-Haferkekse“, hmjam), der von Redaktionsleiterin Franziska Bruchhagen empfohlene „Achtsamkeitsplaner“ (Notizzettel in beruhigenden Pastelltönen für „besonders gute Ideen oder schöne Pläne“ und 30 Euro) oder, als „ein echter Game-Changer“, nur mal mal der Gedanke, „nichts mehr persönlich zu nehmen. Denn meistens hat das, was andere sagen, ausschließlich mit ihnen selbst zu tun und nichts mit dir!“
Längere Lesestücke siedeln in „Soul Sister“ durchwegs im Genre der studiengestützten Befindlichkeitsgründelei. Wir fühlen uns zu dick, dünn, dumm, unsicher, ängstlich, ungesund, traurig – und lernen, uns wieder „genau richtig“, schlau, sicher, mutig, gesund und fröhlich zu fühlen. Mal mehr an die frische Luft! Und auch mal öfter „Nein!“ sagen! Es gibt neueste Erkenntnisse der Bauchgefühlsforschung („Es geht darum, den Bauch so oft wie möglich mit ins Boot zu holen“) oder Hinweise, wie wir unser inneres „Sonnenkind“ entdecken – und das „Schattenkind“ in den Keller sperren.
Bauchgefühle und Kopfgedanken
Neben den Bauchgefühlen bietet „Soul Sister“ aber auch Kopfgedanken, beispielsweise zur Freundschaft zwischen Frau und Frau. „Für Männer sind Freunde meist Partner zur Freizeitgestaltung“, erfährt die Dame und staunt:
„Da wird gemeinsam gekickt, gefeiert und gezockt – in der Regel, ohne allzu viele Worte zu verlieren. Tja, und was sich in Frauenrunden abspielt, weißt du ja selbst“.
Es sind, um die Katze aus dem Sack zu lassen, „Face-to-Face-Freundschaften, bei denen der gegenseitige Austausch im Mittelpunkt steht“. Sind das einfältige Stereotypen? Oder stimmt das? „Stimmt! Und das ist gut so.“
Die einzige Reportage handelt von einer Frau, die zu Entschleunigungszwecken ein wenig Zeit mit einer Eselin namens Paula verbringt – „in der Großstadt!“ Dabei macht die Autorin die Erfahrung, dass es sich bei Eseln um störrische Tiere handelt, die keineswegs gerne gemeinsam kicken, feiern, zocken. Sondern eher störrisch sind wie, naja, Esel. Ampelphasen sind zu kurz und, soviel Achtsamkeit muss sein, „das Fell glitzert in der Sonne. Es fühlt sich dickborstig, aber glatt an“.
Die Kolumne
Im wöchentlichen Wechsel gehen vier Autor/innen zum Bahnhofskiosk, entdecken dort Zeitschriften und schreiben drüber.
Arno Frank war elf Jahre Redakteur bei der „taz“ in Berlin. Seit einigen Jahren arbeitet er als freier Kulturjournalist, unter anderem für „Spiegel“, „Dummy“, „Musikexpress“, „Titanic“ und „Deutschlandradio Kultur“. 2017 erschien sein erster Roman.
In den nächsten Wochen schreiben: Sigrid Neudecker, Cordt Schnibben und Johanna Halt. Ältere Folgen: hier im Archiv.
Als Quintessenz dieser existentiellen Erfahrung kommt der Autorin ein anderer Esel in den Sinn, die Ein-Mann-Kalenderspruchdruckerei Paulo Coelho: „Was andere Menschen von dir denken, ist nicht dein Problem“, denn meistens hat das, wie wir oben gelernt haben, was andere sagen, ausschließlich mit ihnen selbst zu tun und nichts mit dir.
Ob die „urbane und gebildete Frau“ zwischen „25 und 40“, an die „Soul Sister“ sich richtet, wirklich flächendeckend über die Kerngeschäftsfelder irgendwelcher Influencerinnen informiert sein will (Interview-Frage: „Du hast zusammen mit deiner Schwester Sali die Firma nuruCoffee gegründet. Wie viel Mut hat das gekostet?“), vermag der männliche Ü40-Rezensent nicht zu beurteilen.
Gleiches gilt für die Ansprache überhaupt, den schwesterlichen sound, der bisweilen krankenschwesterliche Züge annimmt. Wo die Ratschläge im Ratgeberteil nicht an die Fingerzeige erinnern, die Eltern ihren Kindern geben (Frische Luft! Mal mal was! Geh gerade!), da kippen sie bedenklich ins Psychotherapeutische (Klarheit verschaffen durch Visualisierung! Innehalten und die Krise akzeptieren!). Die Frau, wie „Soul Sister“ sie sich vorstellt, ist, wenn (noch) nicht Patientin, dann doch ein defizitäres Wesen. Hier wird sie nicht auf dumme Gedanken wie den Feminismus gebracht, es wird ihr nur der Smoothie hömöopathischer Selbstoptimierung gereicht.
„Der moderne Lebensstil dieser Frauen“, erklärt die Redaktionsleiterin, „ermöglicht oft kein vollständiges Rausnehmen aus dem Alltag“, das Heft passe sich deshalb mit allerlei Business- und Wellness-Anglizismen „dem modernen Lebensstil an. Und zeigt ein Leben voller aktiver Achtsamkeit – ohne Chichi und ohne Räucherstäbchen“, leider auch ohne Hinweise auf Literatur, Kino oder Musik, die sich traditionell beim „Rausnehmen aus dem Alltag“ als recht hilfreich erwiesen haben.
Hier geht es nicht darum, diesen Alltag zu hinterfragen oder gar auszuhebeln. Es geht darum, ihn erträglich zu machen. So gesehen handelt es sich um das publizistische Äquivalent zum permanenten Schnurren einer Katze. Der Untertitel („Dein Update für Body, Mind & Heart“) zeigt, wohin die Reise tatsächlich geht. Wir sollen uns als Endgeräte begreifen, die sich mit Apps aktualisieren.
Soul Sister
Motor Presse Hearst GmbH
5,90 Euro
6 Kommentare
Danke für den spaßigen Verriss. Vom Titel über den Untertitel bis zum Inhalt ein abstoßendes Produkt. Diese Mischung aus Denglisch-Schwafelei, Selbstoptimierung, Egozentrik und Wohlfühl-Esoterik bringt mich an den Rand des Brechreizes.
@Kritischer Kritiker: Full ACK (sacht man heute so?!)
Zu dem Magazin guckt frau am besten Astro-TV oder wenn man mal die kritischen Tage hat …Frau-TV
Ach manchmal habe ich den Mansplainer einfach drauf ;-)
Die Jugend von heute! Wo kommwa denn da hin, twitter-Namen zur direkten Kontaktaufnahme mit der Person, unerhört!
Anglizistische Überschriften, schlimm!
Ich als älterer Mann kann mit dieser Zeitschrift für jüngere Frauen leider nicht viel anfangen!
Nachtrag:
Kapitel wie „Find Your Soul“, „Free Your Mind“, „Feel Your Body“ oder „Follow Your Heart“ könnten auch „Find Your Body“, „Follow Your Mind“ oder „Free Your Heart“ heißen, ganz egal.
„Follow your mind“ halte ich für ausgeschlossen. Wer seinem Verstand folgt, macht einen großen Bogen um diesen Quatsch. Karma!
Als Quintessenz dieser existentiellen Erfahrung kommt der Autorin ein anderer Esel in den Sinn, die Ein-Mann-Kalenderspruchdruckerei Paulo Coelho.
Ein Tag, an dem man so einen Satz liest, kann nicht umsonst gewesen sein. Ergebensten Dank!
Eine großartige und köstliche Rezension! Vielen Dank.
Sehr schön! (und danke auch für Ihren Beitrag zu Böhmermanns Coup heute auf SpOn)
Danke für den spaßigen Verriss. Vom Titel über den Untertitel bis zum Inhalt ein abstoßendes Produkt. Diese Mischung aus Denglisch-Schwafelei, Selbstoptimierung, Egozentrik und Wohlfühl-Esoterik bringt mich an den Rand des Brechreizes.
@Kritischer Kritiker: Full ACK (sacht man heute so?!)
Zu dem Magazin guckt frau am besten Astro-TV oder wenn man mal die kritischen Tage hat …Frau-TV
Ach manchmal habe ich den Mansplainer einfach drauf ;-)
Die Jugend von heute! Wo kommwa denn da hin, twitter-Namen zur direkten Kontaktaufnahme mit der Person, unerhört!
Anglizistische Überschriften, schlimm!
Ich als älterer Mann kann mit dieser Zeitschrift für jüngere Frauen leider nicht viel anfangen!
Nachtrag:
„Follow your mind“ halte ich für ausgeschlossen. Wer seinem Verstand folgt, macht einen großen Bogen um diesen Quatsch. Karma!
Ein Tag, an dem man so einen Satz liest, kann nicht umsonst gewesen sein. Ergebensten Dank!
Eine großartige und köstliche Rezension! Vielen Dank.
Sehr schön! (und danke auch für Ihren Beitrag zu Böhmermanns Coup heute auf SpOn)