Gleichstellung? Non!

Arte, der Männersender

Eine junge Luzernerin, die Himmel und Erde in Bewegung setzt, um katholische Priesterin werden zu können. Iranerinnen, die entgegen aller Vorurteile ihren Haushalt ohne Ehemann führen. Deutsche Auszubildende, die als Industriemechanikerinnen an festgefahrenen Rollenbildern rütteln.

Wer bei Google „Gleichberechtigung“ und „Arte“ eingibt, ist mit Fernsehstoff für einige Wochen versorgt. In etlichen Sendungen gibt sich der deutsch-französische Kulturkanal als Kämpfer für Frauenrechte: „Frauen, empört euch!“, steht über einem anlässlich der #MeToo-Debatte eingerichteten Dossier, das derartige Beiträge bündelt. Und weiter: „Arte reist um die Welt und zeigt Ihnen Frauen, die sich wehren, die kämpfen, die aufbegehren.“ Nur vor der eigenen Nase, im eigenen Haus, sagen vorwiegend Männer, wo es langgeht.

Frauenbewegtes Programm: Arte zu #MeToo Screenshot: Arte

Arte G.E.I.E. heißt er offiziell, der gemeinsame Sender des öffentlich-rechtlichen Rundfunks aus Deutschland und Frankreich. 1991 wurde er gegründet, im Jahr danach startete das Programm. Bis heute schlagen beide Länder im Wechsel das Spitzenpersonal vor. Und es dauerte tatsächlich zwanzig Jahre, bis Frankreich erstmals eine Frau als Arte-Präsidentin nominierte: Véronique Cayla war von 2011 bis 2015 im Amt. Inzwischen wurde sie auf deutschen Vorschlag hin von SWR-Intendant Peter Boudgoust abgelöst.

„Arte ist ein Beispiel für ein Syndrom, dass Männer ausschließlich Männer nach sich ziehen, wenn im öffentlich-rechtlichen Rundfunk nicht genau hingeguckt wird“, sagt Ulrike Dotzer von Pro Quote Medien, als sie Ende Juni bei der Jahreskonferenz des Journalisten-Verbandes „Netzwerk Recherche“ auf einem Podium zum Thema sitzt. „Es geht voran …! Oder doch nicht? – Frauen in Führungspositionen“ war die Diskussionsrunde betitelt, die man hier nachsehen kann, und die zeigt, dass man zugleich in europäischer Zusammenarbeit fortschrittlich, bei der Gleichberechtigung aber hinten dran sein kann.

Kungeln ARD- und ZDF-Intendanten die Posten aus?

Von deutscher Seite aus wurden zentrale Stellen bisher immer mit Männern besetzt; Frauen kamen meist von den Franzosen. Auch die wichtigen Posten als Programmdirektor und Verwaltungsdirektor hatten bislang durchgehend Männer inne; und die zuletzt neu besetzten Positionen der Hauptabteilungsleiter für Wissen und Programmplanung gingen ebenfalls an Männer.

So müsste das Logo eigentlich aussehen. Logo: arte / Montage: Ü
Auch in der Programmkonferenz sind aktuell alle acht Posten mit Entscheidungskompetenz in männlicher Hand. Einmal im Monat kommt das Aufsichtsgremium zusammen, um die publizistische Ausrichtung festzulegen, also aus welchen Themen- und Sendungsvorschlägen Programm wird. Dort sitzen zwar auch Frauen mit am Tisch, sie gehören aber zu den ebenfalls acht Vertretern von Partnern anderer europäischer Länder, mit denen Arte kooperiert, und die dürfen nur beraten – mitbestimmen dürfen sie nicht.

„Es ist ein Missstand, dass in der Programmkonferenz ausschließlich Männer entscheiden, welche Programme in Auftrag gegeben und gesendet werden“, sagt Ulrike Dotzer im Gespräch mit Übermedien; das sei „einfach nicht zeitgemäß“.

Dotzer, die zudem die Abteilung Arte beim NDR leitet, der wie die anderen öffentlich-rechtlichen Sender Beiträge für das Gemeinschaftsprojekt zuliefert, engagiert sich seit Jahren bei ProQuote. Der Verein setzt sich für mehr Frauen in Führungspositionen ein und hat Arte schon voriges Jahr auf den Missstand im eigenen Haus hingewiesen.

Der Sender feierte damals seinen 25. Geburtstag – kein Grund zu gratulieren, sondern zu kondolieren, meinte ProQuote und schrieb: „Was die Beteiligung von Frauen in Führung angeht, gibt die Arte-Programmdirektion das Bild einer Anstalt aus den 50er Jahren ab.“ Anders als bei öffentlich-rechtlichen Sendern üblich würden Entscheidungen über die Spitzenpositionen keinem Verwaltungsrat vorgelegt. Die ARD- und ZDF-Intendanten entschieden autonom. „So drängt sich der Eindruck auf, dass Peter Boudgoust (SWR), Lutz Marmor (NDR) und Thomas Bellut (ZDF) die von der deutschen Seite zu besetzenden Arte-Jobs untereinander auskungeln.“

Ein Gleichgewicht lasse sich eben nicht so einfach herstellen

Beim Kulturkanal sieht man das erwartungsgemäß anders. Arte verfolge „eine aktive Unternehmenspolitik zur beruflichen Gleichstellung“, heißt es auf Anfrage von Übermedien. Dabei seien „bereits signifikante Vorstöße erzielt“ worden, etwa ein Frauenanteil von insgesamt 64 Prozent bei 558 Mitarbeitern. Dieser Anteil liege „deutlich über dem der anderen Sender“. Auch von insgesamt 57 Manager-Positionen bei Arte seien 46 Prozent von Frauen besetzt.

Lediglich im Vorstand, dessen oberster Kopf der Präsident ist, hänge man hinterher, heißt es – und bei den Hauptabteilungen. Ein Geschlechtergleichgewicht lasse sich eben nicht so einfach herstellen, wenn man zudem, wie verabredet, die Posten auch noch gerecht zwischen Franzosen und Deutschen aufteilen wolle. Gleichstellung ist offenbar sehr anstrengend.

Auf Nachfrage zu dem Männerüberschuss auf den oben genannten Posten erklärt die Pressestelle: „Während der erweiterte Vorstand einen Frauenanteil von 25 Prozent und der Programmbeirat von 50 Prozent aufweist, hat in der Programmkonferenz bisher keine Frau das Stimmrecht. In Kürze wird ein Vorschlag erfolgen, um dies zu ändern.“

25 Prozent Frauen im Vorstand bei 64 Prozent Frauen im Unternehmen – brüsten kann man sich damit nicht gerade. Und Deutschland liegt auch im Programmbeirat hinten, dem 16-köpfigen Gremium, das von beiden Ländern paritätisch mit Personen aus Kultur, Wissenschaft und Politik besetzt wird.

Von den acht Frauen dort kommen sechs aus Frankreich und nur zwei aus Deutschland, außerdem hat der Programmbeirat ohnehin nur beratende Funktion. Und in der entscheidungsbefugten Programmkonferenz demnächst einen der acht Sitze mit einer Frau neu zu besetzen, ändert das Verhältnis auch nur marginal.

Kein Gleichstellungsbericht, keine Gleichstellungsbeauftragte

Genaueren Einblick in die Frauenförderung bei Arte zu erhalten, ist nicht einfach. Anders als etwa ARD und ZDF hat der Kulturkanal keine Gleichstellungsbeauftragte und er verfasst auch keinen Gleichstellungsbericht. In Straßburg und damit unter französischem Recht sei das nicht vorgesehen, erklärt die Pressestelle: „In Frankreich wird dafür eine Sondervereinbarung über die berufliche Gleichstellung von Frauen und Männern ausgehandelt“, deren zentrale Punkte sie freundlicherweise gleich mitschickt.

Darin erklärt der Sender, alles dafür tun zu wollen, Familie und Beruf unter einen Hut zu bringen. Auch zur Förderung von Frauen in Spitzenpositionen verpflichtet er sich. Es sei darauf zu achten, dass sich in den Geschäftsleitungsfunktionen „der Frauen- und Männeranteil in der Belegschaft weitestgehend annähert.“ Bei jeder frei werdenden Stelle müsse dem Vorstand mindestens eine relevante weibliche Bewerbung vorgelegt werden. So steht es auf dem Papier. Ob die weibliche Bewerbung dann auch angenommen wird, steht auf einem anderen.

Doch auch wenn die Pressestelle das nicht offen einräumt: Im Sender wird der Frauenmangel in der Führungsriege mittlerweile diskutiert. Gegenüber dem Programmbeirat hat Arte-Präsident Peter Boudgoust mittlerweile Problembewusstsein signalisiert. Ähnlich äußerte sich auch NDR-Intendant Lutz Marmor, als Anfang Juli die Arte-Beauftragtensitzung tagte. Beide stellen in Aussicht, das sich etwas ändern solle. Konkreter wurden sie aber bislang nicht.

Die Frage ist dabei auch, warum die Einsicht bis 2018 auf sich warten ließ. Ulrike Dotzer hat eine Theorie: „Das Thema Gleichstellung hatte über viele Jahre keine Konjunktur“, sagt sie. Mit der aktuellen Debatte, auch im Zuge von #MeToo, sei jedoch etwas in Bewegung gekommen, auch bei Arte. „Gerade als öffentlich-rechtlicher Sender, der von uns allen bezahlt wird, hat Arte eine besondere Verpflichtung, sich für Gleichberechtigung und Gleichstellung einzusetzen.“ Und zwar nicht nur im Programm. Auch im Organigramm.

Korrektur: Im Text stand erst, Peter Boudgoust sei ehemaliger SWR-Intendant, er ist es aber natürlich weiterhin. Wir bitten, den Fehler zu entschuldigen.

11 Kommentare

  1. Ach, Ulrike 50% Dotzer.. Die so schöne Dinge sagt wie „Es entspannt und zivilisiert Menschen ganz offenbar, nicht vom männlichen Geschlecht allein regiert zu werden.“, und männliches Führungspersonal wie selbstverständlich mit sexuellem Übergriffen in Verbindung bringt (https://editionf.com/metoo-sexismus-notwendigkeit-quoten)

    Das sind gravierende Vorwürfe, die sie in diesem Artikel erhebt, und unterfütttern kann sie sie nur mit einem Indiz: keine Frau in den Spitzenposten der Programmgestaltung. Es ist natürlich wohlfeil, sich darauf zu stürzen. Aber von einer Journalistin, die nun schon seit über einem Jahrzehnt bei Arte arbeitet, sollte man doch mehr verlangen können: Was sind das für Seilschaften zwischen den bösen Männern? Welche kompetente Frau wurde übergangen?
    Und: würde sie jetzt in den unteren Ebenen nur noch Männer einstellen, um das krasse Ungleichgewicht von zwei zu eins zugunsten der Frauen auszugleichen?

  2. Peter Boudgoust ist nicht, wie im Text behauptet, „ehemaliger“ SWR-Intendant, sondern er ist (in dritter Amtszeit) amtierender SWR-Intendant. Außerdem: Das Verb „kondolieren“ schreibt sich mit „o“, nicht mit „u“.

  3. Gebt Frau Dotzer doch endlich einen Direktorenposten, vielleicht profitiert Juliane Wiedemeier ja auch davon. ProQuote ist m.E. eine Lobbygruppe von Frauen zur Förderung der eigenen Karriere, garniert als Gesellschaftskritik.

  4. Eine Lobbyistin von pro Quote findet, dass arte dringend eine Quote braucht. Wer hätte das gedacht. Und wie immer überzeugend vielschichtig argumentiert: da sitzen hauptsächlich Männer, das muss diskriminierend sein. Wofür sonst haben wir der nach Differenzierung und Aufwand klingenden „Gleichberechtigung“ das schöne Wort Gleichstellung an die Seite gesetzt?

  5. Wenn arte geringe Frauenanteile in der katholischen Kirche, im Iran oder in der Industrie kritisiert, kann man doch mal sehen, ob arte zeigt, wie’s besser geht. Egal, wie man persönlich zu Quoten steht.

  6. … Zumal arte ein Sender ist, der üblicherweise unter dem Radar fliegt. Und er ist öffentlich-rechtlich finanziert. Alles gute Gründe, mal genauer hinzusetzen.

    @1,4,5: Sie können natürlich dennoch weiterhin die Autorin persönlich angreifen und inhaltlich nichts zum Artikel äußern. Ist Meinungsfreiheit nicht toll?

  7. #7 ST:

    Frau Dotzer ist nicht die Autorin des Beitrags. Es ist auch kein „persönlicher Angriff“, ihre Argumentation im Interview als grob vereinfachend zu kritisieren (#5), zu fordern, dass sie als langjährige arte-Mitarbeiterin mehr liefern solle als eine statistische Kennzahl und viel Geraune (#1), oder das eklatante Eigeninteresse hinter der Forderung problematisch zu finden, fordert sie die Quote ja für den eigenen Arbeitgeber (#4).

    Vielleicht versuchen Sie, andere Beiträge erst einmal inhaltlich zu erfassen, bevor Sie sie abqualifizieren.

  8. Den Titel finde ich irreführend und falsch obwohl die Autorin das Problemfeld erst verschwurbelt, dann endlich, aber leider nicht deutlich genug benennt: Das hartnäckige Fehlen von Frauen in den „Spitzenpositionen“. Im Mittelbau sind Frauen insbes. im Kunst- und Kulturbereich mit bis zu 70% überpräsentiert, teilweise werden sie dort aufs Wartegleis manchmal mit prekären Arbeitsverträgen abgespeist festgesetzt.

  9. Ein Artikel einer Lobbyistin, die das fordert, was ihr Lobbyverein, Entschuldigung, Lobbyistinnenverein, fordert. Warum sowas bei Übermedien veröffentlicht wird, ist wirklich fraglich… Dieses gequälte Suchen nach der Diskriminierung von Frauen ist wirklich langsam lächerlich. Wie sieht es denn in anderen Berufsfeldern aus. Wäre die Müllabfuhr besser, wenn es 50 % Frauen an der Tonne gäbe? Oder 50 % Maurerinnen? Dachdeckerinnen? Ach…

  10. zuerst einmal würde ich bei einem Sender das Ergebnis beurteilen…

    wenn Arte mit einem Mann an der Spitze gute Arbeit leistet
    aber
    die Bundesregierung mit einer Frau am Hebel richtig schlecht herüberkommt
    dann
    würde ich den Mann doch besser finden…
    egal ob ich nun Mann oder Frau bin
    denn
    für mich als Konsumenten entscheidet Qualität und die ist bei Arte vorhanden.

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