Bahnhofskiosk

Fotografie ohne Firlefanz

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Die iranische Fotografin Newsha Tavakolian ist keine Lichtbildnerin, sie ist eine Lichtschreiberin. Ihre Dyslexie geht über die Rechtschreibschwäche hinaus und ihre Schwierigkeit, sprachliche Zusammenhänge schnell genug zu erfassen, gab ihr in der Schule das Gefühl, dumm zu sein. Mit sechzehn verließ sie dann die Schule, und nach nur fünf Monaten Training mit einer Kamera arbeitete sie bereits als Fotojournalistin in Teheran. Sie brachte sich selbst das Erzählen bei – nur eben mit anderen Mitteln.

Das lange Interview mit der heute 35-jährigen Magnum-Fotografin, die inzwischen für das „Time Magazine“, „Geo“ und „National Geographic“ arbeitet, ist ein typisches Beispiel für die Arbeitsweise des Magazins „Photonews“, und es ist zu Recht die Titelgeschichte des Hefts 3/2016. Für Newsha Tavakolian waren die politischen Verhältnisse des Irans, die für sie als Journalistin auch mit Zwangspausen verbunden waren, der Auftakt zu freien Projektarbeiten mit selbstgestellten Themen. Sie spricht über die persönlichen Traumata, die sie als Berichterstatterin aus dem Irakkrieg mitbrachte und ihren Umgang mit der Depression, die das Gesehene in ihr verursachte.

Ihre Bildsprache besitzt bei fast allen Aufnahmen unter der Oberfläche einen zweiten Erzählstrang, und ihre Fotografien leben wie die der meisten zeitgenössischen Dokumentaristen am besten in der Abfolge als Serie. Es sind viele decisive moments, die miteinander verwoben sind, und es lohnt sich sehr, ihre „Blank Pages of an Iranian Photo Album“ auf der Seite von Magnum durchzublättern.

Am Kiosk reckt die „Photonews“ ihren Kopf weit aus dem Regal: Mit nur 32 Seiten ist sie zwar trotz 120 Gramm-Papier recht schmal, hat aber pro Seite ganze 27 mal 37,5 Zentimeter Platz für ein fünfspaltiges Layout, und versammelt im Monatsrhythmus die essenziellen Nachrichten, Neuerscheinungen im Fotobuchsektor und viele Veranstaltungs- und Ausstellungstipps.

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Mit dem Technikporno anderer Fotozeitschriften hat die „Photonews“ ohnehin nichts am Hut: Auf gerade mal einer Seite werden die aktuellen bzw. kommenden Produkte der Kameraindustrie vorgestellt, und dem Wahnsinn, qualitativ nahezu ununterscheidbare Objektivberechnungen in Ranglisten zu sortieren, entzieht sich die „Photonews“ komplett. Auch das faselige Schlagwort „Bokeh“, mit dem Fotoamateure die Schönheit des Unschärfebereichs mancher Objektive feiern, sucht man hier zum Glück vergebens. Der einzige Text, der sich den technischen Grundlagen des Bildermachens widmet, ist ein interessanter Exkurs über das Ende der traditionsreichen Fotosparte von Schneider-Kreuznach, in dem der Fotoingenieur Andreas Kesberger das langsame Sterben der Linsenzulieferer für das Großformat beschreibt.

Fotografie ist für „Photonews“ das breite Spannungsfeld zwischen den angewandten und konzeptionellen bildnerischen Ausdrucksformen, die das Einfrieren von Bildern bietet. Angefangen mit einer Geschichte über die Bildsprache der Wahlplakate im baden-württembergischen Wahlkampf, die allerdings darunter leidet, dass einige der besprochenen Plakate nicht zu sehen sind. Aber geschenkt, denn der Text des Autorengespanns Jo Berlien und Sabina Paries ist wirklich gut und der letzte Absatz besonders. Zitieren möchte ich ihn allerdings nicht, falls sich jemand überraschen lassen möchte.

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Groß, aber nicht groß genug druckt „Photonews“ auf einer Doppelseite fünf Fotos von Jonathan Danko Kielkowski, dem Dokumentaristen, der in einer konspirativen Aktion zum Wrack der Costa Concordia schwamm, seine Kameraausrüstung in einem Kinderschlauchboot hinter sich herziehend. Der Kritikpunkt „nicht groß genug“ ist natürlich lächerlich, denn was wäre schon groß genug für diese Bilder, die man sich in 70 mal 100 Zentimetern wünscht: Es ist viel mehr als die „Schönheit des Zerfalls“, an der sich Fotoamateure so gerne abarbeiten. Kielkowski zeigt knochentrocken die Pauschalurlauber-Ästhetik eines Kreuzfahrtschiffs mit seinen mondriangemusterten Stuhlbezügen und den auf Antike gepinselten Gängen. Das viele Wasser des Mittelmeers, das durch diese Szenen geflossen ist, wirkt dabei nicht als Verstärker, sondern als Neutralisationslösung, die dem Kitsch die künstliche Süße herunterwäscht.

Für Menschen, die mit Bildern arbeiten und Bilder produzieren, ist „Photonews“ eine grundsolide Informationsquelle. Das Magazin schneidet – unter anderem dank der Interviewreihe mit Hochschulabsolventen – die aktuell wichtigsten Fragen der Fotografie an: Wie lässt sich als Fotograf eine Haltung entwickeln, die dazu beiträgt, in der Informationsflut nicht unterzugehen? Was unterscheidet Autorenfotografie von den Passepartout-Lösungen der glatten Stock-Bilder? Und warum, das beantwortet Newsha Tavakolian in ihrem Interview, sind Integrität und Beharrungsvermögen wichtig für das eigene Weiterarbeiten?

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„Photonews“, Zeitung für Fotografie
32 Seiten
Denis Brudna, Photonews-Verlag

2 Kommentare

  1. Och, die ollen MTF-Charts haben schon ihre Berechtigung – halt in Fachmagazinen, in denen sowas im Vordergrund steht. Die Objektivcharakteristik kann man mühevoll selbst in zwei Wochen rausfinden (und oft genug ins Klo greifen) oder sich vorher einfach genau informieren ..

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