Die Kolumne
Michalis Pantelouris ist Journalist und hat an vielen Magazin-Erfindungen und -Relaunches mitgewirkt. Er geht für uns jede Woche zum Bahnhofskiosk, um Zeitschriften zu entdecken. Und drüber zu schreiben.
Es gibt im Zeitschriften-Design die Figur des „Einklinkers“. Im Prinzip ist das ein kleines Bild, das auf einem größeren liegt. Wenn man zum Beispiel aus journalistischen Gründen das Foto eines prominenten Pos in einem knappen Bikini-Höschen zeigen muss, dann klinkt man ein kleines Portraitfoto ein, damit Leser sehen können, wie der Arsch von vorne aussieht.
Beim „Desaster Magazin – Krisenvorsorge, Notfallplanung, Survival, Sicherheit, Rettungswesen, Homeland Security“ hat jemand den Einklinker entdeckt. Leider hat der Jemand offenbar Zugriff auf die Layouts. „Leider“ sage ich deshalb, weil er oder sie offensichtlich das Prinzip des Einklinkers nicht verstanden hat: Es sind ständig willkürlich irgendwelche Dinge in Bilder eingeklinkt, mal ein Messer, mal die Titelseite einer Broschüre des Bundesamts für Bevölkerungsschutz und Katastrophenhilfe, regelmäßig ohne weitere Erklärung.
Michalis Pantelouris ist Journalist und hat an vielen Magazin-Erfindungen und -Relaunches mitgewirkt. Er geht für uns jede Woche zum Bahnhofskiosk, um Zeitschriften zu entdecken. Und drüber zu schreiben.
Das ist handwerklich natürlich bizarr schlecht, andererseits nicht so nervig, wie man annehmen sollte, weil es ziemlichen Spaß macht, sich den exakt halben Gedanken auszumalen, den sich der Art Direktor hier gemacht hat1)Der, so weit ich das verstehe, gleichzeitig auch Chefredakteur, Fotograf, Texter und – wenn mich nicht alles täuscht – auch Model in dem Magazin ist. Da ist dann zum Beispiel in einer Geschichte über einen großen Stromausfall ein apokalyptisch anmutendes2)Man macht nichts verkehrt, wenn man sich zu jeder Erwähnung eines Bildes im Folgenden die Beschreibung „apokalyptisch anmutend“ dazu denkt. Ich will das nicht jedes Mal ausschreiben, aber es stimmt eigentlich immer Bild, auf dem ein Mann im Schutzanzug im Schein eines Feuerzeuges oder so irgendetwas liest. Eingeklinkt ist das Bild einer Stirnlampe.
Ich sehe den Gedanken des Layouters vor mir: „Der Typ kann ja so gar nicht lesen! Eine Stirnlampe würde helfen“. Das ist sehr nett gedacht. Ein an die Konventionen des Magazinmachens glaubender Art Direktor würde aber, wenn er diesem netten Gedanken denn schon folgen würde3)Wofür es hier eigentlich weder inhaltlich noch optisch einen Anlass gegeben hätte, aber was solls, zumindest eine Bildunterschrift zu dem eingeklinkten4)Noch einmal, zur Gewöhnung: apokalyptisch anmutenden. Von hier an vertraue ich drauf, dass das von selbst klappt Foto stellen, in der stünde: „Eine Stirnlampe hilft beim Lesen, wenn der Strom ausgefallen ist“. Oder so.
Die merkwürdig willkürliche Einklinkerei ist das kleinste Problem des „Desaster Magazin“5) Ich überlasse alle Spekulationen darüber, ob das Magazin in einem grandiosen Meta-Witz nur seinem Namen gerecht wird, der nach unten offenen Kommentarspalte. Aber es fällt mir schwer. Es geht sogar so weit, dass ich es eigentlich kaum mehr kritisieren kann, wenn ich es beschrieben und zitiert habe, weil dann keine Fragen offen bleiben. Es ist zum Schreien. Eine Geschichte aus der Rubrik „Vorbereitung“ unter der Headline „Ueberleben als Frau – Waffen, Ausruestung, Training“6)Die Schriftart der Überschriften lässt offensichtlich keine Umlaute zu beginnt folgendermaßen:
Die Vorstellung, dass Frauen in Not- und Gefahrenlagen grundsätzlich wehrlos sind, ist falsch. Allerdings können bei mangelnder Vorbereitung viele Nachteile entstehen. Aus molekularbiologischer Sicht unterscheidet sich die Frau vom Mann nämlich nur durch das Chromosomenpaar XX in den Geschlechtschromosomen. Dieser Unterschied führt zu einem Geschlechtsdimorphismus7)Lies es selber nach: https://de.wikipedia.org/wiki/Dimorphismus. Der Rest ist mehr oder weniger identisch.
Wo soll ich anfangen? Bebildert ist die neun Seiten lange Geschichte auf den ersten Seiten mit einer Frau beim Training8)Boxen, Yoga, Laufen, Natodrahtabwickeln und allerlei Sicherheitskameras und -sensoren, bevor die Strecke düster wird und die Frau in einem Nachthemdchen ihre unheimliche Wohnung absichert, um dann auf der nächsten Doppelseite bei erneutem Tageslicht in Tarnbekleidung in einem Wald mit einem Gewehr herumzulaufen.
Das ist auf eine B-Movie-Art fast subtil erotisch konnotiert, die sich erholsam absetzt von der Softcore-BDSM-Pornografie einer Strecke über Geiselnahmen, in der auf acht Seiten eine Frau mit sehr hervorstechenden Eigenschaften auf insgesamt zehn Bildern gefesselt in einem Keller gezeigt wird. Eigentlich sind es sogar nur sechs Seiten, weil auf zwei der vier Doppelseiten nur links die Sexfantasie stattfindet, während rechts mehr oder weniger unverbunden9)Das ist ein Euphemismus: optisch völlig unverbunden eine Geschichte darüber herumstolpert, wie man Schlösser knackt, ohne sie zu zerstören – warum man in Notsituationen Rücksicht auf ein Schloss nehmen sollte, ist nicht weiter erklärt.
Ich mochte die Geschichte trotzdem sehr gerne, weil die Frau auf einem Bild als Lebenszeichen ein Schild hochhält, auf dem auf Spanisch steht „Ich bin am Leben“ und dann das Datum meines Geburtstags! Hey! Lustiger Zufall! Ich weiß nicht, wie es anderen geht, aber ich mag das Datum meines Geburtstags so sehr, dass ich immer ein warmes Gefühl kriege, wenn ich es sehe, selbst wenn die Zahlenkombination nur die Uhrzeit auf einer Digitaluhr ist. Aber das bin nur ich. Und ich schweife ab. Aber ich kann eigentlich nicht mehr.
„Desaster Magazin“ ist ein Heft für Menschen, die darauf vorbereitet sein wollen, wenn gleich eine Katastrophe losbricht und wir uns gegeneinander richten, weil wir um die verbliebene Nahrung kämpfen oder Menschenfleisch essen müssen oder Zombies sind oder so. Diese Menschen sind nicht nur vorbereitet, sondern auch ausgerüstet, was die Einsendungen der Leser in der Rubrik „Every Day Carry“ belegt. Ich kann euch nur wünschen, dass ihr neben einem von ihnen in der U-Bahn sitzt, wenn die Katastrophe zuschlägt10)Ich nehme an, ich selbst habe mir die Solidarität hiermit verspielt, aber sitzt lieber neben „Blade (Rettungssanitäter, Feuerwehrmann und Softwareentwickler)“, der immer einen Berg Verbandszeug dabei hat, als neben „Flecktarnrabe (Urban Explorer, Bushcrafter, Prepper und vor allem Soldat)“, der hat nur Messer, Taschenlampe und so Metalldinger, mit denen er Funken erzeugen kann, um Feuer zu machen.
Im Fall einer nicht so großen Katastrophe, wenn zum Beispiel nur die U-Bahn steckenbleibt, empfehle ich sogar, neben Judith Langner zu sitzen, denn die hat ein Tütchen Nuss-Frucht-Mix, Kaugummis, was zu Trinken und Tampons dabei – und ein Fläschen Maggi-Würze! Sollte es nötig werden, Menschenfleisch zu essen, wäre eine Kombination aus Blade und Judith ideal, aber ich fürchte, in dem Fall seid ihr sowieso die ersten, die dran glauben müssen. Ich sag’s nur.
Der Rest des Heftes ist alles, was man sich wahrscheinlich wünscht, dass es passiert, wenn man sehr gut vorbereitet ist und gerne in einem Computerspiel leben möchte, weil man so naturnah ist – was jedem selbst überlassen sein sollte, ich habe da nichts gegen, wünschen darf man sich alles. Wie absurd merkwürdig es umgesetzt ist, lässt sich in einem Satz vielleicht am besten dadurch zeigen, dass auf den Seiten mit den Produkten anstelle von Produktbildern teilweise offenbar ganze Seiten aus den Broschüren der Hersteller abgedruckt sind, so dass neben dem, ähm, redaktionellen Text, der nach Werbebroschüre klingt, noch klein der Text der Werbebroschüre steht.
Aber immerhin weiß ich jetzt, wohin ich mich wenden muss, wenn ich ein Fitnessgerät brauche, an dem 30 bis 180 Menschen gleichzeitig trainieren können. Wer weiß, wann das nützlich wird11)Ich muss aber noch – am besten wahrscheinlich präventiv – mit meinem Vermieter sprechen, weil das Ding 4681,07 Kilogramm wiegt, steht da. Ich hätte das übrigens aufgerundet.
Ich klink mich aus.
Desaster Magazin
S.Ka.-Verlag
14,95 Euro
Fußnoten
↑1 | Der, so weit ich das verstehe, gleichzeitig auch Chefredakteur, Fotograf, Texter und – wenn mich nicht alles täuscht – auch Model in dem Magazin ist |
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↑2 | Man macht nichts verkehrt, wenn man sich zu jeder Erwähnung eines Bildes im Folgenden die Beschreibung „apokalyptisch anmutend“ dazu denkt. Ich will das nicht jedes Mal ausschreiben, aber es stimmt eigentlich immer |
↑3 | Wofür es hier eigentlich weder inhaltlich noch optisch einen Anlass gegeben hätte, aber was solls |
↑4 | Noch einmal, zur Gewöhnung: apokalyptisch anmutenden. Von hier an vertraue ich drauf, dass das von selbst klappt |
↑5 | Ich überlasse alle Spekulationen darüber, ob das Magazin in einem grandiosen Meta-Witz nur seinem Namen gerecht wird, der nach unten offenen Kommentarspalte. Aber es fällt mir schwer |
↑6 | Die Schriftart der Überschriften lässt offensichtlich keine Umlaute zu |
↑7 | Lies es selber nach: https://de.wikipedia.org/wiki/Dimorphismus |
↑8 | Boxen, Yoga, Laufen, Natodrahtabwickeln |
↑9 | Das ist ein Euphemismus: optisch völlig unverbunden |
↑10 | Ich nehme an, ich selbst habe mir die Solidarität hiermit verspielt |
↑11 | Ich muss aber noch – am besten wahrscheinlich präventiv – mit meinem Vermieter sprechen, weil das Ding 4681,07 Kilogramm wiegt, steht da. Ich hätte das übrigens aufgerundet |
Grandios, Herr Pantelouris!
Vielen Dank!
„Aus molekularbiologischer Sicht unterscheidet sich die Frau vom Mann nämlich nur durch […] Der Rest ist mehr oder weniger identisch.“
Gedankengang bei mir: Die Bücher „Deutschland schafft sich ab“ und „Ulysses“ sind im Kern identisch, einzig unterschieden durch die innere Logik zur Aneinanderreihung der Buchstaben.“
Wenn nach der weltumspannenden Katastrophe Leute übrig bleiben, die eine imaginierte Zukunft mit derlei Phantasien auskleiden, wie sie hier zu erahnen sind, sinkt meine Motivation, ebenfalls übrig zu bleiben, schnell auf Null. Einfach nur gruselig. Ich hoffe, Herr Pantelouris darf sich demnächst wieder harmloseren Nerds zuwenden.
Oje, ich lache immer noch… es war mal wieder ein Fest, Sie zu lesen.
Ich dachte schon beim sinnfreien Gebrauch der „Einklinker“ an einen Herren, der zuviel Videospiele konsumiert hat, weil man dort doch immer* Utensilien einsammeln muss.
Die Bebilderung des weiblichen Ueberlebens stützt diese Hypothese.
Ich frage mich ja oft, wer der Zielgruppe der von Ihnen so liebevoll gewürdigten Magazine angehören mag. Dieses Mal hätte ich eine Vorstellung der Zielgruppe, aber keinerlei Idee, warum diese ausgerechnet ein Printmedium kaufen sollte. Sie haben nicht zufällig die Nullnummer rezensiert?
* Okay, jedenfalls beim Point und Click, was weiss ich denn
(ich hätte hier gern einen Punkt gesetzt und lasse Ihnen nur Ihnen zuliebe weg)
Super, bei der eigenen mailadresse vertippt, wie peinlich.
Ich glaube, dass „prepping“ das Potential hat, ein gesundes, interessantes Hobby zu sein. Es ist ja ein interessantes Gedankenspiel, „was wäre wenn“. Dann überlegt man sich, wie eigentlich die Wasserversorgung in der eigenen Stadt ist, brütet am Wochenende über topographischen Karten, vermisst seinen Keller und baut sich einen kleinen Bunker als Diorama.
Eines dieser Hobbys, die im Grunde zur Hälfte aus Mathematik bestehen, wie Modellflug oder… Modelleisenbahn.
Gleichzeitig bezweifle ich aber, dass es einen einzigen Menschen gibt, der prepping als gesundes, interessantes Hobby auslebt.
…also: „Die Leiden des jungen Werther“ habe ich nicht.
Eine gute Handvoll ist für mich o.k.
Ich überlege, wie denn die Abwasserentsorgung sichergestellt ist, wenn ich mich wöchentlich übers Klo beuge, um diesen gelesenen Mist wieder loszuwerden.
Mal bei Awista nachfragen…
Sinnfrei?
Auch u.U.
Das Kapitel „Self Defence“ ist übrigens nicht umfassend recherchiert. Wo bleibt „Self Defence Against Fresh Fruit“?