Bahnhofskiosk

Ein Wohnmagazin zum Nicht-mit-Warmwerden

Im Editorial der aktuellen Ausgabe des Wohnmagazins „Elle Decoration“ ist ein ziemlich guter Witz versteckt, ein bisschen insidermäßig, aber ich habe gelacht.

Ich sage das vorweg, um ein bisschen Spannung aufzubauen*, denn „Elle Decoration“ ist ein so bis an den Rand der Kaltherzigkeit professionell durchgestyltes Magazin, dass es mir schwerfiel, einen Zugang dazu zu finden. Das ist fast lustig, wenn man bedenkt, dass Titelthema des aktuellen Heftes skandinavische Gemütlichkeit ist. Aber das ist Absicht: Im Heft ist eine Geschichte, die im Vorspann verspricht zu zeigen, wie Stockholm „kaltherzige Architektur“ cool macht. Und man kann über Kaltherzigkeit eine Menge sagen, aber an Coolness mangelt es ihr nicht.

Andererseits** ist Coolness ein schwieriges Heftkonzept, weil man ihr nur zugucken kann. An Coolness kann man nicht teilnehmen, denn cool wird man ja gerade durch Unbeteiligtsein***. Die gestylte Perfektion der „Elle Decoration“-Liga von Wohnmagazinen macht jeden Leser zu einem Voyeur, der die Welt jener abgebildeten Anderen durch ein Schlüsselloch betrachtet. Das an sich ist noch nicht selten in Medienformaten, die gesamte Welt des People-Journalismus betrachtet Prominente durch Schlüssellöcher, und das nicht einmal immer nur metaphorisch, aber mit einem anderen Ziel, nämlich auf der Suche nach dem, was uns und die Berühmten gleich macht: Liebeskummer, Cellulite, „Fashion-Fails“****.

In „Elle Decoration“ sieht man wunderbar perfekt eingerichtete Traumhäuser, was offiziell wahrscheinlich inspirieren soll, die eigenen Dreizimmerküchebad auf Etage ein bisschen mehr so einzurichten wie die Schauspielerin Laura Dern ihre von Baumhäusern inspirierte Holzglasstahl-Oase inmitten eines üppigen Gartens im Nobelviertel Brentwood in Los Angeles, andererseits aber macht, dass man die eigene Sitzgarnitur „Ektorp“, die bis gestern noch gelassene skandinavische Gemütlichkeit verströmte, eher so ansieht wie Melania Trump den Donald: Ich muss mit dir leben, aber das hat wirklich nur mit Geld zu tun. Viel lieber hätte ich was Italienisches.

Aber kurz zurück zu Laura Dern und der Geschichte über ihr Haus, an der man festmachen kann, warum ich nicht warm werde mit der kaltherzigen Coolness dieses Heftes. Die Geschichte „Perfekte Kulisse“ ist im Ressort „Trends & Inspirationen“ untergebracht, nicht im Ressort „Wohnen“, weil … (hier guten Grund einfügen). Der Text scheint außerdem aus einer Art Stehsatz zu bestehen, in den man nur noch Namen einfügt und Nichtzutreffendes oder Überflüssiges streicht, was hier wohl teilweise vergessen wurde.

„Dern schlüpft gern in außergewöhnliche Rollen und schreckt auch vor Antiheldinnen nicht zurück.“

Ich durchsuche mein Gedächtnis noch nach einer Schauspielerin, auf die das nicht zutrifft. Aus Gründen erlaube ich mir in der Zwischenzeit, ganz kurz darauf herumzureiten, was als nächstes kommt:

„Heute ist sie 50 – und gefragter denn je. Fast zehn Film- und TV-Produktionen standen allein dieses Jahr an. Wie zum Beispiel ihr Auftritt als knallharte Managerin […]“

Fast zehn? Ist das wirklich eine Zahl, die man runden muss? Fast zehn sind meiner Meinung nach entweder acht oder neun, aber vielleicht ist das Problem, dass man bei Produktionen, die anstehen, nicht so ganz genau weiß, wie man sie zählen soll, denn was ist eine anstehende Produktion? Findet die wirklich statt, oder steht die nur an? Und abgesehen davon: „Wie zum Beispiel“ ist eine nervig-nervige Doppelung, weil eins von beiden reicht, „Wie ihr Auftritt“ genauso wie „Zum Beispiel ihr Auftritt“, aber beides zusammen ist Overkill. „In acht [oder halt neun] Film- und TV-Produktionen spielt sie allein in diesem Jahr, zum Beispiel die knallharte Managerin […]“ hätte gereicht, und ich weiß nicht, was dieses andere Gedödel soll, aber ich verliere mich da jetzt nicht drin.

Eigentlich will ich zurück zu der Schauspielerin, die erwähnenswert gern in außergewöhnliche Rollen schlüpft, und alle so: yeah! „Elle Decoration“ ist durchzogen von solchen Sätzen – „Eine Villa am Comer See ist ein Traum“, „Vom Indian Summer in Nordamerika und Kanada haben alle gehört“, „Walnüsse sind Schmuck pur“ –, bei denen man sich wünschen würde, die Texter würden den einen Schritt mehr machen und mich als Menschen ansprechen und nicht als Idioten.

„Elle Decoration“ ist, wie gesagt, ein wahnsinnig perfekt gemachtes Heft mit genau den Produkten und Fotos, die man da halt reintut, sogar einer Strecke mit skandinavischen Landschaftsfotos, was dann aber schon fast wieder zynisch wirkt in dem Bestreben, rundum komplett zu sein. An einer Stelle dachte ich kurz, ich hätte eine menschliche Regung entdeckt, nämlich da, wo die Redaktion ihre Geheimtipps verrät, aber dann ist der Geheimtipp der Volontärin ein neues Londoner Luxushotel mit Zimmern ab 280 Euro und ich dachte noch gutwillig: „Na gut, die haben die wahrscheinlich eingeladen“, dann aber kommt der Geheimtipp des Editor-at-Large*****: der neue Marc-O’Polo-Store in Heringsdorf. Doch, echt wahr. Und da weiß man dann, dass sie einfach eine Reihe von neuen Adressen unterbringen mussten****** und an alle irgendeinen Namen rangepappt haben, weil das voll persönlich wirkt.

Andererseits, mal wieder, sind die Bilder perfekt. Sie sehen nicht wirklich gelebt aus, also nicht Ikea-Katalog-da-leg-ich-mich-mit-rein-mäßig, sondern schon cool-distanziert, aber an den meisten Stellen auch nicht zu unpersönlich glatt. Das wäre schon okay so, wenn der Rest des Heftes diese Ebene halten könnte. So, wie es ist, empfinde ich es als weit weg, aber dabei zu belanglos, um von Ferne fasziniert drauf zu starren – oder vielleicht sage ich es besser so: „Elle Decoration“ ist ein Fantasie-Magazin in dem Sinne, dass es Welten zeigt, die ich nicht wirklich bewohnen kann, aber spannend finden könnte – wenn das Heft selbst mehr Fantasie hätte.

Einen Witz hatte ich noch versprochen: Im Editorial des Heftes wundert sich die Chefredakteurin, dass es der ihr längst bekannte Trend-Begriff „Hygge“ für skandinavische Gemütlichkeit jetzt sogar ins Fernsehen geschafft hat. Implizit sagt sie: Hätte sie nicht gedacht, dass das außer ihr und ihrer Peer-Group in der hippen Welt des Burda-Verlags noch jemand kennt. Was sie natürlich nicht sagt: Im Konkurrenz-Verlag Gruner & Jahr erscheint längst ein Wohn- und Lifestyle-Magazin mit dem Namen „Hygge“. Ich nehme mal an, das war Absicht – und ich fand die demonstrative Missachtung sehr witzig.

In diesem Sinne: Melde mich hiermit zurück zum Dienst, ich musste kurz ein Buch schreiben*******. Machen wir es uns also wieder hyggelig, oder wie man das sagt.

Elle Decoration
6 Euro
Burda Hearst Publishing GmbH

*) Und dabei gleichzeitig das Prinzip von Spannung noch einmal in Erinnerung zu rufen, denn manche Schreiber verwechseln Spannung mit Überraschung. Spannung entsteht dann, wenn man weiß oder zumindest ziemlich genau ahnt, was passieren wird. Der Film „Titanic“ war spannend, obwohl niemand von diesem Eisberg überrascht wurde.

**) Eine der schlimmsten Angewohnheiten von langweiligen Schreibern ist, immer alles einerseits und andererseits zu betrachten, aber ich gehe hier in dem vollen Bewusstsein der Problematik in diesen Text und bin deshalb quasi immun, finde ich. Das ist wie ironisch „Bild“ lesen.

***) Wer als Zuschauer eines Konzertes die Rockstar-Posen auf der Bühne nachahmt, wirkt nicht cool, sondern wie ein Anfang 40-jähriger Familienvater beim Tanzen (aber die Luftgitarre habe ich mir abgewöhnt. Ehrlich).

****) Fashion-Fail, der : Was man macht, wenn man sich morgens anzieht.

*****) Das ist ein erfundener Titel für jemanden, dem man gern einen Titel geben würde. Ich war schon ganz oft Editor-at-Large.

******) Halten wir mal vorsichtig für denkbar, dass Marc O’Polo ein gern gesehener Anzeigenkunde ist

*******) „Liebe zukünftige Lieblingsfrau“ erscheint am 4. Oktober (Kein & Aber Verlag, 20 Euro)

13 Kommentare

  1. Wer sich als Besucher eines Rockkonzertes nicht bewegt, weil er Angst hat, jemand könnte das peinlich finden, sollte echt vielleicht besser zuhause bleiben und Wohnmagazine lesen.
    So vong Coolness her.

  2. Wenn es einmal ein Texterseminar mit Michalis geben sollte, melde ich mich jetzt schon an. Einfach »cool« wie er schreiben kann ;-)

  3. Übermedien ohne Pantelouris war schon ne uncoole Zeit, aber dafür gibts als Trostpflaster gleich ein ganzes Buch! Danke!

  4. Ich als Noch-Nicht-Abonnent (noch ein kritischer ÖR-Artikel, und Ihr habt mich!) habe ganz nervös nach unten gescrollt, ob jetzt gleich der Hinweis kommt, dass man den Text gleich und ganz sofort lesen kann, wenn man bei diesem Steady-Dings ein Abo abschliesst und man den Rest des Elaborats dann nicht mehr nur noch halb-opaque erahnen kann.

    Uff, habe ich aufgeatmet. MP back again, und wie üblich mit Sternchen.

  5. Schließe mich den Vorrednern an, willkommen zurück! Abonniert habe ich Übermedien ja schon wegen der allgemeineren Medienkritik (sprich: den meisten anderen Artikeln), aber am unterhaltsamsten ist doch der Bahnhofskiosk.
    Auf das Buch bin ich dann auch gespannt.

  6. „Ich war schon ganz oft Editor-at-Large.“

    Ha, Tatsache! Jetzt macht dieser Abschnitt in der „Über“ Beschreibung des Buchs aber viel weniger Eindruck als vorher:

    „Er schreibt vor allem für das Magazin der Süddeutschen Zeitung, als Editor-at-Large für L’Officiel und als Kolumnist für Emotion und GQ.“

  7. Ich hatte schon (fast) die Hoffnung aufs »Bahnhofskiosk« verloren, atme also nun erheblich auf!

    (nicht nur, daß MP erstklassig schreibt – er liest ja zuvor auch so gut)
    ((und ich verdanke ihm bereits zwei unerwartete Abonnements))

  8. Juchhu, wieder da! Ich habe Sie sehr vermisst. Und Buch: Super, herzlichen Glückwunsch, wird natürlich gekauft, Thema beinahe egal, wenn nur MP drübersteht und drin ist. Freue mich auf viele weitere Kioskbesuche!

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