Elefantenrunde

ARD-Vorsitzende lehnt einheitliche Regeln ab

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Karola Wille Foto: MDR

Die MDR-Intendantin und amtierende ARD-Vorsitzende Karola Wille lehnt es ab, allgemein gültige Regeln für die Besetzung der „Elefantenrunden“ im Fernsehen vor der Wahl zu verabschieden. Sie würden „einen Eingriff in die redaktionelle Autonomie der jeweiligen Programme bedeuten und journalistische Spielräume einengen“, sagte sie auf unsere Anfrage. „Das ist mit der in den einschlägigen Gesetzen verankerten Rundfunkfreiheit nicht vereinbar.“ Allerdings gebe es „besondere Anforderungen an die redaktionelle Gesamtgestaltung der Berichterstattung, bei denen vor allem das Gebot der Chancengleichheit im Mittelpunkt steht. Dabei geht es aber nicht um Einzelsendungen, sondern immer um ein redaktionelles Gesamtkonzept für die gesamte Wahlberichterstattung.“

Ein Merkmal der föderal organisierten ARD sei gerade die redaktionelle Vielfalt, mit der jeder Sender individuell auch auf jeweilige regionale Bedingungen und von Wahl zu Wahl verschiedene Verhältnissen mit entsprechenden redaktionellen Konzepten eingehen kann. „Dass man in der Öffentlichkeit über die jeweiligen Konzepte auch unterschiedlicher Ansicht sein kann“, sagte Wille, „gehört zum offenen Meinungsaustausch und ist gut für den demokratischen Prozess, nicht hinderlich.“

SWR und MDR hatten beschlossen, zu ihren geplanten Diskussionsrunden mit den Spitzenkandidaten drei Tage vor der Wahl im März 2016 nur die bereits im Landtag vertretenen Parteien einzuladen und zum Beispiel nicht die AfD, die laut Umfragen beste Aussichten auf einen Einzug in die Parlamente in Baden-Württemberg, Rheinland-Pfalz und Sachsen-Anhalt haben. Das hatte für große Diskussionen gesorgt; in Rheinland-Pfalz sagte daraufhin die CDU-Vorsitzende Julia Klöckner die Teilnahme an der Runde ab.

Wir haben weitere Persönlichkeiten um ihre Antworten auf die Fragen gebeten:

1. Sollten Vertreter der AfD zu solchen Runden eingeladen werden?

2. Der SWR hat seinen ursprünglichen Plan, die Spitzenleute aller aussichtsreichen Parteien zu einer Fernsehdiskussion einzuladen, zähneknirschend geändert, „um nicht vor leeren Stühlen zu stehen“. Dafür gibt es nun massive Kritik. Wie hätte sich der SWR in Ihren Augen verhalten sollen?

Jobst Plog, ehemaliger NDR-Intendant

1. Die AfD kann und muss so behandelt werden wie alle anderen kandidierenden Parteien auch. Für und gegen die Position, dass nur die im Landtag vertretenen Parteien in den klassischen Vorwahl-Runden auftreten sollten, gibt es jeweils eine Reihe guter Argumente. Wichtig ist: Die einmal eingenommene Position muss bekannt sein und ausnahmslos durchgehalten werden. So wie etwa seit Jahrzehnten im NDR.

2. Falls MDR und SWR diese grundsätzliche Position in der Vergangenheit durchbrochen haben, hätten sie das Risiko einer solchen Abweichung vorher sehen müssen: Es ist dann nicht mehr plausibel zu begründen, warum das diesmal anders sein soll. Jedenfalls kann der Grund nicht darin liegen, dass zwei ausgewachsene Regierungschefs das nicht akzeptieren mögen. Der SWR hätte die Runde auch ohne die Regierungschefs durchführen sollen. So erscheint der Sender ähnlich mutlos wie die Regierungschefs selbst.

Torben Lütjen, Göttinger Institut für Demokratieforschung

1. Ich halte diese Art der Ausgrenzungs- und Tabuisierungsstrategie für falsch. Wir beobachten derzeit ohnehin schon den Trend, dass Menschen zunehmend in informationellen Parallelwelten leben: wer will, der bekommt heute für jede noch so hanebüchene Meinung irgendwo in den sozialen Netzwerken seine Bestätigung und im Zweifel auch einen Experten, der das alles mit seinen Zahlen untermauert. Gerade deswegen aber wäre es so wichtig, noch jene Orte offen zu halten, in denen konträre Standpunkte aufeinander treffen und ausgetauscht werden. Ich halte es auch für gesünder, wenn Anhänger der AfD den SWR einschalten als wenn sie sich in den Foren von rechten Blogs wie „Politically Incorrect“ gegenseitig in der Richtigkeit ihrer Meinungen bestätigen.

2. Das habe ich zum Glück nicht zu entscheiden…

Christian Lindner, FDP-Vorsitzender

Wenn Frau Dreyer und Herrn Kretschmann nicht mit der AfD diskutieren wollen, ist das feige. Mit Märtyrerstatus macht man die Rechtspopulisten groß, mit fachlicher Entlarvung ihrer Substanzlosigkeit macht man sie wieder klein. Dass der SWR dem Druck der Regierungen nachgibt, halte ich für falsch.

Britta Haßelmann, Erste Parlamentarische Geschäftsführerin, Bündnis 90 / Grüne

Über die Zusammensetzung politischer Talkrunden entscheidet die jeweilige Landesrundfunkanstalt. Die Politik hat zu Recht keinen Einfluss auf die redaktionellen Entscheidungen der Sender. Ebenfalls vor Ort entscheiden die Eingeladenen, ob sie an den Sendungen teilnehmen möchten. Grundsätzlich gilt: Politische Diskussionen im Fernsehen sind in einer Demokratie wichtig, denn sie helfen den Bürgerinnen und Bürger bei ihrer Meinungsbildung. Wir sollten uns auch mit der AfD auseinandersetzen. Mit Argumenten und Fragen kann man sie besser entzaubern als mit Totschweigen.

Sigmund Gottlieb, Chefredakteur Bayerisches Fernsehen

1. Es ist die Pflicht öffentlich-rechtlicher Sender, den politischen Diskurs aller Parteien abzubilden. Die AfD gehört inzwischen dazu. Die Menschen müssen sich eine Meinung von Argumenten und Gegenargumenten der Parteienvertreter bilden können. Entsprechend müssen Diskussionsrunden konfiguriert werden.

2. In einer solchen Situation die richtige Entscheidung zu treffen, ist sehr schwer. Es steht mir nicht zu, die SWR-Linie zu bewerten. Der BR hat bei den Landtagswahlen in Bayern bisher stets darauf geachtet, dass die im Landtag vertretenen und die „großen“ nicht im Landtag vertreten Parteien in getrennten Gesprächsrunden befragt wurden.


Der frühere ZDF-Chefredakteur Nikolaus Brender hatte der „Berliner Zeitung“ gesagt:

Die Entscheidung des SWR, die außerparlamentarischen Parteien getrennt zu behandeln, entspricht erstens nicht seiner Praxis der letzten Jahre. Zweitens hat nicht zu interessieren, ob man eine Partei appetitlich findet oder nicht. Die Parteien hat nur zu interessieren, ob sie mit ihren Argumenten und ihrer Präsenz die Wähler gewinnen können. Die Ministerpräsidenten und der SWR haben der Demokratie einen Bärendienst erwiesen.

Ruprecht Polenz (CDU), der Vorsitzende des ZDF-Fernsehrats, schrieb auf Facebook:

Das Einknicken des SWR und die Weigerung der Spitzenkandidaten von SPD und Grünen, Dreyer und Kretschmann, in einer „Elefantenrunde“ mit der AfD zu diskutieren, ist ein doppeltes Desaster: Die AfD bekommt die Märtyrerrolle gratis. Wer von „Staatsfunk“ redet, sieht sich bestätigt.

Der ehemalige Präsident des Bundesverfassungsgerichts, Hans-Jürgen Papier, sagte gegenüber dem „Spiegel“:

Jede Partei, die reelle Chancen auf Einzug in den Landtag hat, muss sich an der Fernsehdebatte beteiligen dürfen. Die AfD an den Katzentisch zu verbannen, bedeutet eine Verletzung ihrer Chancengleichheit.

Der Wahlkampfberater Frank Stauss kritisierte hingegen den „Superhype“ um die Fernsehsendungen:

Die Wirkungsabstinenz von TV-Debatten steht im krassen Widerspruch zur Erregung der Sendeanstalten, Parteien und Journalisten vor einer solchen Debatte.

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