Notizblog (38)

„Ins Weiße Haus wird er nicht einziehen“

Vor zehn Jahren verkündete Donald Trump bei einem spektakulären Auftritt, dass er Präsident der USA werden will. Die meisten Medien schenkten ihm viel Aufmerksamkeit, gaben ihm aber kaum eine Chance, überhaupt nominiert zu werden.

Donald Trump in seinem New Yorker Hochhaus, daneben Melania Trump
Donald und Melania Trump am 15. Juni 2015 Foto: IMAGO / ZUMA Press Wire

Vor zehn Jahren fand sie statt, die vielleicht folgenreichste Rolltreppenfahrt der Weltgeschichte. Vor jubelnden Anhängern und Fernsehkameras ließ sich Donald Trump ins Atrium seines Hochhauses in New York hinabbefördern, um dort bekanntzugeben, dass er für das Amt des Präsidenten der USA kandidieren werde.

Er sagte: „Unser Land braucht einen wirklich großen Führer“, hielt ein Blatt mit der Aufstellung seines angeblichen Vermögens hoch, warb für seine Golfplätze, kündigte an, eine Mauer an der mexikanischen Grenze bauen zu lassen („Niemand ist im Mauerbauen so gut wie Trump“) und rief: „Wir werden dieses Land wieder großartig machen!“

Es war, wie man heute weiß, ein einschneidender Moment in der amerikanischen Politik. Aber es hätte natürlich auch eine unbedeutende, skurrile Randepisode bleiben können.

Viel Aufmerksamkeit für den „Beton-Milliardär“

Die meisten deutschen Medien damals behandelten eine andere Kandidatur, die einen Tag zuvor erklärt wurde, für relevanter: die von Jeb Bush, dem früheren Gouverneur von Florida, Sohn von Präsident George H. W. Bush und Bruder von Präsident George W. Bush. „Für die Präsidentenwahl 2016 zeichnet sich in den USA das Duell zweier politischer Dynastien ab“, schrieb ein US-Korrespondent: das der Clintons gegen das der Bushs.

Trump, da waren sich die meisten Journalisten einig, wollte vor allem Aufmerksamkeit. Und die gaben sie ihm. Er war damals in den deutschen Medien noch der „auch aus dem US-Fernsehen bekannte Immobilienhändler“ oder „Beton-Milliardär“, ein „Baulöwe“ oder „Mogul“. Seine Aussicht auf einen Wahlerfolg? Die amerikanische Nachrichtenagentur Reuters brachte es auf den Punkt: „Trump werden kaum Chancen eingeräumt.“

Die Kollegen von dpa, deren Meldung von vielen Medien übernommen wurde, berichteten ähnlich:

„Trump hat laut Umfragen aber nur sehr geringe Chancen, sich bei den Vorwahlen der Republikaner durchzusetzen. Politische Kommentatoren nehmen ihn nicht ernst.“

Handelsblatt: "Der Störenfried vom rechten Rand"
Ausriss: „Handelsblatt“

Moritz Koch, der damalige US-Korrespondent des „Handelsblatt“, ging einen Schritt weiter und reduzierte in seinem Bericht Trumps Chancen kurzerhand von sehr gering auf null. Er erklärte den Lesern, dass es in der amerikanischen Politik zwei Kandidatentypen gebe: „Die einen wollen Macht, die anderen suchen eine Bühne.“ Trump gehöre zur zweiten Kategorie.

„Wahlkampftauglich ist Trump nicht, geschweige denn regierungswürdig. Ob er sich selbst ernst nimmt, ist sein Geheimnis. Kein Geheimnis ist, dass Trump eines ganz bestimmt nicht wird: Präsident der Vereinigten Staaten.“

Koch war überzeugt: „Ernst zu nehmen ist [Trump] nur als Störenfried.“ Und analysierte:

„Die Kombination aus tiefen Taschen und niedriger Hemmschwelle macht Trump einerseits gefährlich. Er scheut keine Schlammschlacht; und das Geld für seine Schmutzkampagnen wird ihm nicht so schnell ausgehen, schließlich ist er Milliardär. Andererseits kann [Jeb] Bush den Kontrast zu einem Clown gut gebrauchen, um seine eigene Seriosität herauszustellen. Zumindest dafür ist Trump ein guter Kandidat.“

Ein Kollege von der Online-Ausgabe des „Handelsblattes“ sah Trump zwar erstaunlicherweise nicht auf der Rolltreppe, sondern „im Aufzug nach unten ins Foyer fahren“, warnte aber:

„Donald Trump ist der Joker im Rennen um die Präsidentschaft 2016. Nicht, weil er genügend politische Erfahrung hat. Im Gegenteil. Aber genau das macht den TV-bekannten Immobilienhai und Reality-Showstar so gefährlich. (…)

Trump könnte Kandidat Jeb Bush als unterschätzte Überraschung aus dem Off so zerstören, wie es 2008 Barack Obama mit einer viel zu früh siegessicheren Hillary Clinton 2008 vorexistiert [sic!] hat.“

Vorteil für die Demokraten?

Der Gedanke, dass Trumps Kandidatur für die Demokraten ein Grund zur Freude ist, fand sich in vielen Artikeln. In der FAZ stand er, auf der Grundlage einer AFP-Meldung, in einer Form, als bedürfe er gar keine Erklärung:

„‚Ich bin offiziell Kandidat für das Präsidentenamt der Vereinigten Staaten‘, sagte der 69-Jährige im New Yorker Trump Tower. Die Demokraten reagierten mit Sarkasmus.“

Gemeint war damit offenbar die Aussage einer Sprecherin über Trump: „Er bringt etwas von der benötigten Ernsthaftigkeit mit, die dem republikanischen Lager vorher fehlte.“

Die „Welt“ wagte einen eigenen, etwas komplizierten Erklärungsversuch:

„Den Demokraten kann es nur recht sein, wenn einer wie Trump das republikanische Kandidatenfeld wie einen Zirkus erscheinen lässt. Bisher hatte es in der Gruppe der Bewerber im Vergleich zu vergangenen Wahlperioden eine große Anzahl gewichtiger und seriöser Kandidaten gegeben, während die Demokraten sich mit Exoten wie dem Sozialisten Bernie Sanders wiederfanden.

Mit Trump, der auch als Hauptfigur in seiner Realityshow ‚The Apprentice‘ auftrat oder in Wrestlingshows wie ‚WrestleMania XX‘, kommt nun ein frivoles, extravagantes Element in den republikanischen Wahlkampf, das dem politischen Gegner nur recht sein kann.“

Dass Trump nominiert werden könnte, hielt die „Welt“ ebenfalls für komplett abwegig:

„Medienberichten zufolge wird er im Laufe des Tages seine Vermögensverhältnisse offenlegen und erklären, neun Milliarden Dollar schwer zu sein. Ein Vorwahlkampf sollte sich damit locker finanzieren lassen, zumal niemand annimmt, dass Trump in die Verlegenheit geraten könnte, tatsächlich nominiert zu werden und dann auch gegen Hillary Clinton wahlkämpfen zu müssen.“

Verdammte Verlegenheit!

SZ war sich ganz sicher

Auch die „Süddeutsche Zeitung“ konnte sich in ihrem Bericht vom ersten Auftritt Trumps als Präsidentschaftskandidat am Ende eine Prognose nicht verkneifen. Vorher beschrieb sie ausführlich, dass Trump es anders als bei früheren Flirts mit der Kandidatur „ernst“ meinte und er „die kostenlose Live-Sendezeit im Fernsehen für einen fast einstündigen Monolog“ nutzte, „der den Zuschauern die Perücken vom Kopf fegt“:

„Der Zuschauer bleibt nach dem Freistil-Auftritt erstaunt zurück, selbst den seriös auftretenden CNN-Moderatoren bleibt der Mund offen stehen. Ist das nun Aktionskunst oder werden die Republikaner gerade des Wahnsinns fette Beute? Gerne würde man auch erfahren, was Trumps Redenschreiber denkt: Laut Manuskript war nur eine fünfminütige Kurzrede vorgesehen.“

Trump könne, so das SZ-Fazit,

„die kalkulierte Aufmerksamkeit genießen und den Wahlkampf aus eigener Tasche bezahlen. Ins Weiße Haus wird er nicht einziehen, aber immerhin 2016 zwei Straßenzüge entfernt ein Hotel eröffnen.“

„Spiegel“-Korrespondent Marc Pitzke beschrieb den „fast einstündigen, atemberaubend bizarren Auftritt“ Trumps und staunte:

„Trumps PR-Leute hatten vorab ein Manuskript verteilt, das eine wirklich ernstzunehmende Polit-Ansprache enthielt, knapp fünf Minuten lang. Leider war es nicht die Rede, die Trump hielt. (…)

Ist diese Groteske ernst zu nehmen? Die meisten TV-Kommentatoren lachten sich jedenfalls erst mal schräg.“

Auch er sah in Trumps Kandidatur vor allem ein Problem für die Republikaner:

„Die Republikaner dürften sich über den jüngsten Kandidaten in ihrer Mitten aber kaum freuen: Trump macht den Vorwahlkampf vollends zum Zirkus – und könnte seriöse Wähler der Mitte damit verschrecken.

Ihre Hoffnung ist, dass er an den Hürden scheitert, die die Networks für die TV-Debatten verordnet haben.“

Auch amerikanische Medien sahen in Trump nur den Clown

Es waren nicht nur die deutschen Medien, die Trumps Kandidatur abtaten. Die Boulevardzeitung „Daily News“ zeigte ihn als Clown auf der Titelseite:

"Daily News": "Clown runs for Prez"
Ausriss: „Daily News“

Der amerikanische Politik-Newsletter „Playbook“ schrieb in dieser Woche über die Berichterstattung vor zehn Jahren: „Niemand hat es kommen sehen“, wie Trump die nächsten zehn Jahre dominieren würde.

Auch die „New York Times“, die Trump als „garrulous“ (geschwätzig) charakterisierte, nannte seine Nominierung damals „unwahrscheinlich“. Dabei hatte sie ein, wie sich herausstellen sollte, treffendes Zitat von Geraldo Rivera, einem schillernden amerikanischen Fernsehmoderator, der die Unterhaltungsqualitäten Trumps hervorhob. „Jeb Bush gibt gerade seine Kandidatur bekannt“, sagte Rivera. „Wen würdest du lieber ansehen, ihn oder Trump?“

Die „Welt kompakt“, eine inzwischen eingestellte Kleinausgabe der „Welt“, hatte die Frage auf ihre Weise beantwortet. Sie berichtete heute vor zehn Jahren groß über Jeb Bush, den „Mann für Minderheiten“. Und versteckte Trumps Auftritt auf derselben Seite in einer kleinen Rubrik für wirklich, wirklich irrelevante Nachrichten. Die Überschrift über der 15-zeiligen Meldung: „Sack Reis“.

Meldung in "Welt kompakt" zur Trump-Kandidatur 2025: "Sack reis"
Screenshot: „Welt kompakt“

Das wirkt, einerseits, im Nachhinein besonders abwegig. Aber wer weiß, andererseits, wie sich die Geschichte entwickelt hätte, wenn mehr Medien Trumps Spektakel so wenig Aufmerksamkeit gegeben hätten.

11 Kommentare

  1. @Anderer Max
    Ich würde sagen, schon früher.
    Der Obama-Diss geht ja zurück auf Trumps Birther-Quatsch, den er da schon einige Jahre in die Welt posaunt hat.
    Da hat Trump gemerkt, dass man in der Politik keinerlei Probleme hat, auch die größten Lügen zu erzählen – wenn man nur vorsichtig genug formuliert.

  2. Viele Medien und ihre Journalisten lagen vor 10 Jahren daneben und haben die Situation so eingeschätzt, wie sie jede/r 08/15 Analystin von Deutschland aus einschätzen würde. Das legt die Frage nach der Qualität der Korrespondentinnen vor Ort nahe und lässt aufhorchen, ob Pitzke, Pfister oder andere Strategen die seit 10 Jahren als Trump-Versteher in die ländliche USA reisen und den Demokraten die schuld geben vielleicht auch falsch liegen könnten…

  3. Danke für diese tolle Zusammenstellung der Arroganz derer, die sich „Journalist“ nennen. Ganz wunderbar wird aufgezeigt, wie weit diese Blase der selbsternannten Meinungsmacher von den Lebensrealitäten der Mehrheitsbevölkerung entfernt ist, wie sehr man nur noch eigenes Agendasetting betreibt, ohne überhaupt die Befindlichkeiten derer zu recherchieren, die das Produkt kaufen sollen oder, wie im Falle ÖRR, kaufen müssen. Zumal die Deutschen ohnehin nicht wahlberechtigt waren, aber das nur am Rande.
    Trump als Person einfach lächerlich machen zu wollen und so gar nicht zu berichten, was in den Staaten warum passiert, ist jedenfalls gnadenlos nach hinten losgegangen, eine Blamage für die Branche sondergleichen.
    Und nein, Totschweigen wird als Strategie nicht funktionieren, auch nicht gegen die AfD. Irgendeiner findet sich immer, der den Problemen eine öffentliche Stimme gibt. Wenn diese für die Mehrheit groß genug sind, wird sie so oder so hörbar sein.

  4. die meisten Medien haben sich gedacht, er werde es sowieso nicht, aber den Unterhaltungswert nähmen sie gerne mit.

    und wenn Trump in der Hauptwahl gegen Hillary Clinton verloren hätte, hätten die Propheten wahrscheinlich reihenweise zu Protokoll gegeben, wie sehr sie 2015 Recht behalten hätten.

  5. Anfang 1991 ist passiert, was keiner vorher für möglich gehalten hätte:
    Die US-Army hat die irakischen Streitkräfte besiegt.

    Jubel, Freude, Konfetti.
    Die Zustimmungsraten für den sitting president im Bereich 200…300%. Die nächste Präsidentschaftswahl nur noch Formsache.
    Deshalb hat von den Granden der Dems keiner seinen Hut in den Ring geworfen. Es wird ihm ja nicht gedankt, sondern er trägt dann den Makel des Verlierers mit sich rum.

    Was tun?
    Überhaupt nicht an der Wahl teilnehmen, das sieht irgendwie doof aus. Gerade noch haben die es geschafft, aus dem Hinterwald einen Zählkandidaten zu gewinnen, diesen Bill Clinton.
    Der Rest ist Geschichte.

    Jedenfalls habe ich aus diesem Ereignis gelernt, dass man Bob Dylans Warnung ernst nehmen sollte:
    And don’t speak too soon
    For the wheel’s still in spin

  6. Also ich verübele es ehrlich gesagt niemandem, der damals fest davon ausging, dass ein notorischer Lügner, der in seinen Reden nur zusammenhangloses Zeug faselt und keinerlei politische Erfahrung oder Kompetenz mitbringt, tatsächlich Präsident der Vereinigten Staaten werden könnte. Ich kann es bis heute nicht glauben.

  7. Als Anschluss zu #9
    Faktisch alle Betrachtungen über Trump haben einen großen Spaßfaktor.
    Das betrifft in erster Linie die sich als sog. „Journalistik“ bezeichnende woke Propagandamaschine.
    Aber auch die … nein, ich habe nicht gesagt Schrott … faktenbasierte Wissenschaft leistet ihren Beitrag.
    Besonders gern erinnere ich mich an Die Chancen für Donald Trump sind nahezu bei Null des verehrten Herrn Professor Experte für USA-Politik Steenbergen.
    Science is settled – Follow the junk science!

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