EU-Zuschüsse für Umweltverbände

Recherche mit Schatten: Die WamS und die „Klimalobby“

Die „Welt am Sonntag“ wittert üble Machenschaften zwischen EU-Kommission und Klimaschutzorganisationen. „Geheim-Verträge“ sollen belegen, dass die EU Umweltverbände mit Lobby-Maßnahmen beauftragt hat. Dabei ist seit Monaten bekannt, dass an den Vorwürfen wenig dran ist.

Ausriss der „Welt am Sonntag“-Titelseite vom 8.6.2025 mit der Schlagzeile: „Die mächtige EZ-Schattenlobby“.
Mächtige „Welt am Sonntag“ vom 8.6.2025 Ausriss: Welt am Sonntag

Geheime Verträge, eine „mächtige EU-Schattenlobby“: Die Recherche in der „Welt am Sonntag“ (WamS) vom vergangenen Wochenende bietet alles auf, was Verschwörungsmystiker lieben. Der zentrale Vorwurf steht groß auf der Titelseite: Die EU soll Nichtregierungsorganisationen (NGOs) dafür bezahlt haben, Klimalobbyismus zu betreiben.

In einem zweiten Text im Wirtschaftsteil der WamS heißt es, die Europäische Kommission habe „heimlich eine Allianz mit NGOs“ geschmiedet. Angeblich sollten die Organisationen politische Ziele der Kommission durchsetzen – in Gesprächen mit EU-Parlamentariern, mit Klagen vor Gerichten oder durch Social-Media-Kampagnen.

Vorwürfe schon vor Monaten widerlegt

Was die Leser nicht erfahren: Ähnliche Vorwürfe sind schon vor Monaten von anderen Redaktionen geprüft und größtenteils widerlegt worden. Trotzdem machte die WamS-Recherche in diversen Medien Schlagzeilen. Sogar die „Tagesschau“ verbreitete sie ohne weitere Einordnung.

Dabei hätte sich mit wenig Aufwand herausfinden lassen, dass entscheidende Informationen fehlen. Die Redaktion von „Politico“, immerhin eine Schwesterredaktion der WamS im Springer-Konzern, hatte schon im Februar einen Faktencheck dazu veröffentlicht. Die Redaktion fand keine Belege, dass die EU-Kommission Organisationen für Lobby-Arbeit passend zu ihrer politischen Agenda bezahlt hat. Auch die „Süddeutsche Zeitung“ berichtete schon im April über EU-Förderverträge mit Nichtregierungsorganisationen und kam zu ganz anderen Schlüssen als jetzt die WamS.

Es stimmt, dass Klimaschutzorganisationen Geld von der EU-Kommission bekommen. Vergeben wird das Geld über das Förderprogramm Life, das Umwelt- und Klimaschutz sowie den Umstieg auf saubere Energie stärken soll. Auch Nichtregierungsorganisationen können sich darauf bewerben, die Kriterien sind öffentlich.

Stimmt: Förderung nicht transparent genug

Richtig ist auch, dass NGOs damit unter anderem Lobby-Arbeit finanzieren. Die EU-Kommission will mit der Förderung sicherstellen, dass die Zivilgesellschaft an der Umsetzung ihres „Green Deals“ für mehr Klimaschutz ausreichend beteiligt wird, wie sie 2020 in einer Ausschreibung für Life erklärte. Einige der NGOs nutzen das Geld also, um Politiker oder die öffentliche Meinung zu beeinflussen.

Diese Ausgangslage schreit geradezu danach, dass Journalisten genauer hinschauen: Der Europäische Rechnungshof mahnte erst im April mehr Transparenz bei der EU-Finanzierung von NGOs an, auch im Hinblick auf Lobbying (siehe dieses Factsheet).

Falsch ist aber die Behauptung der WamS, dass hinter der Förderpraxis ein geheimer Plan steht oder die EU-Kommission explizit einzelne Maßnahmen beauftragt hat. Eine Datenbank listet auf, welche Projekte bei den vergangenen Ausschreibungen wie viel Geld bekommen haben, Grundlage ist ein Beschluss des EU-Parlaments und des Rates der Europäischen Union.

Die WamS hatte für ihre Recherche – wie zuvor schon SZ und „Politico“ – zusätzlich Einblick in Fördervereinbarungen mit mehreren Organisationen, die tatsächlich als „geheim“ eingestuft sind. Darin nennen die NGOs die konkreten Maßnahmen, die sie mit dem Geld planen. Das ist bei Förderprojekten üblich, um nachzuvollziehen, wofür Gelder ausgegeben werden – wobei die Life-Fördermittel wohl nicht einmal zweckgebunden, sondern allgemeine Betriebskostenzuschüsse waren.

Stimmt nicht: EU-Kommission vergab keine Aufträge an NGOs

Die WamS nutzt diese Dokumente aber, um eine andere Geschichte zu erzählen. Sie behauptet, die EU-Kommission habe diese Maßnahmen nicht nur zur Kenntnis genommen, sondern „formuliert“, „angeheuert“ oder „beauftragt“. Sie wirft der EU-Kommission damit vor, die Arbeit der Organisationen gesteuert zu haben. An einer Stelle heißt es, EU-Funktionäre hätten offenbar Protestaktionen unterstützt und „anstacheln“ wollen

Belege oder Indizien dafür liefert die Recherche nicht, auch wenn die Dokumente über das Material von „Politico“ offenbar hinausgehen. Und erst im April hatte die EU-Kommission in einem Statement diesen Vorwürfen widersprochen. Sie habe NGOs nicht dazu aufgefordert oder instruiert, Einfluss auf EU-Parlamentarier zu nehmen, schrieb sie. Die Kommission mache NGOs, die Fördergelder bekämen, auch keine Vorgaben, dass sie Lobbyarbeit betreiben oder bestimmte Positionen vertreten müssten.

Im WamS-Artikel taucht dieses Statement nicht auf, stattdessen heißt es, die Behörde habe sich nicht äußern wollen. Auf Anfrage von Übermedien reagierten die Autoren des Textes nicht.

WamS zitiert vor allem Unionspolitiker

Stutzig macht, dass keine der beschuldigten Organisationen in den Texten zu Wort kommt, auch keine Experten für Lobbyismus oder EU-Förderung. Stattdessen werden überwiegend Abgeordnete der Union und der FDP zitiert, vor allem die CSU-Europaabgeordnete Monika Hohlmeier.

Außerdem äußert sich ein Sprecher der Initiative Transparente Demokratie, als handele es sich dabei um eine renommierte Institution. Tatsächlich ist dieser Verein erst im Mai gegründet worden – auch diese Information fehlt im Text, obwohl die Initiative zu ihrer Gründung sogar einen Gastbeitrag in der „Welt“ veröffentlicht hatte. Die Organisation will laut Webseite die Finanzierung „von Lobbygruppen, Verbänden und Nichtregierungsorganisationen“ transparenter machen. Zu den „Unterstützern der ersten Stunde“ gehörte unter anderem die ehemalige CDU-Ministerin Kristina Schröder, deren Name von der Webseite inzwischen wieder verschwunden ist.

Das bedeutet: Die WamS-Artikel beruhen mutmaßlich auf echten Dokumenten, interpretieren diese aber irreführend und verschweigen entscheidenden Kontext. So wird politisches Handeln skandalisiert – und alles, was nicht ins Bild passt, weggelassen. Womöglich gefällt das der „Welt“-Leserschaft sogar: Private Zeitungen dürfen tendenziös ausgerichtet sein, schließlich gibt es verschiedene Angebote für verschiedene Zielgruppen.

„Tagesschau“ übernimmt Recherche ohne Einordnung

Anders sieht es bei öffentlich-rechtlichen Sendern aus. Sie müssen unparteiisch berichten. Umso problematischer, dass die „Tagesschau“ am Samstagmorgen einen eigenen Text über die Wams-Recherche online stellte. Zusätzlich veröffentlichte die Redaktion einen Instagram-Post zum Thema, der fast 100.000 Likes bekam.

Dabei fehlte jegliche Einordnung, die WamS-Texte dienten als einzige Quelle. Die „Tagesschau“-Redaktion übernahm sogar Politikerzitate direkt aus den Zeitungsartikeln, ausschließlich von Politikern der Union und der FDP.

Tagesschau-Artikel: EU-Gelder für Umweltaktivisten?
Recherchen anderer Medien zu übernehmen gilt bei der „Tagesschau“ als „gängige journalistische Praxis“ Screenshot: Tagesschau.de

Dabei wäre es ein Leichtes gewesen, die Recherche zu ergänzen. Die „Tagesschau“-Redaktion hätte zumindest aus schon veröffentlichten Faktenchecks zitieren können. Journalistischer Standard wäre es gewesen, auch die beschuldigten NGOs und die EU dazu anzufragen.

Aber erst im Laufe des Tages fügte die Redaktion dem Text weitere Passagen hinzu, unter anderem Statements von der Europäischen Kommission und einer NGO. Kenntlich machte die Redaktion diese Ergänzungen nicht. Überschrift, Teaser und die ersten Absätze des Textes blieben fast unverändert – und damit auch der Vorwurf, die EU-Kommission habe Umweltverbände bezahlt, die Öffentlichkeit von der EU-Klimapolitik zu überzeugen.

Im Instagram-Post änderte die Redaktion lediglich den Begleittext zum Post, weil darunter das Social-Media-Team der Europäischen Kommission direkt kommentiert und die Vorwürfe dementiert hatte.

Änderungen erst spät und ohne Kennzeichnung

Über Recherchen zu berichten, sei „gängige journalistische Praxis“, heißt es dazu auf Anfrage von Übermedien bei der für die „Tagesschau“ zuständigen Pressestelle des NDR: Man habe „die zentralen Inhalte des WamS-Beitrags nicht als Fakt gemeldet, sondern im Konjunktiv oder als Frage formuliert“. Üblich sei es auch, einen Beitrag nach der Veröffentlichung noch zu ergänzen – deswegen seien Ergebnisse eigener Anfragen und vertiefende Einordnungen erst nachträglich eingearbeitet worden. Das sei keine Korrektur, sondern eine „Erweiterung der Berichterstattung“, und deswegen nicht im Artikel als Änderung transparent gemacht worden.

Damit macht sich die Redaktion einen bemerkenswert schlanken Fuß. Denn die späteren Ergänzungen waren keine „Nice-to-Know“-Zusatzinfos, sondern stellten die gesamte Geschichte in Frage – unter anderem durch die Faktenchecks anderer Medien und das Dementi der EU-Kommission. Zur journalistischen Verantwortung einer so bedeutenden Medienmarke wie der „Tagesschau“ hätte es gehört, die WamS-Recherche zunächst genau zu prüfen, bevor sie selbst einen Artikel und einen plakativen Insta-Post dazu veröffentlicht.

Der Redaktion muss klar gewesen sein, dass sie damit der Geschichte zusätzliche Glaubwürdigkeit verlieh. Da half es auch nicht, hinter die Überschrift „EU-Gelder für Umweltaktivisten?“ ein Fragezeichen zu stellen. Hängen bleibt, was im Text steht. Dort spricht unter anderem die CSU-Europaabgeordnete Hohlmeier von „subversiven Plänen“.

Kritik an Hetze gegen Zivilgesellschaft

Auf BlueSky kritisierte neben anderen die Journalistin Aline Pabst die WamS-Recherche und die „Tagesschau“ in langen Threads (hier und hier). Die WamS-Artikel hätten das Ziel, „Bürger gegen zivilgesellschaftliche Organisationen, gemeinnützige Verbände und demokratische Institutionen aufzuhetzen“. Das sei „eine Gefahr für den Klimaschutz – und unsere Demokratie gleich mit“.

Die Kritik an der WamS-Recherche bedeutet nicht, dass Medien aufhören sollten, zur Vergabe von EU-Fördermitteln an NGOs zu recherchieren – im Gegenteil. Es ist auch nicht jeder, der öffentlich finanzierten Umwelt-Lobbyismus fragwürdig findet, automatisch gegen Klimaschutz.

Gleichzeitig sind Umweltverbände nicht allein deshalb vor Kritik gefeit, weil sie sich gegen den Klimawandel engagieren. Und natürlich ist es denkbar, dass der EU-Kommission einige NGO-Positionen genehmer sind als andere: Klimaschutz ist zwar alternativlos, nicht aber jede einzelne klimapolitische Maßnahme. Bei den Vorhaben der EU-Kommission in dem Bereich gibt es nicht den einen Weg, den niemand in Frage stellen soll und darf.

Kritik ja, aber faktenbasiert

Aufgabe von Journalismus ist es aber, genau diese Positionen zu sortieren: Wo ist Kritik an der EU-Kommission berechtigt und wo wird daraus eine Kampagne? Welche Akteure haben tatsächlich eine faire Verwendung öffentlicher Gelder zum Ziel und wem geht es vielmehr darum, Klimaschutz oder gar demokratische Akteure zu torpedieren?

Im deutschen Bundestag stellte die Unionsfraktion zuletzt 551 weitgehend sinnlose Fragen, um NGOs insgesamt in ein fragwürdiges Licht zu rücken. Kritik an der Zivilgesellschaft kann also auch populistische Strategie sein, um politische Positionen anderer zu schwächen.

Die WamS hat sich mit ihrer einseitigen Recherche selbst zum Teil einer Kampagne gemacht – und die „Tagesschau“-Redaktion sich gleich mit.

6 Kommentare

  1. Wenn man jemanden im politischen Kontext diskreditieren will, nennt man ihn „Lobbyisten“. Wenn man der selben Meinung ist, nennt man ihn „Experten“.
    Indessen hat die oben angeführte „kleine Anfrage“ ihr Ziel nicht verfehlt (die verschiedenen NGOs, über die dort Fragen gestellt wurde, zu dikkreditieren), insbeondere, weil die Anfrage selbst großes Medienecho erzeugte. Die Antworten darauf (Drucksache 20/15101 vom 12.3.2025 des Bundestages), die die Anfrage als Sturm im Wasserglas entlarvte, blieben jedoch praktisch unbeachtet, soviel ich das beurteilen kann.

  2. „Initiative Transparente Demokratie“, die Gratiswerbung in der Welt/WaS bekommt, ohne das transparent auf die Verbindung zwischen der Welt-Kolumnistin/CDU-Politikerin Kristina Schröder hingewiesen wird.

    So ein dummer Mist kann doch nur von der Union kommen.

  3. Was in der Debatte seit gut einem halben Jahr völlig untergeht: Die Kampagne konservativer und rechter EU-Parlamentarier gegen die NGO-Förderung läuft schon seit Jahren, mindestens seit 2017. Wir haben in unserem Magazin „welt-sichten“ schon damals darüber berichtet:
    https://www.welt-sichten.org/artikel/32908/den-ngos-auf-die-finger-schauen

    Im vergangenen Februar, als das dann von Abgeordneten wie Monika Hohlmeier von der CSU wieder hochgekocht wurde, haben wir es noch einmal in einem Kommentar eingeordnet:
    https://www.welt-sichten.org/artikel/43639/umweltschutz-unter-trommelfeuer

  4. Da liefert die WamS aber mal so ein richtig klassisches Beispiel für „Haltungsjournalismus“ den Herr Poschardt sonst so gerne bei der (linken) Konkurrenz geißelt. Ich weiß nicht mehr genau wo, aber wenn ich mich recht erinnere hatte Frau Dowideit (die ja bekanntlich von WELT zu correctiv wechselte) mal in einem Interview thematisiert, was für Erwartungen Herr Poschard an Investigativjournalismus hätte. Beim vorher ausgesuchten Gegner solange alles umdrehen bis irgendwas verwertbares gefunden wird. Na ja, dann kommt dabei halt sowas raus.

  5. Poschard steht auch auf Platz 2 der Spiegel Bestsellerliste (mit einem weinerlichen Buch über die bösen Menschen, die nicht seiner Meinung sind) und sitzt gleichzeitig bei Lanz und sagt, er dürfe ja nichts mehr sagen.

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