Betriebsausflug ins Weiße Haus: Wenn Journalisten Tipps zum Buckeln geben

Nun ist der Betriebsausflug nach Washington beendet, die wichtigsten deutschen „Hauptstadtjournalisten“ sind wieder in der deutschen Hauptstadt, die Berichterstattung aus der amerikanischen Hauptstadt dürfen wieder die dafür dorthin entsandten Korrespondenten übernehmen, und schon ein paar Tage und ein langes Pfingstwochenende später muss man sich anstrengen, sich zu erinnern, was nochmal der Grund für die ganze Aufregung war.
Ach ja: Der Grund für die Aufregung war die Möglichkeit, dass es Grund zur Aufregung geben könnte. Dass es zu irgendeiner Art Eklat kommen könnte, wenn der neue deutsche Bundeskanzler bei seinem sogenannten Antrittsbesuch vom amerikanischen Präsidenten im Weißen Haus empfangen wird. Aus einem eher zeremoniellen Routinetermin ist ein spannende und unvorhersehbare Realityshow geworden, seit Donald Trump diesen Termin mehrfach dazu genutzt hat, Besucher öffentlich in dramatischer und nie dagewesender Weise vorzuführen.
Leicht produzierte Human-Touch-Geschichten
Deutsche Journalisten stehen ja im Verdacht, Trump und sein Tun ganz furchtbar zu finden, und das ist vermutlich nicht ganz falsch, einerseits. Andererseits liefert er zuverlässig ein Spektakel, und die Aussicht darauf lieben Journalisten mehr als alles. Schon aus der bloßen Möglichkeit eines Spektakels lässt sich Content generieren; bunte, zugängliche, leicht produzierte und konsumierte Human-Touch-Geschichten, in denen die große Politik die Fallhöhe liefert, aber angenehm unscharf im Hintergrund bleibt.
Die Konzentration auf diese Geschichten hat zwei Nachteile: Der harmlosere ist, wie leicht sie lächerlich wirken. Der problematischere, wie sehr Journalisten damit Donald Trump auf den Leim gehen. Sie berichten nicht nur über die furchtbare Show, die er veranstaltet; sie werden zum Teil davon und spielen sie mit.
Die Prämisse vieler Vor-Berichte war eindeutig: Es galt, als deutscher Bundeskanzler den zunehmend autoritär regierenden Präsidenten und Diktatoren-Freund nicht zu verärgern. In erschütternder Ausführlichkeit diskutierten deutsche Journalisten, was dafür und dagegen sprach, dass Merz Trump gefallen könnte – nicht zuletzt: seine Körpergröße.
Holger Stark warnte in einem Kommentar in der „Zeit“, der sich immerhin selbst ein bisschen ironisierte („Friedrich Merz besucht einen der gefährlichsten Orte der Welt: das Oval Office. Wie kann er das überstehen?“):
In Washington, bei Leuten, die Trump besser kennen, heißt es, der US-Präsident habe ein Problem mit Männern, die größer sind als er selbst, er schaue ungern zu anderen auf.
Trump misst 1,90 Meter. Merz ist acht Zentimeter größer. Auf diesem diplomatischen Parkett braucht er sehr flache Schuhe.
Allerdings wusste der amerikanische Journalist Rob Schmitz bei „Zeit Online“ Gegenteiliges zu berichten. Unter Bezug auf eine deutsch-amerikanische Politologin sagte er:
Trump mag große Männer. Merz ist 1,98 Meter groß, in den USA sagt man Six Foot Five. Das klingt verrückt, aber vielleicht ist seine Größe für Merz wirklich von Vorteil.
Das scheint zumindest in den deutschen Medien die Mehrheitsmeinung zu sein, wobei das nichts bedeuten muss: Welcher deutsche Journalist kennt schon Leute, die Trump „besser kennen“? Im Zweifel schreiben Journalisten nur ab, was andere Journalisten über Trump geschrieben haben.
Und bevor sich jetzt irgendwelche Investigativteams daran machen, herauszufinden, wie Trump wirklich zu Männern steht, die größer sind als er: Sollte das wirklich ein Thema sein in der Berichterstattung?
Absurde Nebensächlichkeiten
Schon klar: Donald Trump ist jemand, der offenbar eine extreme Zielstrebigkeit, was den Umbau des politischen Systems in den USA angeht, mit einem Narzissmus verbindet, der immer wieder kindische Züge annimmt. Vielleicht hängt die Frage, ob er mit jemandem kann, tatsächlich auch davon ab, welche Körpergröße derjenige hat – oder halt von einer Million anderer Äußerlichkeiten oder Verhaltensweisen. Und womöglich hat das wiederum konkrete politische Konsequenzen.
Aber folgt daraus wirklich, dass Journalisten diese absurden Nebensächlichkeiten diskutieren sollten – noch dazu ganz offenbar auf der Grundlage, dass offenbar niemand genaues weiß, und überhaupt: bei Trump morgen schon das Gegenteil gelten könnte?

Es ist natürlich, vermutlich, alles auch mit einem Augenzwinkern zu lesen, wenn etwa der „Stern“ Merz in seinem Morgennewsletter vier „Benimmtipps für die Trump-Visite“ mitgibt. In dem „Kanzler-Knigge“ heißt es:
Buckeln Sie, wenn möglich.
Der Präsident ist ein großer Mann. Sie sind größer. Gute acht Zentimeter. Da Ihr Gastgeber großen Wert auf seine (fotografische) Überlegenheit legt und er es gewohnt ist, auf Staatschefs herabzublicken: Machen Sie sich klein! Und: lassen Sie ihm beim vermutlich (zu) festen Händedruck buchstäblich die Oberhand.
Und:
Schweigen ist Gold.
Veit Medick, Politikchef beim „Stern“, verfasste einen Text, in dem er spekulierte, welche Ratschläge der Kanzler bei seiner Vorbereitung auf Trump bekommen haben dürfte. Es klang wie bei einem Standardratgeber für ein Bewerbungsgespräch:
Den Start des Gesprächs nicht versemmeln. Auf die Körperhaltung achten. Vor allem: Trump schmeicheln, ihm großartige Führungsqualitäten bescheinigen. Auch wenn es schmerzt.
(Die Formulierung „Auf die Körperhaltung achten“ vermeidet geschickt die Frage, ob sich Merz größer oder kleiner machen soll. Und den Start des Gesprächs nicht versemmeln, ist natürlich als Ratschlag fast so gut wie: Keine Fehler machen. Oder: Lieber gut sein als nicht so gut.)
Ganz aus der Perspektive Trumps malte sich Medick dann noch aus, was für Dinge, die Trump geärgert haben könnten, Trump dann noch ansprechen könnte, um das Gespräch für Merz unangenehm werden zu lassen. Darunter diese:
Es ging etwas unter: Vergangene Woche überraschte Merz mit einer Indiskretion. Auf dem WDR-Europaforum plauderte er darüber, wie Telefonate mit Trump ablaufen. In seinem ersten habe er mit dem Präsidenten unter anderem über Chicago gesprochen. „Where do you know Chicago from?“, imitierte Merz mit leicht verstellter Stimme den Amerikaner und zitierte Trump locker weiter: „This is a great city, Chicago is a really great city.“ Sowieso sei jedes zweite oder dritte Wort des Präsidenten „great“. „So, das war so ein bisschen der Ton des Gesprächs“, sagte Merz grinsend. Ob Trump die Plauderei auch so lustig findet? Wird Merz bei seinem Besuch in Washington womöglich erfahren.
Politikjournalisten erklären eine solche harmlose Plauderei zur „Indiskretion“ und warnen, dass das ein Problem sein könnte für das Gespräch, für die Beziehung zwischen Trump und Merz, letztlich für die Beziehung zwischen den USA und Deutschland und am Ende Millionen Arbeitsplätze.
Ja, nochmal, bei Trump ist nichts ausgeschlossen, aber gerade das kann doch nicht dazu führen, dass wir über all das, was nicht ausgeschlossen werden kann, in dieser Ernsthaftigkeit diskutieren? Und nicht, zum Beispiel, über das, was Trump tatsächlich tut und anrichtet.
Und der Maßstab ist immer Trump? Und die Maßgabe, ihn nicht zu verärgern? Oder vielleicht doch nur, Klicks zu generieren?
Spekulieren übers Spektakel
Aus dem Umfeld des Bundeskanzlers sind die deutschen Hauptstadtjournalisten vor der Begegnung im Weißen Haus offenbar gebrieft worden, dass der Kanzler sich gut vorbereitet hat auf alles Mögliche. Aber weil das Spektakel zu diesem Zeitpunkt noch spekulativ ist, führt die konkrete Umsetzung zu hilflosen Dürfte-Konstruktionen, wie hier in der „Süddeutschen Zeitung“ (SZ):
Sollte am Donnerstag im Oval Office das Gespräch also auf die deutsche Brandmauer kommen oder darauf, dass Deutschland aus Sicht von US-Außenminister Marco Rubio eine „verkappte Tyrannei“ sei, weil der Verfassungsschutz die AfD als rechtsextrem eingestuft hat, dürfte Merz sich ein paar Antworten zurechtgelegt haben, die so formuliert sein dürften, dass sie Trump zumindest nicht provozieren.
Zu den atemlos diskutierten Spekulationen im Vorfeld gehörte auch, ob Merz sich womöglich irgendeine kritische Frage zur angeblich in Deutschland eingeschränkten Meinungsfreiheit anhören musste – und wenn ja: von wem? Von Trump oder seinem Außenminister oder seinem Vizepräsidenten oder irgendeinem der amerikanischen Journalisten oder „Journalisten“?
„So wie wir es hören“, berichtete „T-Online“-Korrespondent Bastian Brauns Minuten vor dem Termin auf X, „soll das eben tatsächlich eine Überraschung werden. Ob es eine böse oder gute Überraschung wird, werden wir dann demnächst sehen.“
Es ist damit zu rechnen, dass es Julian Reichelt sein wird, der den Bundeskanzler im Oval Office auf die Pressefreiheit in Deutschland ansprechen wird. @tonline https://t.co/KOW7r3NaP6 pic.twitter.com/BGMJdHb9lW
— Bastian Brauns (@BastianBrauns) June 5, 2025
Wenige Minuten später hatte er ein unscharfes Bild vom Hinterkopf des „Nius“-Chefredakteurs und die vermeintliche Antwort:
Es ist damit zu rechnen, dass es Julian Reichelt sein wird, der den Bundeskanzler im Oval Office auf die Pressefreiheit in Deutschland ansprechen wird.
Ich hab das zu spät gesehen, um noch rechtzeitig den Atem anhalten zu können: Nicht auszudenken, wenn Julian Reichelt im Weißen Haus Friedrich Merz eine Frage zur Meinungsfreiheit zugerufen hätte! Ich fürchte, diese ganze Art des Journalismus ist schwer zu verstehen ohne die extreme Blasenhaftigkeit eines solchen Events, wenn alle zusammenstehen und aufgeregt fragen, was jetzt gleich alles passieren kann und wie schlimm es dann wohl wird. Ich kenne das vom ESC.
„Auge in Auge“
Statt Julian Reichelt schaffte es dann aber sein ehemaliger Partner Paul Ronzheimer, mit einer Frage an den Präsidenten durchzudringen, und zur Berichterstattung von solchen Ereignissen gehört es, dass es nicht nur um ALLES geht, sondern vor allem auch um die Berichterstatter. Und keine Zeitung verdeutlicht das schöner als die „Bild am Sonntag“, die ihren mutmaßlich von einer anderen Front nach Washington entsandten stellvertretenden Chefredakteur „AUGE IN AUGE“ mit Trump zeigte:

(Kurt Kister, der frühere Chefredakteur der „Süddeutschen Zeitung“, hatte hingegen schon vor dem Termin einen angenehm despektierlichen Begriff für den Pressetross: „journalistische Nachlatscher“. Er meint das nicht nur abwertend gegenüber den Kollegen, sondern beschreibt in seinem Artikel auch eine Szene, in der er selbst „Nachlatscher-Korrespondent“ war.)
Und wie war er nun, der Termin? Eklatlos, was einerseits natürlich aus Journalistensicht enttäuschend ist, wenn man schon live berichtet, andererseits aber offenbar schon als ein Erfolg gelten muss. Nicolas Richter fasst es in der SZ gut zusammen:
Der Bundeskanzler hat es geschafft, 45 Minuten im Oval Office zu verbringen, ohne vom US-Präsidenten vorgeführt zu werden. Das ist also nun der Maßstab im Verhältnis zwischen Deutschland und Amerika.
Dass das der Maßstab ist, liegt aber nicht nur an der besonderen Persönlichkeit des amerikanischen Präsidenten und dem Erwartungsmanagement des Umfelds des deutschen Kanzlers. Sondern auch an den vielen Medien, die sich ganz auf Trumps Show und Merz’ Erzählung eingelassen haben.
Ob der Erfolg nun trotz oder wegen der Körpergröße von Merz zustande kam, bleibt leider ungeklärt. Immerhin: Das Gastgeschenk, die Kopie einer Geburtsurkunde von Trumps deutschem Großvater Friedrich, die Trump bekommen hat, „scheint ein voller Erfolg gewesen zu sein“, meldet dpa. Und macht es daran fest, dass das Weiße Haus in einem Post auf X dazu „ein seltenes Herz-Emoji“ setzte.
Der Autor

Stefan Niggemeier ist Gründer von Übermedien und „BILDblog“. Er hat unter anderem für „Süddeutsche Zeitung“, „Frankfurter Allgemeine Sonntagszeitung“ und den „Spiegel“ über Medien berichtet.
Sollte man einen Leserkommentar schreiben, wenn man nichts zu sagen hat, außer, dass man dem Autor in diesem Artikel voll und ganz zustimmt, seinen Stil gut findet, seine Ironie vorzüglich findet? Eigentlich nicht. Aber es bleiben ja noch genug andere Artikel, wo ich ganz oder teilweise Kritik anbringen könnte.
Ja, mein weiß nicht, ob man lachen oder weinen soll. Die Washington-Berichterstattung besteht seit Trumps Amtsantritt in weiten Teilen aus Angstlust – und bei Fritzens Besuch hat sie eine Art Zusammenbruch erlitten (hysterisches Kichern eingeschlossen). Es muss sich aber auch wirklich absurd anfühlen, im Oval Office neben irgendwelchen Talk-Radio-Brüllaffen zu stehen, die den Präsidenten fragen, wie er es schafft, so great zu sein.
Das ist die wirklich interessante Frage: Ist Trump ein zielstrebiger Umstürzler? Hat er einen Plan, und sein Narzissmus ist nur – letztlich hemmendes – Beiwerk? Anfangs dachte ich das auch, inzwischen bin ich mir nicht mehr sicher: Seine Wirtschafts- und Handelspolitik wirkt planlos; mit seinem gefährlichsten (und wahrscheinlich klügsten) Mitstreiter Musk hat er sich überworfen; große Teile seines Umfelds sind keine reaktionären Masterminds, sondern unberechenbare Chaoten. Und er selbst greift von liberalen Unis bis druckarmen Duschköpfen alles an, was einen ausrastenden Kleinbürger so nervt.
Wirkt auf mich bislang eher wie Kategorie Schulhofschläger als wie ein machiavellistischer Strippenzieher, der einem Drehbuch folgt – aber das kann natürlich erstens täuschen, und ist zweitens kein Grund zur Entwarnung. Denn dieser Schulhofschläger hat einen Atomkoffer…
Paul Ronzheimer hat übrigens eine gute Frage nach Sanktionen gegen Russland gestellt. Kein Pleasing oder so. Und Trump hat darauf erst vage geantwortet, dann minutenlang gebrabbelt und den russischen Krieg gegen die Ukraine mit zwei streitenden Kindern verglichen. Dem hätte Merz gerne widersprechen dürfen. Aber er hat König Trump labern lassen. Kein mitgereister Journalist hat dieses Laufen lassen kritisiert. Wieso auch – im Vorfeld wurde ja peinlicherweise Unterwürfigkeit zur Maxime erhoben.