Berichte über krasse Einzelfälle

Redaktionen reihenweise unter Grundsteuer-Schock

„Irrsinn“, „Wahnsinn“, „Chaos“: Medien berichten seit Monaten über Eigentümer, die plötzlich ein Vielfaches an Grundsteuer zahlen sollen. Das verzerrt die Debatte – auch dank erfolgreicher Lobby-Arbeit von Verbänden.
Exklusiv für Übonnenten

Nach jahrelangen Vorbereitungen wird die Grundsteuer dieses Jahr erstmals nach neuen Regeln berechnet. Manche Menschen zahlen nun mehr, andere weniger als vorher. Glaubt man den spektakulären Überschriften in allen möglichen Zeitungen, entsteht vor allem der Eindruck: Die Städte kassieren jetzt richtig ab.

Zum Beispiel im Bonner „General-Anzeiger“:

Wenn sich viele Menschen über etwas aufregen, dann kann Journalismus diesen Ärger anfachen, daraus Überschriften mit „Chaos“ („Focus online“) und „Irrsinn“

10 Kommentare

  1. vielen Dank für die differenzierte Einordnung. Als Leserin des General Anzeigers habe ich mich schon diverse Male über die einseitige und teilweise reißerische Berichterstattung einer eigentlich seriösen Zeitung geärgert.

  2. Die Grundsteuer für meinen Tiefgaragenplatz (aus einem Nachlaß, also nicht mit eigenem Geld bezahlt) erhöht sich von Viereuroirgendwas auf Zwölfeuroirgendwas – im Quartal. Nicht der Rede wert.

  3. Danke für den ruhigen Artikel.
    Ich gehöre zu den Gewinnern der Reform. Wir wohnen mit drei Generationen und sechs Personen im eigenen Haus in der Nähe von Frankfurt und zahlen jetzt knapp 30 % weniger: Bei uns ist es von € 1.770 auf € 1.259 p.A. also € 511 € günstiger geworden. Das sind ungefähr € 210 pro Person und Jahr.
    Freunde im selben Ort wohnen mit zwei Generationen und fünf Personen im eigenen Haus und zahlen über 50 % mehr: Von € 518 auf € 855 also € 337 teurer. Das sind € 171 pro Person und Jahr.
    Die Differenz entspricht ungefähr den Verhältnissen der Grundstücks- und Hausgrößen.
    Die Weinberge, Äcker und Brachen in meiner Familie sind alle durchschnittlich von knapp unter € 15 auf etwas über € 20 pro Quartal und Hektar gestiegen, das sind 29 % mehr aber in Summe immer noch fast nichts.
    Die Eigentumswohnungen der Freundinnen meiner Mutter, denen ich bei der Grundsteuer-Prozedur geholfen habe („der Sven macht doch was mit Internet, kann der mir da nicht helfen?“) in und um Frankfurt, in Berlin, bei Würzburg und in Koblenz zahlen auch teilweise etwas mehr und teilweise weniger, die Beträge sind jetzt näher beieinander und im Durchschnitt 13 % günstiger.
    Das ist alles anekdotisches Wissen und nicht repräsentativ.

  4. Ich habe beruflich mit der Verteilung der Grundsteuerkosten zu tuen. Bei den meisten unserer Häuser (Baujahr zwischen 1910 und 1980) ist die Grundsteuer nach der Reform gesunken. Und jetzt kommt das ABER: die Städte und Gemeinden haben die Gelegenheit genutzt und den Hebesatz, bei uns von 290 v.H. (2022) auf 535 v.H. (2023) auf 800 v.H. (2024) angehoben.
    Ich wünschte mir so sehr, dass wir wieder eine Presse haben, die unaufgeregt, sachlich und vor allem kompetent von den täglichen Dingen berichtet.
    Warum kann man nicht der Blöd das Lügen, das Erfinden von Halbwahrheiten und das Aufbauschen überlassen?

  5. @ eigentlich nur Mitleser #7: Das stimmt, das habe ich schon total verdrängt. Bei uns hat sich der Hebesatz auch drastisch nach oben verändert. Was bleibt den Kommunen auch übrig, ihnen wird ja überall der Hahn abgedreht. Was zahlt noch mal Tesla in Brandenburg an Steuern? Das kann man auch mit jedem anderen beliebigen großen Unternehmen und jedem Ort hinterfragen. Gleichzeitig verlagern Bund und Länder immer mehr Aufgaben = Kosten in die Gemeinden.

  6. Es ist ein weiteres Beispiel für die Art und Weise, wie viele Medien Politikverdrossenheit schüren. Skandalisierung von Einzelfällen, Aufblasen von Mücken zu Elefanten, anstatt über den Sinn und Zweck von politischen Vorhaben zu berichten und die Umsetzung einzuordnen und sie gerne auch zu kritisieren, wo sie kritikwürdig sind.

    Persönliche Anekdote: Ich selbst zahle rund 15% weniger Grundsteuer als vorher. Dass diese Senkung für mich als Besitzer einer Eigentumswohnung mit Garten notwendig war, würde ich sogar bestreiten. Ich konnte mir auch die alte Grundsteuer leisten. Aber das wäre wahrscheinlich schon für einige Medien eine zu differenzierte Betrachtung, die nicht wirklich zum Skandal taugt: „Bergisch Gladbacher Vorort-Bewohner zahlt 15% weniger Grundsteuer“

  7. Bei mir haben sich die Kosten vervierfacht. Das reicht der Stadt aber nicht, sie will den Hebesatz rückwirkend erhöhen. Bisher habe ich mich geärgert. Jetzt weiß ich, dass ich der Panikmache von Bild & Co aufgesessen bin.Das beruhigt mich doch sehr.

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